doch ganz gefielen sie erst dann,
wenn sie das Reden ließen.

Ein Baum läßt grüßen

Man reist von einer Stadt zur ändern Stadt.
Vier Schinkenbrote hat man schon gegessen.
Der Zug fährt gut. Die Fahrt geht glatt.
Man rechnet aus, ob man Verspätung hat,
und fühlt sich frei von höhern Interessen.

Man blickt durchs Fenster. Gänzlich ohne Zweck.
Man könnte ebenso die Augen schließen.
Dann schielt man nach dem Handgepäck.
Am Zug tanzt Schnee vorbei. Ein Dorf im Dreck.
Und Rhomboide. Doch das sind sonst Wiesen.

Man gähnt. Und ist zu faul, die Hand zu nehmen.
Man überlegt schon, ob man müde ist...
Die Dame rechts soll sich was schämen!
Wenn ihre Hüften bloß nicht näher kämen!
Wie schnell der Mensch das Müdesein vergißt.

Man überlegt sich, ob man ihr entweiche.
Sie lehnt sich an. Und tut, als war's im Traum.
Da sieht man draußen plötzlich eine Eiche!
Es kann auch Ahorn sein. Das ist das Gleiche.
Denn eins steht fest: Es ist ein Baum!

Und da entsinnt man sich. Und ist entsetzt:
Seit zwanzig Jahren sah man keine Felder!
Das heißt, man sah sie wohl. Doch nicht wie jetzt!
Wann sah man denn ein Blumenbeet zuletzt?
Und wann zum letzten Male Birkenwälder?

Man hat vergessen, daß es Gärten gibt.
Und kleine Vögel drin, die abends flöten.
Und blaue Veilchen, die die Mutter liebt...
Und während sich die Dame näherschiebt,
greift man gefaßt zu weitren Schinkenbröten.

Wiegenlied, väterlicherseits

Schlaf ein, mein Kind! Schlaf ein, mein Kind!
Man hält uns für Verwandte.
Doch ob wir es auch wirklich sind?
Ich weiß es nicht, schlaf ein, mein Kind!
Mama ist bei der Tante ...

Schlaf ein, mein Kind! Sei still! Schlaf ein!
Man kann nichts Klügres machen.
Ich bin so groß. Du bist so klein.
Wer schlafen kann, darf glücklich sein.
Wer schlafen darf, kann lachen.

Nachts liegt man neben einer Frau,
die sagt: Laß mich in Ruhe!
Sie liebt mich nicht. Sie ist so schlau.
Sie hext mir meine Haare grau.
Wer weiß, was ich noch tue.

Schlaf ein, mein Kind! Mein Kindchen, schlaf!
Du hast nichts zu versäumen.
Man träumt vielleicht, man war ein Graf.
Man träumt vielleicht, die Frau war brav.
Es ist so schön, zu träumen...

Man schuftet, liebt und lebt und frißt
und kann sich nicht erklären,
wozu das alles nötig ist!
Sie sagt, daß du mir ähnlich bist.
Mag sich zum Teufel scheren!

Der hat es gut, den man nicht weckt.
Wer tot ist, schläft am längsten.
Wer weiß, wo deine Mutter steckt!
Sei ruhig. Hab ich dich erschreckt?
Ich wollte dich nicht ängsten.

Vergiß den Mond! Schlaf ein, mein Kind!
Und laß die Sterne scheinen.
Vergiß auch mich. Vergiß den Wind!
Nun gute Nacht! Schlaf ein, mein Kind!
Und, bitte, laß das Weinen ...!

Kalenderspruch

Vergiß in keinem Falle,
auch dann nicht, wenn Vieles mißlingt:
Die Gescheiten werden nicht alle!
(So unwahrscheinlich das klingt.)

Genesis der Niedertracht

Eines merkt man stündlich und täglich:
Kinder sind hübsch und offen und gut,
aber Erwachsene sind unerträglich.
Manchmal nimmt uns das allen Mut.

Böse und häßliche alte Leute
waren als Kinder fast tadellos.
Nette und reizende Kinder von heute
werden später kleinlich und groß.

Wie ist das möglich? Was soll das heißen?
Sind denn die Kinder auch nur echt,
wenn sie den Fliegen die Flügel ausreißen?
Sind denn auch schon die Kinder schlecht?

Jeder Charakter ist durch Zwei teilbar,
da Gut und Böse beisammen sind.
Doch die Bosheit ist unheilbar,
und die Güte stirbt als Kind.

Lob des Einschlafens

Man gähnt vergnügt und löscht die Lampe aus.
Nur auf der Straße ist noch etwas Licht.
Man legt sich nieder. Doch man schläft noch nicht.
Der Herr von nebenan kommt erst nach Haus.
Man hört, wie er mit einer Dame spricht.

Nun klappt man seine Augendeckel zu,
und vor den Augen tanzen tausend Ringe.
Man denkt noch rasch an Geld und solche Dinge.
Im Nebenzimmer knarrt ein kleiner Schuh.
Wenn doch die Dame in Pantoffeln ginge!

Man legt den Kopf auf lauter kühle Kissen
und lächelt in den dunklen Raum hinein.
Wie schön das ist: Am Abend müde sein
und schlafen dürfen und von gar nichts wissen!
Und alle Sorgen sind wie Zwerge klein.

Der Herr von nebenan ist froh und munter.
Es klingt, als ob er ohne Anlaß lacht.
Man hebt die Lider schwer und senkt sie sacht,
und schließt die Augen, - und die Welt geht unter!
Dann sagt man sich persönlich Gute Nacht.

Wenn bloß der Schwarze dieses Mal nicht käme!
Er steigt ins Bett und macht sich darin breit
und geht erst wieder, wenn man furchtbar schreit.
Man wünscht sich Träume, aber angenehme,
und für Gespenster hat man keine Zeit.

Man war einmal ein Kind, ist das auch wahr?
Und sagte mühelos: "Mein Herz ist rein."
Das würde heute nicht mehr möglich sein.
Es geht auch so, auf eigene Gefahr.
Man zählt bis dreiundsiebzig. Und schläft ein.

