und festzusetzen! Rechte Mц¤nner! Dafцјr sind aber auch unsere Privilegien
so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.
Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?
Das Volk. Von unsern Freiheiten, von unsern Privilegien! Erzц¤hlt noch
was von unsern Privilegien.
Vansen. Wir Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
Soests. Sagt an.
Jetter. Laцџt hц¶ren.
Ein Bцјrger. Ich bitt Euch.
Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.
Soests. Gut! Steht das so?
Jetter. Getreu? Ist das wahr?
Vansen. Wie ich euch sage. Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder eignen Willen an uns beweisen, merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.
Jetter. Schц¶n! Schц¶n! nicht beweisen.
Soests. Nicht merken lassen.
Ein anderer. Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.
Vansen. Mit ausdrцјcklichen Worten.
Jetter. Schafft uns das Buch.
Ein Bцјrger. Ja, wir mцјssen's haben.
Andere. Das Buch! das Buch!
Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.
Ein anderer. Ihr sollt das Wort fцјhren, Herr Doktor.
Seifensieder. O die Trц¶pfe!
Andere. Noch etwas aus dem Buche!
Seifensieder. Ich schlage ihm die Zц¤hne in den Hals, wenn er noch ein
Wort sagt.
Das Volk. Wir wollen sehen, wer ihm etwas tut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?
Vansen. Mancherlei, und sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den geistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne
Verwilligung des Adels und der Stц¤nde! Merkt das! Auch den Staat des Landes
nicht verц¤ndern.
Soest. Ist das so?
Vansen. Ich will's euch geschrieben zeigen, von zwei-, dreihundert
Jahren her.
Bцјrger. Und wir leiden die neuen Bischц¶fe? Der Adel muцџ uns
schцјtzen, wir fangen Hц¤ndel an!
Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
Vansen. Das ist eure Schuld.
Das Volk. Wir haben noch Egmont! noch Oranien! Die sorgen fцјr unser
Bestes!
Vansen. Eure Brцјder in Flandern haben das gute Werk angefangen.
Seifensieder. Du Hund!
(Er schlц¤gt ihn.)
Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?
Ein anderer. Was? den Ehrenmann?
Ein anderer. Den Gelahrten?
(Sie fallen den Seifensieder an.)
Zimmermeister. Um's Himmels willen, ruht!
(Andere mischen sich in den Streit.)
Zimmermeister. Bцјrger, was soll das?
(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bцјrger stehn und
gaffen, Volk lц¤uft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!
(Egmont tritt auf mit Begleitung.)
Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
Zimmermeister. Gnц¤diger Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bцјrger gegen Bцјrger! Hц¤lt sogar
die Nц¤he unsrer kц¶niglichen Regentin diesen Unsinn nicht zurцјck? Geht
auseinander, geht an euer Gewerbe. Es ist ein цјbles Zeichen, wenn ihr an
Werktagen feiert. Was war's?
(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.
Egmont. Die sie noch mutwillig zertrцјmmern werden - Und wer seid Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.
Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.
Egmont. Eures Zeichens?
Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.
Egmont. Und Ihr?
Soest. Krц¤mer.
Egmont. Ihr?
Jetter. Schneider.
Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen fцјr meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.
Jetter. Gnade, daцџ Ihr Euch dessen erinnert.
Egmont. Ich vergesse niemanden leicht, den ich einmal gesehen und
gesprochen habe. - Was an euch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das tut; ihr
seid цјbel genug angeschrieben. Reizt den Kц¶nig nicht mehr, er hat zuletzt
doch die Gewalt in Hц¤nden. Ein ordentlicher Bцјrger, der sich ehrlich und
fleiцџig nц¤hrt, hat цјberall so viel Freiheit, als er braucht.
Zimmermeister. Ach wohl! das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die
Sц¶ffer, die Faulenzer, mit Euer Gnaden Verlaub, die stц¤nkern aus
Langerweile und scharren aus Hunger nach Privilegien und lцјgen den
Neugierigen und Leichtglц¤ubigen was vor, und um eine Kanne Bier bezahlt zu
kriegen, fangen sie Hц¤ndel an, die viel tausend Menschen unglцјcklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Hц¤user und Kasten zu gut
verwahrt; da mц¶chten sie gern uns mit Feuerbrц¤nden davontreiben.
Egmont. Allen Beistand sollt ihr finden; es sind Maцџregeln genommen,
dem цњbel krц¤ftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht, durch Aufruhr befestige man Privilegien. Bleibt zu Hause; leidet
nicht, daцџ sie sich auf den Straцџen rotten. Vernцјnftige Leute kц¶nnen
viel tun.
(Indessen hat sich der grц¶цџte Haufe verlaufen.)
Zimmermeister. Danken Euer Exzellenz, danken fцјr die gute Meinung!
Alles, was an uns liegt. (Egmont ab.) Ein gnц¤diger Herr! der echte
Niederlц¤nder! Gar so nichts Spanisches.
Jetter. Hц¤tten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
Soest. Das lц¤цџt der Kц¶nig wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit
den Seinigen.
Jetter. Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.
Zimmermeister. Ein schц¶ner Herr!
Jetter. Sein Hals wц¤r' ein rechtes Fressen fцјr einen Scharfrichter.
Soest. Bist du toll? was kommt dir ein!
