geliebt von einem Volke, das nicht weiцџ, was es will; geehrt und in die
Hц¶he getragen von einer Menge, mit der nichts anzufangen ist; umgeben von
Freunden, denen er sich nicht цјberlassen darf; beobachtet von Menschen, die
ihm auf alle Weise beikommen mц¶chten; arbeitend und sich bemцјhend, oft
ohne Zweck meist ohne Lohn - O laцџ mich schweigen, wie es dem ergeht, wie
es dem zumute ist. Aber dieser, Klц¤rchen, der ist ruhig, offen, glцјcklich,
geliebt und gekannt von dem besten Herzen, das auch er ganz kennt und mit
voller Liebe und Zutrauen an das seine drцјckt. (Er umarmt sie.) Das ist
dein Egmont!
Klц¤rchen. So laцџ mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!
Vierter Aufzug
Straцџe
Jetter. Zimmermeister.
Jetter. He! Pst! He, Nachbar, ein Wort!
Zimmermeister. Geh deines Pfads und sei ruhig.
Jetter. Nur ein Wort. Nichts Neues?
Zimmermeister. Nichts, als daцџ uns von Neuem zu reden verboten ist.
Jetter. Wie?
Zimmermeister. Tretet hier ans Haus an. Hцјtet Euch! Der Herzog von
Alba hat gleich bei seiner Ankunft einen Befehl ausgehen lassen, dadurch
zwei oder drei, die auf der Straцџe zusammen sprechen, des Hochverrats ohne
Untersuchung schuldig erklц¤rt sind.
Jetter. O weh!
Zimmermeister. Bei ewiger Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen
zu reden.
Jetter. O unsre Freiheit!
Zimmermeister. Und bei Todesstrafe soll niemand die Handlungen der
Regierung miцџbilligen.
Jetter. O unsre Kц¶pfe!
Zimmermeister. Und mit groцџem Versprechen werden Vц¤ter, Mцјtter,
Kinder, Verwandte, Freunde, Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des
Hauses vorgeht, bei dem besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
Jetter. Gehn wir nach Hause.
Zimmermeister. Und den Folgsamen ist versprochen, daцџ sie weder an
Leibe, noch Ehre, noch Vermц¶gen einige Krц¤nkung erdulden sollen.
Jetter. Wie gnц¤dig! War mir's doch gleich weh, wie der Herzog in die
Stadt kam. Seit der Zeit ist mir's, als wц¤re der Himmel mit einem schwarzen
Flor цјberzogen und hinge so tief herunter, daцџ man sich bцјcken mцјsse, um
nicht dran zu stoцџen.
Zimmermeister. Und wie haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist
eine andre Art von Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
Jetter. Pfui! Es schnцјrt einem das Herz ein, wenn man so einen Haufen
die Gassen hinab marschieren sieht. Kerzengerad mit unverwandtem Blick, ein
Tritt, soviel ihrer sind. Und wenn sie auf der Schildwache stehen und du
gehst an einem vorbei, ist's, als wenn er dich durch und durch sehen wollte,
und sieht so steif und mцјrrisch aus, daцџ du auf allen Ecken einen
Zuchtmeister zu sehen glaubst. Sie tun mir gar nicht wohl. Unsre Miliz war
doch noch ein lustig Volk; sie nahmen sich was heraus, standen mit
ausgegrц¤tschten Beinen da, hatten den Hut цјberm Ohr, lebten und lieцџen
leben; diese Kerle aber sind wie Maschinen, in denen ein Teufel sitzt.
Zimmermeister. Wenn so einer ruft. б»Halt!б« und anschlц¤gt, meinst du,
man hielte?
Jetter. Ich wц¤re gleich des Todes.
Zimmermeister. Gehn wir nach Hause.
Jetter. Es wird nicht gut. Adieu.
(Soest tritt dazu.)
Soest. Freunde! Genossen!
Zimmermeister. Still! Laцџt uns gehen.
Soest. Wiцџt ihr?
Jetter. Nur zu viel!
Soest. Die Regentin ist weg.
Jetter. Nun gnad' uns Gott!
Zimmermeister. Die hielt uns noch.
Soest. Auf einmal und in der Stille. Sie konnte sich mit dem Herzog
nicht vertragen; sie lieцџ dem Adel melden, sie komme wieder. Niemand
glaubt's.
