»Sollte ich jetzt weniger Feingef?hl haben?«, dachte er und saugte schon gierig an dem K?se, zu dem es ihn vor allen anderen Speisen sofort und nachdr?cklich gezogen hatte. Rasch hintereinander und mit vor Befriedigung tr?nenden Augen verzehrte er den K?se, das Gem?se und die Sauce; die frischen Speisen dagegen schmeckten ihm nicht, er konnte nicht einmal ihren Geruch vertragen und schleppte sogar die Sachen, die er essen wollte, ein St?ckchen weiter weg. Er war schon l?ngst mit allem fertig und lag nun faul auf der gleichen Stelle, als die Schwester zum Zeichen, da? er sich zur?ckziehen solle, langsam den Schl?ssel umdrehte. Das schreckte ihn sofort auf, trotzdem er schon fast schlummerte, und er eilte wieder unter das Kanapee. Aber es kostete ihn gro?e Selbst?berwindung, auch nur die kurze Zeit, w?hrend welcher die Schwester im Zimmer war, unter dem Kanapee zu bleiben, denn von dem reichlichen Essen hatte sich sein Leib ein wenig gerundet und er konnte dort in der Enge kaum atmen. Unter kleinen Erstickungsanf?llen sah er mit etwas hervorgequollenen Augen zu, wie die nichtsahnende Schwester mit einem Besen nicht nur die ?berbleibsel zusammenkehrte, sondern selbst die von Gregor gar nicht ber?hrten Speisen, als seien also auch diese nicht mehr zu gebrauchen, und wie sie alles hastig in einen K?bel sch?ttete, den sie mit einem Holzdeckel schlo?, worauf sie alles hinaustrug. Kaum hatte sie sich umgedreht, zog sich schon Gregor unter dem Kanapee hervor und streckte und bl?hte sich.
   Auf diese Weise bekam nun Gregor t?glich sein Essen, einmal am Morgen, wenn die Eltern und das Dienstm?dchen noch schliefen, das zweitemal nach dem allgemeinen Mittagessen, denn dann schliefen die Eltern gleichfalls noch ein Weilchen, und das Dienstm?dchen wurde von der Schwester mit irgendeiner Besorgung weggeschickt. Gewi? wollten auch sie nicht, da? Gregor verhungere, aber vielleicht h?tten sie es nicht ertragen k?nnen, von seinem Essen mehr als durch H?rensagen zu erfahren, vielleicht wollte die Schwester ihnen auch eine m?glicherweise nur kleine Trauer ersparen, denn tats?chlich litten sie ja gerade genug.
   Mit welchen Ausreden man an jenem ersten Vormittag den Arzt und den Schlosser wieder aus der Wohnung geschafft hatte, konnte Gregor gar nicht erfahren, denn da er nicht verstanden wurde, dachte niemand daran, auch die Schwester nicht, da? er die anderen verstehen k?nne, und so mu?te er sich, wenn die Schwester in seinem Zimmer war, damit begn?gen, nur hier und da ihre Seufzer und Anrufe der Heiligen zu h?ren. Erst sp?ter, als sie sich ein wenig an alles gew?hnt hatte – von vollst?ndiger Gew?hnung konnte nat?rlich niemals die Rede sein – , erhaschte Gregor manchmal eine Bemerkung, die freundlich gemeint war oder so gedeutet werden konnte. »Heute hat es ihm aber geschmeckt«, sagte sie, wenn Gregor unter dem Essen t?chtig aufger?umt hatte, w?hrend sie im gegenteiligen Fall, der sich allm?hlich immer h?ufiger wiederholte, fast traurig zu sagen pflegte: »Nun ist wieder alles stehengeblieben.«
   W?hrend aber Gregor unmittelbar keine Neuigkeit erfahren konnte, erhorchte er manches aus den Nebenzimmern, und wo er nur einmal Stimmen h?rte, lief er gleich zu der betreffenden T?r und dr?ckte sich mit ganzem Leib an sie. Besonders in der ersten Zeit gab es kein Gespr?ch, das nicht irgendwie, wenn auch nur im geheimen, von ihm handelte. Zwei Tage lang waren bei allen Mahlzeiten Beratungen dar?ber zu h?ren, wie man sich jetzt verhalten solle; aber auch zwischen den Mahlzeiten sprach man ?ber das gleiche Thema, denn immer waren zumindest zwei Familienmitglieder zu Hause, da wohl niemand allein zu Hause bleiben wollte und man die Wohnung doch auf keinen Fall g?nzlich verlassen konnte. Auch hatte das Dienstm?dchen gleich am ersten Tag – es war nicht ganz klar, was und wieviel sie von dem Vorgefallenen wu?te – knief?llig die Mutter gebeten, sie sofort zu entlassen, und als sie sich eine Viertelstunde danach verabschiedete, dankte sie f?r die Entlassung unter Tr?nen, wie f?r die gr??te Wohltat, die man ihr hier erwiesen hatte, und gab, ohne da? man es von ihr verlangte, einen f?rchterlichen Schwur ab, niemandem auch nur das Geringste zu verraten.
   Nun mu?te die Schwester im Verein mit der Mutter auch kochen; allerdings machte das nicht viel M?he, denn man a? fast nichts. Immer wieder h?rte Gregor, wie der eine den anderen vergebens zum Essen aufforderte und keine andere Antwort bekam, als: »Danke, ich habe genug« oder etwas ?hnliches. Getrunken wurde vielleicht auch nichts. ?fters fragte die Schwester den Vater, ob er Bier haben wolle, und herzlich erbot sie sich, es selbst zu holen, und als der Vater schwieg, sagte sie, um ihm jedes Bedenken zu nehmen, sie k?nne auch die Hausmeisterin darum schicken, aber dann sagte der Vater schlie?lich ein gro?es »Nein«, und es wurde nicht mehr davon gesprochen.
