ERICH KÄSTNER


Erich Kästner. Doktor Erich Kästners
Lyrische Hausapotheke

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В кн.: "Erich Kästner. Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke".
Atrium Verlag, Zürich. Printed in Germany 2001. OCR & spellcheck by
Pashka-Nemets, 7 February 2003 -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
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Eisenbahnfahrt

Die Welt ist rund. Man geht auf Reisen,
damit sich die Nervosität verliert.
Und Bauern stehen an den Gleisen,
als würden sie fotografiert.

Man sieht ein Schloß und spiegelglatte
Gewässer und ein rotes Feld mit Mohn.
Die Landschaft kreist wie eine Platte
auf Gottes großem Grammophon.

Der Schnellzug rast und will nicht rasten.
Die Hühner nicken längs der Bahn.
Vorm Fenster wehen Telegraphenmasten
wie Maiglöckchen aus Porzellan.

Die Drähte fallen tief und steigen.
Die Masten gehen manchmal in die Knie.
Es ist, als ob sie sich vor uns verneigen.
Uns wird so eigen!
Wir ziehn den Hut und grüßen sie
und schweigen.

Hotelsolo für eine Männerstimme

Das ist mein Zimmer und ist doch nicht meines.
Zwei Betten stehen Hand in Hand darin.
Zwei Betten sind es. Doch ich brauch nur eines.
Weil ich schon wieder mal alleine bin.

Der Koffer gähnt. Auch mir ist müd zumute.
Du fuhrst zu einem ziemlich andren Mann.
Ich kenn ihn gut. Ich wünsch dir alles Gute.
Ich wünsche fast, du kämest niemals an.

Ich hätte dich nicht gehen lassen sollen!
(Nicht meinetwegen. Ich bin gern allein.)
Und doch: Wenn Frauen Fehler machen wollen,
dann soll man ihnen nicht im Wege sein.

Die Welt ist groß. Du wirst dich drin verlaufen.
Wenn du dich nur nicht allzuweit verirrst...
Ich aber werd mich heute nacht besaufen
und bißchen beten, daß du glücklich wirst.

Mut zur Trauer

Sei traurig, wenn du traurig bist,
und steh nicht stets vor deiner Seele Posten!
Den Kopf, der dir ans Herz gewachsen ist,
wird's schon nicht kosten.

Zur Fotografie eines Konfirmanden

Da steht er nun, als Mann verkleidet,
und kommt sich nicht geheuer vor.
Fast sieht er aus, als ob er leidet.
Er ahnt vielleicht, was er verlor.

Er trägt die erste lange Hose.
Er spürt das erste steife Hemd.
Er macht die erste steife Pose.
Zum ersten Mal ist er sich fremd.

Er hört sein Herz mit Hämmern pochen.
Er steht und fühlt, daß gar nichts sitzt.
Die Zukunft hegt ihm in den Knochen.
Er sieht so aus, als hätt's geblitzt.

Womöglich kann man noch genauer
erklären, was den Jungen quält:
Die Kindheit starb; nun trägt er Trauer
und hat den Anzug schwarz gewählt.

Er steht dazwischen und daneben.
Er ist nicht groß. Er ist nicht klein.
Was nun beginnt, nennt man das Leben.
Und morgen früh tritt er hinein.

Keiner blickt dir hinter das Gesicht

(Fassung für Kleinmütige)

Niemand weiß, wie reich du bist...
Freilich mein ich keine Wertpapiere,
keine Villen, Autos und Klaviere,
und was sonst sehr teuer ist,
wenn ich hier vom Reichtum referiere.

Nicht den Reichtum, den man sieht
und versteuert, will ich jetzt empfehlen.
Es gibt Werte, die kann keiner zählen,
selbst, wenn er die Wurzel zieht.
Und kein Dieb kann diesen Reichtum stehlen.

Die Geduld ist so ein Schatz,
oder der Humor, und auch die Güte,
und das ganze übrige Gemüte.
Denn im Herzen ist viel Platz.
Und es ist wie eine Wundertüte.

Arm ist nur, wer ganz vergißt,
welchen Reichtum das Gefühl verspricht.
Keiner blickt dir hinter das Gesicht.
Keiner weiß, wie reich du bist...
(Und du weißt es manchmal selber nicht.)

Keiner blickt dir hinter das Gesicht

(Fassung für Beherzte)

Niemand weiß, wie arm du bist...
Deine Nachbarn haben selbst zu klagen.
Und sie haben keine Zeit zu fragen,
wie denn dir zumute ist.
Außerdem, -- würdest du es ihnen sagen?

Lächelnd legst du Leid und Last,
um sie nicht zu sehen, auf den Rücken.
Doch sie drücken, und du mußt dich bücken,
bis du ausgelächelt hast.
Und das Beste wären ein Paar Krücken.

Manchmal schaut dich einer an,
bis du glaubst, daß er dich trösten werde.
Doch dann senkt er seinen Kopf zur Erde,
weil er dich nicht trösten kann.
Und läuft weiter mit der großen Herde.

Sei trotzdem kein Pessimist,
sondern lächle, wenn man mit dir spricht.
Keiner blickt dir hinter das Gesicht.
Keiner weiß, wie arm du bist...
(Und zum Glück weißt du es selber nicht.)

Der Streber

Vom frühen bis ins späte Alter,
mit Mordsgeduld und Schenkelschluß,
rankt er sich hoch am Federhalter
und klettert, weil er sonst nichts muß.
Die Ahnen kletterten im Urwald.
Er ist der Affe im Kulturwald.

Alte Frau auf dem Friedhof

Sie scheint auf den Tod zu warten.
Täglich kommt sie hierher
und sitzt bis zum Abend im Garten,
als ob sie zu Hause wär.