Zimmermeister. Gott verzeih's dem Adel, daцџ er uns diese neue Geiцџel
цјber den Hals gelassen hat. Sie hц¤tten es abwenden kц¶nnen. Unsre
Privilegien sind hin.
Jetter. Um Gottes willen nichts von Privilegien! Ich wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen; die Sonne will nicht hervor, die Nebel stinken.
Soest. Oranien ist auch weg.
Zimmermeister. So sind wir denn ganz verlassen!
Soest. Graf Egmont ist noch da.
Jetter. Gott sei Dank! Stц¤rken ihn alle Heiligen, daцџ er sein Bestes
tut; der ist allein was vermц¶gend.
(Vansen tritt auf.)
Vansen. Find ich endlich ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
Jetter. Tut uns den Gefallen und geht fцјrbaцџ.
Vansen. Ihr seid nicht hц¶flich.
Zimmermeister. Es ist gar keine Zeit zu Komplimenten. Juckt Euch der
Buckel wieder? Seid Ihr schon durchgeheilt?
Vansen. Fragt einen Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf Schlц¤ge
was gegeben hц¤tte, wц¤re sein Tage nichts aus mir geworden.
Jetter. Es kann ernstlicher werden.
Vansen. Ihr spцјrt von dem Gewitter, das aufsteigt, eine erbц¤rmliche
Mattigkeit in den Gliedern, scheint's.
Zimmermeister. Deine Glieder werden sich bald woanders eine Motion
machen, wenn du nicht ruhst.
Vansen. Armselige Mц¤use, die gleich verzweifeln, wenn der Hausherr
eine neue Katze anschafft! Nur ein biцџchen anders; aber wir treiben unser
Wesen vor wie nach, seid nur ruhig.
Zimmermeister. Du bist ein verwegener Taugenichts.
Vansen. Gevatter Tropf! Laцџ du den Herzog nur gewц¤hren. Der alte
Kater sieht aus, als wenn er Teufel statt Mц¤use gefressen hц¤tte und
kц¶nnte sie nun nicht verdauen. Laцџt ihn nur erst; er muцџ auch essen,
trinken, schlafen wie andere Menschen. Es ist mir nicht bange, wenn wir
unsere Zeit recht nehmen. Im Anfange geht's rasch; nachher wird er auch
finden, daцџ in der Speisekammer unter den Speckseiten besser leben ist und
des Nachts zu ruhen, als auf dem Fruchtboden einzelne Mц¤uschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die Statthalter.
Zimmermeister. Was so einem Menschen alles durchgeht! Wenn ich in
meinem Leben so etwas gesagt hц¤tte, hielt' ich mich keine Minute fцјr
sicher.
Vansen. Seid nur ruhig! Gott im Himmel erfц¤hrt nichts von euch
Wцјrmern, geschweige der Regent.
Jetter. Lц¤stermaul!
Vansen. Ich weiцџ andere, denen es besser wц¤re, sie hц¤tten statt
ihres Heldenmuts eine Schneiderader im Leibe.
Zimmermeister. Was wollt Ihr damit sagen?
Vansen. Hm! den Grafen mein ich.
Jetter. Egmont! Was soll der fцјrchten?
Vansen. Ich bin ein armer Teufel und kц¶nnte ein ganzes Jahr leben von
dem, was er in einem Abende verliert. Und doch kц¶nnt' er mir sein Einkommen
eines ganzen Jahres geben, wenn er meinen Kopf auf eine Viertelstunde
hц¤tte.
Jetter. Du denkst dich was Rechts. Egmonts Haare sind gescheiter als
dein Hirn.
Vansen. Redt Ihr! Aber nicht feiner. Die Herren betriegen sich am
ersten. Er sollte nicht trauen.
Jetter. Was er schwц¤tzt! So ein Herr!
Vansen. Eben weil er kein Schneider ist.
Jetter. Ungewaschen Maul!
Vansen. Dem wollt' ich Eure Courage nur eine Stunde in die Glieder
wцјnschen, daцџ sie ihm da Unruh machte und ihn so lange neckte und juckte,
bis er aus der Stadt mцјцџte.
Jetter. Ihr redet recht unverstц¤ndig; er ist so sicher wie der Stern
am Himmel.
