ein edles Heer von Kriegern wehend anfцјhrt, so soll mein Geist um eure
Hц¤upter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einem
fцјrchterlichen Heer vereinigen.
Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (Bцјrger ab.)
Brackenburg. Klц¤rchen! siehst du nicht, wo wir sind?
Klц¤rchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft sich herrlicher zu wц¶lben
schien, wenn der Edle unter ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie
herausgesehn, vier, fцјnf Kц¶pfe цјbereinander; an diesen Tцјren haben sie
gescharrt und genickt, wenn er auf die Memmen herabsah. O ich hatte sie so
lieb, wie sie ihn ehrten! Wц¤re er Tyrann gewesen, mц¶chten sie immer vor
seinem Falle seitwц¤rts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihr Hц¤nde, die ihr
an die Mцјtzen grifft, zum Schwert kц¶nnt ihr nicht greifen - Brackenburg,
und wir? - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was
tun sie fцјr ihn? - List hat in der Welt so viel erreicht - Du kennst Wege
und Stege, kennst das alte Schloцџ. Es ist nichts unmц¶glich, gib mir einen
Anschlag.
Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen!
Klц¤rchen. Gut.
Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; laцџ doch die Stimme
der Vernunft dir zu Herzen dringen. Hц¤ltst du mich fцјr feig? Glaubst du
nicht, daцџ ich um deinetwillen sterben kц¶nnte? Hier sind wir beide toll,
ich so gut wie du. Siehst du nicht das Unmц¶gliche? Wenn du dich faцџtest!
Du bist auцџer dir.
Klц¤rchen. Auцџer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid auцџer euch.
Da ihr laut den Helden verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung
nanntet, ihm Vivat rieft, wenn er kam: da stand ich in meinem Winkel, schob
das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir hц¶her
als euch allen. Jetzt schlц¤gt mir's wieder hц¶her als euch allen! Ihr
verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fцјhlt nicht, daцџ ihr
untergeht, wenn er verdirbt.
Brackenburg. Komm nach Hause.
Klц¤rchen. Nach Hause?
Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh dich um! Dies sind die Straцџen,
die du nur sonntц¤glich betratst, durch die du sittsam nach der Kirche
gingst, wo du цјbertrieben ehrbar zцјrntest, wenn ich mit einem freundlichen
grцјцџenden Wort mich zu dir gesellte. Du stehst und redest, handelst vor
den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozu hilft es uns?
Klц¤rchen. Nach Hause! Ja, ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach
Hause! Weiцџt du, wo meine Heimat ist? (Ab.)

Gefц¤ngnis,
durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde
Egmont (allein). Alter Freund! immer getreuer Schlaf, fliehst du mich
auch wie die цјbrigen Freunde? Wie willig senktest du dich auf mein freies
Haupt herunter und kцјhltest wie ein schц¶ner Myrtenkranz der Liebe meine
Schlц¤fe! Mitten unter Waffen, auf der Woge des Lebens, ruht' ich leicht
atmend, wie ein aufquellender Knabe, in deinen Armen. Wenn Stцјrme durch
Zweige und Blц¤tter sausten, Ast und Wipfel sich knirrend bewegten, blieb
innerst doch der Kern des Herzens ungeregt. Was schцјttelt dich nun? was
erschцјttert den festen treuen Sinn? Ich fцјhl's, es ist der Klang der
Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ich aufrecht, und ein innrer
Schauer durchfц¤hrt mich. Ja, sie цјberwindet, die verrц¤terische Gewalt;
sie untergrц¤bt den festen hohen Stamm, und eh' die Rinde dorrt, stцјrzt
krachend und zerschmetternd deine Krone.
Warum denn jetzt, der du so oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen
dir vom Haupte weggewiesen, warum vermagst du nicht die Ahnung zu
verscheuchen, die tausendfach in dir sich auf- und niedertreibt? Seit wann
begegnet der Tod dir fцјrchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wie mit
den цјbrigen Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen lebtest? - Auch ist
er's nicht, der rasche Feind, dem die gesunde Brust wetteifernd sich
entgegensehnt; der Kerker ist's, des Grabes Vorbild, dem Helden wie dem
Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's schon auf meinem gepolsterten
Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die Fцјrsten, was leicht zu
entscheiden war, mit wiederkehrenden Gesprц¤chen цјberlegten, und zwischen
dцјstern Wц¤nden eines Saals die Balken der Decke mich erdrцјckten. Da eilt'
ich fort, sobald es mц¶glich war, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge.