   Schon im Laufe des ersten Tages legte der Vater die ganzen Verm?gensverh?ltnisse und Aussichten sowohl der Mutter, als auch der Schwester dar. Hie und da stand er vom Tische auf und holte aus seiner kleinen Wertheimkassa, die er aus dem vor f?nf Jahren erfolgten Zusammenbruch seines Gesch?ftes gerettet hatte, irgendeinen Beleg oder irgendein Vormerkbuch. Man h?rte, wie er das komplizierte Schlo? aufsperrte und nach Entnahme des Gesuchten wieder verschlo?. Diese Erkl?rungen des Vaters waren zum Teil das erste Erfreuliche, was Gregor seit seiner Gefangenschaft zu h?ren bekam. Er war der Meinung gewesen, da? dem Vater von jenem Gesch?ft her nicht das Geringste ?briggeblieben war, zumindest hatte ihm der Vater nichts Gegenteiliges gesagt, und Gregor allerdings hatte ihn auch nicht darum gefragt. Gregors Sorge war damals nur gewesen, alles daranzusetzen, um die Familie das gesch?ftliche Ungl?ck, das alle in eine vollst?ndige Hoffnungslosigkeit gebracht hatte, m?glichst rasch vergessen zu lassen. Und so hatte er damals mit ganz besonderem Feuer zu arbeiten angefangen und war fast ?ber Nacht aus einem kleinen Kommis ein Reisender geworden, der nat?rlich ganz andere M?glichkeiten des Geldverdienens hatte, und dessen Arbeitserfolge sich sofort in Form der Provision zu Bargeld verwandelten, das der erstaunten und begl?ckten Familie zu Hause auf den Tisch gelegt werden konnte. Es waren sch?ne Zeiten gewesen, und niemals nachher hatten sie sich, wenigstens in diesem Glanze, wiederholt, trotzdem Gregor sp?ter so viel Geld verdiente, da? er den Aufwand der ganzen Familie zu tragen imstande war und auch trug. Man hatte sich eben daran gew?hnt, sowohl die Familie, als auch Gregor, man nahm das Geld dankbar an, er lieferte es gern ab, aber eine besondere W?rme wollte sich nicht mehr ergeben. Nur die Schwester war Gregor doch noch nahe geblieben, und es war sein geheimer Plan, sie, die zum Unterschied von Gregor Musik sehr liebte und r?hrend Violine zu spielen verstand, n?chstes Jahr, ohne R?cksicht auf die gro?en Kosten, die das verursachen mu?te, und die man schon auf andere Weise hereinbringen w?rde, auf das Konservatorium zu schicken. ?fters w?hrend der kurzen Aufenthalte Gregors in der Stadt wurde in den Gespr?chen mit der Schwester das Konservatorium erw?hnt, aber immer nur als sch?ner Traum, an dessen Verwirklichung nicht zu denken war, und die Eltern h?rten nicht einmal diese unschuldigen Erw?hnungen gern; aber Gregor dachte sehr bestimmt daran und beabsichtigte, es am Weihnachtsabend feierlich zu erkl?ren.
   Solche in seinem gegenw?rtigen Zustand ganz nutzlose Gedanken gingen ihm durch den Kopf, w?hrend er dort aufrecht an der T?re klebte und horchte. Manchmal konnte er vor allgemeiner M?digkeit gar nicht mehr zuh?ren und lie? den Kopf nachl?ssig gegen die T?r schlagen, hielt ihn aber sofort wieder fest, denn selbst das kleine Ger?usch, das er damit verursacht hatte, war nebenan geh?rt worden und hatte alle verstummen lassen. »Was er nur wieder treibt«, sagte der Vater nach einer Weile, offenbar zur T?re hingewendet, und dann erst wurde das unterbrochene Gespr?ch allm?hlich wieder aufgenommen.
   Gregor erfuhr nun zur Gen?ge – denn der Vater pflegte sich in seinen Erkl?rungen ?fters zu wiederholen, teils, weil er selbst sich mit diesen Dingen schon lange nicht besch?ftigt hatte, teils auch, weil die Mutter nicht alles gleich beim ersten Mal verstand – , da? trotz allen Ungl?cks ein allerdings ganz kleines Verm?gen aus der alten Zeit noch vorhanden war, das die nicht anger?hrten Zinsen in der Zwischenzeit ein wenig hatten anwachsen lassen. Au?erdem aber war das Geld, das Gregor allmonatlich nach Hause gebracht hatte – er selbst hatte nur ein paar Gulden f?r sich behalten – , nicht vollst?ndig aufgebraucht worden und hatte sich zu einem kleinen Kapital angesammelt. Gregor, hinter seiner T?re, nickte eifrig, erfreut ?ber diese unerwartete Vorsicht und Sparsamkeit. Eigentlich h?tte er ja mit diesen ?bersch?ssigen Geldern die Schuld des Vaters gegen?ber dem Chef weiter abgetragen haben k?nnen, und jener Tag, an dem er diesen Posten h?tte loswerden k?nnen, w?re weit n?her gewesen, aber jetzt war es zweifellos besser so, wie es der Vater eingerichtet hatte.
   Nun gen?gte dieses Geld aber ganz und gar nicht, um die Familie etwa von den Zinsen leben zu lassen; es gen?gte vielleicht, um die Familie ein, h?chstens zwei Jahre zu erhalten, mehr war es nicht. Es war also blo? eine Summe, die man eigentlich nicht angreifen durfte, und die f?r den Notfall zur?ckgelegt werden mu?te; das Geld zum Leben aber mu?te man verdienen. Nun war aber der Vater ein zwar gesunder, aber alter Mann, der schon f?nf Jahre nichts gearbeitet hatte und sich jedenfalls nicht viel zutrauen durfte; er hatte in diesen f?nf Jahren, welche die ersten Ferien seines m?hevollen und doch erfolglosen Lebens waren, viel Fett angesetzt und war dadurch recht schwerf?llig geworden. Und die alte Mutter sollte nun vielleicht Geld verdienen, die an Asthma litt, der eine Wanderung durch die Wohnung schon Anstrengung verursachte, und die jeden zweiten Tag in Atembeschwerden auf dem Sopha beim offenen Fenster verbrachte? Und die Schwester sollte Geld verdienen, die noch ein Kind war mit ihren siebzehn Jahren, und der ihre bisherige Lebensweise so sehr zu g?nnen war, die daraus bestanden hatte, sich nett zu kleiden, lange zu schlafen, in der Wirtschaft mitzuhelfen, an ein paar bescheidenen Vergn?gungen sich zu beteiligen und vor allem Violine zu spielen? Wenn die Rede auf diese Notwendigkeit des Geldverdienens kam, lie? zuerst immer Gregor die T?re los und warf sich auf das neben der T?r befindliche k?hle Ledersofa, denn ihm war ganz hei? vor Besch?mung und Trauer.
   Oft lag er dort die ganzen langen N?chte ?ber, schlief keinen Augenblick und scharrte nur stundenlang auf dem Leder. Oder er scheute nicht die gro?e M?he, einen Sessel zum Fenster zu schieben, dann die Fensterbr?stung hinaufzukriechen und, in den Sessel gestemmt, sich ans Fenster zu lehnen, offenbar nur in irgendeiner Erinnerung an das Befreiende, das fr?her f?r ihn darin gelegen war, aus dem Fenster zu schauen. Denn tats?chlich sah er von Tag zu Tag die auch nur ein wenig entfernten Dinge immer undeutlicher; das gegen?berliegende Krankenhaus, dessen nur allzu h?ufigen Anblick er fr?her verflucht hatte, bekam er ?berhaupt nicht mehr zu Gesicht, und wenn er nicht genau gewu?t h?tte, da? er in der stillen, aber v?llig st?dtischen Charlottenstra?e wohnte, h?tte er glauben k?nnen, von seinem Fenster aus in eine Ein?de zu schauen, in welcher der graue Himmel und die graue Erde ununterscheidbar sich vereinigten. Nur zweimal hatte die aufmerksame Schwester sehen m?ssen, da? der Sessel beim Fenster stand, als sie schon jedesmal, nachdem sie das Zimmer aufger?umt hatte, den Sessel wieder genau zum Fenster hinschob, ja sogar von nun ab den inneren Fensterfl?gel offen lie?.