Vorstadtstraßen

Mit solchen Straßen bin ich gut bekannt.
Sie fangen an, als wären sie zu Ende.
Trinkt Magermilch! steht groß an einer Wand,
als ob sich das hier nicht von selbst verstände.

Es riecht nach Fisch, Kartoffeln und Benzin.
In diesen Straßen dürfte niemand wohnen.
Ein Fenster schielt durch schräge Jalousien.
Und welke Blumen blühn auf den Balkonen.

Die Häuser bilden Tag und Nacht Spalier
und haben keine weitern Interessen.
Seit hundert Jahren warten sie nun hier.
Auf wen sie warten, haben sie vergessen.

Die Nacht fällt wie ein großes altes Tuch,
von Licht durchlöchert, auf die grauen Mauern.
Ein paar Laternen gehen zu Besuch.
Und vor den Kellern sieht man Katzen kauern.

Die Häuser sind so traurig und so krank,
weil sie die Armut auf den Straßen trafen.
Aus einem Hof dringt ganz von ferne Zank.
Dann decken sich die Fenster zu und schlafen.

So sieht die Welt in tausend Städten aus!
Und keiner weiß, wohin die Straßen zielen.
An jeder zweiten Ecke steht ein Haus,
in dem sie Skat und Pianola spielen.

Ein Mann mit Sorgen geigt aus dritter Hand.
Ein Tisch fällt um. Die Wirtin holt den Besen.
Trinkt Magermilch! steht groß an einer Wand.
(Doch in der Nacht kann das ja niemand lesen.)

Elegie, ohne große Worte

Man kann sich selber manchmal gar nicht leiden
und möchte sich vor Wut den Rücken drehn.
Wer will, ob das berechtigt ist, entscheiden?
Doch wer sich kennt, der wird mich schon verstehn.

Wenn eine Straßenbahn vorüberfegte,
kann es passieren, daß man sich höchst wundert,
warum man sich nicht einfach drunterlegte ...
Und solche Fälle gibt es über hundert.

Man muß sich stets die gleichen Hände waschen!
Und wer Charakter hat, ist schon beschränkt!
Womit soll man sich denn noch überraschen?
Man muß schon gähnen, wenn man an sich denkt.

Man hängt sich meterlang zum Hals heraus.
In Worte läßt sich sowas gar nicht kleiden.
Man blickt sich an - und hält den Blick nicht aus!
Und kann sich (siehe oben!) selbst nicht leiden.

Wie gerne wäre man dann dies oder das!
Ein Bild, ein Buch, im Wald ein Meilenstein,
ein Buschwindröschen oder sonst etwas!
Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein.

Jedoch auch solche Tage gehn herum.
Und man fährt fort, sich in die Brust zu werfen.
Der Doktor nickt und sagt: Das sind die Nerven...
Ja, wer zu klug wird, ist schon wieder dumm.

Eine Mutter zieht Bilanz

Mein Sohn schreibt mir so gut wie gar nicht mehr.
Das heißt, zu Ostern hat er mir geschrieben.
Er denke gern an mich zurück, schrieb er,
und würde mich, wie stets, von Herzen lieben.

Das letztemal, als wir uns beide sahn,
das war genau vor zweidreiviertel Jahren.
Ich stehe manchmal an der Eisenbahn,
wenn Züge nach Berlin - dort wohnt er - fahren.

Und einmal kaufte ich mir ein Billett
und wäre beinah nach Berlin gekommen!
Doch dann begab ich mich zum Schalterbrett.
Dort hat man das Billett zurückgenommen.

Seit einem Jahr, da hat er eine Braut.
Das Bild von ihr will er schon lange schicken.
Ob er mich kommen läßt, wenn man sie traut?
Ich würde ihnen gern ein Kissen sticken.

Man weiß nur nicht, ob ihr sowas gefällt...
Ob sie ihn wohl, wie er's verdiente, liebt?
Mir ist manchmal so einzeln auf der Welt.
Ob es auch zärtlichere Söhne gibt?

Wie war das schön, als wir zusammen waren!
Im gleichen Haus... Und in der gleichen Stadt.
Nachts lieg ich wach und hör die Züge fahren.
Ob er noch immer seinen Husten hat?

Ich hab von ihm noch ein Paar Kinderschuhe.
Nun ist er groß und läßt mich so allein.
Ich sitze still und habe keine Ruhe.
Am besten war's, die Kinder blieben klein.

Das Herz im Spiegel

Der Arzt notierte eine Zahl.
Er war ein gründlicher Mann.
Dann sprach er streng: "Ich durchleuchte Sie mal",
Und schleppte mich nebenan.

Hier wurde ich zwischen kaltem Metall
zum Foltern aufgestellt.
Der Raum war finster wie ein Stall
und außerhalb der Welt.

Dann knisterte das Röntgenlicht.
Der Leuchtschirm wurde hell.
Und der Doktor sah mit ernstem Gesicht
mir quer durchs Rippenfell.

Der Leuchtschirm war seine Staffelei.
Ich stand vor Ergriffenheit stramm.
Er zeichnete eifrig und sagte, das sei
mein Orthodiagramm.

Dann brachte er ganz feierlich
einen Spiegel und zeigte mir den
und sprach: "In dem Spiegel können Sie sich
Ihr Wurzelwerk ansehn."

Ich sah, wobei er mir alles beschrieb,
meine Anatomie bei Gebrauch.
Ich sah mein Zwerchfell im Betrieb
und die atmenden Rippen auch.

Und zwischen den Rippen schlug sonderbar
ein schattenhaftes Gewächs.
Das war mein Herz! Es glich aufs Haar
einem zuckenden Tintenklecks.

Ich muß gestehn, ich war verstört.
Ich stand zu Stein erstarrt.
Das war mein Herz, das dir gehört,
geliebte Hildegard?

Laß uns vergessen, was geschah,
und mich ins Kloster gehn.
Wer nie sein Herz im Spiegel sah,
der kann das nicht verstehn.

Kind, das Vernünftigste wird sein,
daß du mich rasch vergißt.
Weil so ein Herz wie meines kein
Geschenkartikel ist.

Gefährliches Lokal

Mir träumte neulich, daß mein Stammcafé
auf einer Insel unter Palmen stünde.
Persönlich kenne ich bloß Warnemünde.
Doch Träume reisen gern nach Übersee.