Und frisch hinaus, da wo wir hingehц¶ren! ins Feld, wo aus der Erde dampfend
jede nц¤chste Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alle Segen der
Gestirne uns umwittern; wo wir, dem erdgebornen Riesen gleich, von der
Berцјhrung unsrer Mutter krц¤ftiger uns in die Hц¶he reiцџen; wo wir die
Menschheit ganz und menschliche Begier in allen Adern fцјhlen; wo das
Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu erhaschen, seine Faust zu brauchen,
zu besitzen, zu erobern, durch die Seele des jungen Jц¤gers glцјht; wo der
Soldat sein angebornes Recht auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaцџt
und in fцјrchterlicher Freiheit wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und
Wald verderbend streicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
Du bist nur Bild, Erinnerungstraum des Glцјcks, das ich so lang
besessen; wo hat dich das Geschick verrц¤terisch hingefцјhrt? Versagt es
dir, den nie gescheuten Tod im Angesicht der Sonne rasch zu gц¶nnen, um dir
des Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten? Wie haucht er mich aus
diesen Steinen widrig an! Schon starrt das Leben, vor dem Ruhebette wie vor
dem Grabe scheut der Fuцџ. -
O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den Mord beginnst, laцџ ab! - Seit
wann ist Egmont denn allein, so ganz allein in dieser Welt? Dich macht der
Zweifel hцјlflos, nicht das Glцјck. Ist die Gerechtigkeit des Kц¶nigs, der
du lebenslang vertrautest, ist der Regentin Freundschaft, die fast (du
darfst es dir gestehn), fast Liebe war, sind sie auf einmal, wie ein
glц¤nzend Feuerbild der Nacht, verschwunden? und lassen dich allein auf
dunkelm Pfad zurцјck? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend
sinnen? Wird nicht ein Volk sich sammeln und mit anschwellender Gewalt den
alten Freund erretten?
O haltet, Mauern, die ihr mich einschlieцџt, so vieler Geister
wohlgemeintes Drц¤ngen nicht von mir ab; und welcher Mut aus meinen Augen
sonst sich цјber sie ergoцџ, der kehre nun aus ihren Herzen in meines
wieder. O ja, sie rцјhren sich zu Tausenden! sie kommen! stehen mir zur
Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem Himmel, er bittet um ein
Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder, so seh ich sie
nach Lanz und Schwertern greifen. Die Tore spalten sich, die Gitter
springen, die Mauer stцјrzt von ihren Hц¤nden ein, und der Freiheit des
einbrechenden Tages steigt Egmont frц¶hlich entgegen. Wie manch bekannt
Gesicht empfц¤ngt mich jauchzend! Ach Klц¤rchen, wц¤rst du Mann; so sц¤h'
ich dich gewiцџ auch hier zuerst und dankte dir, was einem Kц¶nige zu danken
hart ist, Freiheit.

Klц¤rchens Haus
Klц¤rchen (kommt mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer;
sie setzt das Glas auf den Tisch und tritt ans Fenster). Brackenburg? Seid
Ihr's? Was hц¶rt' ich denn? noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe
ins Fenster setzen, daцџ er sieht, ich wache noch, ich warte noch auf ihn.
Er hat mir Nachricht versprochen. Nachricht? Entsetzliche Gewiцџheit! -
Egmont verurteilt! - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn!
Der Kц¶nig verdammt ihn? oder der Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien zaudert, und alle seine Freunde! - - Ist dies die Welt, von deren
Wankelmut, Unzuverlц¤ssigkeit ich viel gehц¶rt und nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt? - Wer wц¤re bц¶s genug, den Teuern anzufeinden? Wц¤re
Bosheit mц¤chtig genug, den allgemein Erkannten schnell zu stцјrzen? Doch
ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor Gott und Menschen,
wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes
Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach
der Schlinge, die dich faцџt, die Hand aus. Du hцјlflos und ich frei! - Hier
ist der Schlцјssel zu meiner Tцјr. An meiner Willkцјr hц¤ngt mein Gehen und
mein Kommen, und dir bin ich zu nichts! - - O bindet mich, damit ich nicht
verzweifle; und werft mich in den tiefsten Kerker, daцџ ich das Haupt an
feuchte Mauern schlage, nach Freiheit winsle, trц¤ume, wie ich ihm helfen
wollte, wenn Fesseln mich nicht lц¤hmten, wie ich ihm helfen wцјrde. - Nun
bin ich frei, und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst
bewuцџt, nicht fц¤hig, ein Glied nach seiner Hцјlfe zu rцјhren. Ach leider,
auch der kleine Teil von deinem Wesen, dein Klц¤rchen, ist wie du gefangen
und regt getrennt im Todeskrampfe nur die letzten Krц¤fte. - Ich hц¶re
schleichen, husten - Brackenburg - er ist's! - Elender guter Mann, dein
Schicksal bleibt sich immer gleich; dein Liebchen ц¶ffnet dir die
nц¤chtliche Tцјr, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft!
(Brackenburg tritt auf.)
Klц¤rchen. Du kommst so bleich und schцјchtern, Brackenburg! was ist's?
Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren such ich dich auf. Die groцџen
Straцџen sind besetzt; durch Gц¤цџchen und durch Winkel hab ich mich zu dir
gestohlen.
Klц¤rchen. Erzц¤hl, wie ist's?
Brackenburg (indem er sich setzt). Ach Klц¤re, laцџ mich weinen. Ich
liebt' ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf
zur bessern Weide herцјber. Ich hab ihn nie verflucht; Gott hat mich treu
geschaffen und weich. In Schmerzen floцџ mein Leben vor mir nieder, und zu
verschmachten hofft' ich jeden Tag.
Klц¤rchen. Vergiцџ das, Brackenburg! Vergiцџ dich selbst. Sprich mir
von ihm! Ist's wahr? Ist er verurteilt?
Brackenburg. Er ist's! ich weiцџ es ganz genau.
Klц¤rchen. Und lebt noch?
Brackenburg. Ja, er lebt noch.