Jetter. Dumm genug, daцџ einem so etwas einfц¤llt. - Es ist mir nun so.
Wenn ich einen schц¶nen langen Hals sehe, muцџ ich gleich wider Willen
denken: der ist gut kц¶pfen. - Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie
nicht aus dem Sinne. Wenn die Bursche schwimmen, und ich seh einen nackten
Buckel, gleich fallen sie mir zu Dutzenden ein, die ich habe mit Ruten
streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst, mein ich, den sц¤h' ich
schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern;
man wird eben keine Stunde froh. Jede Lustbarkeit, jeden Spaцџ hab ich bald
vergessen; die fцјrchterlichen Gestalten sind mir wie vor die Stirne
gebrannt.
Egmonts Wohnung
Sekretц¤r an einem Tisch mit Papieren, er steht unruhig auf.
Sekretц¤r. Er kommt immer nicht! und ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand,. die Papiere vor mir; und eben heute mц¶cht' ich gern so
zeitig fort. Es brennt mir unter den Sohlen. Ich kann vor Ungeduld kaum
bleiben. б»Sei auf die Stunde daб«, befahl er mir noch, ehe er wegging; nun
kommt er nicht. Es ist so viel zu tun, ich werde vor Mitternacht nicht
fertig. Freilich sieht er einem auch einmal durch die Finger. Doch hielt'
ich's besser, wenn er strenge wц¤re und lieцџe einen auch wieder zur
bestimmten Zeit. Man kц¶nnte sich einrichten. Von der Regentin ist er nun
schon zwei Stunden weg; wer weiцџ, wen er unterwegs angefaцџt hat.
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Wie sieht's aus?
Sekretц¤r. Ich bin bereit, und drei Boten warten.
Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdrieцџlich
Gesicht.
Sekretц¤r. Euerm Befehl zu gehorchen, wart ich schon lange. Hier sind
die Papiere!
Egmont. Donna Elvira wird bц¶se auf mich werden, wenn sie hц¶rt, daцџ
ich dich abgehalten habe.
Sekretц¤r. Ihr scherzt.
Egmont. Nein, nein. Schц¤me dich nicht. Du zeigst einen guten
Geschmack. Sie ist hцјbsch; und es ist mir ganz recht, daцџ du auf dem
Schlosse eine Freundin hast. Was sagen die Briefe?
Sekretц¤r. Mancherlei und wenig Erfreuliches.
Egmont. Da ist gut, daцџ wir die Freude zu Hause haben und sie nicht
von auswц¤rts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?
Sekretц¤r. Genug, und drei Boten warten.
Egmont. Sag an! das Nц¶tigste!
Sekretц¤r. Es ist alles nц¶tig.
Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!
Sekretц¤r. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt. -
Egmont. Er schreibt wohl noch von einzelnen Ungezogenheiten und
Tollkцјhnheiten?
Sekretц¤r. Ja! Es kommt noch manches vor.
Egmont. Verschone mich damit.
Sekretц¤r. Noch sechs sind eingezogen worden, die bei Wervicq das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern soll
hц¤ngen lassen?
Egmont. Ich bin des Hц¤ngens mцјde. Man soll sie durchpeitschen, und
sie mц¶gen gehen.
Sekretц¤r. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
Egmont. Die mag er verwarnen und laufenlassen.
Sekretц¤r. Brink von Bredas Kompanie will heiraten. Der Hauptmann
hofft, Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt er, daцџ, wenn wir ausziehen, es keinem Soldatenmarsch, sondern
einem Zigeunergeschleppe ц¤hnlich sehen wird.
Egmont. Dem mag's noch hingehen! Es ist ein schц¶ner junger Kerl; er
bat mich noch gar dringend, eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem mehr
gestattet sein, so leid mir's tut, den armen Teufeln, die ohnedies geplagt
genug sind, ihren besten Spaцџ zu versagen.
Sekretц¤r. Zwei von Euern Leuten, Seter und Hart, haben einem Mц¤del,
einer Wirtstochter, цјbel mitgespielt. Sie kriegten sie allein, und die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.
Egmont. Wenn es ein ehrlich Mц¤dchen ist, und sie haben Gewalt
gebraucht, so soll er sie drei Tage hintereinander mit Ruten streichen
lassen, und wenn sie etwas besitzen, soll er so viel davon einziehen, daцџ
dem Mц¤dchen eine Ausstattung gereicht werden kann.
Sekretц¤r. Einer von den fremden Lehrern ist heimlich durch Comines
gegangen und entdeckt worden. Er schwц¶rt, er sei im Begriff, nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.
Egmont. Sie sollen ihn in der Stille an die Grenze bringen und ihm
versichern, daцџ er das zweitemal nicht so wegkommt.
Sekretц¤r. Ein Brief von Euerm Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er kц¶nne auf die Woche die verlangte Summe schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die grц¶цџte Konfusion gebracht.
Egmont. Das Geld muцџ herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.
Sekretц¤r. Er sagt, er werde sein mц¶glichstes tun und wolle endlich
den Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.
Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.
Sekretц¤r. Das letztemal setzte er sich selbst vierzehn Tage.
Egmont. So gebe man ihm noch vierzehn Tage; und dann mag er gegen ihn
verfahren.
Sekretц¤r. Ihr tut wohl. Es ist nicht Unvermц¶gen; es ist bц¶ser Wille.