Vansen. Hast du nie einen sich schneuzen gesehn? Weg war er!
Zimmermeister. Wer will ihm denn was tun?
Vansen. Wer will? Willst du's etwa hindern? Willst du einen Aufruhr
erregen, wenn sie ihn gefangennehmen?
Jetter. Ah!
Vansen. Wollt ihr eure Rippen fцјr ihn wagen?
Soest. Eh!
Vansen (sie nachц¤ffend). Ih! Oh! Uh! Verwundert euch durchs ganze
Alphabet. So ist's und bleibt's! Gott bewahre ihn!
Jetter. Ich erschrecke цјber Eure Unverschц¤mtheit. So ein edler,
rechtschaffener Mann sollte was zu befцјrchten haben?
Vansen. Der Schelm sitzt цјberall im Vorteil. Auf dem
Armensцјnderstцјhlchen hat er den Richter zum Narren; auf dem Richterstuhl
macht er den Inquisiten mit Lust zum Verbrecher. Ich habe so ein Protokoll
abzuschreiben gehabt, wo der Kommissarius schwer Lob und Geld vom Hofe
erhielt, weil er einen ehrlichen Teufel, an den man wollte, zum Schelmen
verhц¶rt hatte.
Zimmermeister. Das ist wieder frisch gelogen. Was wollen sie denn
heraus verhц¶ren, wenn einer unschuldig ist?
Vansen. O Spatzenkopf! Wo nichts herauszuverhц¶ren ist, da verhц¶rt man
hinein. Ehrlichkeit macht unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt man erst
recht sachte weg, und der Gefangne ist stolz auf seine Unschuld, wie sie's
heiцџen, und sagt alles geradezu, was ein Verstц¤ndiger verbц¤rge. Dann
macht der Inquisitor aus den Antworten wieder Fragen und paцџt ja auf, wo
irgendein Widersprцјchelchen erscheinen will; da knцјpft er seinen Strick
an, und lц¤цџt sich der dumme Teufel betreten, daцџ er hier etwas zu viel,
dort etwas zu wenig gesagt oder wohl gar aus Gott weiцџ was fцјr einer
Grille einen Umstand verschwiegen hat, auch wohl irgend an einem Ende sich
hat schrecken lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich versichre
euch, mit mehr Sorgfalt suchen die Bettelweiber nicht die Lumpen aus dem
Kehricht, als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobenen,
verrцјckten, verdrцјckten, geschlossenen, bekannten, geleugneten Anzeigen
und Umstц¤nden sich endlich einen strohlumpenen Vogelscheu
zusammenkцјnstelt, um wenigstens seinen Inquisiten in effigie hц¤ngen zu
kц¶nnen. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hц¤ngen
sehen.
Jetter. Der hat eine gelц¤ufige Zunge.
Zimmermeister. Mit Fliegen mag das angehen. Die Wespen lachen Eures
Gespinstes.
Vansen. Nachdem die Spinnen sind. Seht, der lange Herzog hat euch so
ein rein Ansehn von einer Kreuzspinne, nicht einer dickbц¤uchigen, die sind
weniger schlimm, aber so einer langfцјцџigen, schmalleibigen, die vom Fraцџe
nicht feist wird und recht dцјnne Fц¤den zieht, aber desto zц¤here.
Jetter. Egmont ist Ritter des Goldnen Vlieses; wer darf Hand an ihn
legen? Nur von seinesgleichen kann er gerichtet werden, nur vom gesamten
Orden. Dein loses Maul, dein bц¶ses Gewissen verfцјhren dich zu solchem
Geschwц¤tz.
Vansen. Will ich ihm darum цјbel? Mir kann's recht sein. Es ist ein
trefflicher Herr. Ein paar meiner guten Freunde, die anderwц¤rts schon
wц¤ren gehangen worden, hat er mit einem Buckel voll Schlц¤ge verabschiedet.
Nun geht! Geht! Ich rat es euch selbst. Dort seh ich wieder eine Runde
antreten; die sehen nicht aus, als wenn sie so bald Brцјderschaft mit uns
trinken wцјrden. Wir wollen's abwarten und nur sachte zusehen. Ich hab ein
paar Nichten und einen Gevatter Schenkwirt; wenn sie von denen gekostet
haben und werden dann nicht zahm, so sind sie ausgepichte Wц¶lfe.