   H?tte Gregor nur mit der Schwester sprechen und ihr f?r alles danken k?nnen, was sie f?r ihn machen mu?te, er h?tte ihre Dienste leichter ertragen; so aber litt er darunter. Die Schwester suchte freilich die Peinlichkeit des Ganzen m?glichst zu verwischen, und je l?ngere Zeit verging, desto besser gelang es ihr nat?rlich auch, aber auch Gregor durchschaute mit der Zeit alles viel genauer. Schon ihr Eintritt war f?r ihn schrecklich. Kaum war sie eingetreten, lief sie, ohne sich Zeit zu nehmen, die T?re zu schlie?en, so sehr sie sonst darauf achtete, jedem den Anblick von Gregors Zimmer zu ersparen, geradewegs zum Fenster und ri? es, als ersticke sie fast, mit hastigen H?nden auf, blieb auch, selbst wenn es noch so kalt war, ein Weilchen beim Fenster und atmete tief. Mit diesem Laufen und L?rmen erschreckte sie Gregor t?glich zweimal; die ganze Zeit ?ber zitterte er unter dem Kanapee und wu?te doch sehr gut, da? sie ihn gewi? gerne damit verschont h?tte, wenn es ihr nur m?glich gewesen w?re, sich in einem Zimmer, in dem sich Gregor befand, bei geschlossenem Fenster aufzuhalten.
   Einmal, es war wohl schon ein Monat seit Gregors Verwandlung vergangen, und es war doch schon f?r die Schwester kein besonderer Grund mehr, ?ber Gregors Aussehen in Erstaunen zu geraten, kam sie ein wenig fr?her als sonst und traf Gregor noch an, wie er, unbeweglich und so recht zum Erschrecken aufgestellt, aus dem Fenster schaute. Es w?re f?r Gregor nicht unerwartet gewesen, wenn sie nicht eingetreten w?re, da er sie durch seine Stellung verhinderte, sofort das Fenster zu ?ffnen, aber sie trat nicht nur nicht ein, sie fuhr sogar zur?ck und schlo? die T?r; ein Fremder h?tte geradezu denken k?nnen, Gregor habe ihr aufgelauert und habe sie bei?en wollen. Gregor versteckte sich nat?rlich sofort unter dem Kanapee, aber er mu?te bis zum Mittag warten, ehe die Schwester wiederkam, und sie schien viel unruhiger als sonst. Er erkannte daraus, da? ihr sein Anblick noch immer unertr?glich war und ihr auch weiterhin unertr?glich bleiben m?sse, und da? sie sich wohl sehr ?berwinden mu?te, vor dem Anblick auch nur der kleinen Partie seines K?rpers nicht davonzulaufen, mit der er unter dem Kanapee hervorragte. Um ihr auch diesen Anblick zu ersparen, trug er eines Tages auf seinem R?cken – er brauchte zu dieser Arbeit vier Stunden – das Leintuch auf das Kanapee und ordnete es in einer solchen Weise an, da? er nun g?nzlich verdeckt war, und da? die Schwester, selbst wenn sie sich b?ckte, ihn nicht sehen konnte. W?re dieses Leintuch ihrer Meinung nach nicht n?tig gewesen, dann h?tte sie es ja entfernen k?nnen, denn da? es nicht zum Vergn?gen Gregors geh?ren konnte, sich so ganz und gar abzusperren, war doch klar genug, aber sie lie? das Leintuch, so wie es war, und Gregor glaubte sogar einen dankbaren Blick erhascht zu haben, als er einmal mit dem Kopf vorsichtig das Leintuch ein wenig l?ftete, um nachzusehen, wie die Schwester die neue Einrichtung aufnahm.
   In den ersten vierzehn Tagen konnten es die Eltern nicht ?ber sich bringen, zu ihm hereinzukommen, und er h?rte oft, wie sie die jetzige Arbeit der Schwester v?llig erkannten, w?hrend sie sich bisher h?ufig ?ber die Schwester ge?rgert hatten, weil sie ihnen als ein etwas nutzloses M?dchen erschienen war. Nun aber warteten oft beide, der Vater und die Mutter, vor Gregors Zimmer, w?hrend die Schwester dort aufr?umte, und kaum war sie herausgekommen, mu?te sie ganz genau erz?hlen, wie es in dem Zimmer aussah, was Gregor gegessen hatte, wie er sich diesmal benommen hatte, und ob vielleicht eine kleine Besserung zu bemerken war. Die Mutter ?brigens wollte verh?ltnism??ig bald Gregor besuchen, aber der Vater und die Schwester hielten sie zuerst mit Vernunftgr?nden zur?ck, denen Gregor sehr aufmerksam zuh?rte, und die er vollst?ndig billigte. Sp?ter aber mu?te man sie mit Gewalt zur?ckhalten, und wenn sie dann rief: »La?t mich doch zu Gregor, er ist ja mein ungl?cklicher Sohn! Begreift ihr es denn nicht, da? ich zu ihm mu??«, dann dachte Gregor, da? es vielleicht doch gut w?re, wenn die Mutter hereink?me, nicht jeden Tag nat?rlich, aber vielleicht einmal in der Woche; sie verstand doch alles viel besser als die Schwester, die trotz all ihrem Mute doch nur ein Kind war und im letzten Grunde vielleicht nur aus kindlichem Leichtsinn eine so schwere Aufgabe ?bernommen hatte.
   Der Wunsch Gregors, die Mutter zu sehen, ging bald in Erf?llung. W?hrend des Tages wollte Gregor schon aus R?cksicht auf seine Eltern sich nicht beim Fenster zeigen, kriechen konnte er aber auf den paar Quadratmetern des Fu?bodens auch nicht viel, das ruhige Liegen ertrug er schon w?hrend der Nacht schwer, das Essen machte ihm bald nicht mehr das geringste Vergn?gen, und so nahm er zur Zerstreuung die Gewohnheit an, kreuz und quer ?ber W?nde und Plafond zu kriechen. Besonders oben auf der Decke hing er gern; es war ganz anders, als das Liegen auf dem Fu?boden; man atmete freier; ein leichtes Schwingen ging durch den K?rper; und in der fast gl?cklichen Zerstreutheit, in der sich Gregor dort oben befand, konnte es geschehen, da? er zu seiner eigenen ?berraschung sich loslie? und auf den Boden klatschte. Aber nun hatte er nat?rlich seinen K?rper ganz anders in der Gewalt als fr?her und besch?digte sich selbst bei einem so gro?en Falle nicht. Die Schwester nun bemerkte sofort die neue Unterhaltung, die Gregor f?r sich gefunden hatte – er hinterlie? ja auch beim Kriechen hie und da Spuren seines Klebstoffes – , und da setzte sie es sich in den Kopf, Gregor das Kriechen in gr??tem Ausma?e zu erm?glichen und die M?bel, die es verhinderten, also vor allem den Kasten und den Schreibtisch, wegzuschaffen.