Er macht gewiцџ Ernst, wenn er sieht, Ihr spaцџt nicht. - Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen
Ihr Gnadengehalte gebt, die Gebцјhr einen halben Monat zurцјckhalten; man
kц¶nne indessen Rat schaffen; sie mц¶chten sich einrichten.
Egmont. Was ist da einzurichten? Die Leute brauchen das Geld nц¶tiger
als ich. Das soll er bleibenlassen.
Sekretц¤r. Woher befehlt Ihr denn, daцџ er das Geld nehmen soll?
Egmont. Darauf mag er denken; es ist ihm im vorigen Briefe schon
gesagt.
Sekretц¤r. Deswegen tut er die Vorschlц¤ge.
Egmont. Die taugen nicht, er soll auf was anders sinnen. Er soll
Vorschlц¤ge tun, die annehmlich sind, und vor allem soll er das Geld
schaffen.
Sekretц¤r. Ich habe den Brief des Grafen Oliva wieder hiehergelegt.
Verzeiht, daцџ ich Euch daran erinnere. Der alte Herr verdient vor allen
andern eine ausfцјhrliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben. Gewiцџ,
er liebt Euch wie ein Vater.
Egmont. Ich komme nicht dazu. Und unter vielem Verhaцџten ist mir das
Schreiben das Verhaцџteste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib in
meinem Namen. Ich erwarte Oranien. Ich komme nicht dazu; und wцјnschte
selbst, daцџ ihm auf seine Bedenklichkeiten was recht Beruhigendes
geschrieben wцјrde.
Sekretц¤r. Sagt mir nur ungefц¤hr Eure Meinung; ich will die Antwort
schon aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daцџ sie
vor Gericht fцјr Eure Hand gelten kann.
Egmont. Gib mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedц¤chtig? Erstiegst du nie
einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrц¤t, hinten? -
Der treue, sorgliche! Er will mein Leben und mein Glцјck und fцјhlt nicht,
daцџ der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm,
er mц¶ge unbesorgt sein; ich handle, wie ich soll, ich werde mich schon
wahren: sein Ansehn bei Hofe soll er zu meinen Gunsten brauchen und meines
vollkommnen Dankes gewiцџ sein.
Sekretц¤r. Nichts weiter? O er erwartet mehr.
Egmont. Was soll ich mehr sagen? Willst du mehr Worte machen, so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie
ich nicht leben mag. Daцџ ich frц¶hlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch
lebe, das ist mein Glцјck; und ich vertausch es nicht gegen die Sicherheit
eines Totengewц¶lbes. Ich habe nun zu der spanischen Lebensart nicht einen
Blutstropfen in meinen Adern; nicht Lust, meine Schritte nach der neuen
bedц¤chtigen Hofkadenz zu mustern. Leb ich nur, um aufs Leben zu denken?
Soll ich den gegenwц¤rtigen Augenblick nicht genieцџen, damit ich des
folgenden gewiцџ sei? Und diesen wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
Sekretц¤r. Ich bitt Euch, Herr; seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefц¤llig
Wort, das den edeln Freund beruhige. Seht, wie sorgfц¤ltig er ist, wie leis
er Euch berцјhrt.
Egmont. Und doch berцјhrt er immer diese Saite. Er weiцџ von alters
her, wie verhaцџt mir diese Ermahnungen sind; sie machen nur irre, sie
helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wц¤re und auf dem gefц¤hrlichen
Gipfel eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich, mich beim Namen zu
rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu tц¶ten? Laцџt jeden seines Pfades
gehn; er mag sich wahren.
Sekretц¤r. Es ziemt Euch, nicht zu sorgen, aber wer Euch kennt und
liebt -
Egmont (in den Brief sehend). Da bringt er wieder die alten Mц¤rchen
auf, was wir an einem Abend in leichtem цњbermut der Geselligkeit und des
Weins getrieben und gesprochen; und was man daraus fцјr Folgen und Beweise
durchs ganze Kц¶nigreich gezogen und geschleppt habe. - Nun gut! wir haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener ц„rmel sticken lassen, und
haben diese tolle Zierde nachher in ein Bцјndel Pfeile verwandelt; ein noch
gefц¤hrlicher Symbol fцјr alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten ist.
Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen gleich
und geboren; sind schuld, daцџ eine ganze edle Schar mit Bettelsц¤cken und
mit einem selbstgewц¤hlten Unnamen dem Kц¶nige seine Pflicht mit spottender
Demut ins Gedц¤chtnis rief; sind schuld - was ist's nun weiter? Ist ein
Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die kurzen, bunten Lumpen zu
miцџgц¶nnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um unsers
Lebens arme Blц¶цџe hц¤ngen mag? Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft nehmt,
was ist denn dran? Wenn uns der Morgen nicht zu neuen Freuden weckt, am
Abend uns keine Lust zu hoffen цјbrigbleibt: ist's wohl des An- und
Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne heut, um das zu цјberlegen, was
gestern war? und um zu raten, zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist, das Schicksal eines kommenden Tages? Schenke mir diese
Betrachtungen; wir wollen sie Schцјlern und Hц¶flingen цјberlassen. Die
mц¶gen sinnen und aussinnen, wandeln und schleichen, gelangen, wohin sie
kц¶nnen, erschleichen, was sie kц¶nnen. - Kannst du von allem diesem etwas
brauchen, daцџ deine Epistel kein Buch wird, so ist mir's recht. Dem guten
Alten scheint alles viel zu wichtig. So drцјckt ein Freund, der lang unsre
Hand gehalten, sie stц¤rker noch einmal, wenn er sie lassen will.