Der Culenburgische Palast
Wohnung des Herzogs von Alba
Silva und Gomez begegnen einander.
Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
Gomez. Pцјnktlich. Alle tц¤gliche Runden sind beordert, zur bestimmten
Zeit an verschiedenen Plц¤tzen einzutreffen, die ich ihnen bezeichnet habe;
sie gehen indes, wie gewц¶hnlich, durch die Stadt, um Ordnung zu erhalten.
Keiner weiцџ von dem andern; jeder glaubt, der Befehl gehe ihn allein an,
und in einem Augenblick kann alsdann der Kordon gezogen und alle Zugц¤nge
zum Palast kц¶nnen besetzt sein. Weiцџt du die Ursache dieses Befehls?
Silva. Ich bin gewohnt, blindlings zu gehorchen. Und wem gehorcht
sich's leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, daцџ er recht
befohlen hat?
Gomez. Gut! Gut! Auch scheint es mir kein Wunder, daцџ du so
verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein muцџt. Mir
kommt es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst gewohnt bin.
An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir das Schwц¤tzen und
Rц¤sonieren angewц¶hnt. Ihr schweigt alle und laцџt es euch nie wohl sein.
Der Herzog gleicht mir einem ehrnen Turm ohne Pforte, wozu die Besatzung
Flцјgel hц¤tte. Neulich hц¶rt' ich ihn bei Tafel von einem frohen
freundlichen Menschen sagen: er sei wie eine schlechte Schenke mit einem
ausgesteckten Branntweinzeichen, um Mцјцџiggц¤nger, Bettler und Diebe
hereinzulocken.
Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergefцјhrt?
Gomez. Dagegen ist nichts zu sagen. Gewiцџ! Wer Zeuge seiner Klugheit
war, wie er die Armee aus Italien hierher brachte, der hat etwas gesehen.
Wie er sich durch Freund und Feind, durch die Franzosen, Kц¶niglichen und
Ketzer, durch die Schweizer und Verbundnen gleichsam durchschmiegte, die
strengste Mannszucht hielt und einen Zug, den man so gefц¤hrlich achtete,
leicht und ohne Anstoцџ zu leiten wuцџte! - Wir haben was gesehen, was
lernen kц¶nnen.
Silva. Auch hier! Ist nicht alles still und ruhig, als wenn kein
Aufstand gewesen wц¤re?
Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
Silva. In den Provinzen ist es viel ruhiger geworden; und wenn sich
noch einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die
Wege bald versperren, denk ich.
Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Kц¶nigs gewinnen.
Silva. Und uns bleibt nichts angelegener, als uns die seinige zu
erhalten. Wenn der Kц¶nig hieherkommt, bleibt gewiцџ der Herzog und jeder,
den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
Gomez. Glaubst du, daцџ der Kц¶nig kommt?
Silva. Es werden so viele Anstalten gemacht, daцџ es hц¶chst
wahrscheinlich ist.
Gomez. Mich цјberreden sie nicht.
Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Kц¶nigs Absicht ja
nicht sein sollte zu kommen, so ist sie's doch wenigstens gewiцџ, daцџ man
es glauben soll.
(Ferdinand, Albas natцјrlicher Sohn.)
Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
Silva. Wir warten auf ihn.
Ferdinand. Die Fцјrsten werden bald hier sein.
Gomez. Kommen sie heute?
Ferdinand. Oranien und Egmont.
Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
Silva. So behalt es fцјr dich.
(Herzog von Alba. - Wie er herein- und hervortritt, treten die andern
zurцјck.)
Alba. Gomez.
Gomez (tritt vor). Herr!
Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
Gomez. Aufs genaueste. Die tц¤glichen Runden -
Alba. Genug. Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick
sagen, wenn du sie zusammenziehen, die Zugц¤nge nach dem Palast besetzen
sollst. Das цјbrige weiцџt du.
Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
Alba. Silva!
Silva. Hier bin ich.
Alba. Alles, was ich von jeher an dir geschц¤tzt habe, Mut,
Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausfцјhren, das zeige heut.
Silva. Ich danke Euch, daцџ Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen, daцџ
ich der alte bin.