Klц¤rchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der
Nacht den Herrlichen! vor allen Augen verborgen flieцџt sein Blut.
ц„ngstlich im Schlafe liegt das betц¤ubte Volk und trц¤umt von Rettung,
trц¤umt ihres ohnmц¤chtigen Wunsches Erfцјllung; indes unwillig цјber uns
sein Geist die Welt verlц¤цџt. Er ist dahin! - Tц¤usche mich nicht! dich
nicht!
Brackenburg. Nein gewiцџ, er lebt! - Und leider, es bereitet der
Spanier dem Volke, das er zertreten will, ein fцјrchterliches Schauspiel,
gewaltsam jedes Herz, das nach der Freiheit sich regt, auf ewig zu
zerknirschen.
Klц¤rchen. Fahre fort und sprich gelassen auch mein Todesurteil aus!
Ich wandle den seligen Gefilden schon nц¤her und nц¤her, mir weht der Trost
aus jenen Gegenden des Friedens schon herцјber. Sag an.
Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da
bald dorten fielen, daцџ auf dem Markte geheimnisvoll ein Schrecknis
zubereitet werde. Ich schlich durch Seitenwege, durch bekannte Gц¤nge nach
meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfenster nach dem Markte. - Es
wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ich
schц¤rfte mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein schwarzes
Gerцјst entgegen, gerц¤umig hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschц¤ftig
waren viele rings umher bemцјht, was noch von Holzwerk weiцџ und sichtbar
war, mit schwarzem Tuch einhцјllend zu verkleiden. Die Treppen deckten sie
zuletzt auch schwarz, ich sah es wohl. Sie schienen die Weihe eines
grц¤цџlichen Opfers vorbereitend zu begehn. Ein weiцџes Kruzifix, das durch
die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich
sah, und sah die schreckliche Gewiцџheit immer gewisser. Noch wankten
Fackeln hie und da herum; allmц¤hlich wichen sie und erloschen. Auf einmal
war die scheuцџliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter Schoцџ zurцјckgekehrt.
Klц¤rchen. Still, Brackenburg! Nun still! Laцџ diese Hцјlle auf meiner
Seele ruhn. Verschwunden sind die Gespenster, und du, holde Nacht, leih
deinen Mantel der Erde, die in sich gц¤rt; sie trц¤gt nicht lц¤nger die
abscheuliche Last, reiцџt ihre tiefen Spalten grausend auf und knirscht das
Mordgerцјst hinunter. Und irgendeinen Engel sendet der Gott, den sie zum
Zeugen ihrer Wut geschц¤ndet; vor des Boten heiliger Berцјhrung lц¶sen sich
Riegel und Bande, und er umgieцџt den Freund mit mildem Schimmer; er fцјhrt
ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft und still. Und auch mein Weg geht
heimlich in dieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.
Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
Klц¤rchen. Leise, Lieber, daцџ niemand erwache! daцџ wir uns selbst
nicht wecken! Kennst du dies Flц¤schchen, Brackenburg? Ich nahm dir's
scherzend, als du mit цјbereiltem Tod oft ungeduldig drohtest. - Und nun,
mein Freund -
Brackenburg. In aller Heiligen Namen! -
Klц¤rchen. Du hinderst nichts. Tod ist mein Teil! und gц¶nne mir den
sanften schnellen Tod, den du dir selbst bereitetest. Gib mir deine Hand! -
Im Augenblick, da ich die dunkle Pforte erц¶ffne, aus der kein Rцјckweg ist,
kц¶nnt' ich mit diesem Hц¤ndedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie
sehr ich dich bejammert. Mein Bruder starb mir jung; dich wц¤hlt' ich, seine
Stelle zu ersetzen. Es widersprach dein Herz und quц¤lte sich und mich,
verlangtest heiцџ und immer heiцџer, was dir nicht beschieden war. Vergib
mir und leb wohl! Laцџ mich dich Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel
Namen in sich faцџt. Nimm die letzte schц¶ne Blume der Scheidenden mit
treuem Herzen ab - nimm diesen Kuцџ - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg,
uns denn auch.
Brackenburg. So laцџ mich mit dir sterben! Teile! Teile! Es ist genug,
zwei Leben auszulц¶schen.
Klц¤rchen. Bleib! du sollst leben, du kannst leben. - Steh meiner
Mutter bei, die ohne dich in Armut sich verzehren wцјrde. Sei ihr, was ich
ihr nicht mehr sein kann; lebt zusammen und beweint mich. Beweint das
Vaterland und den, der es allein erhalten konnte. Das heutige Geschlecht
wird diesen Jammer nicht los; die Wut der Rache selbst vermag ihn nicht zu
tilgen. Lebt, ihr Armen, die Zeit noch hin, die keine Zeit mehr ist. Heut
steht die Welt auf einmal still; es stockt ihr Kreislauf, und mein Puls
schlц¤gt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl!
Brackenburg. O lebe du mit uns, wie wir fцјr dich allein! Du tц¶test
uns in dir, o leb und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten
stehn, und immer achtsam soll die Liebe den schц¶nsten Trost in ihren
lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ich darf nicht sagen: mein.
Klц¤rchen. Leise, Brackenburg! Du fцјhlst nicht, was du rцјhrst. Wo
Hoffnung dir erscheint, ist mir Verzweiflung.