Ich saß am Fenster und versank in Schweigen.
Wo sonst die Linie 56 hält,
war eine Art von Urwald aufgestellt.
Und Orang-Utans hingen in den Zweigen.

Sie waren sicher noch nicht lange da.
So leicht verändern sich die Metermaße!
Bevor ich kam, war's noch die Prager Straße.
Man setzt sich hin, schon ist es Sumatra.

Erst wollte ich den Oberkellner fragen,
dann dachte ich, es hätte keinen Zweck.
Was soll ein Kellner, namens Urbanek,
selbst wenn er wollte, weiter dazu sagen?

Dann ging die Tür. Das war der Doktor Uhl.
Und hinter ihm erschien ein schwarzer Panther.
Der setzte sich, als sei er ein Bekannter,
an meinem Tisch auf einen leeren Stuhl.

Ich fragte ihn betreten, ob er rauche.
Er sah mich an. Und sagte keinen Ton.
Dann kam der Wirt in eigener Person
und kitzelte den seltenen Gast am Bauche.

Der Ober brachte Erbspüree mit Speck.
Er hatte große Angst und ging auf Zehen.
Der Panther ließ das gute Essen stehen
und fraß den Kellner. Armer Urbanek!

Von oben drang der Klang der Billardbälle.
Der schwarze Panther war noch beim Diner.
Ich saß bestürzt in meinem Stammcafé.
Und sah nur Wald. Und keine Haltestelle.

Weil man mich dann zum Telephone rief
(ein Kunde wollte mich geschäftlich sprechen),
war ich genötigt, plötzlich aufzubrechen.
Als ich zurückkam, sah ich, daß ich schlief...

Möblierte Melancholie

Mancher Mann darf, wie er möchte, schlafen.
Und er möchte selbstverständlich gern!
Andre Menschen will der Himmel strafen,
und er macht sie zu möblierten Herrn.

Er verschickt sie zu verkniffnen Damen.
In Logis. Und manchmal in Pension.
Blöde Bilder wollen aus den Rahmen.
Und die Möbel sagen keinen Ton.

Selbst das Handtuch möchte sauber bleiben.
Dreimal husten kostet eine Mark.
Um die alten Schachteln zu beschreiben,
ist kein noch so starkes Wort zu stark.

Das Klavier, die Köpfe und die Stühle
sind aus Überzeugung stets verstaubt.
Und die Nutzanwendung der Gefühle
ist den Aftermietern nicht erlaubt.

Und sie nicken nur noch wie die Puppen;
denn der Mund ist nach und nach vereist.
Untermieter sind Besatzungstruppen
in dem Reiche, das Familie heißt.

Alles, was erlaubt ist, ist verboten.
Wer die Liebe liebt, muß in den Wald.
Oder macht, noch besser, einen Knoten
in sein Maskulinum. Und zwar bald.

Die möblierten Herrn aus allen Ländern
stehen fremd und stumm in ihrem Zimmer.
Nur die Ehe kann den Zustand ändern.
(Doch die Ehe ist ja noch viel schlimmer.)

Der geregelte Zeitgenosse

Hei, wie er die Zukunft auswendig wußte!
Er kannte die Höhe der Summe genau,
die man den Kindern und seiner Frau
nach seinem Tod auszahlen mußte.

Er war berühmt als Vater und Gatte,
der Leben und Sterben und Diebstahl und Brand
versicherungsrechtlich geregelt hatte.
Er hatte das Schicksal glatt in der Hand.

Und wenn sich die Achse der Erde verböge:
Er wußte, wieviel er am ersten Mai
(vorausgesetzt, daß er am Leben sei)
in zwanzig Jahren Gehalt bezöge.

Gewohnheit umgab ihn mit hohen Mauern.
Sie rückten immer näher heran.
Und er begann, sich sehr zu bedauern.
Nicht immer, aber dann und wann.

Da half kein gesteigertes Innenleben.
Er wußte, was sie morgen besprächen
und was sie einander zur Antwort gäben
und wann und wie sie sich unterbrächen.

Das Lieben und Atmen und Zeitunglesen,
das wurde alles zu einem Amt.
Er war doch mal ein Mensch gewesen!
Das war vorbei, und er dachte: Verdammt!

Verschiedentlich faßte er Fluchtgedanken.
Er dachte speziell an Amerika.
Aber aus Angst, seine Frau könnte zanken,
blieb er dann doch immer wieder da.

Spruch in der Silvesternacht

Man soll das Jahr nicht mit Programmen
beladen wie ein krankes Pferd.
Wenn man es allzu sehr beschwert,
bricht es zu guter Letzt zusammen.

Je üppiger die Pläne blühen,
um so verzwickter wird die Tat.
Man nimmt sich vor, sich zu bemühen,
und schließlich hat man den Salat!

Es nützt nicht viel, sich rotzuschämen.
Es nützt nichts, und es schadet bloß,
sich tausend Dinge vorzunehmen.
Laßt das Programm! Und bessert euch drauflos!

Das Genie

Der Mensch, der in die Zukunft springt,
der geht zugrunde.
Und ob der Sprung mißglückt, ob er gelingt, -
der Mensch, der springt,
geht vor die Hunde.

Im Auto über Land

An besonders schönen Tagen
ist der Himmel sozusagen
wie aus blauem Porzellan.
Und die Federwolken gleichen
weißen, zart getuschten Zeichen,
wie wir sie auf Schalen sahn.

Alle Welt fühlt sich gehoben,
blinzelt glücklich schräg nach oben
und bewundert die Natur.
Vater ruft, direkt verwegen:
"'n Wetter, glatt zum Eierlegen!"
(Na, er renommiert wohl nur.)

Und er steuert ohne Fehler
über Hügel und durch Täler.
Tante Paula wird es schlecht.
Doch die übrige Verwandtschaft
blickt begeistert in die Landschaft.
Und der Landschaft ist es recht.

Um den Kopf weht eine Brise
von besonnter Luft und Wiese,
dividiert durch viel Benzin.
Onkel Theobald berichtet,
was er alles sieht und sichtet.
Doch man sieht's auch ohne ihn.