Sie kennt alle Leichensteine.
Sie kennt jeden Gitterstab.
Und sie hockt bis zum Abend alleine
an ihrem eigenen Grab.

Dunkle Choräle verwehen.
Weinende Menschen stehn
vor frischen Gräbern und gehen
ergriffen durch graue Alleen.

Die Alte sitzt unbeweglich.
Sie ist nicht schlimm und nicht fromm.
Sie hockt und schweigt, und täglich
betet sie: "Tod, nun komm!"

Repetition des Gefühls

Eines Tages war sie wieder da...
Und sie fände ihn bedeutend blässer.
Als er dann zu ihr hinübersah,
meinte sie, ihr gehe es nicht besser.

Morgen abend wolle sie schon weiter.
Nach dem Allgäu oder nach Tirol.
Anfangs war sie unaufhörlich heiter.
Später sagte sie, ihr sei nicht wohl.

Und er strich ihr müde durch die Haare.
Endlich fragte er dezent: "Du weinst?"
und sie dachten an vergangne Jahre.
Und so wurde es zum Schluß wie einst.

Als sie an dem nächsten Tag erwachten,
waren sie einander fremd wie nie.
Und so oft sie sprachen oder lachten,
logen sie.

Gegen Abend mußte sie dann reisen.
Und sie winkten. Doch sie winkten nur.
Denn die Herzen lagen auf den Gleisen,
über die der Zug ins Allgäu fuhr.

Bilanz per Zufall

Er hatte Geld. Und trank und aß
in dem Hotel, in dem er saß,
vom Teuersten und Besten.
Er war vergnügt und trank und aß
und winkte mit erhobnem Glas
den Kellnern und den Gästen.

Der Blumenfrau, die bei ihm stand,
nahm er die Blumen aus der Hand
und zahlte mit zwei Scheinen.
Die Rosen waren rot und kühl.
Er gab ihr dreißig Mark zuviel.
Da fing sie an zu weinen.

Die Hauskapelle, sechs Mann stark,
erhielt von ihm zweihundert Mark.
Sie konnte kaum noch spielen.
Er gab den Boys und Pikkolos,
den Fräuleins und den Gigolos.
Er gab, ohne zu zielen.

Die Rechnung sah er gar nicht an.
Er warf paar Scheine hin,
und dann verließ er jene Halle.
Bewundernd gingen Schritt um Schritt,
die Tänzer, Boys und Kellner mit.
So liebten sie ihn alle!

Er freute sich und sprach: "Schon gut",
und nahm den Mantel und den Hut.
Da rief die Garderobiere:
"Ich kriege dreißig Pfennig für
die Kleideraufbewahrung hier!
Nicht zahlen, wie? Das wäre!"

Da blieb er stehn. Da lachte er
und suchte Geld und fand keins mehr.
Und konnte ihr nichts geben.
Die Blumenfrau, die Gigolos,
die Kellner, Boys und Pikkolos,
die standen fremd daneben.

Er blickte sich, fast bittend, um.
Die ändern standen steif und stumm,
als sei er nicht mehr da.
Da zog er schnell den Mantel aus,
gab ihn der Frau, trat aus dem Haus
und dachte nur: "Na ja."

Das ist das Verhängnis

Das ist das Verhängnis:
zwischen Empfängnis
und Leichenbegängnis
nichts als Bedrängnis.

Begegnung mit einem Trockenplatz

Wie sehr sich solche Plätze gleichen.
Wie eng verwandt sie miteinander sind.
Gestänge, Stricke, Wäsche, Klammern, Wind
und sieben Büschel Gras zum Bleichen,
bei diesem Anblick wird man wieder Kind.

Wie gern ich mich daran erinnern lasse.
Ich schob den Wagen. Und die Mutter zog.
Ich knurrte, weil die Wäsche so viel wog.
Wie hieß doch jene schmale Gasse,
die dicht vorm Bahnhof in die Gärten bog?

Dort war die Wiese, die ich meine,
dort setzten wir den Korb auf eine Bank
und hängten unsern ganzen Wäscheschrank
auf eine kreuz und quer gezogne Leine.
Und Wind und Wäsche führten Zank.

Ich saß im Gras. Die Mutter ging nach Hause.
Die Wäsche wogte wie ein weißes Zelt.
Dann kam die Mutter mit Kaffee und Geld.
Ich kaufte Kuchen für die Mittagspause
in dieser fast geheimnisvollen Welt.

Die Hemden zuckten hin und her,
als wollten sie herab und mit uns essen.
Die Sonne schien. Die Strümpfe hingen schwer.
Oh, ich erinnere mich an alles sehr
genau und will es nie vergessen.

Traum vom Gesichtertausch

Als ich träumte, was ich jetzt erzähle,
drängten Tausende durch jenes Haus.
Und als ob es irgendwer befehle
und das eigne Antlitz jeden quäle,
zogen alle die Gesichter aus.

Wie beim Umzug Bilder von den Wänden
nahmen wir uns die Gesichter fort.
Und dann hielten wir sie in den Händen,
wie man Masken hält, wenn Feste enden.
Aber festlich war er nicht, der Ort.

Ohne Mund und Augen, kahl wie Schatten,
griffen alle nach des Nachbarn Hand,
bis sie wiederum Gesichter hatten.
Schnell und schweigend ging der Tausch vonstatten.
Jeder nahm, was er beim ändern fand.

Männer hatten plötzlich Kindermienen.
Frauen trugen Bärte im Gesicht.
Greise lächelten wie Konkubinen.
Und dann stürzten alle, ich mit ihnen,
vor den Spiegel, doch ich sah mich nicht.