Brackenburg. Teile mit den Lebendigen die Hoffnung! Verweil am Rande
des Abgrundes, schau hinab und sieh auf uns zurцјck.
Klц¤rchen. Ich hab цјberwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit.
Brackenburg. Du bist betц¤ubt; gehцјllt in Nacht suchst du die Tiefe.
Noch ist nicht jedes Licht erloschen, noch mancher Tag! -
Klц¤rchen. Weh! цјber dich Weh! Weh! Grausam zerreiцџest du den Vorhang
vor meinem Auge. Ja, er wird grauen, der Tag! vergebens alle Nebel um sich
ziehn und wider Willen grauen! Furchtsam schaut der Bцјrger aus seinem
Fenster, die Nacht lц¤цџt einen schwarzen Flecken zurцјck; er schaut, und
fцјrchterlich wц¤chst im Lichte das Mordgerцјst. Neu leidend wendet das
entweihte Gottesbild sein flehend Auge zum Vater auf. Die Sonne wagt sich
nicht hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll.
Trц¤ge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine Stunde nach der andern schlц¤gt.
Halt! Halt! Nun ist es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das Grab.
(Sie tritt ans Fenster, als sц¤he sie sich um, und trinkt heimlich.)
Brackenburg. Klц¤re! Klц¤re!
Klц¤rchen (geht nach dem Tisch und trinkt das Wasser). Hier ist der
Rest! Ich locke dich nicht nach. Tu, was du darfst, leb wohl. Lц¶sche diese
Lampe still und ohne Zaudern, ich geh zur Ruhe. Schleiche dich sachte weg,
ziehe die Tцјr nach dir zu. Still! Wecke meine Mutter nicht! Geh, rette
dich! Rette dich! wenn du nicht mein Mц¶rder scheinen willst. (Ab.)
Brackenburg. Sie lц¤цџt mich zum letztenmale wie immer. O kц¶nnte eine
Menschenseele fцјhlen, wie sie ein liebend Herz zerreiцџen kann. Sie lц¤цџt
mich stehn, mir selber цјberlassen; und Tod und Leben ist mir gleich
verhaцџt. - Allein zu sterben! - Weint, ihr Liebenden! Kein hц¤rter
Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir den Todestropfen und schickt mich
weg! von ihrer Seite weg! sie zieht mich nach und stц¶цџt ins Leben mich
zurцјck. O Egmont, welch preiswцјrdig Los fц¤llt dir! Sie geht voran; der
Kranz des Siegs aus ihrer Hand ist dein, sie bringt den ganzen Himmel dir
entgegen! - Und soll ich folgen? wieder seitwц¤rts stehn? den
unauslц¶schlichen Neid in jene Wohnungen hinцјbertragen? - Auf Erden ist
kein Bleiben mehr fцјr mich, und Hц¶ll und Himmel bieten gleiche Qual. Wie
wц¤re der Vernichtung Schreckenshand dem Unglцјckseligen will kommen!
(Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unverц¤ndert. Eine
Musik, Klц¤rchens Tod bezeichnend, beginnt; die Lampe, welche Brackenburg
auszulц¶schen vergessen, flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald
verwandelt sich der Schauplatz in das
Gefц¤ngnis
Egmont liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlцјsseln, und die Tцјr tut sich auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen folgt Ferdinand, Albas Sohn, und Silva, begleitet von Gewaffneten.
Egmont fц¤hrt aus dem Schlaf auf.)
Egmont. Wer seid ihr? die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen
schцјttelt. Was kцјnden eure trotzigen, unsichern Blicke mir an? Warum
diesen fцјrchterlichen Aufzug? Welchen Schreckenstraum kommt ihr der halb
erwachten Seele vorzulцјgen?
Silva. Uns schickt der Herzog, dir dein Urteil anzukцјndigen.
Egmont. Bringst du den Henker auch mit, es zu vollziehen?
Silva. Vernimm es, so wirst du wissen, was deiner wartet.
Egmont. So ziemt es euch und euerm schц¤ndlichen Beginnen! In Nacht
gebrцјtet und in Nacht vollfцјhrt. So mag diese freche Tat der
Ungerechtigkeit sich verbergen! - Tritt kцјhn hervor, der du das Schwert
verhцјllt unter dem Mantel trц¤gst; hier ist mein Haupt, das freieste, das
je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
Silva. Du irrst! Was gerechte Richter beschlieцџen, werden sie vorm
Angesicht des Tages nicht verbergen.
Egmont. So цјbersteigt die Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
Silva (nimmt einem Dabeistehenden das Urteil ab, entfaltet's und
liest's). б»Im Namen des Kц¶nigs, und kraft besonderer von Seiner Majestц¤t
uns цјbertragenen Gewalt, alle seine Untertanen, wes Standes sie seien,
zugleich die Ritter des Goldnen Vlieses zu richten, erkennen wirб« -
Egmont. Kann die der Kц¶nig цјbertragen?
Silva. б»Erkennen wir, nach vorgц¤ngiger genauer, gesetzlicher
Untersuchung, dich Heinrich Grafen Egmont, Prinzen von Gaure, des
Hochverrats schuldig und sprechen das Urteil: daцџ du mit der Frцјhe des
einbrechenden Morgens aus dem Kerker auf den Markt gefцјhrt und dort, vorm
Angesicht des Volks, zur Warnung aller Verrц¤ter mit dem Schwerte vom Leben
zum Tode gebracht werden sollest. Gegeben Brцјssel imб« (Datum und Jahrzahl
werden undeutlich gelesen, so, daцџ sie der Zuhц¶rer nicht versteht.)