Den Gesang nach Kräften pflegend
und sich rhythmisch fortbewegend
strömt die Menschheit durchs Revier.
Immer rascher jagt der Wagen.
Und wir hören Vätern sagen:
"Dauernd Wald, und nirgends Bier."

Aber schließlich hilft sein Suchen.
Er kriegt Bier. Wir kriegen Kuchen.
Und das Auto ruht sich aus.
Tante schimpft auf die Gehälter.
Und allmählich wird es kälter.
Und dann fahren wir nach Haus.

Gedanken beim Überfahrenwerden

Halt, mein Hut! Ist das das Ende?
Groß ist so ein Autobus.
Und wo hab ich meine Hände?
Daß mir das passieren muß.

Artur wohnt gleich in der Nähe.
Und es regnet. Hin ist hin.
Wenn mich Dorothee so sähe!
Gut, daß ich alleine bin.

Hab ich die Theaterkarten,
als ich fortging, eingesteckt?
Pasternak wird auf mich warten.
Der Vertrag war fast perfekt.

Ist der Schreibtisch fest verschlossen?
Ohne mich macht Schwarz bankrott.
Gestern noch auf stolzen Rossen.
Morgen schon beim lieben Gott.

Bitte, nicht nach Hause bringen!
Dorothee erschrickt zu sehr.
Wer wird den Mephisto singen?
Na, ich hör ihn ja nicht mehr.

Und ich hab natürlich meinen
guten blauen Anzug an.
Anfangs wird sie furchtbar weinen.
Und dann kommt der nächste Mann.

Weitergehen! Das Gewimmel
hat doch wirklich keinen Sinn.
Hoffentlich gibt's keinen Himmel.
Denn da passe ich nicht hin.

Das Begräbnis erster Klasse,
mit Musik und echtem Sarg...
Dodo, von der Sterbekasse
kriegst du zirka tausend Mark.

Andre würden gerne sterben.
Noch dazu in voller Fahrt.
Nur die Möbel wirst du erben.
Wenn ich wenigstens gespart --

Dann erschien ein Arzt in Eile.
Doch es hatte keinen Zweck.
Anstandshalber blieb er eine Weile.
Und dann ging er wieder weg.

Prima Wetter

Wo sind die Tage, die so traurig waren
und deren Traurigkeit uns so bezwang?
Die Sonne scheint. Das Jahr ist sich im klaren.
Es ist, um schreiend aus der Haut zu fahren
und als Ballon den blauen Himmel lang!

Die grünen Bäume sind ganz frisch gewaschen.
Der Himmel ist aus riesenblauem Taft.
Die Sonnenstrahlen spielen kichernd Haschen.
Man sitzt und lächelt, zieht das Glück auf Flaschen
und lebt mit sich in bester Nachbarschaft.

Man könnte, denkt man, wenn man wollte, fliegen.
Vom Stuhle fort. Mit Kuchen und Kaffee.
Auf weißen Wolken wie auf Sofas liegen
und sich gelegentlich vornüber biegen
und denken: "Also das dort ist die Spree."

Man könnte sich mit Blumen unterhalten
und Wiesen streicheln wie sein Fräulein Braut.
Man könnte sich in tausend Teile spalten
und vor Begeisterung die Hände falten.
Sie sind nur gar nicht mehr dafür gebaut.

Man zieht sich voller Zweifel an den Haaren.
Die Sonne scheint, als hätte es wieder Sinn.
Wo sind die Tage, die so traurig waren?
Es ist, um förmlich aus der Haut zu fahren.
Die größte Schwierigkeit ist nur: Wohin?

Direktor Körner ist unaufmerksam

Manchmal,
wenn ernste Männer beisammen stehn
und auch du stehst mit dabei,
möchtest du leise beiseite gehn.
Wohin? Einerlei.

Du möchtest nur rasch den Bart ablegen
und die Falten von deiner Stirn
und das große und kleine Gehirn
und dich dann nicht mehr bewegen.

Und es fehlte nur noch Mutters Schürze.
Die war so weich und so hell.
Die Kindheit litt an zu großer Kürze.
Es ging zu schnell.

Und während du in dich verloren scheinst,
stehen noch immer die Männer herum.
Sie reden und reden, nur du bist stumm.
Und sie fragen, was du dazu meinst.

"Zu kurz!" sagst du, und du sagst das so,
weil dir die Kindheit zu kurz erschien.
Sie aber meinen den Zahlungstermin
für Schimmel & Co.

Da ruft der eine, er steht breitbeinig
und stemmt seinen Bauch:
"Da wären wir ja handelseinig,
Körner meint's auch!"

Er hat, was du gesprochen hast,
nicht kapiert, doch auch das hat sein Gutes.
Hauptsache, daß es trotzdem paßt.
Und das tut es.

Junggesellen sind auf Reisen

Ich bin mit meiner Mutter auf der Reise...
Wir fuhren über Frankfurt, Basel, Bern
zum Genfer See. Und dann ein Stück im Kreise.
Die Mutter schimpfte manchmal auf die Preise.
Jetzt sind wir in Luzern.

Die Schweiz ist schön. Man muß sich dran gewöhnen.
Man fährt auf Berge. Und man fährt auf Seen.
Und manchmal schmerzt der Leib von all dem Schönen.
Man trifft es oft, daß Mütter mit den Söhnen
auf Reisen gehn.

Das ist ein Glück: mit seiner Mutter fahren!
Weil Mütter doch die besten Frauen sind.
Sie reisten mit uns, als wir Knaben waren,
und reisen nun mit uns, nach vielen Jahren,
als wären sie das Kind.

Sie lassen sich die höchsten Gipfel zeigen.
Die Welt ist wieder wie ein Bilderbuch.
Sie können, wenn ein See ganz blau wird, schweigen
und haben stets, wenn sie in Züge steigen,
Angst um das Umschlagtuch.

Erst ist man sich noch etwas fremd. Wie immer,
seit man fern voneinander leben muß.
Jetzt schläft man, wie dereinst, im selben Zimmer.
Und sagt: "Schlaf wohl!" Und löscht den
Lampenschimmer.
Und gibt sich einen Kuß.