Sekretц¤r. Verzeiht mir, es wird dem Fuцџgц¤nger schwindlig, der einen
Mann, mit rasselnder Eile daherfahren sieht.
Egmont. Kind! Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern
gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem
Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefaцџt, die Zцјgel
festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze da, die
Rц¤der wegzulenken. Wohin es geht, wer weiцџ es? Erinnert er sich doch kaum,
woher er kam.
Sekretц¤r. Herr! Herr!
Egmont. Ich stehe hoch und kann und muцџ noch hц¶her steigen; ich
fцјhle mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab ich meines Wachstums Gipfel
nicht erreicht; und steh ich droben einst, so will ich fest, nicht
ц¤ngstlich stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind,
ja ein selbst verfehlter Schritt mich abwц¤rts in die Tiefe stцјrzen; da
lieg ich mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmц¤ht, mit meinen guten
Kriegsgesellen um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich
knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
Sekretц¤r. O Herr! Ihr wiцџt nicht, was fцјr Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!
Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
nц¶tigsten ist, daцџ die Boten fortkommen, eh die Tore geschlossen werden.
Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen laцџ bis morgen; versц¤ume
nicht, Elviren zu besuchen, und grцјцџe sie von mir. - Horche, wie sich die
Regentin befindet; sie soll nicht wohl sein, ob sie's gleich verbirgt.
(Sekretц¤r ab.)
(Oranien kommt.)
Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
Egmont. Ich fand in ihrer Art, uns aufzunehmen, nichts
Auцџerordentliches. Ich habe sie schon mehr so gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
Oranien. Merktet Ihr nicht, daцџ sie zurцјckhaltender war? Erst wollte
sie unser Betragen bei dem neuen Aufruhr des Pц¶bels gelassen billigen;
nachher merkte sie an, was sich doch auch fцјr ein falsches Licht darauf
werfen lasse; wich dann mit dem Gesprц¤che zu ihrem alten gewц¶hnlichen
Diskurs: daцџ man ihre liebevolle gute Art, ihre Freundschaft zu uns
Niederlц¤ndern, nie genug erkannt, zu leicht behandelt habe, daцџ nichts
einen erwцјnschten Ausgang nehmen wolle, daцџ sie am Ende wohl mцјde werden,
der Kц¶nig sich zu andern Maцџregeln entschlieцџen mцјsse. Habt Ihr das
gehц¶rt?
Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist ein
Weib, guter Oranien, und die mц¶chten immer gern, daцџ sich alles unter ihr
sanftes Joch gelassen schmiegte, daцџ jeder Herkules die Lц¶wenhaut ablegte
und ihren Kunkelhof vermehrte; daцџ, weil sie friedlich gesinnt sind, die
Gц¤rung, die ein Volk ergreift, der Sturm, den mц¤chtige Nebenbuhler
gegeneinander erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen lieцџe und
die widrigsten Elemente sich zu ihren Fцјцџen in sanfter Eintracht
vereinigten. Das ist ihr Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so
hat sie keinen Weg, als launisch zu werden, sich цјber Undankbarkeit,
Unweisheit zu beklagen, mit schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu
drohen, und zu drohen - daцџ sie fortgehn will.
Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, daцџ sie ihre Drohung erfцјllt?
Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo
will sie denn hin? Hier Statthalterin, Kц¶nigin; glaubst du, daцџ sie es
unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder
nach Italien zu gehen und sich in alten Familienverhц¤ltnissen
herumzuschleppen?
Oranien. Man hц¤lt sie dieser Entschlieцџung nicht fц¤hig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr sie habt zurцјcktreten sehn; dennoch liegt's wohl in
ihr; neue Umstц¤nde treiben sie zu dem lang verzц¶gerten Entschluцџ. Wenn
sie ginge? und der Kц¶nig schickte einen andern?
Egmont. Nun, der wцјrde kommen, und wцјrde eben auch zu tun finden. Mit
groцџen Planen, Projekten und Gedanken wцјrde er kommen, wie er alles
zurechtrцјcken, unterwerfen und zusammenhalten wolle; und wцјrde heut mit
dieser Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu tun haben, цјbermorgen jene
Hindernis finden, einen Monat mit Entwцјrfen, einen andern mit Verdruцџ
цјber fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen цјber eine einzige
Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn, der Kopf schwindeln und
die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daцџ er, statt weite Meere nach einer
vorgezognen Linie zu durchsegeln, Gott danken mag, wenn er sein Schiff in
diesem Sturme vom Felsen hц¤lt.
Oranien. Wenn man nun aber dem Kц¶nig zu einem Versuch riete?
Egmont. Der wц¤re?
Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.
Egmont. Wie?
Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhц¤ltnisse am
Herzen, ich stehe immer wie цјber einem Schachspiele und halte keinen Zug
des Gegners fцјr unbedeutend; und wie mцјцџige Menschen mit der grц¶цџten
Sorgfalt sich um die Geheimnisse der Natur bekцјmmern, so halt ich es fцјr
Pflicht, fцјr Beruf eines Fцјrsten, die Gesinnungen, die Ratschlц¤ge aller
Parteien zu kennen. Ich habe Ursach', einen Ausbruch zu befцјrchten. Der
Kц¶nig hat lange nach gewissen Grundsц¤tzen gehandelt; er sieht, daцџ er
damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als daцџ er es auf einem
andern Wege versucht?
Egmont. Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muцџ man es endlich wohl
genug haben.
Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.
Egmont. Nun?
Oranien. Das Volk zu schonen und die Fцјrsten zu verderben.
Egmont. Wie viele haben das schon lange gefцјrchtet! Es ist keine
Sorge.
Oranien. Sonst war's Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
Gewiцџheit geworden.
Egmont. Und hat der Kц¶nig treuere Diener als uns?
Oranien. Wir dienen ihm auf unsere Art; und unter einander kц¶nnen wir
gestehen, daцџ wir des Kц¶nigs Rechte und die unsrigen wohl abzuwц¤gen
wissen.
Egmont. Wer tut's nicht? Wir sind ihm untertan und gewц¤rtig in dem,
was ihm zukommt.
Oranien. Wenn er sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit
nennte, was wir heiцџen: auf unsre Rechte halten?
Egmont. Wir werden uns verteidigen kц¶nnen. Er rufe die Ritter des
Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
Oranien. Und was wц¤re ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?
Egmont. Eine Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen
wird; und eine Torheit, die ich ihm und seinen Rц¤ten nicht zutraue.
Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und tц¶richt wц¤ren?
Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht mц¶glich. Wer sollte wagen, Hand an
uns zu legen? - Uns gefangenzunehmen, wц¤r' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch
aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht цјbers Land brц¤chte,
wцјrde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten sie?
Richten und verdammen kann nicht der Kц¶nig allein; und wollten sie
meuchelmц¶rderisch an unser Leben? - Sie kц¶nnen nicht wollen. Ein
schrecklicher Bund wцјrde in einem Augenblick das Volk vereinigen. Haцџ und
ewige Trennung vom spanischen Namen wцјrde sich gewaltsam erklц¤ren.
Oranien. Die Flamme wцјtete dann цјber unserm Grabe, und das Blut
unsrer Feinde flц¶sse zum leeren Sцјhnopfer. Laцџ uns denken, Egmont.
Egmont. Wie sollten sie aber?
Oranien. Alba ist unterwegs.
Egmont. Ich glaub's nicht.
Oranien. Ich weiцџ es.
Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.
Oranien. Um desto mehr bin ich цјberzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn ich, und ein Heer bringt er mit.
Egmont. Aufs neue die Provinzen zu belц¤stigen? Das Volk wird hц¶chst
schwierig werden.
Oranien. Man wird sich der Hц¤upter versichern.
Egmont. Nein! Nein!
Oranien. Laцџ uns gehen, jeder in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstц¤rken; mit offner Gewalt fц¤ngt er nicht an.
Egmont. Mцјssen wir ihn nicht begrцјцџen, wenn er kommt?
Oranien. Wir zц¶gern.
Egmont. Und wenn er uns im Namen des Kц¶nigs bei seiner Ankunft
fordert?
Oranien. Suchen wir Ausflцјchte.
Egmont. Und wenn er dringt?
Oranien. Entschuldigen wir uns.
Egmont. Und wenn er drauf besteht?
Oranien. Kommen wir um so weniger.
Egmont. Und der Krieg ist erklц¤rt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
laцџ dich nicht durch Klugheit verfцјhren; ich weiцџ, daцџ Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.
Oranien. Ich hab ihn bedacht.
Egmont. Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist; an dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwцјstet hat. Dein Weigern ist das
Signal, das die Provinzen mit einmal zu den Waffen ruft, das jede
Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur gern den Vorwand
gehascht hat. Was wir lange mцјhselig gestillt haben, wirst du mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk an die Stц¤dte, die
Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die Gewerbe! und denke die
Verwцјstung, den Mord! - Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen
Kameraden neben sich hinfallen; aber den Fluцџ herunter werden dir die
Leichen der Bцјrger, der Kinder, der Jungfrauen entgegenschwimmen, daцџ du
mit Entsetzen dastehst und nicht mehr weiцџt, wessen Sache du verteidigst,
da die zugrunde gehen, fцјr deren Freiheit du die Waffen ergriffst. Und wie
wird dir's sein, wenn du dir still sagen muцџt: б»Fцјr meine Sicherheit
ergriff ich sie.б«
Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns
fцјr Tausende hinzugeben, so ziemt es sich auch, uns fцјr Tausende zu
schonen.
Egmont. Wer sich schont, muцџ sich selbst verdц¤chtig werden.
Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rцјckwц¤rts gehen.
Egmont. Das цњbel, das du fцјrchtest, wird gewiцџ durch deine Tat.
Oranien. Es ist klug und kцјhn, dem unvermeidlichen цњbel
entgegenzugehn.
Egmont. Bei so groцџer Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in
Anschlag.
Oranien. Wir haben nicht fцјr den leisesten Fuцџtritt Platz mehr; der
Abgrund liegt hart vor uns.
Egmont. Ist des Kц¶nigs Gunst ein so schmaler Grund?