   Nun war sie aber nicht imstande, dies allein zu tun; den Vater wagte sie nicht um Hilfe zu bitten; das Dienstm?dchen h?tte ihr ganz gewi? nicht geholfen, denn dieses etwa sechzehnj?hrige M?dchen harrte zwar tapfer seit Entlassung der fr?heren K?chin aus, hatte aber um die Verg?nstigung gebeten, die K?che unaufh?rlich versperrt halten zu d?rfen und nur auf besonderen Anruf ?ffnen zu m?ssen; so blieb der Schwester also nichts ?brig, als einmal in Abwesenheit des Vaters die Mutter zu holen. Mit Ausrufen erregter Freude kam die Mutter auch heran, verstummte aber an der T?r vor Gregors Zimmer. Zuerst sah nat?rlich die Schwester nach, ob alles im Zimmer in Ordnung war; dann erst lie? sie die Mutter eintreten. Gregor hatte in gr??ter Eile das Leintuch noch tiefer und mehr in Falten gezogen, das Ganze sah wirklich nur wie ein zuf?llig ?ber das Kanapee geworfenes Leintuch aus. Gregor unterlie? auch diesmal, unter dem Leintuch zu spionieren; er verzichtete darauf, die Mutter schon diesmal zu sehen, und war nur froh, da? sie nun doch gekommen war. »Komm nur, man sieht ihn nicht«, sagte die Schwester, und offenbar f?hrte sie die Mutter an der Hand. Gregor h?rte nun, wie die zwei schwachen Frauen den immerhin schweren alten Kasten von seinem Platze r?ckten, und wie die Schwester immerfort den gr??ten Teil der Arbeit f?r sich beanspruchte, ohne auf die Warnungen der Mutter zu h?ren, welche f?rchtete, da? sie sich ?beranstrengen werde. Es dauerte sehr lange. Wohl nach schon viertelst?ndiger Arbeit sagte die Mutter, man solle den Kasten doch lieber hier lassen, denn erstens sei er zu schwer, sie w?rden vor Ankunft des Vaters nicht fertig werden und mit dem Kasten in der Mitte des Zimmers Gregor jeden Weg verrammeln, zweitens aber sei es doch gar nicht sicher, da? Gregor mit der Entfernung der M?bel ein Gefallen geschehe. Ihr scheine das Gegenteil der Fall zu sein; ihr bedr?cke der Anblick der leeren Wand geradezu das Herz; und warum solle nicht auch Gregor diese Empfindung haben, da er doch an die Zimmerm?bel l?ngst gew?hnt sei und sich deshalb im leeren Zimmer verlassen f?hlen werde.
   »Und ist es dann nicht so«, schlo? die Mutter ganz leise, wie sie ?berhaupt fast fl?sterte, als wolle sie vermeiden, da? Gregor, dessen genauen Aufenthalt sie ja nicht kannte, auch nur den Klang der Stimme h?re, denn da? er die Worte nicht verstand, davon war sie ?berzeugt, »und ist es nicht so, als ob wir durch die Entfernung der M?bel zeigten, da? wir jede Hoffnung auf Besserung aufgeben und ihn r?cksichtslos sich selbst ?berlassen? Ich glaube, es w?re das beste, wir suchen das Zimmer genau in dem Zustand zu erhalten, in dem es fr?her war, damit Gregor, wenn er wieder zu uns zur?ckkommt, alles unver?ndert findet und umso leichter die Zwischenzeit vergessen kann.«
   Beim Anh?ren dieser Worte der Mutter erkannte Gregor, da? der Mangel jeder unmittelbaren menschlichen Ansprache, verbunden mit dem einf?rmigen Leben inmitten der Familie, im Laufe dieser zwei Monate seinen Verstand hatte verwirren m?ssen, denn anders konnte er es sich nicht erkl?ren, da? er ernsthaft danach hatte verlangen k?nne, da? sein Zimmer ausgeleert w?rde. Hatte er wirklich Lust, das warme, mit ererbten M?beln gem?tlich ausgestattete Zimmer in eine H?hle verwandeln zu lassen, in der er dann freilich nach allen Richtungen ungest?rt w?rde kriechen k?nnen, jedoch auch unter gleichzeitigem schnellen, g?nzlichen Vergessen seiner menschlichen Vergangenheit? War er doch jetzt schon nahe daran, zu vergessen, und nur die seit langem nicht geh?rte Stimme der Mutter hatte ihn aufger?ttelt. Nichts sollte entfernt werden; alles mu?te bleiben; die guten Einwirkungen der M?bel auf seinen Zustand konnte er nicht entbehren; und wenn die M?bel ihn hinderten, das sinnlose Herumkriechen zu betreiben, so war es kein Schaden, sondern ein gro?er Vorteil.
   Aber die Schwester war leider anderer Meinung; sie hatte sich, allerdings nicht ganz unberechtigt, angew?hnt, bei Besprechung der Angelegenheiten Gregors als besonders Sachverst?ndige gegen?ber den Eltern aufzutreten, und so war auch jetzt der Rat der Mutter f?r die Schwester Grund genug, auf der Entfernung nicht nur des Kastens und des Schreibtisches, an die sie zuerst allein gedacht hatte, sondern auf der Entfernung s?mtlicher M?bel, mit Ausnahme des unentbehrlichen Kanapees, zu bestehen. Es war nat?rlich nicht nur kindlicher Trotz und das in der letzten Zeit so unerwartet und schwer erworbene Selbstvertrauen, das sie zu dieser Forderung bestimmte; sie hatte doch auch tats?chlich beobachtet, da? Gregor viel Raum zum Kriechen brauchte, dagegen die M?bel, soweit man sehen konnte, nicht im geringsten ben?tzte.
   Vielleicht aber spielte auch der schw?rmerische Sinn der M?dchen ihres Alters mit, der bei jeder Gelegenheit seine Befriedigung sucht, und durch den Grete jetzt sich dazu verlocken lie?, die Lage Gregors noch schreckenerregender machen zu wollen, um dann noch mehr als bis jetzt f?r ihn leisten zu k?nnen. Denn in einen Raum, in dem Gregor ganz allein die leeren W?nde beherrschte, w?rde wohl kein Mensch au?er Grete jemals einzutreten sich getrauen. Und so lie? sie sich von ihrem Entschlusse durch die Mutter nicht abbringen, die auch in diesem Zimmer vor lauter Unruhe unsicher schien, bald verstummte und der Schwester nach Kr?ften beim Hinausschaffen des Kastens half. Nun, den Kasten konnte Gregor im Notfall noch entbehren, aber schon der Schreibtisch mu?te bleiben. Und kaum hatten die Frauen mit dem Kasten, an den sie sich ?chzend dr?ckten, das Zimmer verlassen, als Gregor den Kopf unter dem Kanapee hervorstie?, um zu sehen, wie er vorsichtig und m?glichst r?cksichtsvoll eingreifen k?nnte. Aber zum Ungl?ck war es gerade die Mutter, welche zuerst zur?ckkehrte, w?hrend Grete im Nebenzimmer den Kasten umfangen hielt und ihn allein hin und her schwang, ohne ihn nat?rlich von der Stelle zu bringen. Die Mutter aber war Gregors Anblick nicht gew?hnt, er h?tte sie krank machen k?nnen, und so eilte Gregor erschrocken im R?ckw?rtslauf bis an das andere Ende des Kanapees, konnte es aber nicht mehr verhindern, da? das Leintuch vorne ein wenig sich bewegte. Das gen?gte, um die Mutter aufmerksam zu machen. Sie stockte, stand einen Augenblick still und ging dann zu Grete zur?ck.
