Ein Trauerspiel in fцјnf Aufzцјgen

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Personen:
Margarete von Parma, Tochter Karls des Fцјnften,
Regentin der Niederlande
Graf Egmont, Prinz von Gaure
Wilhelm von Oranien
Herzog von Alba
Ferdinand, sein natцјrlicher Sohn
Machiavell, im Dienste der Regentin
Richard, Egmonts Geheimschreiber
Silva und Gomez, unter Alba dienend
Klц¤rchen, Egmonts Geliebte
Ihre Mutter
Brackenburg, ein Bцјrgerssohn
Soest, Krц¤mer, Bцјrger von Brцјssel
Jetter, Schneider, Bцјrger von Brцјssel
Zimmermann und Seifensieder, Bцјrger von Brцјssel
Buyck, Soldat unter Egmont
Ruysum, Invalide und taub
Vansen, ein Schreiber
Volk, Gefolge, Wachen usw.


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Erster Aufzug
Armbrustschieцџen
Soldaten und Bцјrger mit Armbrцјsten
Jetter, Bцјrger von Brцјssel, Schneider, tritt vor und spannt die
Armbrust. Soest, Bцјrger von Brцјssel, Krц¤mer.
Soest. Nun schieцџt nur hin, daцџ es alle wird! Ihr nehmt mir's doch
nicht! Drei Ringe schwarz, die habt Ihr Eure Tage nicht geschossen. Und so
wц¤r' ich fцјr dies Jahr Meister.
Jetter. Meister und Kц¶nig dazu. Wer miцџgц¶nnt's Euch? Ihr sollt
dafцјr auch die Zeche doppelt bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit
bezahlen, wie's 'recht ist.
(Buyck, ein Hollц¤nder, Soldat unter Egmont.)
Buyck. Jetter, den Schuцџ handl' ich Euch ab, teile den Gewinst,
traktiere die Herren: ich bin so schon lange hier und fцјr viele
Hц¶flichkeit Schuldner. Fehl ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen hц¤ttet.
-
Soest. Ich sollte dreinreden: denn eigentlich verlier ich dabei. Doch,
Buyck, nur immerhin.
Buyck (schieцџt). Nun, Pritschmeister, Reverenz! - Eins! Zwei! Drei!
Vier!
Soest. Vier Ringe? Es sei!
Alle. Vivat, Herr Kц¶nig, hoch! und abermal hoch!
Buyck. Danke, ihr Herren. Wц¤re Meister zu viel! Danke fцјr die Ehre.
Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.
(Ruysum, ein Frieslц¤nder, Invalide und taub.)
Ruysum. Daцџ ich euch sage!
Soest. Wie ist's, Alter?
Ruysum. Daцџ ich euch sage! - Er schieцџt wie sein Herr, er schieцџt
wie Egmont.
Buyck. Gegen ihn bin ich nur ein armer Schlucker. Mit der Bцјchse
trifft er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa, wenn er Glцјck oder gute
Laune hat; nein! wie er anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe
ich von ihm. Das wц¤re auch ein Kerl, der bei ihm diente und nichts von ihm
lernte. - Nicht zu vergessen, meine Herren! Ein Kц¶nig nц¤hrt seine Leute;
und so, auf des Kц¶nigs Rechnung, Wein her!
Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, daцџ jeder -
Buyck. Ich bin fremd und Kц¶nig, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.
Jetter. Du bist ja ц¤rger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen mцјssen.
Ruysum. Was?
Soest (laut). Er will uns gastieren; er will nicht haben, daцџ wir
zusammenlegen und der Kц¶nig nur das Doppelte zahlt.
Ruysum. Laцџt ihn! doch ohne Prц¤judiz! Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht.
(Sie bringen Wein.)
Alle. Ihro Majestц¤t Wohl! Hoch!
Jetter (zu Buyck). Versteht sich: Eure Majestц¤t.
Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.
Soest. Wohl! Denn unserer spanischen Majestц¤t Gesundheit trinkt nicht
leicht ein Niederlц¤nder von Herzen.
Ruysum. Wer?
Soest (laut). Philipps des Zweiten, Kц¶nigs in Spanien.
Ruysum. Unser allergnц¤digster Kц¶nig und Herr! Gott geb' ihm langes
Leben.
Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fцјnften, nicht lieber?
Ruysum. Gott trц¶st' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand цјber den
ganzen Erdboden und war euch alles in allem; und wenn er euch begegnete, so
grцјцџt' er euch wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart,
wuцџt' er mit so guter Manier - ja, versteht mich - Er ging aus, ritt aus,
wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir doch alle geweint, wie er
seinem Sohn das Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich - der ist
schon anders, der ist majestц¤tischer.
Jetter. Er lieцџ sich nicht sehen, da er hier war, als in Prunk und
kц¶niglichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.