Alba. Sobald die Fцјrsten bei mir eingetreten sind, dann eile gleich,
Egmonts Geheimschreiber gefangenzunehmen. Du hast alle Anstalten gemacht,
die цјbrigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
Silva. Vertraue auf uns. Ihr Schicksal wird sie, wie eine
wohlberechnete Sonnenfinsternis, pцјnktlich und schrecklich treffen.
Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
Silva. Alle; den Egmont vor andern. Er ist der einzige, der, seit du
hier bist, sein Betragen nicht geц¤ndert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd
aufs andere, ladet Gц¤ste, ist immer lustig und unterhaltend bei Tafel,
wцјrfelt, schieцџt und schleicht nachts zum Liebchen. Die andern haben
dagegen eine merkliche Pause in ihrer Lebensart gemacht; sie bleiben bei
sich; vor ihrer Tцјre sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wц¤re.
Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
Silva. Ich stelle sie. Auf deinen Befehl цјberhц¤ufen wir sie mit
dienstfertigen Ehren. Ihnen graut's; politisch geben sie uns einen
ц¤ngstlichen Dank, fцјhlen, das Rц¤tlichste sei, zu entfliehen, keiner wagt
einen Schritt, sie zaudern, kц¶nnen sich nicht vereinigen; und einzeln etwas
Kцјhnes zu tun, hц¤lt sie der Gemeingeist ab. Sie mц¶chten gern sich jedem
Verdacht entziehen und machen sich immer verdц¤chtiger. Schon seh ich mit
Freuden deinen ganzen Anschlag ausgefцјhrt.
Alba. Ich freue mich nur цјber das Geschehene; und auch цјber das nicht
leicht; denn es bleibt stets noch цјbrig, was uns zu denken und zu sorgen
gibt. Das Glцјck ist eigensinnig, oft das Gemeine, das Nichtswцјrdige zu
adeln und wohlцјberlegte Taten mit einem gemeinen Ausgang zu entehren.
Verweile, bis die Fцјrsten kommen; dann gib Gomez die Ordre, die Straцџen zu
besetzen, und eile selbst, Egmonts Schreiber und die цјbrigen
gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und
meld es meinem Sohne, daцџ er mir in den Rat die Nachricht bringe.
Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dцјrfen.
(Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber meine Hoffnung schwankt.
Ich fцјrchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir,
die still und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der Fцјrsten und
vieler Tausende wц¤gen. Langsam wankt das Zцјnglein auf und ab; tief
scheinen die Richter zu sinnen; zuletzt sinkt diese Schale, steigt jene,
angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
(Alba mit Ferdinand hervortretend.)
Alba. Wie fandst du die Stadt?
Ferdinand. Es hat sich alles gegeben. Ich ritt, als wie zum
Zeitvertreib, straцџauf, straцџab. Eure wohlverteilten Wachen halten die
Furcht so angespannt, daцџ sie sich nicht zu lispeln untersteht. Die Stadt
sieht einem Felde ц¤hnlich, wenn das Gewitter von weitem leuchtet; man
erblickt keinen Vogel, kein Tier, als das eilend nach einem Schutzorte
schlцјpft.
Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grцјцџten
uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben muцџte. б»Laцџt uns eilen,
Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!б« rief er mir entgegen. Er
werde mich noch heute wiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen,
mit Euch zu ratschlagen.
Alba. Er wird dich wiedersehn.
Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier kenne, gefц¤llt er mir am
besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig behutsam; immer erkenn
ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie unbedingt in die Arme
lieferte. Zu mancher gefц¤hrlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig
ein.
Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
Alba. Ich vergebe deinem jungen Blute dies leichtsinnige Wohlwollen,
diese unachtsame Frц¶hlichkeit. Nur vergiцџ nicht, zu welchem Werke ich
gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben mц¶chte.
Ferdinand. Erinnert mich, und schont mich nicht, wo Ihr es nц¶tig
haltet.
Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
Ferdinand. Mein Vater!
Alba. Die Fцјrsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht
Miцџtrauen, daцџ ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden
nicht wieder von hinnen gehn.
Ferdinand. Was sinnst du?