   Trotzdem sich Gregor immer wieder sagte, da? ja nichts Au?ergew?hnliches geschehe, sondern nur ein paar M?bel umgestellt w?rden, wirkte doch, wie er sich bald eingestehen mu?te, dieses Hin– und Hergehen der Frauen, ihre kleinen Zurufe, das Kratzen der M?bel auf dem Boden, wie ein gro?er, von allen Seiten gen?hrter Trubel auf ihn, und er mu?te sich, so fest er Kopf und Beine an sich zog und den Leib bis an den Boden dr?ckte, unweigerlich sagen, da? er das Ganze nicht lange aushalten werde. Sie r?umten ihm sein Zimmer aus; nahmen ihm alles, was ihm lieb war; den Kasten, in dem die Laubs?ge und andere Werkzeuge lagen, hatten sie schon hinausgetragen; lockerten jetzt den schon im Boden fest eingegrabenen Schreibtisch, an dem er als Handelsakademiker, als B?rgersch?ler, ja sogar schon als Volkssch?ler seine Aufgaben geschrieben hatte, – da hatte er wirklich keine Zeit mehr, die guten Absichten zu pr?fen, welche die zwei Frauen hatten, deren Existenz er ?brigens fast vergessen hatte, denn vor Ersch?pfung arbeiteten sie schon stumm, und man h?rte nur das schwere Tappen ihrer F??e.
   Und so brach er denn hervor – die Frauen st?tzten sich gerade im Nebenzimmer an den Schreibtisch, um ein wenig zu verschnaufen – , wechselte viermal die Richtung des Laufes, er wu?te wirklich nicht, was er zuerst retten sollte, da sah er an der im ?brigen schon leeren Wand auffallend das Bild der in lauter Pelzwerk gekleideten Dame h?ngen, kroch eilends hinauf und pre?te sich an das Glas, das ihn festhielt und seinem hei?en Bauch wohltat. Dieses Bild wenigstens, das Gregor jetzt ganz verdeckte, w?rde nun gewi? niemand wegnehmen. Er verdrehte den Kopf nach der T?r des Wohnzimmers, um die Frauen bei ihrer R?ckkehr zu beobachten.
   Sie hatten sich nicht viel Ruhe geg?nnt und kamen schon wieder; Grete hatte den Arm um die Mutter gelegt und trug sie fast. »Also was nehmen wir jetzt?«, sagte Grete und sah sich um. Da kreuzten sich ihre Blicke mit denen Gregors an der Wand. Wohl nur infolge der Gegenwart der Mutter behielt sie ihre Fassung, beugte ihr Gesicht zur Mutter, um diese vom Herumschauen abzuhalten, und sagte, allerdings zitternd und un?berlegt: »Komm, wollen wir nicht lieber auf einen Augenblick noch ins Wohnzimmer zur?ckgehen?« Die Absicht Gretes war f?r Gregor klar, sie wollte die Mutter in Sicherheit bringen und dann ihn von der Wand hinunterjagen. Nun, sie konnte es ja immerhin versuchen! Er sa? auf seinem Bild und gab es nicht her. Lieber w?rde er Grete ins Gesicht springen.
   Aber Gretes Worte hatten die Mutter erst recht beunruhigt, sie trat zur Seite, erblickte den riesigen braunen Fleck auf der gebl?mten Tapete, rief, ehe ihr eigentlich zum Bewu?tsein kam, da? das Gregor war, was sie sah, mit schreiender, rauher Stimme: »Ach Gott, ach Gott!« und fiel mit ausgebreiteten Armen, als gebe sie alles auf, ?ber das Kanapee hin und r?hrte sich nicht. »Du, Gregor!« rief die Schwester mit erhobener Faust und eindringlichen Blicken. Es waren seit der Verwandlung die ersten Worte, die sie unmittelbar an ihn gerichtet hatte. Sie lief ins Nebenzimmer, um irgendeine Essenz zu holen, mit der sie die Mutter aus ihrer Ohnmacht wecken k?nnte; Gregor wollte auch helfen – zur Rettung des Bildes war noch Zeit – , er klebte aber fest an dem Glas und mu?te sich mit Gewalt losrei?en; er lief dann auch ins Nebenzimmer, als k?nne er der Schwester irgendeinen Rat geben, wie in fr?herer Zeit; mu?te dann aber unt?tig hinter ihr stehen; w?hrend sie in verschiedenen Fl?schchen kramte, erschreckte sie noch, als sie sich umdrehte; eine Flasche fiel auf den Boden und zerbrach; ein Splitter verletzte Gregor im Gesicht, irgendeine ?tzende Medizin umflo? ihn; Grete nahm nun, ohne sich l?nger aufzuhalten, soviel Fl?schchen, als sie nur halten konnte, und rannte mit ihnen zur Mutter hinein; die T?r schlug sie mit dem Fu?e zu. Gregor war nun von der Mutter abgeschlossen, die durch seine Schuld vielleicht dem Tod nahe war; die T?r durfte er nicht ?ffnen, wollte er die Schwester, die bei der Mutter bleiben mu?te, nicht verjagen; er hatte jetzt nichts zu tun, als zu warten; und von Selbstvorw?rfen und Besorgnis bedr?ngt, begann er zu kriechen, ?berkroch alles, W?nde, M?bel und Zimmerdecke und fiel endlich in seiner Verzweiflung, als sich das ganze Zimmer schon um ihn zu drehen anfing, mitten auf den gro?en Tisch.
   Es verging eine kleine Weile, Gregor lag matt da, ringsherum war es still, vielleicht war das ein gutes Zeichen. Da l?utete es. Das M?dchen war nat?rlich in ihrer K?che eingesperrt und Grete mu?te daher ?ffnen gehen. Der Vater war gekommen. »Was ist geschehen?« waren seine ersten Worte; Gretes Aussehen hatte ihm wohl alles verraten. Grete antwortete mit dumpfer Stimme, offenbar dr?ckte sie ihr Gesicht an des Vaters Brust: »Die Mutter war ohnm?chtig, aber es geht ihr schon besser. Gregor ist ausgebrochen.« »Ich habe es ja erwartet«, sagte der Vater, »ich habe es euch ja immer gesagt, aber ihr Frauen wollt nicht h?ren.«
   Gregor war es klar, da? der Vater Gretes allzu kurze Mitteilung schlecht gedeutet hatte und annahm, da? Gregor sich irgendeine Gewalttat habe zuschulden kommen lassen. Deshalb mu?te Gregor den Vater jetzt zu bes?nftigen suchen, denn ihn aufzukl?ren hatte er weder Zeit noch M?glichkeit. Und so fl?chtete er sich zur T?r seines Zimmers und dr?ckte sich an sie, damit der Vater beim Eintritt vom Vorzimmer her gleich sehen k?nne, da? Gregor die beste Absicht habe, sofort in sein Zimmer zur?ckzukehren, und da? es nicht n?tig sei, ihn zur?ckzutreiben, sondern da? man nur die T?r zu ?ffnen brauche, und gleich werde er verschwinden.