Soest. Es ist kein Herr fцјr uns Niederlц¤nder. Unsre Fцјrsten mцјssen
froh und frei sein wie wir, leben und leben lassen. Wir wollen nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.
Jetter. Der Kц¶nig, denk ich, wц¤re wohl ein gnц¤diger Herr, wenn er
nur bessere Ratgeber hц¤tte.
Soest. Nein, nein! Er hat kein Gemцјt gegen uns Niederlц¤nder, sein
Herz ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie kц¶nnen wir ihn
wiederlieben? Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold? Warum trцјgen
wir ihn alle auf den Hц¤nden? Weil man ihm ansieht, daцџ er uns wohlwill;
weil ihm die Frц¶hlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung aus den Augen
sieht; weil er nichts besitzt, das er dem Dцјrftigen nicht mitteilte, auch
dem, der's nicht bedarf. Laцџt den Grafen Egmont leben! Buyck, an Euch
ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.
Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!
Ruysum. цњberwinder bei St. Quintin.
Buyck. Dem Helden von Gravelingen!
Alle. Hoch!
Ruysum. St. Quintin war meine letzte Schlacht. ich konnte kaum mehr
fort, kaum die schwere Bцјchse mehr schleppen. Hab ich doch den Franzosen
noch eins auf den Pelz gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen
Streifschuцџ ans rechte Bein.
Buyck. Gravelingen! Freunde! da ging's frisch! Den Sieg haben wir
allein. Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz Flandern?
Aber ich mein, wir trafen sie! Ihre alten, handfesten Kerle hielten lange
wider, und wir drц¤ngten und schossen und hieben, daцџ sie die Mц¤uler
verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe
niedergeschossen, und wir stritten lange hinцјber herцјber, Mann fцјr Mann,
Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See
hin. Auf einmal kam's, wie vom Himmel herunter, von der Mцјndung des
Flusses, bav, bau! immer mit Kanonen in die Franzosen drein. Es waren
Englц¤nder, die unter dem Admiral Malin von ungefц¤hr von Dцјnkirchen her
vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht; sie konnten nur mit den
kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter
uns - Es tat doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's!
Rick! rack! herцјber, hinцјber! Alles totgeschlagen, alles ins Wasser
gesprengt. Und die Kerle ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was
wir Hollц¤nder waren, gerad hintendrein. Uns, die wir beidlebig sind, ward
erst wohl im Wasser wie den Frц¶schen; und immer die Feinde im Fluцџ
zusammengehauen, weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach,
schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot.
Muцџte doch die welsche Majestц¤t gleich das Pfц¶tchen reichen und Friede
machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem groцџen Egmont schuldig.
Alle. Hoch! dem groцџen Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal
hoch!
Jetter. Hц¤tte man uns den statt der Margrete von Parma zum Regenten
gesetzt!
Soest. Nicht so! Wahr bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht
schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnц¤d'ge Frau!
Alle. Sie lebe!
Soest. Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause. Die Regentin
lebe!
Jetter. Klug ist sie, und mц¤цџig in allem, was sie tut; hielte sie's
nur nicht so steif und fest mit den Pfaffen. Sie ist doch auch mit, schuld,
daцџ wir die vierzehn neuen Bischofsmцјtzen im Lande haben. Wozu die nur
sollen? Nicht wahr, daцџ man Fremde in die guten Stellen einschieben kann,
wo sonst ц„bte aus den Kapiteln gewц¤hlt wurden? Und wir sollen glauben, es
sei um der Religion willen. Ja, es hat sich. An drei Bischц¶fen hatten wir
genug: da ging's ehrlich und ordentlich zu. Nun muцџ doch auch jeder tun,
als ob er nц¶tig wц¤re; und da setzt's allen Augenblick Verdruцџ und
Hц¤ndel. Und je mehr ihr das Ding rцјttelt und schцјttelt, desto trцјber
wird's.
(Sie trinken.)
Soest. Das war nun des Kц¶nigs Wille; sie kann nichts davon- noch
dazutun.
Jetter. Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind
wahrlich gar schц¶n in Reimen gesetzt und haben recht erbauliche Weisen. Die
sollen wir nicht singen, aber Schelmenlieder, so viel wir wollen. Und warum?
Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiцџ. Ich hab ihrer
doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab nichts drin gesehen.
Buyck. Ich wollte sie fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir
wollen. Das macht, daцџ Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so
etwas nicht. - In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer Belieben
hat. (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger als ein geistlich Lied?
Nicht wahr, Vater?
Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.
Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art; und gefц¤hrlich ist's doch immer, da lц¤цџt man's lieber sein. Die
Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann
ist schon unglцјcklich geworden. Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich
nicht tun darf, was ich mц¶chte, kц¶nnen sie mich doch denken und singen
lassen, was ich will.
Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen. Und der Adel muцџ auch
beizeiten suchen, ihr die Flцјgel zu beschneiden.
Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfц¤llt, in mein
Haus zu stцјrmen, und ich sitz an meiner Arbeit und summe just einen
franzц¶sischen Psalm und denke nichts dabei, weder Gutes noch Bц¶ses; ich
summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist: gleich bin ich ein Ketzer und
werde eingesteckt. Oder ich gehe цјber Land und bleibe bei einem Haufen
Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhц¶rt, einem von denen, die aus
Deutschland gekommen sind: auf der Stelle heiцџ ich ein Rebell und komme in
Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen predigen hц¶ren?
Soest. Wackre Leute. Neulich hц¶rt' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Gekц¶ch, als wenn unsre auf
der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken erwцјrgen.
Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hц¤tten bei der Nase
herumgefцјhrt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr Erleuchtung
haben kц¶nnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel.
Jetter. Da mag doch auch was dran sein. Ich sagt's immer selbst und
grцјbelte so цјber die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.
Buyck. Es lц¤uft ihnen auch alles Volk nach.
Soest. Das glaub ich, wo man was Gutes hц¶ren kann und was Neues.
Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.
Buyck. Frisch, ihr Herren! цњber dem Schwц¤tzen vergeцџt ihr den Wein
und Oranien.
Jetter. Den nicht zu vergessen. Das ist ein rechter Wall: wenn man nur
an ihn denkt, meint man gleich, man kц¶nne sich hinter ihn verstecken und
der Teufel brц¤chte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!
Alle. Hoch! hoch!
Soest. Nun, Alter, bring auch deine Gesundheit.
Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!
Jetter. Krieg! Krieg! Wiцџt ihr auch, was ihr ruft? Daцџ es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl natцјrlich; wie lumpig aber unsereinem dabei zumute
ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hц¶ren; und
nichts zu hц¶ren, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer,
wie sie цјber einen Hцјgel kamen und bei einer Mцјhle hielten, wieviel da
geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drц¤ngen, und einer gewinnt,
der andere verliert, ohne daцџ man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder
verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bцјrger ermordet werden, und
wie's den armen Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not
und Angst, man denkt jeden Augenblick: б»Da kommen sie! Es geht uns auch
so.б«
Soest. Drum muцџ auch ein Bцјrger immer in Waffen geцјbt sein.
Jetter. Ja, es цјbt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hц¶r ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.
Buyck. Das sollt' ich цјbelnehmen.
Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.
Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?
Jetter. Vexier' Er sich.
Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.
Jetter. Halt dein Maul.
Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der Kцјche, dem Keller, der Stube
- dem Bette.
(Sie lachen.)
Jetter. Du bist ein Tropf.
Buyck. Friede, ihr Herren! Muцџ der Soldat Friede rufen? - Nun da ihr
von uns nichts hц¶ren wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine
bцјrgerliche Gesundheit.
Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!
Soest. Ordnung und Freiheit!
Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.
(Sie stoцџen an und wiederholen frц¶hlich die Worte, doch so, daцџ
jeder ein anders ausruft und es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und
fц¤llt endlich auch mit ein.)
Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!
Palast der Regentin
Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
Regentin. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut nicht reiten. Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen.
(Alle gehen ab.)
Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten lц¤цџt mir keine Ruhe!
Nichts kann mich ergetzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder,
diese Sorgen vor mir. Nun wird der Kц¶nig sagen, dies sei'n die Folgen
meiner Gцјte, meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden
Augenblick, das Rц¤tlichste, das Beste getan zu haben. Sollte ich frцјher
mit dem Sturme des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich
hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu verschцјtten. Ja, was ich mir
selbst sage, was ich wohl weiцџ, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie
wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? Der цњbermut der
fremden Lehrer hat sich tц¤glich erhц¶ht; sie haben unser Heiligtum
gelц¤stert, die stumpfen Sinne des Pц¶bels zerrцјttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrцјhrer gemischt,
und schreckliche Taten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist, und
die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und einzeln, damit
mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der Kц¶nig nicht denke, man
wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein Mittel, weder strenges noch
gelindes, dem цњbel zu steuern. O was sind wir Groцџen auf der Woge der
Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und
nieder, hin und her.
(Machiavell tritt auf.)
Regentin. Sind die Briefe an den Kц¶nig aufgesetzt?
Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben kц¶nnen.
Regentin. Habt Ihr den Bericht ausfцјhrlich genug gemacht?
Machiavell. Ausfцјhrlich und umstц¤ndlich, wie es der Kц¶nig liebt. Ich
erzц¤hle, wie zuerst um St. Omer die bilderstцјrmerische Wut sich zeigt. Wie
eine rasende Menge, mit Stц¤ben, Beilen, Hц¤mmern, Leitern, Stricken
versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und
Klц¶ster anfallen, die Andц¤chtigen verjagen, die verschlossenen Pforten
aufbrechen, alles umkehren, die Altц¤re niederreiцџen, die Statuen der
Heiligen zerschlagen, alle Gemц¤lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes,
Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerreiцџen, zertreten. Wie sich der
Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Tore erц¶ffnen.
Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verwцјsten, die Bibliothek des
Bischofs verbrennen. Wie eine groцџe Menge Volks, von gleichem Unsinn
ergriffen, sich цјber Menin, Comines, Werwicq, Lille verbreitet, nirgend
Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die
ungeheure Verschwц¶rung sich erklц¤rt und ausgefцјhrt ist.
Regentin. Ach, wie ergreift mich aufs neue der Schmerz bei deiner
Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das цњbel werde nur grц¶цџer
und grц¶цџer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!
Machiavell. Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so
ц¤hnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt
Ihr doch selten meinem Rat folgen mц¶gen. Ihr sagtet oft im Scherze: б»Du
siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein: wer
handelt, muцџ fцјrs Nц¤chste sorgen.б« Und doch, habe ich diese Geschichte
nicht vorauserzц¤hlt? Hab ich nicht alles vorausgesehen?
Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es ц¤ndern zu kц¶nnen.
Machiavell. Ein Wort fцјr tausend: Ihr unterdrцјckt die neue Lehre
nicht. Laцџt sie gelten, sondert sie von den Rechtglц¤ubigen, gebt ihnen
Kirchen, faцџt sie in die bцјrgerliche Ordnung, schrц¤nkt sie ein; und so
habt Ihr die Aufrцјhrer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel
sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.
Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden kц¶nne? Weiцџt du nicht, wie er
mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste
empfiehlt? daцџ er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht
hergestellt wissen will? Hц¤lt er nicht selbst in den Provinzen Spione, die
wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung
hinцјberneigt? Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen
genannt, der sich in unsrer Nц¤he heimlich der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und Schц¤rfe? Und ich soll gelind sein? ich soll
Vorschlц¤ge tun, daцџ er nachsehe, daцџ er dulde? Wцјrde ich nicht alles
Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?
Machiavell. Ich weiцџ wohl; der Kц¶nig befiehlt, er lц¤цџt Euch seine
Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wiederherstellen, durch ein
Mittel, das die Gemцјter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an
allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr tut. Die grц¶цџten Kaufleute
sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten. Was hilft es, auf seinen
Gedanken beharren, wenn sich um uns alles ц¤ndert? Mц¶chte doch ein guter
Geist Philippen eingeben, daцџ es einem Kц¶nige anstц¤ndiger ist, Bцјrger
zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.
Regentin. Solch ein Wort nie wieder. Ich weiцџ wohl, daцџ Politik
selten Treu und Glauben halten kann, daцџ sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschlieцџt. In weltlichen Geschц¤ften ist
das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott spielen wie unter
einander? Sollen wir gleichgцјltig gegen unsre bewц¤hrte Lehre sein, fцјr
die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? Die sollten wir hingeben an
hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?
Machiavell. Denkt nur deswegen nicht цјbler von mir.
Regentin. Ich kenne dich und deine Treue und weiцџ, daцџ einer ein
ehrlicher und verstц¤ndiger Mann sein kann, wenn er gleich den nц¤chsten
besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat. Es sind noch andere,
Machiavell, Mц¤nner, die ich schц¤tzen und tadeln muцџ.
Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?
Regentin. Ich kann es gestehen, daцџ mir Egmont heute einen recht
innerlichen tiefen Verdruцџ erregte.
Machiavell. Durch welches Betragen?
Regentin. Durch sein gewц¶hnliches, durch Gleichgцјltigkeit und
Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen
und ihm begleitet, aus der Kirche ging. Ich hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete. б»Seht, was
in Eurer Provinz entsteht! Das duldet Ihr, Graf, von dem der Kц¶nig sich
alles versprach?б«
Machiavell. Und was antwortete er?
Regentin. Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache wц¤re,
versetzte er: б»Wц¤ren nur erst die Niederlц¤nder цјber ihre Verfassung
beruhigt! Das цјbrige wцјrde sich leicht geben.б«
Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederlц¤nder sieht, daцџ es
mehr um seine Besitztцјmer als um sein Wohl, um seiner Seele Heil zu tun
ist? Haben die neuen Bischц¶fe mehr Seelen gerettet, als fette Pfrцјnden
geschmaust, und sind es nicht meist Fremde? Noch werden alle
Statthalterschaften mit Niederlц¤ndern besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, daцџ sie die grц¶цџte, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber nach seiner Art
von den Seinigen regieret werden als von Fremden, die erst im Lande sich
wieder Besitztцјmer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen fremden
Maцџstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.
Machiavell. Mit dem Herzen gewiцџ nicht; und wollte, ich kц¶nnte mit
dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.
Regentin. Wenn du so willst, so tц¤t' es not, ich trц¤te ihnen meine
Regentschaft ab; denn Egmont und Oranien machten sich groцџe Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich
verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.