Doch eh man's lernt, ist es zu Ende!
Wir bringen unsre Mütter bis nach Haus.
Frau Haubold sagt, daß sie das reizend fände.
Dann schütteln wir den Müttern kurz die Hände
und fahren wieder in die Welt hinaus.

Ganz vergebliches Gelächter

Eines Tages fällt ihm plötzlich auf,
daß er schon seit langem nicht mehr lachte.
Und nun prüft er seinen Lebenslauf,
was er denn inzwischen machte.

Manchmal, weiß er noch, war alles Sünde,
manchmal hat er wie ein Vieh geflucht.
Manchmal suchte er für alles Gründe,
wie man Kragenknöpfe sucht.

Doch nun will er lustig sein und lachen!
Früher hat er das ganz gut gebracht.
Und er wird es jetzt wie früher machen,
und er stellt sich hin - und lacht.

Ach, es ist ein schreckliches Gelächter!
Er erschrickt und wird schnell wieder stumm.
Warum, fragt er sich, klang es nicht echter?
Und er weiß es nicht, warum.

Und er geht dorthin, wo viele sitzen,
weil er hofft, er würde dann wie sie.
Und sie freuen sich an tausend Witzen --
nur er selber lächelt nie.

Er beschließt, sich einmal zu vergeuden.
Doch da spürt er, angesichts der Stadt,
daß er mit der Freude und den Freuden
so etwas wie Mitleid hat.

Dieser falsche Hochmut drückt ihn nieder,
und er sagt zu seiner Seele: Prost!
Nicht mehr froh zu sein und noch nicht wieder,
dafür weiß er keinen Trost.

Schließlich springt er auf den Autobus
und fährt blindlings in die späte Nacht.
Und er ahnt, daß er noch warten muß,
bis er ganz von selber wieder lacht.

Trottoircafé bei Nacht

Hinter sieben Palmenbesen,
die der Wirt im Ausverkauf erstand,
sitzt man und kann seine Zeitung lesen,
und die Kellner lehnen an der Wand.

An den Garderobenständern
schaukeln Hüte, und der Abendwind
möchte sie in Obst verändern.
Aber Hüte bleiben, was sie sind.

Sterne machen Lichtreklame.
Leider weiß man nicht genau für wen.
Und die Nacht ist keine feine Dame,
sondern läßt uns ihr Gewölbe sehn.

In der renommierten Küche
brät der dicke Koch Filet und Fisch.
Und er liefert sämtliche Gerüche
seiner Küche gratis an den Tisch.

Wenn man jetzt in einer Wiese läge,
und ein Reh trat aus dem Wald,
seine erste Frage wäre diese:
"Kästner, pst! Wie hoch ist Ihr Gehalt?"

Also bleibt man traurig hocken
und hält Palmen quasi für Natur.
Fliegen setzen sich auf süße Brocken.
Und der Mond ist nur die Rathausuhr.

Sieben Palmen wedeln mit den Fächern,
denn auch ihnen wird es langsam heiß.
Und die Nacht sitzt dampfend auf den Dächern.
Und ein Gast bestellt Vanille-Eis.

Selbstmörder halten Asternbuketts

Wie oft man in der Zeitung liest,
daß der und der - weil er Geld unterschlug,
zur Flucht zu wenig, fürs Zuchthaus genug --
sich am Grabe der Mutter erschießt.

Die Selbstmörder sitzen am Elterngrab,
auf der kleinen, grünen Bank,
verstehen nicht mehr, wie sich alles begab,
und fühlen sich alt und krank.

Sie sagten, ehe sie gingen, zu Haus
(als jemand sie fragte, warum),
sie brächten nur rasch ein paar Blumen hinaus,
und nicht: sie brächten sich um.

Die Selbstmörder halten ein Asternbukett
und lesen den Text auf dem Stein:
"Hier ruht unsre gute Mutter, Frau Z.",
und denken, sie wird es verzeihn.

Am anderen Ende der Ahornallee
ist ein Begräbnis im Gang.
Sie sehen Zylinder und fremdes Weh
und hören Männergesang.

Die Selbstmörder lächeln die Mutter an,
die unter dem Rasen ruht.
Daß ein toter Mensch nicht mehr sehen kann,
finden die Selbstmörder gut.

Das Wetter ist mäßig. Der Himmel ist grau.
Sie haben vom Leben genug.
Sie beichten alles der toten Frau,
und das ist ein schöner Zug.

Sie haben Pistolen zu sich gesteckt,
weil sehr viel Schande droht.
Und ehe man noch ihre Schuld entdeckt,
schießen sie sich tot...

Wie oft man in der Zeitung liest,
daß der und der -- weil er Geld unterschlug
und seine Angst nicht länger ertrug --
sich am Grabe der Mutter erschießt.

Nächtliches Rezept für Städter

Man nehme irgendeinen Autobus.
Es kann nicht schaden, einmal umzusteigen.
Wohin, ist gleich. Das wird sich dann schon zeigen.
Doch man beachte, daß es Nacht sein muß.

In einer Gegend, die man niemals sah
(das ist entscheidend für dergleichen Fälle),
verlasse man den Autobus und stelle
sich in die Finsternis und warte da.

Man nehme allem, was zu sehn ist, Maß.
Den Toren, Giebeln, Bäumen und Balkonen,
den Häusern und den Menschen, die drin wohnen.
Und glaube nicht, man täte es zum Spaß.

Dann gehe man durch Straßen. Kreuz und quer.
Und folge keinem vorgefaßten Ziele.
Es gibt so viele Straßen, ach so viele!
Und hinter jeder Biegung sind es mehr.

Man nehme sich bei dem Spaziergang Zeit.
Er dient gewissermaßen höhern Zwecken.
Er soll das, was vergessen wurde, wecken.
Nach zirka einer Stunde ist's soweit.

Dann wird es sein, als liefe man ein Jahr
durch diese Straßen, die kein Ende nehmen.
Und man beginnt, sich seiner selbst zu schämen
und seines Herzens, das verfettet war.

Nun weiß man wieder, was man wissen muß,
statt daß man in Zufriedenheit erblindet:
daß man sich in der Minderheit befindet!
Dann nehme man den letzten Autobus,
bevor er in der Dunkelheit verschwindet...