Oranien. So schmal nicht, aber schlцјpfrig.
Egmont. Bei Gott! man tut ihm Unrecht. Ich mag nicht leiden, daцџ man
unwцјrdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fц¤hig.
Oranien. Die Kц¶nige tun nichts Niedriges.
Egmont. Man sollte ihn kennenlernen.
Oranien. Eben diese Kenntnis rц¤t uns, eine gefц¤hrliche Probe nicht
abzuwarten.
Egmont. Keine Probe ist gefц¤hrlich, zu der man Mut hat.
Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.
Egmont. Ich muцџ mit meinen Augen sehen.
Oranien. O sц¤hst du diesmal nur mit den meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab, und
Gott sei bei dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht daцџ der
Drache nichts zu fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf einmal
verschlingt. Vielleicht zц¶gert er, um seinen Anschlag sicherer
auszufцјhren; und vielleicht siehest du indes die Sache in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell! Rette! rette dich! - Leb wohl! - Laцџ
deiner Aufmerksamkeit nichts entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie
er die Stadt besetzt, was fцјr Macht die Regentin behц¤lt, wie deine Freunde
gefaцџt sind. Gib mir Nachricht - - - Egmont -
Egmont. Was willst du?
Oranien (ihn bei der Hand fassend). Laцџ dich цјberreden! Geh mit!
Egmont. Wie? Trц¤nen, Oranien?
Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch mц¤nnlich.
Egmont. Du wц¤hnst mich verloren?
Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl!
(Ab.)
Egmont (allein). Daцџ andrer Menschen Gedanken solchen Einfluцџ auf uns
haben! Mir wц¤r' es nie eingekommen; und dieser Mann trц¤gt seine
Sorglichkeit in mich herцјber. - Weg! - Das ist ein fremder Tropfen in
meinem Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die
sinnenden Runzeln wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
Dritter Aufzug
Palast der Regentin
Margarete von Parma.
Margarete. Ich hц¤tte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mцјhe und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer, man tue das Mц¶glichste; und der
von weitem zusieht und befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mц¶gliche. - O
die Kц¶nige! - Ich hц¤tte nicht geglaubt, daцџ es mich so verdrieцџen
kц¶nnte. Es ist so schц¶n zu herrschen! - Und abzudanken? - Ich weiцџ nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
(Machiavell erscheint im Grunde.)
Regentin. Tretet nц¤her, Machiavell. Ich denke hier цјber den Brief
meines Bruders.
Machiavell. Ich darf wissen, was er enthц¤lt?
Regentin. So viel zц¤rtliche Aufmerksamkeit fцјr mich als Sorgfalt fцјr
seine Staaten. Er rцјhmt die Standhaftigkeit, den Fleiцџ und die Treue,
womit ich bisher fцјr die Rechte seiner Majestц¤t in diesen Landen gewacht
habe. Er bedauert mich, daцџ mir das unbц¤ndige Volk so viel zu schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen цјberzeugt, mit
der Klugheit meines Betragens so auцџerordentlich zufrieden, daцџ ich fast
sagen muцџ, der Brief ist fцјr einen Kц¶nig zu schц¶n geschrieben, fцјr
einen Bruder gewiцџ.
Machiavell. Es ist nicht das erstemal, daцџ er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.
Regentin. Aber das erstemal, daцџ es rednerische Figur ist.
Machiavell. Ich versteh Euch nicht.
Regentin. Ihr werdet. - Denn er meint, nach diesem Eingange: ohne
Mannschaft, ohne eine kleine Armee werde ich immer hier eine цјble Figur
spielen! Wir hц¤tten, sagt er, unrecht getan, auf die Klagen der Einwohner
unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er, die
dem Bцјrger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre Schwere, groцџe
Sprцјnge zu machen.
Machiavell. Es wцјrde die Gemцјter ц¤uцџerst aufbringen.
Regentin. Der Kц¶nig meint aber, hц¶rst du? - Er meint, daцџ ein
tцјchtiger General, so einer, der gar keine Rц¤son annimmt, gar bald mit
Volk und Adel, Bцјrgern und Bauern fertig werden kц¶nne; - und schickt
deswegen mit einem starken Heere - den Herzog von Alba.
Machiavell. Alba?
Regentin. Du wunderst dich?
Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
Regentin. Der Kц¶nig fragt nicht; er schickt.
Machiavell. So werdet Ihr einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten
haben.
Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.
Machiavell. Ich mц¶cht' Euch nicht vorgreifen.
Regentin. Und ich mц¶chte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder sagte, wie er's denkt, als daцџ
er fц¶rmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretц¤r aufsetzt.
Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -
Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie mц¶chten's gern
gesц¤ubert und gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet
ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in der Hand kommt. O mir ist's, als
wenn ich den Kц¶nig und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sц¤he.
Machiavell. So lebhaft?
Regentin. Es fehlt kein Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so erfahren und mц¤цџig ist, nicht zu hoch will, und
doch nichts fallen lц¤цџt, der gerade Alonzo, der fleiцџige Freneda, der
feste Las Vargas, und noch einige, die mitgehen, wenn die gute Partei
mц¤chtig wird. Da sitzt aber der hohlц¤ugige Toledaner mit der ehrnen Stirne
und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen den Zц¤hnen von Weibergцјte,
unzeitigem Nachgeben und daцџ Frauen wohl von zugerittenen Pferden sich
tragen lassen, selbst aber schlechte Stallmeister sind, und solche Spц¤цџe,
die ich ehemals von den politischen Herren habe mit durchhц¶ren mцјssen.