Machiavell. Ein gefц¤hrliches Paar.
Regentin. Soll ich aufrichtig reden: ich fцјrchte Oranien, und ich
fцјrchte fцјr Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen in
die Ferne, er ist heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und
in tiefster Ehrfurcht, mit grц¶цџter Vorsicht tut er, was ihm beliebt.
Machiavell. Recht im Gegenteil geht Egmont einen freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehц¶rte.
Regentin. Er trц¤gt das Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestц¤t
nicht цјber ihm schwebte.
Machiavell. Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hц¤ngen an ihm.
Regentin. Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand
Rechenschaft von ihm zu fordern hц¤tte. Noch trц¤gt er den Namen Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen zu hц¶ren; als wollte er nicht vergessen,
daцџ seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt er sich nicht
Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt? Warum tut er das? Will er erloschne
Rechte wieder geltend machen?
Machiavell. Ich halte ihn fцјr einen treuen Diener des Kц¶nigs.
Regentin. Wenn er wollte, wie verdient kц¶nnte er sich um die Regierung
machen; anstatt daцџ er uns schon, ohne sich zu nutzen, unsц¤glichen
Verdruцџ gemacht hat. Seine Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben den
Adel mehr verbunden und verknцјpft als die gefц¤hrlichsten heimlichen
Zusammenkцјnfte. Mit seinen Gesundheiten haben die Gц¤ste einen dauernden
Rausch, einen nie sich verziehenden Schwindel geschц¶pft. Wie oft setzt er
durch seine Scherzreden die Gemцјter des Volks in Bewegung, und wie stutzte
der Pц¶bel цјber die neuen Livreen, цјber die tц¶richten Abzeichen der
Bedienten!
Machiavell. Ich bin цјberzeugt, es war ohne Absicht.
Regentin. Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nцјtzt sich
nicht. Er nimmt das Ernstliche scherzhaft; und wir, um nicht mцјцџig und
nachlц¤ssig zu scheinen, mцјssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So hetzt
eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich erst recht. Er
ist gefц¤hrlicher als ein entschiednes Haupt einer Verschwц¶rung; und ich
mцјцџte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann
nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, daцџ er mich nicht empfindlich, sehr
empfindlich macht.
Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
Regentin. Sein Gewissen hat einen gefц¤lligen Spiegel. Sein Betragen
ist oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der vц¶lligen
цњberzeugung lebe, er sei Herr und wolle es uns nur aus Gefц¤lligkeit nicht
fцјhlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen; es werde
sich schon geben.
Machiavell. Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glцјckliches
Blut, das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefц¤hrlich aus. Ihr
schadet nur ihm und Euch.
Regentin. Ich lege nichts aus. Ich spreche nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederlц¤ndischer Adel und sein Golden Vlies
vor der Brust stц¤rken sein Vertrauen, seine Kцјhnheit. Beides kann ihn vor
einem schnellen, willkцјrlichen Unmut des Kц¶nigs schцјtzen. Untersuch es
genau; an dem ganzen Unglцјck, das Flandern trifft, ist er doch nur allein
schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn, hat's so genau nicht
genommen und vielleicht sich heimlich gefreut, daцџ wir etwas zu schaffen
hatten. Laцџ mich nur; was ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser
Gelegenheit davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschieцџen; ich
weiцџ, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.
Machiavell. Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien
auch?
Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die
Last der Verantwortung nahe genug zuwц¤lzen; sie sollen sich mit mir dem
цњbel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklц¤ren. Eile,
daцџ die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift. Dann
sende schnell den bewц¤hrten Vaska nach Madrid; er ist unermцјdet und treu;
daцџ mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daцџ der Ruf ihn
nicht цјbereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.
Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.
Bцјrgerhaus
Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?
Brackenburg. Ich bitt Euch, verschont mich, Klц¤rchen.
Klare. Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen
Liebesdienst?
Brackenburg. Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich
kann Euern Augen nicht ausweichen.
Klare. Grillen! kommt und haltet!
Mutter (im Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hцјbsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
Brackenburg. Sonst.
Klare. Wir wollen singen.
Brackenburg. Was Ihr wollt.
Klare. Nur hцјbsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstцјck. (Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)
Die Trommel gerцјhret!
Das Pfeifchen gespielt!
Mein Liebster gewaffnet
Dem Haufen befiehlt,
Die Lanze hoch fцјhret,
Die Leute regieret.
Wie klopft mir das Herze!
Wie wallt mir das Blut!
O hц¤tt' ich ein Wц¤mslein
Und Hosen und Hut!
Ich folgt' ihm zum Tor 'naus
Mit mutigem Schritt,
Ging' durch die Provinzen,
Ging' цјberall mit.
Die Feinde schon weichen,
Wir schieцџen darein.
Welch Glцјck sondergleichen,
Ein Mannsbild zu sein!