   Aber der Vater war nicht in der Stimmung, solche Feinheiten zu bemerken; »Ah!« rief er gleich beim Eintritt in einem Tone, als sei er gleichzeitig w?tend und froh. Gregor zog den Kopf von der T?r zur?ck und hob ihn gegen den Vater. So hatte er sich den Vater wirklich nicht vorgestellt, wie er jetzt dastand; allerdings hatte er in der letzten Zeit ?ber dem neuartigen Herumkriechen vers?umt, sich so wie fr?her um die Vorg?nge in der ?brigen Wohnung zu k?mmern, und h?tte eigentlich darauf gefa?t sein m?ssen, ver?nderte Verh?ltnisse anzutreffen. Trotzdem, trotzdem, war das noch der Vater? Der gleiche Mann, der m?de im Bett vergraben lag, wenn fr?her Gregor zu einer Gesch?ftsreise ausger?ckt war; der ihn an Abenden der Heimkehr im Schlafrock im Lehnstuhl empfangen hatte; gar nicht recht imstande war, aufzustehen, sondern zum Zeichen der Freude nur die Arme gehoben hatte, und der bei den seltenen gemeinsamen Spazierg?ngen an ein paar Sonntagen im Jahr und an den h?chsten Feiertagen zwischen Gregor und der Mutter, die schon an und f?r sich langsam gingen, immer noch ein wenig langsamer, in seinen alten Mantel eingepackt, mit stets vorsichtig aufgesetztem Kr?ckstock sich vorw?rts arbeitete und, wenn er etwas sagen wollte, fast immer stillstand und seine Begleitung um sich versammelte?
   Nun aber war er recht gut aufgerichtet; in eine straffe blaue Uniform mit Goldkn?pfen gekleidet, wie sie Diener der Bankinstitute tragen; ?ber dem hohen steifen Kragen des Rockes entwickelte sich sein starkes Doppelkinn; unter den buschigen Augenbrauen drang der Blick der schwarzen Augen frisch und aufmerksam hervor; das sonst zerzauste wei?e Haar war zu einer peinlich genauen, leuchtenden Scheitelfrisur niedergek?mmt. Er warf seine M?tze, auf der ein Goldmonogramm, wahrscheinlich das einer Bank, angebracht war, ?ber das ganze Zimmer im Bogen auf das Kanapee hin und ging, die Enden seines langen Uniformrockes zur?ckgeschlagen, die H?nde in den Hosentaschen, mit vebissenem Gesicht auf Gregor zu.
   Er wu?te wohl selbst nicht, was er vor hatte; immerhin hob er die F??e ungew?hnlich hoch, und Gregor staunte ?ber die Riesengr??e seiner Stiefelsohlen. Doch hielt er sich dabei nicht auf, er wu?te ja noch vom ersten Tage seines neuen Lebens her, da? der Vater ihm gegen?ber nur die gr??te Strenge f?r angebracht ansah. Und so lief er vor dem Vater her, stockte, wenn der Vater stehen blieb, und eilte schon wieder vorw?rts, wenn sich der Vater nur r?hrte. So machten sie mehrmals die Runde um das Zimmer, ohne da? sich etwas Entscheidendes ereignete, ja ohne da? das Ganze infolge seines langsamen Tempos den Anschein einer Verfolgung gehabt h?tte. Deshalb blieb auch Gregor vorl?ufig auf dem Fu?boden, zumal er f?rchtete, der Vater k?nnte eine Flucht auf die W?nde oder den Plafond f?r besondere Bosheit halten. Allerdings mu?te sich Gregor sagen, da? er sogar dieses Laufen nicht lange aushalten w?rde, denn w?hrend der Vater einen Schritt machte, mu?te er eine Unzahl von Bewegungen ausf?hren. Atemnot begann sich schon bemerkbar zu machen, wie er ja auch in seiner fr?heren Zeit keine ganz vertrauensw?rdige Lunge besessen hatte. Als er nun so dahintorkelte, um alle Kr?fte f?r den Lauf zu sammeln, kaum die Augen offenhielt; in seiner Stumpfheit an eine andere Rettung als durch Laufen gar nicht dachte; und fast schon vergessen hatte, da? ihm die W?nde freistanden, die hier allerdings mit sorgf?ltig geschnitzten M?beln voll Zacken und Spitzen verstellt waren – da flog knapp neben ihm, leicht geschleudert, irgend etwas nieder und rollte vor ihm her. Es war ein Apfel; gleich flog ihm ein zweiter nach; Gregor blieb vor Schrecken stehen; ein Weiterlaufen war nutzlos, denn der Vater hatte sich entschlossen, ihn zu bombardieren.
   Aus der Obstschale auf der Kredenz hatte er sich die Taschen gef?llt und warf nun, ohne vorl?ufig scharf zu zielen, Apfel f?r Apfel. Diese kleinen roten ?pfel rollten wie elektrisiert auf dem Boden herum und stie?en aneinander. Ein schwach geworfener Apfel streifte Gregors R?cken, glitt aber unsch?dlich ab. Ein ihm sofort nachfliegender drang dagegen f?rmlich in Gregors R?cken ein; Gregor wollte sich weiterschleppen, als k?nne der ?berraschende unglaubliche Schmerz mit dem Ortswechsel vergehen; doch f?hlte er sich wie festgenagelt und streckte sich in vollst?ndiger Verwirrung aller Sinne. Nur mit dem letzten Blick sah er noch, wie die T?r seines Zimmers aufgerissen wurde, und vor der schreienden Schwester die Mutter hervoreilte, im Hemd, denn die Schwester hatte sie entkleidet, um ihr in der Ohnmacht Atemfreiheit zu verschaffen, wie dann die Mutter auf den Vater zulief und ihr auf dem Weg die aufgebundenen R?cke einer nach dem anderen zu Boden glitten, und wie sie stolpernd ?ber die R?cke auf den Vater eindrang und ihn umarmend, in g?nzlicher Vereinigung mit ihm – nun versagte aber Gregors Sehkraft schon – die H?nde an des Vaters Hinterkopf um Schonung von Gregors Leben bat.