б»Ferdinand, Herzog von Alba,
Vorsitzer des Gerichts der Zwц¶lfe.б«
Du weiцџt nun dein Schicksal; es bleibt dir wenige Zeit, dich drein zu
ergeben, dein Haus zu bestellen und von den Deinigen Abschied zu nehmen.
(Silva mit dem Gefolge geht ab. Es bleibt Ferdinand und zwei Fackeln;
das Theater ist mц¤цџig erleuchtet.)
Egmont (hat eine Weile in sich versenkt stille gestanden und Silva,
ohne sich umzusehn, abgehen lassen. Er glaubt sich allein, und da er die
Augen aufhebt, erblickt er Albas Sohn). Du stehst und bleibst? Willst du
mein Erstaunen, mein Entsetzen noch durch deine Gegenwart vermehren? Willst
du noch etwa die willkommne Botschaft deinem Vater bringen, daцџ ich
unmц¤nnlich verzweifle? Geh! Sag ihm! Sag ihm, daцџ er weder mich noch die
Welt belцјgt. Ihm, dem Ruhmsцјchtigen, wird man es erst hinter den Schultern
leise lispeln, dann laut und lauter sagen, und wenn er einst von diesem
Gipfel herabsteigt, werden tausend Stimmen es ihm entgegenrufen! Nicht das
Wohl des Staats, nicht die Wцјrde des Kц¶nigs, nicht die Ruhe der Provinzen
haben ihn hierher gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, daцџ
der Krieger im Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit
man seiner bedцјrfe. Und ich falle, ein Opfer seines niedrigen Hasses,
seines kleinlichen Neides. Ja, ich weiцџ es, und ich darf es sagen; der
Sterbende, der tц¶dlich Verwundete kann es sagen: mich hat der Eingebildete
beneidet; mich wegzutilgen hat er lange gesonnen und gedacht.
Schon damals, als wir noch jцјnger mit Wцјrfeln spielten und die Haufen
Goldes, einer nach dem andern, von seiner Seite zu mir herцјbereilten, da
stand er grimmig, log Gelassenheit, und innerlich verzehrte ihn die
ц„rgernis, mehr цјber mein Glцјck als цјber seinen Verlust. Noch erinnere
ich mich des funkelnden Blicks, der verrц¤terischen Blц¤sse, als wir an
einem ц¶ffentlichen Feste vor vielen tausend Menschen um die Wette schossen.
Er forderte mich auf, und beide Nationen standen; die Spanier, die
Niederlц¤nder wetteten und wцјnschten. Ich цјberwand ihn; seine Kugel irrte,
die meine traf; ein lauter Freudenschrei der Meinigen durchbrach die Luft.
Nun trifft mich sein Geschoцџ. Sag ihm, daцџ ich's weiцџ, daцџ ich ihn
kenne, daцџ die Welt jede Siegszeichen verachtet, die ein kleiner Geist
erschleichend sich aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne mц¶glich ist, von
der Sitte des Vaters zu weichen, цјbe beizeiten die Scham, indem du dich
fцјr den schц¤mst, den du gerne von ganzem Herzen verehren mц¶chtest.
Ferdinand. Ich hц¶re dich an, ohne dich zu unterbrechen! Deine
Vorwцјrfe lasten wie Keulschlц¤ge auf einem Helm; ich fцјhle die
Erschцјtterung, aber ich bin bewaffnet. Du triffst mich, du verwundest mich
nicht; fцјhlbar ist mir allein der Schmerz, der mir den Busen zerreiцџt.
Wehe mir! Wehe! Zu einem solchen Anblick bin ich aufgewachsen, zu einem
solchen Schauspiele bin ich gesendet!
Egmont. Du brichst in Klagen aus? Was rцјhrt, was bekцјmmert dich? Ist
es eine spц¤te Reue, daцџ du der schц¤ndlichen Verschwц¶rung deinen Dienst
geliehen? Du bist so jung und hast ein glцјckliches Ansehn. Du warst so
zutraulich, so freundlich gegen mich. Solang ich dich sah, war ich mit
deinem Vater versц¶hnt. Und ebenso verstellt, verstellter als er, lockst du
mich in das Netz. Du bist der Abscheuliche! Wer ihm traut, mag er es auf
seine Gefahr tun; aber wer fцјrchtete Gefahr, dir zu vertrauen? Geh! Geh!
Raube mir nicht die wenigen Augenblicke! Geh, daцџ ich mich sammle, die Welt
und dich zuerst vergesse! -
Ferdinand. Was soll ich dir sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe
dich nicht, und fцјhle mich nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir
versichern, daцџ ich erst spц¤t, erst ganz zuletzt des Vaters Absichten
erfuhr, daцџ ich als ein gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens
handelte? Was fruchtet's, welche Meinung du von mir haben magst? Du bist
verloren; und ich Unglцјcklicher stehe nur da, um dir's zu versichern, um
dich zu bejammern.