(Brackenburg hat unter dem Singen Klц¤rchen oft angesehen; zuletzt
bleibt ihm die Stimme stocken, die Trц¤nen kommen ihm in die Augen, er
lц¤цџt den Strang fallen und geht ans Fenster. Klц¤rchen singt das Lied
allein aus, die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige
Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlцјssig wieder um und setzt sich.)
Mutter. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich hц¶re marschieren.
Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.
Klare. Um diese Stunde? was soll das bedeuten? (Sie steht auf und geht
an das Fenster zu Brackenburg.) Das ist nicht die tц¤gliche Wache, das sind
weit mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hц¶rt einmal, was es
gibt. Es muцџ etwas Besonderes sein. Geht, guter Brackenburg, tut mir den
Gefallen.
Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da (Er reicht ihr abgehend
die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)
Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.
Klare. Ich bin neugierig; und auch, verdenkt mir's nicht, seine
Gegenwart tut mir weh. Ich weiцџ immer nicht, wie ich mich gegen ihn
betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen, daцџ
er es so lebendig fцјhlt. - Kann ich's doch nicht ц¤ndern!
Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
Klare. Ich kann's auch nicht lassen, ich muцџ ihm freundlich begegnen.
Meine Hand drцјckt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so
liebevoll anfaцџt. Ich mache mir Vorwцјrfe, daцџ ich ihn betriege, daцџ ich
in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nц¤hre. Ich bin цјbel dran. Weiцџ
Gott, ich betrieg ihn nicht. Ich will nicht, daцџ er hoffen soll, und ich
kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.
Mutter. Das ist nicht gut.
Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hц¤tte ihn heiraten kц¶nnen und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
Mutter. Glцјcklich wц¤rst du immer mit ihm gewesen.
Klare. Wц¤re versorgt und hц¤tte ein ruhiges Leben.
Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.
Klare. Ich bin in einer wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie
es gegangen ist, weiцџ ich's wohl und weiцџ es nicht. Und dann darf ich
Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja wц¤re mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an,
und ich in seinem Arm sollte nicht das glцјcklichste Geschц¶pf von der Welt
sein?
Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?
Klare. Ach, ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?
Mutter. Man hat nichts als Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das
ausgehen wird! Immer Sorge und Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast dich
unglцјcklich gemacht! mich unglцјcklich gemacht.
Klare (gelassen). Ihr lieцџet es doch im Anfange.
Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.
Klare. Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr
mich da? Tratet Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, lц¤chelte,
nickte, mich grцјцџte: war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch nicht selbst in
Eurer Tochter geehrt?
Mutter. Mache mir noch Vorwцјrfe.
Klare (gerцјhrt). Wenn er nun ц¶fter die Straцџe kam, und wir wohl
fцјhlten, daцџ er um meinetwillen den Weg machte, bemerktet Ihr's nicht
selbst mit heimlicher Freude? Rieft Ihr mich ab, wenn ich hinter den
Scheiben stand und ihn erwartete?
Mutter. Dachte ich, daцџ es so weit kommen sollte?
Klare (mit stockender Stimme und zurцјckgehaltenen Trц¤nen). Und wie er
uns abends, in den Mantel eingehцјllt, bei der Lampe цјberraschte, wer war
geschц¤ftig, ihn zu empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und
staunend sitzen blieb?
Mutter. Und konnte ich fцјrchten, daцџ diese unglцјckliche Liebe das
kluge Klц¤rchen so bald hinreiцџen wцјrde? Ich muцџ es nun tragen, daцџ
meine Tochter -
Klare (mit ausbrechenden Trц¤nen). Mutter! Ihr wollt's nun! Ihr habt
Eure Freude, mich zu ц¤ngstigen.
Mutter (weinend). Weine noch gar! Mache mich noch elender durch deine
Betrцјbnis. Ist mir's nicht Kummer genug, daцџ meine einzige Tochter ein
verworfenes Geschц¶pf ist?
Klare (aufstehend und kalt). Verworfen! Egmonts Geliebte verworfen? -
Welche Fцјrstin neidete nicht das arme Klц¤rchen um den Platz an seinem
Herzen! O Mutter - meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe Mutter,
seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln - Diese
Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt.
Mutter. Man muцџ ihm hold sein! das ist wahr. Er ist immer so
freundlich, frei und offen.
Klare. Es ist keine falsche Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der groцџe Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut! wie
er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbц¤rge! wie er um mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.
Mutter. Kommt er wohl heute?
Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Tцјr rauscht? - Ob ich schon weiцџ,
daцџ er vor Nacht nicht kommt, vermut ich ihn doch jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe. Wц¤r' ich nur ein Bube und kц¶nnte immer mit
ihm gehen, zu Hofe und цјberall hin! Kц¶nnt' ihm die Fahne nachtragen in der
Schlacht! -
Mutter. Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind
schon, bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du dich nicht ein wenig besser
an?
Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe! - Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn. Wenigstens
war sein Name in den Liedern! das цјbrige konnte ich nicht verstehn. Das
Herz schlug mir bis an den Hals - Ich hц¤tte sie gern zurцјckgerufen, wenn
ich mich nicht geschц¤mt hц¤tte.
Mutter. Nimm dich in acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verrц¤tst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie du
den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei riefst:
б»Graf Egmont!б« - Ich ward feuerrot.
Klare. Hц¤tt' ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei
Gravelingen, und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche unten
in der Beschreibung C. Steht da: б»Graf Egmont, dem das Pferd unter dem
Leibe totgeschossen wird.б« Mich цјberlief's - und hernach muцџt' ich lachen
цјber den holzgeschnitzten Egmont, der so groцџ war als der Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich
mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt und was
ich mir als Mц¤dchen fцјr ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn sie von
ihm erzц¤hlten, und von allen Grafen und Fцјrsten - und wie mir's jetzt ist!
(Brackenburg kommt.)
Klare. Wie steht's?
Brackenburg. Man weiцџ nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er mц¶chte sich hieher
verbreiten. Das Schloцџ ist stark besetzt, die Bцјrger sind zahlreich an den
Toren, das Volk summt in den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten
Vater. (Als wollt' er gehen.)
Klare. Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der
Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen
Augenblick, Mutter. - Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir wieder
so eine Historie.
Mutter. Lebt wohl.
Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!
Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt. (Mutter und Tochter
ab.)
Brackenburg (allein). Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder
fortzugehn; und da sie es dafцјr aufnimmt und mich gehen lц¤цџt, mц¶cht' ich
rasend werden. - Unglцјcklicher! und dich rцјhrt deines Vaterlandes Geschick
nicht? der wachsende Tumult nicht? - und gleich ist dir Landsmann oder
Spanier, und wer regiert und wer recht hat? - War ich doch ein andrer Junge
als Schulknabe! - Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war: б»Brutus' Rede fцјr
die Freiheit, zur цњbung der Redekunstб«, da war doch immer Fritz der Erste,
und der Rektor sagte: б»Wenn's nur ordentlicher wц¤re, nur nicht alles so
цјbereinander gestolpert.б« - Damals kocht' es und trieb! - Jetzt schlepp
ich mich an den Augen des Mц¤dchens so hin. Kann ich sie doch nicht lassen!
Kann sie mich doch nicht lieben! - Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht
ganz verworfen haben - Nicht ganz - und halb und nichts! - ich duld es nicht
lц¤nger! - - Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr sagte?
daцџ sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlц¤цџt, da sie mich zцјchtig
immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein, es ist nicht wahr, es ist eine
Lцјge, eine schц¤ndliche verleumderische Lцјge! Klц¤rchen ist so unschuldig,
als ich unglцјcklich bin. - Sie hat mich verworfen, hat mich von ihrem
Herzen gestoцџen - - Und ich soll so fortleben? Ich duld, ich duld es nicht.
- - Schon wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich
sterbe unter dem Getцјmmel nur ab! Ich duld es nicht! - Wenn die Trompete
klingt, ein Schuцџ fц¤llt, mir fц¤hrt's durch Mark und Bein! Ach, es reizt
mich nicht! es fordert mich nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu
wagen. - Elender, schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end auf einmal.
Neulich stцјrzt' ich mich ins Wasser, ich sank - aber die geц¤ngstete Natur
war stц¤rker; ich fцјhlte, daцџ ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Wille. - - Kц¶nnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu
lieben schien! - Warum hat mir 's Mark und Bein durchdrungen, das Glцјck?
Warum haben mir diese Hoffnungen allen Genuцџ des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir ein Paradies von weitem zeigten? - Und jener erste Kuцџ! Jener
einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir allein - sie
war immer gut und freundlich gegen mich gewesen - da schien sie sich zu
erweichen - sie sah mich an - alle Sinnen gingen mir um, und ich fцјhlte
ihre Lippen auf den meinigen. - Und - und nun? - Stirb, Armer! Was zauderst
du? (Er zieht ein Flц¤schchen aus der Tasche.) Ich will dich nicht umsonst
aus meines Bruders Doktorkц¤stchen gestohlen haben, heilsames Gift! Du
sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese Todesschweiцџe auf einmal
verschlingen und lц¶sen.
Zweiter Aufzug
Platz in Brцјssel
Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der
Zunft sagt' ich, es wцјrde schwere Hц¤ndel geben.
Jetter. Ist's denn wahr, daцџ sie die Kirchen in Flandern geplцјndert
haben?
Zimmermeister. Ganz und gar zugrunde gerichtet haben sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten Wц¤nde haben sie stehen lassen. Lauter
Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir hц¤tten eher, in
der Ordnung und standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und
drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heiцџt
es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.
Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
hц¤ngt doch der Hals gar nah damit zusammen.
Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lц¤rmen
anfц¤ngt, unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum
Vorwande, worauf wir uns auch berufen mцјssen, und bringen das Land in
Unglцјck.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr, daцџ die
Bilderstцјrmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?
Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrцјhren.
Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich
aus. Die Regentin, so eine wackre kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie
auцџer Fassung. Es muцџ sehr arg sein, daцџ sie sich so geradezu hinter ihre
Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie wolle aus
der Stadt flцјchten.
Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschцјtzt uns,
und wir wollen ihr mehr verschaffen als ihre Stutzbц¤rte. Und wenn sie uns
unsere Rechte und Freiheiten aufrechterhц¤lt, so wollen wir sie auf den
Hц¤nden tragen.
(Seifensieder tritt dazu.)
Seifensieder. Garstige Hц¤ndel! цњble Hц¤ndel! Es wird unruhig und geht
schief aus! - Hцјtet euch, daцџ ihr stille bleibt, daцџ man euch nicht auch
fцјr Aufwiegler hц¤lt.
Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.
Seifensieder. Ich weiцџ, da sind viele, die es heimlich mit den
Calvinisten halten, die auf die Bischц¶fe lц¤stern, die den Kц¶nig nicht
scheuen. Aber ein treuer Untertan, ein aufrichtiger Katholike! -
(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
Vansen. Gott grцјцџ' euch Herren! Was Neues?
Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?
Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein Patron nach dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber,
pfuscht er jetzt Notaren und Advokaten ins Handwerk und ist ein
Branntweinzapf.
(Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
Vansen. Ihr seid auch versammelt, steckt die Kц¶pfe zusammen. Es ist
immer redenswert.
Soest. Ich denk auch.
Vansen. Wenn jetzt einer oder der andere Herz hц¤tte, und einer oder
der andere den Kopf dazu: wir kц¶nnten die spanischen Ketten auf einmal
sprengen.
Soest. Herre! So mцјцџt Ihr nicht reden. Wir haben dem Kц¶nig
geschworen.
Vansen. Und der Kц¶nig uns. Merkt das.
Jetter. Das lц¤цџt sich hц¶ren! Sagt Eure Meinung.
Einige andere. Horch, der versteht's. Der hat Pfiffe.
Vansen. Ich hatte einen alten Patron, der besaцџ Pergamente und Briefe
von uralten Stiftungen, Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die
rarsten Bцјcher. In einem stand unsere ganze Verfassung: wie uns
Niederlц¤nder zuerst einzelne Fцјrsten regierten, alles nach hergebrachten
Rechten, Privilegien und Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurcht
fцјr ihren Fцјrsten gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich gleich vorsahen, wenn er цјber die Schnur hauen wollte. Die Staaten
waren gleich hinterdrein: denn jede Provinz, so klein sie war, hatte ihre
Staaten, ihre Landstц¤nde.
Zimmermeister. Haltet Euer Maul! das weiцџ man lange! Ein jeder
rechtschaffene Bцјrger ist, so viel er braucht, von der Verfassung
unterrichtet.
Jetter. Laцџt ihn reden; man erfц¤hrt immer etwas mehr.
Soests. Er hat ganz recht.
Mehrere. Erzц¤hlt! erzц¤hlt! So was hц¶rt man nicht alle Tage.
Vansen. So seid ihr Bцјrgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr euer Gewerb' von euern Eltern цјberkommen habt, so laцџt ihr auch
das Regiment цјber euch schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt
nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines Regenten;
und цјber das Versц¤umnis haben euch die Spanier das Netz цјber die Ohren
gezogen.
Soests. Wer denkt da dran? wenn einer nur das tц¤gliche Brot hat.
Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?
Vansen. Ich sag es euch jetzt. Der Kц¶nig in Spanien, der die Provinzen
durch gut Glцјck zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten
anders als die kleinen Fцјrsten, die sie ehemals einzeln besaцџen. Begreift
ihr das?
Jetter. Erklц¤rt's uns.
Vansen. Es ist so klar als die Sonne. Mцјцџt ihr nicht nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher kц¤me das?
Ein Bцјrger. Wahrlich!
Vansen. Hat der Brцјsseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher kц¤me denn das?
Anderer Bцјrger. Bei Gott!
Vansen. Aber, wenn ihr's so fortlaufen laцџt, wird man's euch bald
anders weisen. Pfui! Was Karl der Kцјhne, Friedrich der Krieger, Karl der
Fцјnfte nicht konnten, das tut nun Philipp durch ein Weib.
Soests. Ja, ja! Die alten Fцјrsten haben's auch schon probiert.
Vansen. Freilich! - Unsere Vorfahren paцџten auf. Wie sie einem Herrn
gram wurden, fingen sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei
sich und gaben ihn nur auf die besten Bedingungen heraus. Unsere Vц¤ter
waren Leute! Die wuцџten, was ihnen nцјtz war! Die wuцџten etwas zu fassen