Eine Frau spricht im Schlaf

Als er mitten in der Nacht erwachte,
schlug sein Herz, daß er davor erschrak.
Denn die Frau, die neben ihm lag, lachte,
daß es klang, als sei der Jüngste Tag.

Und er hörte ihre Stimme klagen.
Und er fühlte, daß sie trotzdem schlief.
Weil sie beide blind im Dunkeln lagen,
sah er nur die Worte, die sie rief.

"Warum tötest du mich denn nicht schneller?"
fragte sie und weinte wie ein Kind.
Und ihr Weinen drang aus jenem Keller,
wo die Träume eingemauert sind.

"Wieviel Jahre willst du mich noch hassen?"
rief sie aus und lag unheimlich still.
"Willst du mich nicht weiterleben lassen,
weil ich ohne dich nicht leben will?"

Ihre Fragen standen wie Gespenster,
die sich vor sich selber fürchten, da.
Und die Nacht war schwarz und ohne Fenster.
Und schien nicht zu wissen, was geschah.

Ihm (dem Mann im Bett) war nicht zum Lachen.
Träume sollen wahrheitsliebend sein...
Doch er sagte sich: "Was soll man machen!"
und beschloß, nachts nicht mehr aufzuwachen.
Daraufhin schlief er getröstet ein.

Lessing

Das, was er schrieb, war manchmal Dichtung,
doch um zu dichten schrieb er nie.
Es gab kein Ziel. Er fand die Richtung.
Er war ein Mann und kein Genie.

Er lebte in der Zeit der Zöpfe,
und er trug selber seinen Zopf.
Doch kamen seitdem viele Köpfe
und niemals wieder so ein Kopf.

Er war ein Mann, wie keiner wieder,
obwohl er keinen Säbel schwang.
Er schlug den Feind mit Worten nieder,
und keinen gab's, den er nicht zwang.

Er stand allein und kämpfte ehrlich
und schlug der Zeit die Fenster ein.
Nichts auf der Welt macht so gefährlich,
als tapfer und allein zu sein!

Mißtrauensvotum

Ihr sagt, ihr könntet in uns lesen.
Und nickt dazu. Und macht euch klein.
Ihr sagt, auch ihr wärt jung gewesen.
Es kann ja sein.

Ihr tragt Konfetti in den Bärten
und sagt, wir wären nicht allein.
Und fänden in euch Weggefährten.
Es kann ja sein.

Ihr hüpft wie Lämmer durch die Auen
und tanzt mit Kindern Ringelreihn.
Ihr sagt, wir dürften euch vertrauen.
Es kann ja sein.

Ihr mögt uns lieben oder hassen,
ihr treibt dergleichen nur aus Pflicht.
Wir sollen uns auf euch verlassen?
Ach, lieber nicht!

Herbst auf der ganzen Linie

Nun gibt der Herbst dem Wind die Sporen.
Die bunten Laubgardinen wehn.
Die Straßen ähneln Korridoren,
in denen Türen offenstehn.

Das Jahr vergeht in Monatsraten.
Es ist schon wieder fast vorbei.
Und was man tut, sind selten Taten.
Das, was man tut, ist Tuerei.

Es ist, als ob die Sonne scheine.
Sie läßt uns kalt. Sie scheint zum Schein.
Man nimmt den Magen an die Leine.
Er knurrt. Er will gefüttert sein.

Das Laub verschießt, wird immer gelber,
nimmt Abschied vom Geäst und sinkt.
Die Erde dreht sich um sich selber.
Man merkt es deutlich, wenn man trinkt.

Wird man denn wirklich nur geboren,
um wie die Jahre zu vergehn?
Die Straßen ähneln Korridoren,
in denen Türen offenstehn.

Die Stunden machen ihre Runde.
Wir folgen ihnen Schritt für Schritt.
Und gehen langsam vor die Hunde.
Man führt uns hin. Wir laufen mit.

Man grüßt die Welt mit kalten Mienen.
Das Lächeln ist nicht ernst gemeint.
Es wehen bunte Laubgardinen.
Nun regnet's gar. Der Himmel weint.

Man ist allein und wird es bleiben.
Ruth ist verreist, und der Verkehr
beschränkt sich bloß aufs Briefeschreiben.
Die Liebe ist schon lange her!

Das Spiel ist ganz und gar verloren.
Und dennoch wird es weitergehn.
Die Straßen ähneln Korridoren,
in denen Türen offenstehn.

Ein Pessimist, knapp ausgedrückt

Ein Pessimist ist, knapp ausgedrückt, ein Mann,
dem nichts recht ist.
Und insofern ist er verdrießlich.
Obwohl er sich, andrerseits, schließlich
(und wenn überhaupt) nur freuen kann,
gerade weil alles schlecht ist!

Einer von ihnen hat mir erklärt, wie das sei
und was ihn am meisten freute:
"Im schlimmsten Moment, der Geburt, sind die Leute
(hat er gesagt) schon dabei.
Doch gerade das schönste Erlebnis
erleben sie nie: ihr Begräbnis!"

Abschied in der Vorstadt

Wenn man fröstelnd unter der Laterne steht,
wo man tausend Male mit ihr stand...
Wenn sie ängstlich wie ein Kind ins Dunkel geht,
winkt man lautlos mit der Hand.

Denn man weiß: man winkt das letzte Mal.
Und an ihrem Gange sieht man, daß sie weint.
War die Straße stets so grau und stets so kahl?
Ach, es fehlt bloß, daß der Vollmond scheint.

Plötzlich denkt man an das Abendbrot
und empfindet dies als gänzlich deplaciert.
Ihre Mutter hat zwei Jahre lang gedroht.
Heute folgt sie nun. Und geht nach Haus. Und friert.

Lust und Trost und Lächeln trägt sie fort.
Und man will sie rufen! Und bleibt stumm.
Und sie geht und wartet auf ein Wort!
Und sie geht und dreht sich nie mehr um.

Atmosphärische Konflikte

Die Bäume schielen nach dem Wetter.
Sie prüfen es. Dann murmeln sie:
"Man weiß in diesem Jahre nie,
ob nun raus mit die Blätter
oder rin mit die Blätter
oder wie?"