Egmont. Welche sonderbare Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet
mir auf dem Wege zum Grabe? Du, Sohn meines ersten, meines fast einzigen
Feindes, du bedauerst mich, du bist nicht unter meinen Mц¶rdern? Sage, rede!
Fцјr wen soll ich dich halten?
Ferdinand. Grausamer Vater! Ja ich erkenne dich in diesem Befehle. Du
kanntest mein Herz, meine Gesinnung, die du so oft als Erbteil einer
zц¤rtlichen Mutter schaltest. Mich dir gleich zu bilden, sandtest du mich
hierher. Diesen Mann am Rande des gц¤hnenden Grabes, in der Gewalt eines
willkцјrlichen Todes zu sehen, zwingst du mich, daцџ ich den tiefsten
Schmerz empfinde, daцџ ich taub gegen alles Schicksal, daцџ ich
unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
Egmont. Ich erstaune! Fasse dich! Stehe, rede wie ein Mann.
Ferdinand. O daцџ ich ein Weib wц¤re! daцџ man mir sagen kц¶nnte: was
rцјhrt dich? was ficht dich an? Sage mir ein grц¶цџeres, ein ungeheureres
цњbel, mache mich zum Zeugen einer schrecklichern Tat; ich will dir danken,
ich will sagen: es war nichts.
Egmont. Du verlierst dich. Wo bist du?
Ferdinand. Laцџ diese Leidenschaft rasen, laцџ mich losgebunden klagen!
Ich will nicht standhaft scheinen, wenn alles in mir zusammenbricht. Dich
soll ich hier sehn? - Dich? - Es ist entsetzlich! Du verstehst mich nicht!
Und sollst du mich verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
Egmont. Lц¶se mir das Geheimnis.
Ferdinand. Kein Geheimnis.
Egmont. Wie bewegt dich so tief das Schicksal eines fremden Mannes?
Ferdinand. Nicht fremd! Du bist mir nicht fremd. Dein Name war's, der
mir in meiner ersten Jugend gleich einem Stern des Himmels
entgegenleuchtete. Wie oft hab ich nach dir gehorcht, gefragt! Des Kindes
Hoffnung ist der Jцјngling, des Jцјnglings der Mann. So bist du vor mir her
geschritten; immer vor, und ohne Neid sah ich dich vor, und schritt dir
nach, und fort und fort. Nun hofft' ich endlich dich zu sehen, und sah dich,
und mein Herz flog dir entgegen. Dich hatt' ich mir bestimmt, und wц¤hlte
dich aufs neue, da ich dich sah. Nun hofft' ich erst, mit dir zu sein, mit
dir zu leben, dich zu fassen, dich - Das ist nun alles weggeschnitten, und
ich sehe dich hier!
Egmont. Mein Freund, wenn es dir wohltun kann, so nimm die
Versicherung, daцџ im ersten Augenblick mein Gemцјt dir entgegenkam. Und
hц¶re mich. Laцџ uns ein ruhiges Wort untereinander wechseln. Sage mir: ist
es der strenge, ernste Wille deines Vaters, mich zu tц¶ten?
Ferdinand. Er ist's.
Egmont. Dieses Urteil wц¤re nicht ein leeres Schreckbild mich zu
ц¤ngstigen, durch Furcht und Drohung zu strafen: mich zu erniedrigen und
dann mit kц¶niglicher Gnade mich wieder aufzuheben?
Ferdinand. Nein, ach leider nein! Anfangs schmeichelte ich mir selbst
mit dieser ausweichenden Hoffnung; und schon da empfand ich Angst und
Schmerz, dich in diesem Zustande zu sehen. Nun ist es wirklich, ist gewiцџ.
Nein, ich regiere mich nicht. Wer gibt mir eine Hцјlfe, wer einen Rat, dem
Unvermeidlichen zu entgehen?
Egmont. So hц¶re mich. Wenn deine Seele so gewaltsam dringt, mich zu
retten, wenn du die цњbermacht verabscheust, die mich gefesselt hц¤lt, so
rette mich! Die Augenblicke sind kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn und
selbst gewaltig - Laцџ uns entfliehen! Ich kenne die Wege; die Mittel
kц¶nnen dir nicht unbekannt sein. Nur diese Mauern, nur wenige Meilen
entfernen mich von meinen Freunden. Lц¶se diese Bande, bringe mich zu ihnen
und sei unser. Gewiцџ, der Kц¶nig dankt dir dereinst meine Rettung. Jetzt
ist er цјberrascht, und vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt;
und die Majestц¤t muцџ das Geschehene billigen, wenn sie sich auch davor
entsetzet. Du denkst? O denke mir den Weg der Freiheit aus! Sprich, und
nц¤hre die Hoffnung der lebendigen Seele.
Ferdinand. Schweig! o schweige! Du vermehrst mit jedem Worte meine
Verzweiflung. Hier ist kein Ausweg, kein Rat, keine Flucht. - Das quц¤lt
mich, das greift und faцџt mir wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das
Netz zusammengezogen; ich kenne die strengen festen Knoten; ich weiцџ, wie
jeder Kцјhnheit, jeder List die Wege verrennt sind; ich fцјhle mich mit dir
und mit allen andern gefesselt. Wцјrde ich klagen, hц¤tte ich nicht alles
versucht? Zu seinen Fцјцџen habe ich gelegen, geredet und gebeten. Er
schickte mich hierher, um alles, was von Lebenslust und Freude mit mir lebt,
in diesem Augenblicke zu zerstц¶ren.