Immer wilder wurde das Gedränge.
Einer hatte sein Gesicht entdeckt!
Rufend zwängte er sich durch die Menge.
Und er trieb sein Antlitz in die Enge.
Doch er fand es nicht. Es blieb versteckt.

War ich jenes Kind mit langen Zöpfen?
War ich dort die Frau mit rotem Haar?
War ich einer von den kahlen Köpfen?
Unter den verwechselten Geschöpfen
sah ich keines, das ich selber war.

Da erwachte ich vor Schreck. Mich fror.
Irgendeiner riß mich an den Haaren.
Finger zerrten mich an Mund und Ohr.
Ich begriff, als sich die Angst verlor,
daß es meine eigenen Hände waren.

Ganz beruhigt war ich freilich nicht.
Trug ich Mienen, die mich nicht betrafen?
Hastig sprang ich auf und machte Licht,
lief zum Spiegel, sah mir ins Gesicht,
löschte aus und ging beruhigt schlafen.

Moral

Es gibt nichts Gutes,
außer: man tut es!

Der Weihnachtsabend des Kellners

Aller Welt dreht er den Rücken,
und sein Blick geht zu Protest.
Und dann murmelt er beim Bücken:
"Ach, du liebes Weihnachtsfest!"

Im Lokal sind nur zwei Kunden.
(Fröhlich sehn die auch nicht aus.)
Und der Kellner zählt die Stunden.
Doch er darf noch nicht nach Haus.

Denn vielleicht kommt doch noch einer,
welcher keinen Christbaum hat,
und allein ist wie sonst keiner
in der feierlichen Stadt. --

Dann schon lieber Kellner bleiben
und zur Nacht nach Hause gehn,
als jetzt durch die Straßen treiben
und vor fremden Fenstern stehn!

Entwicklung der Menschheit

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur 30. Etage.

Da saßen sie nun den Flöhen entflohn
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telephon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall m Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie lagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil m den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrig läßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet, sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.

Sozusagen in der Fremde

Er saß in der großen Stadt Berlin
an einem kleinen Tisch.
Die Stadt war groß, auch ohne ihn.
Er war nicht nötig, wie es schien.
Und rund um ihn war Plüsch.

Die Leute saßen zum Greifen nah,
und er war doch allein.
Und in dem Spiegel, in den er sah,
saßen sie alle noch einmal da,
als müßte das so sein.

Der Saal war blaß vor lauter Licht.
Es roch nach Parfüm und Gebäck.
Er blickte ernst von Gesicht zu Gesicht.
Was er sah, gefiel ihm nicht.
Er schaute traurig weg.

Er strich das weiße Tischtuch glatt.
Und blickte in das Glas.
Fast hatte er das Leben satt.
Was wollte er in dieser Stadt,
in der er einsam saß?

Da stand er, in der Stadt Berlin,
auf von dem kleinen Tisch!
Keiner der Menschen kannte ihn.
Da fing er an, den Hut zu ziehn...
Not macht erfinderisch.

An ein Scheusal im Abendkleid

Ich muß mich stets vor Ihnen bücken.
Und trotzdem kennen wir uns nicht.
Ich bück mich auch gar nicht vor Ihrem Gesicht,
sondern vor Ihrem Rücken.

Die Knochen und die Rippen ragen,
ganz nackt und manchmal ohne Haut,
so spitz heraus, daß es mir graut,
die Augen davor aufzuschlagen.

Hört Ihr Gerüst denn niemals auf?
Und ohne Kleid! Die ganze Strecke!
Tief unten biegt es endlich um die Ecke.
Und welches Glück: Sie sitzen drauf.

Sie sollten sich ein Jäckchen leisten.
Sie sind ein Scheusal. Auch von vorn.
Gott schlug Sie hart in seinem Zorn.
Doch hinten schlug er Sie am meisten.

Wer Ihre grünen Locken sieht,
ist sich auch ohnedies im klaren:
Sie stehen in den besten Rückgangsjahren
und haben nachts vergeblich Appetit.

Ich bitte Sie, mir zu verzeihen.
Man wird nicht schöner, wenn man älter wird.
Wer andrer Ansicht ist, der irrt.
Doch Sie war'n sicher schon als Kind zum Speien.

Zieh dir was an, du alte Gans!
Der ganze Saal sitzt voller Klimakterien.
Und sowas gibt's! Und sowas nennt sich: Ferien
eines noch ziemlich jungen Manns.

Warnung vor Selbstmord

Diesen Rat will ich dir geben:
Wenn du zur Pistole greifst
und den Kopf hinhältst und kneifst,
kannst du was von mir erleben.

Weißt wohl wieder mal geläufig,
was die Professoren lehren?
Daß die Guten selten wären
und die Schweinehunde häufig?

Ist die Walze wieder dran,
daß es Arme gibt und Reiche?
Mensch, ich böte deiner Leiche
noch im Sarge Prügel an!

Laß doch deine Neuigkeiten!
Laß doch diesen alten Mist!
Daß die Welt zum Schießen ist,
wird kein Konfirmand bestreiten.

War dein Plan nicht: irgendwie
alle Menschen gut zu machen?
Morgen wirst du drüber lachen.
Aber, bessern kann man sie.

Ja, die Bösen und Beschränkte
sind die Meisten und die Stärkern.
Aber spiel nicht den Gekränkten.
Bleib am Leben, sie zu ärgern!

Sport

Meldung vom Wettlauf durch die Lübecker Schweiz:
"Die Läufer trainieren täglich zehn Stunden.
Sie brauchen für 100 Meter zirka minus 14 Sekunden.
Die Spitzengruppe ist heute morgen bereits
im Jahre 1919 verschwunden!"