Aus Wärme wurde wieder Kühle.
Die Oberkellner werden blaß
und fragen ohne Unterlaß:
"Also, raus mit die Stühle
oder rin mit die Stühle
oder was?"

Die Pärchen meiden nachts das Licht.
Sie hocken Probe auf den Bänken
in den Alleen, wobei sie denken:
"Raus mit die Gefühle
oder rin mit die Gefühle
oder nicht?"

Der Lenz geht diesmal auf die Nerven
und gar nicht, wie es heißt, ins Blut.
Wer liefert Sonne in Konserven?
Na, günstigen Falles
wird doch noch alles
gut.

Es ist schon warm. Wird es so bleiben?
Die Knospen springen im Galopp.
Und auch das Herz will Blüten treiben.
Drum, raus mit die Stühle
und rin mit die Gefühle,
als ob!

Der Kümmerer

Der Kümmerer ist zwar ein Mann,
doch seine Männlichkeit hält sich in Grenzen.
Er nimmt sich zwar der Frauen an,
doch andre Männer ziehn die Konsequenzen.

Der Kümmerer ist ein Subjekt,
das Frauen, wenn es sein muß, zwar bedichtet,
hingegen auf den Endeffekt
von vornherein und überhaupt verzichtet.

Er dient den Frauen ohne Lohn.
Er liebt die Frau en gros, er liebt summarisch,
Er liebt die Liebe mehr als die Person.
Er hebt, mit einem Worte, vegetarisch!

Er wiehert nicht. Er wird nicht wild.
Er hilft beim Einkauf, denn er ist ein Kenner.
Sein Blick macht aus der Frau ein Bild.
Die andren Blicke werfen andre Männer.

Die Kümmerer sind nicht ganz neu.
Auch von von Goethe wird uns das bekräftigt.
Sein Clärchen war dem Egmont treu,
doch der war meist mit Heldentum beschäftigt.

So kam Herr Brackenburg ins Haus,
vertrieb die Zeit und half beim Wäschelegen.
Am Abend warf sie ihn hinaus.
Wer Goethes Werke kennt, der weiß weswegen.

Die Kümmerer sind sehr begehrt,
weil sie bescheiden sind und nichts begehren.
Sie wollen keinen Gegenwert.
Sie wollen nichts als da sein und verehren.

Sie heben euch auf einen Sockel,
der euch zum Denkmal macht und förmlich weiht.
Dann blicken sie durch ihr Monokel
und wundern sich, daß ihr unnahbar seid.

Dann knien sie hin und beten an.
Ihr gähnt und haltet euch mit Mühe munter.
Zum Glück kommt dann und wann ein Mann
und holt euch von dem Sockel runter!

Klassenzusammenkunft

Sie trafen sich, wie ehemals,
im ersten Stock des Kneiplokals.
Und waren zehn Jahr älter.
Sie tranken Bier. (Und machten Hupp!)
Und wirkten wie ein Kegelklub.
Und nannten die Gehälter.

Sie saßen da, die Beine breit,
und sprachen von der Jugendzeit
wie Wilde vom Theater.
Sie hatten, wo man hinsah, Bauch.
Und Ehefrau'n hatten sie auch.
Und fünfe waren Vater.

Sie tranken rüstig Glas auf Glas
und hatten Köpfe bloß aus Spaß
und nur zum Hütetragen.
Sie waren laut und waren wohl
aus einem Guß, doch innen hohl,
und hatten nichts zu sagen.

Sie lobten schließlich haargenau
die Körperformen ihrer Frau,
den Busen und dergleichen.
Erst dreißig Jahr, und schon zu spät!
Sie saßen breit und aufgebläht
wie nicht ganz tote Leichen.

Da, gegen Schluß, erhob sich wer
und sagte kurzerhand, daß er
genug von ihnen hätte.
Er wünsche ihnen sehr viel Bart
und hundert Kinder ihrer Art
und gehe jetzt zu Bette. -

Den andern war es nicht ganz klar,
warum der Kerl gegangen war.
Sie strichen seinen Namen.
Und machten einen Ausflug aus.
Für Sonntag früh. Ins Jägerhaus.
Doch dieses Mal mit Damen.

Stiller Besuch

Jüngst war seine Mutter zu Besuch.
Doch sie konnte nur zwei Tage bleiben.
Und sie müsse Ansichtskarten schreiben.
Und er las in einem dicken Buch.

Freilich war er nicht sehr aufmerksam.
Er betrachtete die Autobusse
und die goldnen Pavillons am Flusse
und den Dampfer, der vorüberschwamm.

Seine Mutter hielt den Kopf gesenkt.
Und sie schrieb gerade an den Vater:
"Heute abend gehn wir ins Theater.
Erich kriegte zwei Billetts geschenkt."

Und er tat, als ob er fleißig las.
Doch er sah die Nähe und die Ferne,
sah den Himmel und zehntausend Sterne
und die alte Frau, die drunter saß.

Einsam saß sie neben ihrem Sohn.
Leise lächelnd. Ohne es zu wissen.
Stadt und Sterne wirkten wie Kulissen.
Und der Wirtshausstuhl war wie ein Thron.

Ihn ergriff das Bild. Er blickte fort.
Wenn sie mir schreibt, mußte er noch denken,
wird sie ihren Kopf genau so senken.
Und dann las er. Und verstand kein Wort.

Seine Mutter saß am Tisch und schrieb.
Ernsthaft rückte sie an ihrer Brille,
und die Feder kratzte in der Stille.
Und er dachte: Gott, hab ich sie lieb!

Rezitation bei Regenwetter

Der Regen regnet sich nicht satt.
Es regnet hoffnungslosen Zwirn.
Wer jetzt 'ne dünne Schädeldecke hat,
dem regnet's ins Gehirn.

Im Rachen juckt's. Im Rücken zerrt's.
Es blöken die Bakterienherden.
Der Regen reicht allmählich bis ans Herz.
Was soll bloß daraus werden?

Der Regen bohrt sich durch die Haut.
Und dieser Trübsinn, der uns beugt,
wird, wie so Manches, subkutan erzeugt.
Wir sind porös gebaut.

Seit Wochen rollen Wolkenfässer
von Horizont zu Horizont.
Der Neubau drüben mit der braunen Front
wird von dem Regen täglich blässer.
Nun ist er blond.