Egmont. Und keine Rettung?
Ferdinand. Keine!
Egmont (mit dem Fuцџe stampfend). Keine Rettung! - - Sцјцџes Leben!
schц¶ne freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens! von dir soll ich
scheiden! So gelassen scheiden! Nicht im Tumulte der Schlacht, unter dem
Gerц¤usch der Waffen, in der Zerstreuung des Getцјmmels gibst du mir ein
flцјchtiges Lebewohl; du nimmst keinen eiligen Abschied, verkцјrzest nicht
den Augenblick der Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in
die Augen sehn, deine Schц¶ne, deinen Wert recht lebhaft fцјhlen und dann
mich entschlossen losreiцџen und sagen: Fahre hin!
Ferdinand Und ich soll daneben stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht
hindern kц¶nnen! O welche Stimme reichte zur Klage! Welches Herz flц¶sse
nicht aus seinen Banden vor diesem Jammer?
Egmont. Fasse dich!
Ferdinand. Du kannst dich fassen, du kannst entsagen, den schweren
Schritt an der Hand der Notwendigkeit heldenmц¤цџig gehn. Was kann ich? Was
soll ich? Du цјberwindest dich selbst und uns; du цјberstehst; ich цјberlebe
dich und mich selbst. Bei der Freude des Mahls hab ich mein Licht, im
Getцјmmel der Schlacht meine Fahne verloren. Schal, verworren, trцјb scheint
mir die Zukunft.
Egmont. Junger Freund, den ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich
gewinne und verliere, der fцјr mich die Todesschmerzen empfindet, fцјr mich
leidet, sieh mich in diesen Augenblicken an; du verlierst mich nicht. War
dir mein Leben ein Spiegel, in welchem du dich gerne betrachtetest: so sei
es auch mein Tod. Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen
sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe
mir genug gelebt. Eines jeden Tages hab ich mich gefreut; an jedem Tage mit
rascher Wirkung meine Pflicht getan, wie mein Gewissen mir sie zeigte. Nun
endigt sich das Leben, wie es sich frцјher, frцјher, schon auf dem Sande von
Gravelingen hц¤tte endigen kц¶nnen. Ich hц¶re auf zu leben; aber ich habe
gelebt. So leb auch du, mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den Tod
nicht.
Ferdinand. Du hц¤ttest dich fцјr uns erhalten kц¶nnen, erhalten sollen.
Du hast dich selber getц¶tet. Oft hц¶rt' ich, wenn kluge Mц¤nner цјber dich
sprachen, feindselige, wohlwollende, sie stritten lang цјber deinen Wert;
doch endlich vereinigten sie sich, keiner wagt' es zu leugnen, jeder
gestand: ja, er wandelt einen gefц¤hrlichen Weg. Wie oft wцјnscht' ich, dich
warnen zu kц¶nnen! Hattest du denn keine Freunde?
Egmont. Ich war gewarnt.
Ferdinand. Und wie ich punktweise alle diese Beschuldigungen wieder in
der Anklage fand, und deine Antworten! Gut genug, dich zu entschuldigen;
nicht triftig genug, dich von der Schuld zu befreien -
Egmont. Dies sei beiseite gelegt. Es glaubt der Mensch sein Leben zu
leiten, sich selbst zu fцјhren; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach
seinem Schicksale gezogen. Laцџ uns darцјber nicht sinnen; dieser Gedanken
entschlag ich mich leicht - schwerer der Sorge fцјr dieses Land! doch auch
dafцјr wird gesorgt sein. Kann mein Blut fцјr viele flieцџen, meinem Volke
Friede bringen, so flieцџt es willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es
ziemt dem Menschen, nicht mehr zu grцјbeln, wo er nicht mehr wirken soll.
Kannst du die verderbende Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's.
Wer wird das kц¶nnen? - Leb wohl!
Ferdinand. Ich kann nicht gehn.
Egmont. Laцџ meine Leute dir aufs beste empfohlen sein! Ich habe gute
Menschen zu Dienern; daцџ sie nicht zerstreut, nicht unglцјcklich werden!
Wie steht es um Richard, meinen Schreiber?
Ferdinand. Er ist dir vorangegangen. Sie haben ihn als Mitschuldigen
des Hochverrats enthauptet.
Egmont. Arme Seele! - Noch eins, und dann leb wohl, ich kann nicht
mehr. Was auch den Geist gewaltsam beschц¤ftigt, fordert die Natur zuletzt
doch unwiderstehlich ihre Rechte; und wie ein Kind, umwunden von der
Schlange, des erquickenden Schlafs genieцџt, so legt der Mцјde sich noch
einmal vor der Pforte des Todes nieder und ruht tief aus, als ob er einen
weiten Weg zu wandern hц¤tte. - Noch eins - Ich kenne ein Mц¤dchen; du wirst
sie nicht verachten, weil sie mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb ich
ruhig. Du bist ein edler Mann; ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt
mein alter Adolf? ist er frei?
Ferdinand. Der muntre Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
Egmont. Derselbe.
Ferdinand. Er lebt, er ist frei.