Er weiß nicht, ob er sie liebt

Soll man sein Herz bestürmen: "Herz, sprich lauter!"
da es auf einmal leise mit uns spricht?
Einst sprach es laut zu uns. Das klang vertrauter.
Nun flüstert's nur. Und man versteht es nicht.

Was will das Herz? Man denkt: wenn es das wüßte,
dann wär es laut, damit man es versteht.
Dann riefe es, bis man ihm folgen müßte!
Was will das Herz, daß es so leise geht?

Das Allerschönste, was sich Kinder wünschen,
das wagt sich kaum aus ihrem Mund hervor.
Das Allerschönste, was sich Kinder wünschen,
das flüstern sie der Mutter bloß ins Ohr.

Ist so das Herz, daß es sich schämt zu rufen?
Will es das Schönste haben? Ruft es Nein?
Man soll den Mächten, die das Herz erschufen,
nicht dankbar sein.

Hinweis auf die Hände einer Waschfrau

Es gibt berühmtere Hände,
und schönere gibt's auch.
Die Hände, die Sie hier sehen,
sind für den Hausgebrauch.

Sie kennen nicht Lack noch Feile.
Sie spielten noch nie Klavier.
Sie sind nicht zum Vergnügen,
sondern zum Waschen hier.

Sie waschen nicht nur einander,
sie waschen mit großem Fleiß
die Wäsche, die andere trugen,
mühselig wieder weiß.

Sie duften nicht nach Lavendel,
sondern nach Lauge und Chlor.
Sie wringen und rumpeln und schuften
und fürchten sich nicht davor.

Sie wurden rot und rissig.
Sie wurden fühllos und rauh.
Und wenn sie jemanden streicheln,
streicheln sie ungenau.

Es gibt berühmtere Hände,
und schönere gibt's auch.
Die Hände, die Sie hier sehen,
sind nur für den Hausgebrauch.

Wälder schweigen

Die Jahreszeiten wandern durch die Wälder.
Man sieht es nicht. Man liest es nur im Blatt.
Die Jahreszeiten strolchen durch die Felder.
Man zählt die Tage. Und man zählt die Gelder.
Man sehnt sich fort aus dem Geschrei der Stadt.

Das Dächermeer schlägt ziegelrote Wellen.
Die Luft ist dick und wie aus grauem Tuch.
Man träumt von Ackern und von Pferdeställen.
Man träumt von grünen Teichen und Forellen.
Und möchte in die Stille zu Besuch.

Die Seele wird vom Pflastertreten krumm.
Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden
und tauscht bei ihnen seine Seele um.
Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm.
Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.

Man flieht aus den Büros und den Fabriken.
Wohin, ist gleich! Die Erde ist ja rund!
Dort, wo die Gräser wie Bekannte nicken
und wo die Spinnen seidne Strümpfe stricken,
wird man gesund.

Tagebuch eines Herzkranken

Der erste Doktor sagte:
"Ihr Herz ist nach links erweitert."
Der zweite Doktor klagte:
"Ihr Herz ist nach rechts verbreitert."
Der dritte machte ein ernstes Gesicht
und sprach: "Herzerweiterung haben Sie nicht."
Na ja.

Der vierte Doktor klagte:
"Die Herzklappen sind auf dem Hund."
Der fünfte Doktor sagte:
"Die Klappen sind völlig gesund."
Der sechste machte die Augen groß
und sprach: "Sie leiden an Herzspitzenstoß."
Na ja.

Der siebente Doktor klagte:
"Die Herzkonfiguration ist mitral."
Der achte Doktor sagte:
"Ihr Röntgenbild ist durchaus normal."
Der neunte Doktor staunte und sprach:
"Ihr Herz geht dreiviertel Stunden nach."
Na ja.

Was nun der zehnte Doktor spricht,
das kann ich leider nicht sagen,
denn bei dem zehnten, da war ich noch nicht.
Ich werde ihn nächstens fragen.
Neun Diagnosen sind vielleicht schlecht,
aber die zehnte hat sicher recht.
Na ja.

Stehgeigers Leiden

Ach, wie gern lag ich in meinem Bette!
Nacht für Nacht schläft Hildegard allein.
Wenn mein Fiedelbogen Zähne hätte,
sägte ich die Geige kurz und klein.

Keinen Abend weiß ich, was sie treibt.
Jeden Abend steh ich hier und spiele.
Ob sie, wie sie sagt, zu Hause bleibt?
Schlechte Frauen gibt es ziemlich viele.

Gräßlich haut der Krause aufs Klavier.
Wie sie staunten, wenn ich plötzlich ginge!
Keine Angst, Herr Wirt, ich bleibe hier,
geige mir den Buckel schief und singe:

"Die deutschen Mädchen sind die schönsten.
Hipp hipp hurra, hipp hipp hurra!
Denn bei den blonden deutschen Mädchen
ist alles da, ist alles da!"

Ich trau ihr nicht. Sie lügt. Ich habe Proben.
Ach, wenn sie lügt, sieht sie so ehrlich aus.
Wie im Gefängnis stehe ich hier oben.
Ich muß verdienen und darf nicht nach Haus.

Eines Tages pack ich meine Geige,
denn sie ist mein einziges Gepäck.
Krause spielt Klavier. Ich aber steige
schnell vom Podium und laufe weg.

Und die Gäste und der Wirt und Krause
werden schweigen, bis ich draußen bin.
Und dann seh ich: Sie ist nicht zu Hause!
Und wo gehe ich dann hin?