   Die schwere Verwundung Gregors, an der er ?ber einen Monat litt – der Apfel blieb, da ihn niemand zu entfernen wagte, als sichtbares Andenken im Fleische sitzen – , schien selbst den Vater daran erinnert zu haben, da? Gregor trotz seiner gegenw?rtigen traurigen und ekelhaften Gestalt ein Familienmitglied war, das man nicht wie einen Feind behandeln durfte, sondern dem gegen?ber es das Gebot der Familienpflicht war, den Widerwillen hinunterzuschlucken und zu dulden, nichts als zu dulden. Und wenn nun auch Gregor durch seine Wunde an Beweglichkeit wahrscheinlich f?r immer verloren hatte und vorl?ufig zur Durchquerung seines Zimmers wie ein alter Invalide lange, lange Minuten brauchte – an das Kriechen in der H?he war nicht zu denken – , so bekam er f?r diese Verschlimmerung seines Zustandes einen seiner Meinung nach vollst?ndig gen?genden Ersatz dadurch, da? immer gegen Abend die Wohnzimmert?r, die er schon ein bis zwei Stunden vorher scharf zu beobachten pflegte, ge?ffnet wurde, so da? er, im Dunkel seines Zimmers liegend, vom Wohnzimmer aus unsichtbar, die ganze Familie beim beleuchteten Tische sehen und ihre Reden, gewisserma?en mit allgemeiner Erlaubnis, also ganz anders als fr?her, anh?ren durfte.
   Freilich waren es nicht mehr die lebhaften Unterhaltungen der fr?heren Zeiten, an die Gregor in den kleinen Hotelzimmern stets mit einigem Verlangen gedacht hatte, wenn er sich m?de in das feuchte Bettzeug hatte werfen m?ssen. Es ging jetzt meist nur sehr still zu. Der Vater schlief bald nach dem Nachtessen in seinem Sessel ein; die Mutter und Schwester ermahnten einander zur Stille; die Mutter n?hte, weit unter das Licht vorgebeugt, feine W?sche f?r ein Modengesch?ft; die Schwester, die eine Stellung als Verk?uferin angenommen hatte, lernte am Abend Stenographie und Franz?sisch, um vielleicht sp?ter einmal einen besseren Posten zu erreichen. Manchmal wachte der Vater auf, und als wisse er gar nicht, da? er geschlafen habe, sagte er zur Mutter: »Wie lange du heute schon wieder n?hst!« und schlief sofort wieder ein, w?hrend Mutter und Schwester einander m?de zul?chelten.
   Mit einer Art Eigensinn weigerte sich der Vater, auch zu Hause seine Dieneruniform abzulegen; und w?hrend der Schlafrock nutzlos am Kleiderhaken hing, schlummerte der Vater vollst?ndig angezogen auf seinem Platz, als sei er immer zu seinem Dienste bereit und warte auch hier auf die Stimme des Vorgesetzten. Infolgedessen verlor die gleich anfangs nicht neue Uniform trotz aller Sorgfalt von Mutter und Schwester an Reinlichkeit, und Gregor sah oft ganze Abende lang auf dieses ?ber und ?ber fleckige, mit seinen stets geputzte Goldkn?pfen leuchtende Kleid, in dem der alte Mann h?chst unbequem und doch ruhig schlief.
   Sobald die Uhr zehn schlug, suchte die Mutter durch leise Zusprache den Vater zu wecken und dann zu ?berreden, ins Bett zu gehen, denn hier war es doch kein richtiger Schlaf und diesen hatte der Vater, der um sechs Uhr seinen Dienst antreten mu?te, ?u?erst n?tig. Aber in dem Eigensinn, der ihn, seitdem er Diener war, ergriffen hatte, bestand er immer darauf noch l?nger bei Tisch zu bleiben, trotzdem er regelm??ig einschlief, und war dann ?berdies nur mit der gr??ten M?he zu bewegen, den Sessel mit dem Bett zu vertauschen. Da mochten Mutter und Schwester mit kleinen Ermahnungen noch so sehr auf ihn eindringen, viertelstundenlang sch?ttelte er langsam den Kopf hielt, die Augen geschlossen und stand nicht auf. Die Mutter zupfte ihn am ?rmel, sagte ihm Schmeichelworte ins Ohr, die Schwester verlie? ihre Aufgabe, um der Mutter zu helfen, aber beim Vater verfing das nicht. Er versank nur noch tiefer in seinen Sessel. Erst bis ihn die Frauen unter den Achseln fa?ten, schlug er die Augen auf, sah abwechselnd die Mutter und die Schwester an und pflegte zu sagen: »Das ist ein Leben. Das ist die Ruhe meiner alten Tage.« Und auf die beiden Frauen gest?tzt, erhob er sich, umst?ndlich, als sei er f?r sich selbst die gr??te Last, lie? sich von den Frauen bis zur T?re f?hren, winkte ihnen dort ab und ging nun selbst?ndig weiter, w?hrend die Mutter ihr N?hzeug, die Schwester ihre Feder eiligst hinwarfen, um hinter dem Vater zu laufen und ihm weiter behilflich zu sein.
   Wer hatte in dieser abgearbeiteten und ?berm?deten Familie Zeit, sich um Gregor mehr zu k?mmern, als unbedingt n?tig war? Der Haushalt wurde immer mehr eingeschr?nkt; das Dienstm?dchen wurde nun doch entlassen; eine riesige knochige Bedienerin mit wei?em, den Kopf umflatterndem Haar kam des Morgens und des Abends, um die schwerste Arbeit zu leisten; alles andere besorgte die Mutter neben ihrer vielen N?harbeit. Es geschah sogar, da? verschiedene Familienschmuckst?cke, welche fr?her die Mutter und die Schwester ?bergl?cklich bei Unterhaltungen und Feierlichkeiten getragen hatten, verkauft wurden, wie Gregor am Abend aus der allgemeinen Besprechung der erzielten Preise erfuhr. Die gr??te Klage war aber stets, da? man diese f?r die gegenw?rtigen Verh?ltnisse allzu gro?e Wohnung nicht verlassen konnte, da es nicht auszudenken war, wie man Gregor ?bersiedeln sollte. Aber Gregor sah wohl ein, da? es nicht nur die R?cksicht auf ihn war, welche eine ?bersiedlung verhinderte, denn ihn h?tte man doch in einer passenden Kiste mit ein paar Luftl?chern leicht transportieren k?nnen; was die Familie haupts?chlich vom Wohnungswechsel abhielt, war vielmehr die v?llige Hoffnungslosigkeit und der Gedanke daran, da? sie mit einem Ungl?ck geschlagen war, wie niemand sonst im ganzen Verwandten– und Bekanntenkreis.
   Was die Welt von armen Leuten verlangt, erf?llten sie bis zum ?u?ersten, der Vater holte den kleinen Bankbeamten das Fr?hst?ck, die Mutter opferte sich f?r die W?sche fremder Leute, die Schwester lief nach dem Befehl der Kunden hinter dem Pulte hin und her, aber weiter reichten die Kr?fte der Familie schon nicht. Und die Wunde im R?cken fing Gregor wie neu zu schmerzen an, wenn Mutter und Schwester, nachdem sie den Vater zu Bett gebracht hatten, nun zur?ckkehrten, die Arbeit liegen lie?en, nahe zusammenr?ckten, schon Wange an Wange sa?en; wenn jetzt die Mutter, auf Gregors Zimmer zeigend, sagte: »Mach’ dort die T?r zu, Grete«, und wenn nun Gregor wieder im Dunkel war, w?hrend nebenan die Frauen ihre Tr?nen vermischten oder gar tr?nenlos den Tisch anstarrten.