Machiavell. Ihr habt zu dem Gemц¤lde einen guten Farbentopf gewц¤hlt.
Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus
der ich allenfalls malen kц¶nnte, ist kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz
wie Albas Gesichtsfarbe und als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist bei
ihm gleich ein Gotteslц¤sterer, ein Majestц¤tsschц¤nder: denn aus diesem
Kapitel kann man sie alle sogleich rц¤dern, pfц¤hlen, vierteilen und
verbrennen. - Das Gute, was ich hier getan habe, sieht gewiцџ in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist. - Da hц¤ngt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist; und es wird dem
Kц¶nige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkцјhnheit, daцџ er
sich vorstellt, sie frц¤цџen sich hier einander auf, wenn eine flцјchtig
vorцјbergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist.
Da faцџt er einen recht herzlichen Haцџ auf die armen Leute; sie kommen ihm
abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und
Schwert um und wц¤hnt, so bц¤ndige man Menschen.
Machiavell. Ihr scheint mir zu heftig, Ihr nehmt die Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?
Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. - Ich bin in
Staatsgeschц¤ften alt genug geworden, um zu wissen, wie man einen
verdrц¤ngt, ohne ihm seine Bestallung zu nehmen. - Erst wird er eine
Instruktion bringen, die wird unbestimmt und schief sein; er wird um sich
greifen, denn er hat die Gewalt; und wenn ich mich beklage, wird er eine
geheime Instruktion vorschцјtzen; wenn ich sie sehen will, wird er mich
herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz
was anders enthц¤lt; und wenn ich mich da nicht beruhige, gar nicht mehr
tun, als wenn ich redete. - Indes wird er, was ich fцјrchte, getan, und was
ich wцјnsche, weit abwц¤rts gelenkt haben.
Machiavell. Ich wollt', ich kц¶nnt' Euch widersprechen.
Regentin. Was ich mit unsц¤glicher Geduld beruhigte, wird er durch
Hц¤rte und Grausamkeiten wieder aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein
Werk verloren sehen und цјberdies noch seine Schuld zu tragen haben.
Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.
Regentin. So viel Gewalt hab ich цјber mich, um stille zu sein. Laцџ
ihn kommen; ich werde ihm mit der besten Art Platz machen, eh' er mich
verdrц¤ngt.
Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?
Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer's
hergebracht hat, daцџ jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand
liegt, steigt vom Throne wie ins Grab. Aber besser so, als einem Gespenste
gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehn einen Platz
behaupten wollen, den ihm ein anderer abgeerbt hat und nun besitzt und
genieцџt.

Klц¤rchens Wohnung
Klц¤rchen. Mutter.
Mutter. So eine Liebe wie Brackenburgs hab ich nie gesehen; ich
glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.
Klц¤rchen (geht in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen
summend).
Glцјcklich allein
Ist die Seele, die liebt.

Mutter. Er vermutet deinen Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich tц¤test, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
Klц¤rchen (singt).
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrцјbt -
Glцјcklich allein
Ist die Seele, die liebt.

Mutter. Laцџ das Heiopopeia.
Klц¤rchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein krц¤ftig Lied. Hab ich doch
schon manchmal ein groцџes Kind damit schlafen gewiegt.
Mutter. Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergц¤цџest du
nur nicht alles цјber das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag ich dir. Er kann dich noch einmal glцјcklich machen.
Klц¤rchen. Er?
Mutter. O ja! es kommt eine Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus und
цјberhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schц¶ne Liebe, alles hat
sein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo
unterkriechen kann.
Klц¤rchen (schaudert, schweigt und fц¤hrt auf). Mutter, laцџt die Zeit
kommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt!
Wenn wir mцјssen - dann - wollen wir uns gebц¤rden, wie wir kц¶nnen -
Egmont, ich dich entbehren! - (In Trц¤nen.) Nein, es ist nicht mц¶glich,
nicht mц¶glich.
Egmont (in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrцјckt).
Klц¤rchen!
Klц¤rchen (tut einen Schrei, fц¤hrt zurцјck). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Sцјцџer!
Kommst du? bist du da!
Egmont. Guten Abend, Mutter.
Mutter. Gott grцјцџ' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
daцџ Ihr so lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet
und gesungen.
Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hц¤tten.
Klц¤rchen. Freilich! Seid nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles
darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
Mutter. Schmal genug.
Klц¤rchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen groцџen Appetit haben, wenn ich
bei ihm bin.
Egmont. Meinst du?
Klц¤rchen (stampft mit dem Fuцџe und kehrt sich unwillig um).
Egmont. Wie ist dir?
Klц¤rchen. Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen Kuцџ
angeboten. Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt wie ein
Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten noch Liebhaber, die Arme eingewickelt zu
haben.
Egmont. Zuzeiten, Liebchen, zuzeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer
steht und dem Feinde etwas ablisten mц¶chte, da nimmt er sich zusammen,
faцџt sich selbst in seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein
Liebhaber -
Mutter. Wollt Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich
muцџ in die Kцјche; Klц¤rchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr mцјцџt
fцјrliebnehmen.