Hamlets Geist

Gustav Renner war bestimmt die beste
Kraft im Toggenburger Stadttheater.
Alle kannten seine weiße Weste.
Alle kannten ihn als Heldenvater.

Alle lobten ihn, sogar die Kenner.
Und die Damen fanden ihn sogar noch schlank.
Schade war nur, daß sich Gustav Renner,
wenn er Geld besaß, enorm betrank.

Eines Abends, als man "Hamlet" gab,
spielte er den Geist von Hamlets Vater.
Ach, er kam betrunken aus dem Grab!
Und was man nur Dummes tun kann, tat er.

Hamlet war aufs äußerste bestürzt.
Denn der Geist fiel gänzlich aus der Rolle.
Und die Szene wurde abgekürzt.
Renner fragte, was man von ihm wolle.

Man versuchte hinter den Kulissen
ihn von seinem Rausche zu befrein,
legte ihn langhin und gab ihm Kissen.
Und dabei schlief Gustav Renner ein.

Die Kollegen spielten nun exakt,
weil er schlief und sie nicht länger störte.
Doch er kam! Und zwar im nächsten Akt,
wo er absolut nicht hingehörte!

Seiner Gattin trat er auf den Fuß.
Seinem Sohn zerbrach er das Florett.
Und er tanzte mit Ophelia Blues.
Und den König schmiß er ins Parkett.

Alle zitterten und rissen aus.
Doch dem Publikum war das egal.
So etwas von donnerndem Applaus
gab's in Toggenburg zum ersten Mal.

Und die meisten Toggenburger fanden:
Endlich hätten sie das Stück verstanden.

Sentimentale Reise

O verflucht, ist man alleine!
Was man hört und sieht, ist fremd.
Und im Stiefel hat man Steine.
Und schon spürt man eine kleine
Sehnsucht unterm Oberhemd.

Man betrachtet, was Ihr rietet,
und fährt hoch und rund und weit.
Man bewundert, was sich bietet.
Doch das Herz ist ja vermietet.
Man vertreibt sich nur die Zeit.

Wenn doch endlich Einer grüßte!
Wenn Ihr kämt und nicht nur schriebt!
Doch man steht wie in der Wüste
und begafft die Bronzebüste
eines Gottes, den's nicht gibt.

Wer es wünscht, kann selbstverständlich
auch ganz andre Büsten sehn.
(Gegen Eintritt, nein wie schändlich!)
Man denkt nach. Und läßt es endlich,
wie so vieles, ungeschehn.

Ja, die Welt ist wie ein Garten.
Und man wartet wie bestellt.
Doch da kann man lange warten.
Und dann schreibt man Ansichtskarten,
Daß es Einem sehr gefällt.

Nachts steckt man durchs Fenster seinen
Kopf und senkt ihn wie ein Narr.
Und man hört die Katzen weinen.
Und am Morgen hat man einen
schönen Bronchialkatarrh.

Ganz besonders feine Damen

Sie tragen die Büsten und Nasen
im gleichen Schritt und Tritt
und gehen so zart durch die Straßen,
als wären sie aus Biskuit.
Mit ihnen ist nicht zu spaßen.
Es ist, als trügen sie Vasen
und wüßten nur nicht, womit.

Sie scheinen sich stündlich zu baden
und sind nicht dünn und nicht dick.
Sie haben Beton in den Waden
und Halbgefrorenes im Blick.
Man hält sie für Feen auf Reisen,
doch kann man es nicht beweisen.
Der Gatte hat eine Fabrik.

Sie laufen auf heimlichen Schienen.
Man weicht ihnen besser aus.
Sie stecken die steifsten Mienen
wie Fahnenstangen heraus.
Man kann es ganz einfach nicht fassen,
daß sie sich beißen lassen,
in und außer dem Haus.

Man könnte sich denken, sie stiegen
mit Hüten und Mänteln ins Bett.
Und stünden im Schlaf, statt zu liegen.
Und schämten sich auf dem Klosett.
Man könnte sich denken, sie ließen
die Männer alle erschießen
und kniffen sie noch ins Skelett.

So schweben sie zwischen den Leuten
wie Königinnen nach Maß.
Doch hat das nichts zu bedeuten.
Sie sind ja gar nicht aus Glas!
Man kann sie, wie andere Frauen,
verführen, verstehn und verhauen.
Denn: fein sind sie nur zum Spaß.

Umzug der Klubsessel

Einen Tafelwagen traf ich heute,
und er war mit Möbeln vollgestellt.
Die Besitzer schienen solche Leute,
denen nur das Teuerste gefällt.

Schwere Gäule zogen schwere Stühle,
Tisch und Schränke, und der Kutscher pfiff.
Und der Wagen kroch durch das Gewühle
wie ein altes, havariertes Schiff.

In zwei Ledersesseln, auf dem Karren,
saßen zwei sehr müde Möbelräumer.
In den Händen hielten sie Zigarren,
und die Köpfe hielten sie wie Träumer.

Sicher träumten sie, sie wären Grafen,
und sie führen zum Vergnügen aus ...
Doch da hielt der Wagen, und die braven
alten Herrn bugsierten wie die Sklaven
fremde Möbel in ein fremdes Haus.

Warnung

Ein Mensch, der Ideale hat,
der hüte sich, sie zu erreichen!
Sonst wird er eines Tags anstatt
sich selber andren Menschen gleichen.

Des Vetters Eckfenster
(E. T. A. H off man gewidmet)

Er sitzt im Erker hoch im Haus
und weiß nicht, wem er gleicht.
Er wollte nicht so hoch hinaus
und hat es doch erreicht.

Er glaubt an keine Wiederkehr.
(Auch nicht als Schmetterling.)
Sein Haus hat keine Türen mehr,
seit er nach oben ging.