   Die N?chte und Tage verbrachte Gregor fast ganz ohne Schlaf. Manchmal dachte er daran, beim n?chsten ?ffnen der T?r die Angelegenheiten der Familie ganz so wie fr?her wieder in die Hand zu nehmen; in seinen Gedanken erschienen wieder nach langer Zeit der Chef und der Prokurist, die Kommis und die Lehrjungen, der so begriffst?tzige Hausknecht, zwei, drei Freunde aus anderen Gesch?ften, ein Stubenm?dchen aus einem Hotel in der Provinz, eine liebe, fl?chtige Erinnerung, eine Kassiererin aus einem Hutgesch?ft, um die er sich ernsthaft, aber zu langsam beworben hatte – sie alle erschienen untermischt mit Fremden oder schon Vergessenen, aber statt ihm und seiner Familie zu helfen, waren sie s?mtlich unzug?nglich, und er war froh, wenn sie verschwanden.
   Dann aber war er wieder gar nicht in der Laune, sich um seine Familie zu sorgen, blo? Wut ?ber die schlechte Wartung erf?llte ihn, und trotzdem er sich nichts vorstellen konnte, worauf er Appetit gehabt h?tte, machte er doch Pl?ne, wie er in die Speisekammer gelangen k?nnte, um dort zu nehmen, was ihm, auch wenn er keinen Hunger hatte, immerhin geb?hrte. Ohne jetzt mehr nachzudenken, womit man Gregor einen besonderen Gefallen machen k?nnte, schob die Schwester eiligst, ehe sie morgens und mittags ins Gesch?ft lief, mit dem Fu? irgendeine beliebige Speise in Gregors Zimmer hinein, um sie am Abend, gleichg?ltig dagegen, ob die Speise vielleicht nur verkostet oder – der h?ufigste Fall – g?nzlich unber?hrt war, mit einem Schwenken des Besens hinauszukehren. Das Aufr?umen des Zimmers, das sie nun immer abends besorgte, konnte gar nicht mehr schneller getan sein. Schmutzstreifen zogen sich die W?nde entlang, hie und da lagen Kn?uel von Staub und Unrat. In der ersten Zeit stellte sich Gregor bei der Ankunft der Schwester in derartige besonders bezeichnende Winkel, um ihr durch diese Stellung gewisserma?en einen Vorwurf zu machen. Aber er h?tte wohl wochenlang dort bleiben k?nnen, ohne da? sich die Schwester gebessert h?tte; sie sah ja den Schmutz genau so wie er, aber sie hatte sich eben entschlossen, ihn zu lassen.
   Dabei wachte sie mit einer an ihr ganz neuen Empfindlichkeit, die ?berhaupt die ganze Familie ergriffen hatte, dar?ber, da? das Aufr?umen von Gregors Zimmer ihr vorbehalten blieb. Einmal hatte die Mutter Gregors Zimmer einer gro?en Reinigung unterzogen, die ihr nur nach Verbrauch einiger K?bel Wasser gelungen war – die viele Feuchtigkeit kr?nkte allerdings Gregor auch und er lag breit, verbittert und unbeweglich auf dem Kanapee -, aber die Strafe blieb f?r die Mutter nicht aus. Denn kaum hatte am Abend die Schwester die Ver?nderung in Gregors Zimmer bemerkt, als sie, aufs h?chste beleidigt, ins Wohnzimmer lief und, trotz der beschw?rend erhobenen H?nde der Mutter, in einen Weinkrampf ausbrach, dem die Eltern – der Vater war nat?rlich aus seinem Sessel aufgeschreckt worden – zuerst erstaunt und hilflos zusahen; bis auch sie sich zu r?hren anfingen; der Vater rechts der Mutter Vorw?rfe machte, da? sie Gregors Zimmer nicht der Schwester zur Reinigung ?berlie?; links dagegen die Schwester anschrie, sie werde niemals mehr Gregors Zimmer reinigen d?rfen; w?hrend die Mutter den Vater, der sich vor Erregung nicht mehr kannte, ins Schlafzimmer zu schleppen suchte; die Schwester, von Schluchzen gesch?ttelt, mit ihren kleinen F?usten den Tisch bearbeitete; und Gregor laut vor Wut dar?ber zischte, da? es keinem einfiel, die T?r zu schlie?en und ihm diesen Anblick und L?rm zu ersparen.
   Aber selbst wenn die Schwester, ersch?pft von ihrer Berufsarbeit, dessen ?berdr?ssig geworden war, f?r Gregor, wie fr?her, zu sorgen, so h?tte noch keineswegs die Mutter f?r sie eintreten m?ssen und Gregor h?tte doch nicht vernachl?ssigt werden brauchen. Denn nun war die Bedienerin da. Diese alte Witwe, die in ihrem langen Leben mit Hilfe ihres starken Knochenbaues das ?rgste ?berstanden haben mochte, hatte keinen eigentlichen Abscheu vor Gregor. Ohne irgendwie neugierig zu sein, hatte sie zuf?llig einmal die T?r von Gregors Zimmer aufgemacht und war im Anblick Gregors, der, g?nzlich ?berrascht, trotzdem ihn niemand jagte, hin und herzulaufen begann, die H?nde im Scho? gefaltet staunend stehen geblieben. Seitdem vers?umte sie nicht, stets fl?chtig morgens und abends die T?r ein wenig zu ?ffnen und zu Gregor hineinzuschauen. Anfangs rief sie ihn auch zu sich herbei, mit Worten, die sie wahrscheinlich f?r freundlich hielt, wie »Komm mal her?ber, alter Mistk?fer!« oder »Seht mal den alten Mistk?fer!« Auf solche Ansprachen antwortete Gregor mit nichts, sondern blieb unbeweglich auf seinem Platz, als sei die T?r gar nicht ge?ffnet worden. H?tte man doch dieser Bedienerin, statt sie nach ihrer Laune ihn nutzlos st?ren zu lassen, lieber den Befehl gegeben, sein Zimmer t?glich zu reinigen! Einmal am fr?hen Morgen – ein heftiger Regen, vielleicht schon ein Zeichen des kommenden Fr?hjahrs, schlug an die Scheiben – war Gregor, als die Bedienerin mit ihren Redensarten wieder begann, derartig erbittert, da? er, wie zum Angriff, allerdings langsam und hinf?llig, sich gegen sie wendete. Die Bedienerin aber, statt sich zu f?rchten, hob blo? einen in der N?he der T?r befindlichen Stuhl hoch einpor, und wie sie mit gro? ge?ffnetem Munde dastand, war ihre Absicht klar, den Mund erst zu schlie?en, wenn der Sessel in ihrer Hand auf Gregors R?cken niederschlagen w?rde. »Also weiter geht es nicht?« fragte sie, als Gregor sich wieder umdrehte, und stellte den Sessel ruhig in die Ecke zur?ck.