Egmont. Euer guter Wille ist die beste Wцјrze. (Mutter ab.)
Klц¤rchen. Und was wц¤re denn meine Liebe?
Egmont. So viel du willst.
Klц¤rchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
Egmont. Zuvц¶rderst also. (Er wirft den Mantel ab und steht in einem
prц¤chtigen Kleide da.)
Klц¤rchen. O je!
Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
Klц¤rchen. Laцџt! Ihr verderbt Euch. (Sie tritt zurцјck.) Wie
prц¤chtig! Da darf ich Euch nicht anrцјhren.
Egmont. Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu
kommen.
Klц¤rchen. Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr
wolltet nicht - Ach und das Goldne Vlies!
Egmont. Da siehst du's nun.
Klц¤rchen. Das hat dir der Kaiser umgehц¤ngt?
Egmont. Ja, Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trц¤gt, die
edelsten Freiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter цјber meine
Handlungen als den Groцџmeister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der
Ritter.
Klц¤rchen. O du dцјrftest die ganze Welt цјber dich richten lassen. -
Der Sammet ist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! und das Gestickte!
- Man weiцџ nicht, wo man anfangen soll.
Egmont. Sieh dich nur satt.
Klц¤rchen. Und das Goldne Vlies! Ihr erzц¤hltet mir die Geschichte und
sagtet, es sei ein Zeichen alles Groцџen und Kostbaren, was man mit Mцјh und
Fleiцџ verdient und erwirbt. Es ist sehr kostbar - ich kann's deiner Liebe
vergleichen. - Ich trage sie ebenso am Herzen - und hernach -
Egmont. Was willst du sagen?
Klц¤rchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.
Egmont. Wieso?
Klц¤rchen. Ich habe sie nicht mit Mцјh und Fleiцџ erworben, nicht
verdient.
Egmont. In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich
nicht darum bewirbst - und die Leute erhalten sie auch meist allein, die
nicht darnach jagen.
Klц¤rchen. Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze
Anmerkung цјber dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?
Egmont. Hц¤tt' ich nur etwas fцјr sie getan! kц¶nnt' ich etwas fцјr sie
tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
Klц¤rchen. Du warst gewiцџ heute bei der Regentin?
Egmont. Ich war bei ihr.
Klц¤rchen. Bist du gut mit ihr?
Egmont. Es sieht einmal so aus. Wir sind einander freundlich und
dienstlich.
Klц¤rchen. Und im Herzen?
Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat seine eignen Absichten. Das tut
nichts zur Sache. Sie ist eine treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sц¤he
tief genug, wenn sie auch nicht argwц¶hnisch wц¤re. Ich mache ihr viel zu
schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse sucht, und ich
keine habe.
Klц¤rchen. So gar keine?
Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in
den Fц¤ssern an mit der Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere
Unterhaltung fцјr sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit
gesetzt, daцџ er immer etwas Geheimes vorhabe: und nun sieht sie immer nach
seiner Stirne, was er wohl denken, auf seine Schritte, wohin er sie wohl
richten mц¶chte.
Klц¤rchen. Verstellt sie sich?
Egmont. Regentin, und du fragst?
Klц¤rchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?
Egmont. Nicht mehr und nicht weniger als jeder, der seine Absichten
erreichen will.
Klц¤rchen. Ich kц¶nnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch
einen mц¤nnlichen Geist, sie ist ein ander Weib als wir Nц¤hterinnen und
Kц¶chinnen. Sie ist groцџ, herzhaft, entschlossen.
Egmont. Ja, wenn's nicht gar zu bunt geht. Diesmal ist sie doch ein
wenig aus der Fassung.
Klц¤rchen. Wieso?
Egmont. Sie hat auch ein Bц¤rtchen auf der Oberlippe, und manchmal
einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
Klц¤rchen. Eine majestц¤tische Frau! Ich scheute mich, vor sie zu
treten.
Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft - Es wц¤re auch nicht Furcht,
nur jungfrц¤uliche Scham.
Klц¤rchen (schlц¤gt die Augen nieder, nimmt seine Hand und lehnt sich
an ihn).
Egmont. Ich verstehe dich! liebes Mц¤dchen! du darfst die Augen
aufschlagen. (Er kцјцџt ihre Augen.)
Klц¤rchen. Laцџ mich schweigen! Laцџ mich dich halten. Laцџ mich dir in
die Augen sehen; alles drin finden, Trost und Hoffnung und Freude und
Kummer. (Sie umarmt ihn und sieht ihn an.) Sag mir! Sage! ich begreife
nicht! bist du Egmont? der Graf Egmont? der groцџe Egmont, der so viel
Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hц¤ngen?
Egmont. Nein, Klц¤rchen, das bin ich nicht.
Klц¤rchen. Wie?
Egmont. Siehst du, Klц¤rchen! - Laцџ mich sitzen! (Er setzt sich, sie
kniet vor ihn auf einen Schemel, legt ihr Arme auf seinen Schoцџ und sieht
ihn an.) Jener Egmont ist ein verdrieцџlicher, steifer, kalter Egmont, der
an sich halten, bald dieses bald jenes Gesicht machen muцџ; geplagt,
verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute fцјr froh und frц¶hlich halten;