Er liebt das späte Abendrot,
das hinterm Kirchturm brennt.
Er liebt das Leben und den Tod
und das, was beide trennt.

Das Fenster zeigt ihm Bild auf Bild
und rahmt die Bilder ein.
Er sitzt davor und lächelt mild
und mag nicht traurig sein.

Er lächelt, weil ihr glücklich seid.
Nur manchmal flüstert er:
"Ach, mündet dieser Strom der Zeit
denn nirgendwo ins Meer?"

Er hat dem Schicksal längst verziehn,
obwohl es ihn vergaß,
beneidet ihn! Verachtet ihn!
Das ist für ihn kein Maß.

Der gefundene Groschen

Ich mach mich vor dem Groschen klein
und nehm ihn in die Hand.
Ach, wär es doch ein Zehnmarkschein!
Geld hat keinen Verstand.

Es leben Leute, die werfen ihr Geld,
sagt man, zum Fenster hinaus.
Ich wüßte gern, wohin es fällt,
und blicke vor jedes Haus.

Das Geld, das aus den Fenstern fliegt,
wer weiß, wohin's gerät!
Das Geld, das auf der Straße liegt,
ist ziemlich dünn gesät.

Ich bücke mich, so tief ich kann.
Mein Kind, mir ist dabei,
als bete ich den Groschen an.
Deine Eltern sind arm. Verzeih!

Moderne Kunstausstellung

Die Leute stehen in Sälen herum.
Sie finden das ungewöhnlich?
Das ist ja gar kein Publikum!
Das sind die Maler persönlich.

Das Altersheim

Das ist ein Pensionat für Greise.
Hier hat man Zeit.
Die Endstation der Lebensreise
ist nicht mehr weit.

Gestern trug man Kinderschuhe.
Heute sitzt man hier vorm Haus.
Morgen fährt man zur ewigen Ruhe
ins Jenseits hinaus.

Ach, so ein Leben ist rasch vergangen,
wie lange es auch sei.
Hat es nicht eben erst angefangen?
Schon ist's vorbei.

Die sich hier zur Ruhe setzten,
wissen vor allem das Eine:
Das ist die letzte Station vor der letzten.
Dazwischen liegt keine.

Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken. --
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

Jardin du Luxembourg

Dieser Park liegt dicht beim Paradies.
Und die Blumen blühn, als wüßten sie's.
Kleine Knaben treiben große Reifen.
Kleine Mädchen tragen große Schleifen.
Was sie rufen, läßt sich schwer begreifen.
Denn die Stadt ist fremd. Und heißt Paris.

Alle Leute, auch die ernsten Herrn,
spüren hier: Die Erde ist ein Stern.
Und die Kinder haben hübsche Namen
und sind fast so schön wie auf Reklamen.
Selbst die Steinfiguren, meistens Damen,
lächelten (wenn sie nur dürften) gern.

Lärm und Jubel weht an uns vorbei.
Wie Musik. Und ist doch nur Geschrei.
Bälle hüpfen fort, weil sie erschrecken.
Ein fideles Hündchen läßt sich necken.
Kleine Neger müssen sich verstecken,
und die andern sind die Polizei.

Mütter lesen. Oder träumen sie?
Und sie fahren hoch, wenn jemand schrie.
Schlanke Fräuleins kommen auf den Wegen
und sind jung und blicken sehr verlegen
und benommen auf den Kindersegen.
Und dann fürchten sie sich irgendwie.

Traurigkeit, die jeder kennt

Man weiß von vornherein, wie es verläuft.
Vor morgen früh wird man bestimmt nicht munter.
Und wenn man sich auch noch so sehr besäuft,
die Bitterkeit, die spült man nicht hinunter.

Die Trauer kommt und geht ganz ohne Grund.
Und man ist angefüllt mit nichts als Leere.
Man ist nicht krank. Und ist auch nicht gesund.
Es ist, als ob die Seele unwohl wäre.

Man will allein sein. Und auch wieder nicht.
Man hebt die Hand und möchte sich verprügeln.
Vorm Spiegel denkt man: "Das ist dein Gesicht?"
Ach, solche Falten kann kein Schneider bügeln!

Vielleicht hat man sich das Gemüt verrenkt?
Die Sterne ähneln plötzlich Sommersprossen.
Man ist nicht krank. Man fühlt sich nur gekränkt.
Und hält, was es auch sei, für ausgeschlossen.

Man möchte fort und findet kein Versteck.
Es wäre denn, man ließe sich begraben.
Wohin man blickt, entsteht ein dunkler Fleck.
Man möchte tot sein. Oder Urlaub haben.

Man weiß, die Trauer ist sehr bald behoben.
Sie schwand noch jedesmal, so oft sie kam.
Mal ist man unten, und mal ist man oben.
Die Seelen werden immer wieder zahm.

Der eine nickt und sagt: "So ist das Leben."
Der andre schüttelt seinen Kopf und weint.
Die Welt ist rund, und wir sind schlank daneben.
Ist das ein Trost? So war es nicht gemeint.

Sogenannte Klassefrauen

Sind sie nicht pfuiteuflisch anzuschauen?
Plötzlich färben sich die Klassefrauen,
weil es Mode ist, die Nägel rot!
Wenn es Mode wird, sie abzukauen
oder mit dem Hammer blauzuhauen,
tun sie's auch. Und freuen sich halbtot.

Wenn es Mode wird, die Brust zu färben,
oder falls man die nicht hat, den Bauch...
Wenn es Mode wird, als Kind zu sterben
oder sich die Hände gelbzugerben,
bis sie Handschuh ähneln, tun sie's auch.