Die Sonne wurde eingemottet.
Es ist, als lebte sie nicht mehr.
Ach, die Alleen, durch die man traurig trottet,
sind kalt und leer.

Man kriecht ins Bett. Das ist gescheiter,
als daß man klein im Regen steht.
Das geht auf keinen Fall so weiter,
wenn das so weiter geht.

Kleine Sonntagspredigt

Jeden Sonntag hat man Kummer
und beträchtlichen Verdruß,
weil man an die Montagsnummer
seiner Zeitung denken muß.

Denn am Sonntag sind bestimmt
zwanzig Morde losgewesen!
Wer sich Zeit zum Lesen nimmt,
muß das montags alles lesen.

Eifersucht und Niedertracht
schweigen fast die ganze Woche.
Aber Sonntag früh bis nacht
machen sie direkt Epoche.

Sonst hat niemand Zeit dazu,
sich mit sowas zu befassen.
Aber sonntags hat man Ruh,
und man kann sich gehenlassen.

Endlich hat man einmal Zeit,
geht spazieren, steht herum,
sucht mit seiner Gattin Streit
und bringt sie und alle um.

Gibt es wirklich nichts Gescheitres,
als sich, gleich gemeinen Mördern,
mit den Seinen ohne weitres
in das Garnichts zu befördern?

Ach, die meisten Menschen sind
nicht geeignet, nichts zu machen!
Langeweile macht sie blind.
Dann passieren solche Sachen.

Lebten sie im Paradiese,
ohne Pflicht und Ziel und Not,
wär die erste Folge diese:
alle schlügen alle tot.

Die Fabel von Schnabels Gabel

Kannten Sie Christian Leberecht Schnabel?
Ich habe ihn gekannt.
Vor seiner Zeit gab es die vierzinkige,
die dreizinkige
und auch schon die zweizinkige Gabel.
Doch jener Christian Leberecht Schnabel,
das war der Mann,
der in schlaflosen Nächten die einzinkige Gabel
entdeckte, bzw. erfand.

Das Einfachste ist immer das Schwerste.
Die einzinkige Gabel
lag seit Jahrhunderten auf der Hand.
Aber Christian Leberecht Schnabel
war eben der Erste,
der die einzinkige Gabel erfand!

Die Menschen sind wie die Kinder.
Christian Leberecht Schnabel
teilte mit seiner Gabel
das Schicksal aller Entdecker, bzw. Erfinder.

Einzinkige Gabeln,
wurde Schnäbeln
erklärt,
seien nichts wert.

Sie entbehrten als Teil des Bestecks
jeden praktischen Zwecks,
und man könne, sagte man Schnäbeln,
mit seiner Gabel nicht gabeln.

Die Menschen glaubten tatsächlich, daß Schnabel
etwas Konkretes bezweckte,
als er die einzinkige Gabel
erfand, bzw. entdeckte!
Ha!

Ihm ging es um nichts Reelles.
(Und deshalb ging es ihm schlecht.)
Ihm ging es um Prinzipielles!
Und insofern hatte Schnabel
mit der von ihm erfundenen Gabel
natürlich recht.

Modernes Märchen

Sie waren so sehr ineinander verliebt,
wie es das nur noch in Büchern gibt.
Sie hatte kein Geld. Und er hatte keins.
Da machten sie Hochzeit und lachten sich eins.

Er war ohne Amt. So blieben sie arm.
Und speisten zweimal in der Woche warm.
Er nannte sie trotzdem: "Mein Schmetterling."
Sie schenkte ihm Kinder, so oft es nur ging.

Sie wohnten möbliert und waren nie krank.
Die Kinder schliefen im Kleiderschrank.
Zu Weihnachten malten sie kurzerhand
Geschenke mit Buntstiften an die Wand.

Und aßen Brot, als wär's Konfekt,
und spielten: Wie Gänsebraten schmeckt.
Dergleichen stärkt wohl die Phantasie.
Drum wurde der Mann, blitzblatz! ein Genie.

Schrieb schöne Romane. Verdiente viel Geld
und wurde der reichste Mann auf der Welt.
Erst waren sie stolz. Doch dann tat's ihnen leid,
denn der Reichtum schadet der Heiterkeit.

Sie schenkten das Geld einem Waisenkind.
Und wenn sie nicht gestorben sind...

Die Großeltern haben Besuch

Für seine Kinder hat man keine Zeit.
(Man darf erst sitzen, wenn man nicht mehr gehn kann.)
Erst bei den Enkeln ist man dann soweit,
daß man die Kinder ungefähr verstehn kann.

Spielt hübsch mit Sand und backt auch Sandgebäck!
Ihr seid so fern und trotzdem in der Nähe,
als ob man über einen Abgrund weg
in einen fremden bunten Garten sähe.

Spielt brav mit Sand und baut euch Illusionen!
Ihr und wir Alten wissen ja Bescheid:
Man darf sie bauen, aber nicht drin wohnen.
Ach, bleibt so klug, wenn ihr erwachsen seid!

Wir möchten euch auch später noch beschützen.
Denn da ist vieles, was euch dann bedroht.
Doch unser Wunsch wird uns und euch nichts nützen.
Wenn ihr erwachsen seid, dann sind wir tot.

Ein Kubikkilometer genügt

Ein Mathematiker hat behauptet,
daß es allmählich an der Zeit sei,
eine stabile Kiste zu bauen,
die tausend Meter lang, hoch und breit sei.

In diesem einen Kubikkilometer
hätten, schrieb er im wichtigsten Satz,
sämtliche heute lebenden Menschen
(das sind zirka zwei Milliarden) Platz!

Man könnte also die ganze Menschheit
in eine Kiste steigen heißen
und diese, vielleicht in den Kordilleren,
in einen der tiefsten Abgründe schmeißen.

Da lägen wir dann, fast unbemerkbar,
als würfelförmiges Paket.
Und Gras könnte über die Menschheit wachsen.
Und Sand würde daraufgeweht.

Kreischend zögen die Geier Kreise.
Die riesigen Städte stünden leer.
Die Menschheit läge in den Kordilleren.
Das wüßte dann aber keiner mehr.


1936