Egmont. Er weiцџ ihre Wohnung; laцџ dich von ihm fцјhren und lohn ihm
bis an sein Ende, daцџ er dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
Ferdinand. Ich gehe nicht.
Egmont (ihn nach der Tцјr drц¤ngend). Leb wohl!
Ferdinand. O laцџ mich noch!
Egmont. Freund, keinen Abschied.
(Er begleitet Ferdinanden bis an die Tцјr und reiцџt sich dort von ihm
los. Ferdinand, betц¤ubt, entfernt sich eilend.)
Egmont (allein). Feindseliger Mann! Du glaubtest nicht, mir diese
Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen los und
der Schmerzen, der Furcht und jedes ц¤ngstlichen Gefцјhls. Sanft und
dringend fordert die Natur ihren letzten Zoll. Es ist vorbei, es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewiцџ auf meinem Lager wachend
hielt, das schlц¤fert nun mit unbezwinglicher Gewiцџheit meine Sinnen ein.
(Er setzt sich aufs Ruhebett. Musik.)
Sцјцџer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glцјck ungebeten, unerfleht am
willigsten. Du lц¶sest die Knoten der strengen Gedanken, vermischest alle
Bilder der Freude und des Schmerzes; ungehindert flieцџt der Kreis innerer
Harmonien, und eingehцјllt in gefц¤lligen Wahnsinn, versinken wir und hц¶ren
auf zu sein.
(Er entschlц¤ft; die Musik begleitet seinen Schlummer. Hinter seinem
Lager scheint sich die Mauer zu erц¶ffnen, eine glц¤nzende Erscheinung zeigt
sich. Die Freiheit in himmlischem Gewande, von einer Klarheit umflossen,
ruht auf einer Wolke. Sie hat die Zцјge von Klц¤rchen und neigt sich gegen
den schlafenden Helden. Sie drцјckt eine bedauernde Empfindung aus, sie
scheint ihn zu beklagen. Bald faцџt sie sich, und mit aufmunternder Gebц¤rde
zeigt sie ihm das Bцјndel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heiцџt ihn
froh sein, und indem sie ihm andeutet, daцџ sein Tod den Provinzen die
Freiheit verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und reicht ihm einen
Lorbeerkranz, Wie sie sich mit dem Kranze dem Haupte nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, daцџ er mit
dem Gesicht aufwц¤rts gegen sie liegt. Sie hц¤lt den Kranz цјber seinem
Haupte schwebend: man hц¶rt ganz von weitem eine kriegerische Musik von
Trommeln und Pfeifen: bei dem leisesten Laut derselben verschwindet die
Erscheinung. Der Schall wird stц¤rker. Egmont erwacht; das Gefц¤ngnis wird
vom Morgen mц¤цџig erhellt. Seine erste Bewegung ist, nach dem Haupte zu
greifen: er steht auf und sieht sich um, indem er die Hand auf dem Haupte
behц¤lt.)
Verschwunden ist der Kranz! Du schц¶nes Bild, das Licht des Tages hat
dich verscheuchet! Ja sie waren's, sie waren vereint, die beiden sцјцџesten
Freuden meines Herzens. Die gц¶ttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte
sie die Gestalt; das reizende Mц¤dchen kleidete sich in der Freundin
himmlisches Gewand. In einem ernsten Augenblick erscheinen sie vereinigt,
ernster als lieblich. Mit blutbefleckten Sohlen trat sie vor mir auf, die
wehenden Falten des Saumes mit Blut befleckt. Es war mein Blut und vieler
Edeln Blut. Nein, es ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch! Braves
Volk! Die Siegesgц¶ttin fцјhrt dich an! Und wie das Meer durch eure Dц¤mme
bricht, so brecht, so reiцџt den Wall der Tyrannei zusammen und schwemmt
ersц¤ufend sie von ihrem Grunde, den sie sich anmaцџt, weg!
(Trommeln nц¤her.)
Horch! Horch! Wie oft rief mich dieser Schall zum freien Schritt nach
dem Felde des Streits und des Siegs! Wie munter traten die Gefц¤hrten auf
der gefц¤hrlichen, rцјhmlichen Bahn! Auch ich schreite einem ehrenvollen
Tode aus diesem Kerker entgegen; ich sterbe fцјr die Freiheit, fцјr die ich
lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfre.
(Der Hintergrund wird mit einer Reihe spanischer Soldaten besetzt,
welche Hellebarden tragen.)
Ja, fцјhrt sie nur zusammen! Schlieцџt eure Reihen, ihr schreckt mich
nicht. Ich bin gewohnt, vor Speeren gegen Speere zu stehn und, rings umgeben
von dem drohenden Tod, das mutige Leben nur doppelt rasch zu fцјhlen.
(Trommeln.)
Dich schlieцџt der Feind von allen Seiten ein! Es blinken Schwerter;
Freunde, hц¶hern Mut! Im Rцјcken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
(Auf die Wache zeigend.)
Und diese treibt ein hohles Wort des Herrschers, nicht ihr Gemцјt.
Schцјtzt eure Gцјter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich
euch ein Beispiel gebe.
(Trommeln. Wie er auf die Wache los- und auf die Hintertцјr zugeht,
fц¤llt der Vorhang: die Musik fц¤llt ein und schlieцџt mit einer
Siegessymphonie das Stцјck.)