Wenn es Mode wird, sich schwarzzuschmieren...
Wenn verrückte Gänse in Paris
sich die Haut wie Chinakrepp plissieren...
Wenn es Mode wird, auf allen Vieren
durch die Stadt zu kriechen, machen sie's.

Wenn es gälte, Volapük zu lernen
und die Nasenlöcher zuzunähn und
die Schädeldecke zu entfernen
und das Bein zu heben an Laternen, -
morgen könnten wir's bei ihnen sehn.

Denn sie fliegen wie mit Engelsflügeln
immer auf den ersten besten Mist.
Selbst das Schienbein würden sie sich bügeln!
Und sie sind auf keine Art zu zügeln,
wenn sie hören, daß was Mode ist.

Wenn's doch Mode würde, zu verblöden!
Denn in dieser Hinsicht sind sie groß.
Wenn's doch Mode würde, diesen Kröten
jede Öffnung einzeln zuzulöten!
Denn dann wären wir sie endlich los.

Der Streichholzjunge

Streichhölzer! Kaufen Sie Streichhölzer!
Drei Schachteln zwanzig!

Sie lachen, statt was zu kaufen.
Oder sie sind entrüstet
und knurren, während sie weiterlaufen.
Wenn ihr nur wüßtet...

Streichhölzer! Kaufen Sie Streichhölzer!
Drei Schachteln zwanzig!

Vater kriegt zehn Mark Unterstützung
und Mutter ein kleines Gesicht.
Wir haben ein Zimmer mit Küchenbenützung.
Aber wir benützen die Küche gar nicht.

Gestern trank Vater paar Flaschen Bier.
Mutter hat nicht mittrinken gemocht.
Vater sang: "Ein freies Leben führen wir!"
Und dann hat er das Fenster zerpocht.

Streichhölzer! Kaufen Sie Streichhölzer!
Drei Schachteln zwanzig!

Mein Pappkarton wird nicht leer.
Den Aufsatz muß ich noch machen.
Wenn ich bloß nicht so müde war.
Kaufen Sie Streichhölzer, statt zu lachen!

Mit braunen und schwarzen Schnürsenkeln
verdient man natürlich mehr.
Doch da brauchte ich erst mal drei Mark.
Und wo nehm ich die her?

Streichhölzer! Braune und schwarze Streichhölzer!
Drei Paar zwanzig ...

Besagter Lenz ist da

Es ist schon so. Der Frühling kommt m Gang.
Die Bäume räkeln sich. Die Fenster staunen.
Die Luft ist weich, als wäre sie aus Daunen.
Und alles andre ist nicht von Belang.

Nun brauchen alle Hunde eine Braut.
Und Pony Hütchen sagte mir, sie fände:
Die Sonne habe kleine warme Hände
und krabble ihr mit diesen auf der Haut.

Die Hausmannsleute stehen stolz vorm Haus.
Man sitzt schon wieder auf Caféterrassen
und friert nicht mehr und kann sich sehen lassen.
Wer kleine Kinder hat, der führt sie aus.

Sehr viele Fräuleins haben schwache Knie.
Und in den Adern rinnt's wie süße Sahne.
Am Himmel tanzen blanke Aeroplane.
Man ist vergnügt dabei. Und weiß nicht wie.

Man sollte wieder mal spazieren gehn.
Das Blau und Rot und Grün war ganz verblichen.
Der Lenz ist da! Die Welt wird frisch gestrichen!
Die Menschen lächeln, bis sie sich verstehn.

Die Seelen laufen Stelzen durch die Stadt.
Auf den Balkons stehn Männer ohne Westen
und säen Kresse in die Blumenkästen.
Wohl dem, der solche Blumenkästen hat!

Die Gärten sind nur noch zum Scheine kahl.
Die Sonne heizt und nimmt am Winter Rache.
Es ist zwar jedes Jahr dieselbe Sache.
Doch ist es immer wie zum ersten Mal.

Der synthetische Mensch

Professor Bumke hat neulich Menschen erfunden,
die kosten zwar, laut Katalog, ziemlich viel Geld,
doch ihre Herstellung dauert nur sieben Stunden,
und außerdem kommen sie fix und fertig zur Welt!

Man darf dergleichen Vorteile nicht unterschätzen.
Professor Bumke hat mir das alles erklärt.
Und ich merkte schon nach den ersten Worten und
Sätzen:
Die Bumkeschen Menschen sind das, was sie kosten, auch
wert.

Sie werden mit Barten oder mit Busen geboren,
mit allen Zubehörteilen, je nach Geschlecht.
Durch Kindheit und Jugend würde nur Zeit verloren,
meinte Professor Bumke. Da hat er ja recht.

Er sagte, wer einen Sohn, der Rechtsanwalt sei,
etwa benötige, brauche ihn nur zu bestellen.
Man liefre ihn, frei ab Fabrik, in des Vaters Kanzlei,
promoviert und vertraut mit den schwersten juristischen
Fällen.

Man brauche nun nicht mehr zwanzig Jahre zu warten,
daß das Produkt einer unausgeschlafenen Nacht
auf dem Umweg über Wiege und Kindergarten
das Abitur und die übrigen Prüfungen macht.

Es sei ja auch denkbar, das Kind werde dumm oder krank
und sei für die Welt und die Eltern nicht recht zu
verwenden.
Oder es sei musikalisch! Das gäbe nur Zank,
falls seine Eltern nichts von Musik verständen.

Nicht wahr, wer könne denn wirklich wissen,
was später aus einem anfangs ganz reizenden Kinde wird?
Bumke sagte, er liefre auch Töchter und Väter,
und sein Verfahren habe sich niemals geirrt.

Nächstens vergrößre er seine Menschenfabrik.
Schon heute liefre er zweihundertneunzehn Sorten.
Mißlungene Aufträge nahm er natürlich zurück.
Die müßten dann nochmals durch die verschiednen
Retorten.

Ich sagte: Da sei noch ein Bruch in den Fertigartikeln.
In jenen Menschen aus Bumkes Geburtsinstitute.
Sie seien konstant und würden sich niemals entwickeln.
Da gab er zur Antwort: "Das ist ja gerade das Gute!"

Ob ich tatsächlich vom Sichentwickeln was halte?
Professor Bumke sprach's in gestrengem Ton.
Auf seiner Stirn entstand eine tiefe Falte. -
Und dann bestellte ich mir einen vierzigjährigen Sohn.

Ankündigung einer Chansonette

Sie ist nicht sehr schön. Doch es kommt nicht drauf an.
Ohne Schönheit geht's auch.
Sie ist eine Frau. Und steht ihren Mann.
Und hat Musik im Bauch.

Sie kennt das Leben in jeder Fasson.
Sie kennt es per Du und per Sie.
Ihre Lieder passen in keinen Salon.
Höchstens die Melodie.

Sie singt, was sie weiß. Und sie weiß, was sie singt.
Man merkt das am Gesang.
Und manches, was sie zum Vortrag bringt,
behält man jahrelang.

Sie pfeift auf das mühelos hohe C.
Und ihr Ton ist nicht immer rund.
Das Herz tut ihr manchmal beim Singen weh.
Denn sie singt nicht nur mit dem Mund.

Sie kennt den Kakao, durch den man uns zieht,
genau so gut wie wir,
und sie weiß zu dem Thema so manches Lied.
Und ein paar davon singt sie hier.

Ein Kind, etwas frühreif

Ich hab mich zu einem Kinde gebückt.
(Denn ich bin in solchen Dingen nicht stolz.)
Und ich hab ihm sein Spielzeug zurechtgerückt.
Es war ein Schimmel aus Holz.

Das Kind ging mit einer schönen Frau.
Die dachte, ich dächte, sie wäre so frei...
Und sie zog ihr Kind wie einen Wauwau
an Laternen und Läden vorbei.

Sie fühlte sich schon zur Hälfte verführt
und schwenkte vergnügt ihr Gewölbe.
Das hätte mich nun nicht weiter gerührt.
Doch das Kind - ich hab es ganz deutlich gespürt -
es dachte bereits dasselbe.

Nur Geduld!

Das Leben, das die Meisten führen,
zeigt ihnen, bis sie's klar erkennen:
Man kann sich auch an offnen Türen
den Kopf einrennen!

Spaziergang nach einer Enttäuschung

Da hätte mich also wieder einmal
eine der hausschlachtenen Ohrfeigen ereilt,
die das eigens hierzu gegründete Schicksal
in beliebiger Windstärke und Zahl
an die Umstehenden gratis verteilt.

Na schön. Der Weg des Lebens ist wellig.
Man soll die Steigungen nicht noch steigern.
Es war wieder mal eine Ohrfeige fällig.
Ich konnte die Annahme schlecht verweigern.

So ein Schlag ins vergnügte Gesicht
klingt für den, der ihn kriegt, natürlich sehr laut,
weil das Schicksal mit Liebe zur Sache zuhaut.
Tödlich sind diese Ohrfeigen hingegen nicht.
Der Mensch ist entsprechend gebaut.

Jedoch, wenn ich den See betrachte
und die schneeweiß gedeckten Berge daneben,
muß ich denken, was ich schon häufig dachte:
Diese Art Ohrfeigen brauchte es nicht zu geben.

Da rennt man nun die Natur entlang
und ist froh, daß man keinem begegnet.
Die Vögel verüben Chorgesang.
Die Sonne scheint im Überschwang.
Aber innen hat's ziemlich geregnet.

Die Glockenblumen nicken verständig.
Eine Biene kratzt sich ernst hinterm Ohr.
Und der Wind und die Wellen spielen vierhändig
die Sonnenscheinsonate vor.

Das Schicksal wird mich noch öfter äffen
und schlagen, wie es mich heute schlug.
Vielleicht wird man wirklich durch Schaden klug?
Mich müssen noch viele Schläge treffen,
bevor mich der Schlag trifft! Und damit genug.

Selbstmord im Familienbad

Hier bist du. Und dort ist die Natur.
Leider ist Verschiedenes dazwischen.
Bis zu dir herüber wagt sich nur
ein Parfüm aus Blasentang und Fischen.

Zwischen deinen Augen und dem Meer,
das sich sehnt, von dir erblickt zu werden,
laufen dauernd Menschen hin und her.
Und ihr Anblick macht dir Herzbeschwerden.

Freigelaßne Bäuche und Popos
stehn und hegen kreuz und quer im Sande.
Dicke Tanten senken die Trikots
und sehn aus wie Quallen auf dem Lande.

Wo man hinschaut, wird den Augen schlecht,
und man schließt sie fest, um nichts zu sehen.
Doch dann sieht man dies und das erst recht.
Man beschließt, es müsse was geschehen.

Wütend stürzt man über tausend Leiber,
bis ans Meer, und dann sogar hinein, -
doch auch hier sind dicke Herrn und Weiber.
Fett schwimmt oben. Muß das denn so sein?

Traurig hängt man in den grünen Wellen,
vor der Nase eine Frau in Blond.
Ach, das Meer hat nirgends freie Stellen,
und der Mensch verhüllt den Horizont.

Hier bleibt keine Wahl als zu ersaufen!