Alba. Es ist beschlossen, sie festzuhalten. - Du erstaunst! Was du zu
tun hast, hц¶re; die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt
bleibt keine Zeit, sie auszulegen. Mit dir allein wцјnscht' ich das
Grц¶цџte, das Geheimste zu besprechen; ein starkes Band hц¤lt uns
zusammengefesselt; du bist mir wert und lieb; auf dich mц¶cht' ich alles
hц¤ufen. Nicht die Gewohnheit zu gehorchen allein mц¶cht' ich dir
einprц¤gen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszufцјhren, wцјnscht'
ich in dir fortzupflanzen; dir ein groцџes Erbteil, dem Kц¶nige den
brauchbarsten Diener zu hinterlassen; dich mit dem Besten, was ich habe,
auszustatten, daцџ du dich nicht schц¤men dцјrfest, unter deine Brцјder zu
treten.
Ferdinand. Was werd ich dir nicht fцјr diese Liebe schuldig, die du mir
allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
Alba. Nun hц¶re, was zu tun ist. Sobald die Fцјrsten eingetreten sind,
wird jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird
eilen, Egmonts Schreiber mit den Verdц¤chtigsten gefangenzunehmen. Du
hц¤ltst die Wache am Tore und in den Hц¶fen in Ordnung. Vor allen Dingen
besetze diese Zimmer hier neben mit den sichersten Leuten; dann warte auf
der Galerie, bis Silva wiederkommt, und bringe mir irgendein unbedeutend
Blatt herein, zum Zeichen, daцџ sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im
Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ich halte Egmont hier, als ob ich
ihm noch was zu sagen hц¤tte. Am Ende der Galerie fordre Oraniens Degen,
rufe die Wache an, verwahre schnell den gefц¤hrlichsten Mann; und ich fasse
Egmont hier.
Ferdinand. Ich gehorche, mein Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen
und mit Sorge.
Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste groцџe Tag, den du erlebst.
(Silva tritt herein.)
Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
Alba. Sagt' es der Bote?
Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
Alba. Aus dir spricht mein bц¶ser Genius. (Nachdem er den Brief
gelesen, winkt er beiden, und sie ziehen sich in die Galerie zurцјck. Er
bleibt allein auf dem Vorderteile.) Er kommt nicht! Bis auf den letzten
Augenblick verschiebt er, sich zu erklц¤ren. Er wagt es, nicht zu kommen! So
war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug zu sein! -
Es rцјckt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein groцџes Werk
ist getan oder versц¤umt, unwiederbringlich versц¤umt; denn es ist weder
nachzuholen, noch zu verheimlichen. Lц¤ngst hatt' ich alles reiflich
abgewogen, und mir auch diesen Fall gedacht, mir festgesetzt, was auch in
diesem Falle zu tun sei; und jetzt, da es zu tun ist, wehr ich mir kaum,
daцџ nicht das Fцјr und Wider mir aufs neue durch die Seele schwankt. -
Ist's rц¤tlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf
und laцџ Egmont mit den Seinigen, mit so vielen entschlцјpfen, die nun,
vielleicht nur heute noch, in meinen Hц¤nden sind? So zwingt dich das
Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet!
Wie groцџ, wie schц¶n der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! und nun im
Augenblick des Entscheidens bist du zwischen zwei цњbel gestellt; wie in
einen Lostopf greifst du in die dunkle Zukunft; was du fassest, ist noch
zugerollt, dir unbewuцџt, sei's Treffer oder Fehler! (Er wird aufmerksam,
wie einer, der etwas hц¶rt, und tritt ans Fenster.) Er ist es! Egmont! -
Trug dich dein Pferd so leicht herein und scheute vor dem Blutgeruche nicht
und vor dem Geiste mit dem blanken Schwert, der an der Pforte dich
empfц¤ngt? - Steig ab! - So bist du mit dem einen Fuцџ im Grab! und so mit
beiden! - ja streichl' es nur und klopfe fцјr seinen mutigen Dienst zum
letztenmale den Nacken ihm - Und mir bleibt keine Wahl. In der Verblendung,
wie hier Egmont naht, kann er dir nicht zum zweitenmal sich liefern! -
Hц¶rt!
(Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
Alba. Ihr tut, was ich befahl; ich ц¤ndre meinen Willen nicht. Ich
halte, wie es gehn will, Egmont auf, bis du mir von Silva die Nachricht
gebracht hast. Dann bleib in der Nц¤he. Auch dir raubt das Geschick das
groцџe Verdienst, des Kц¶nigs grц¶цџten Feind mit eigener Hand gefangen zu
haben. (Zu Silva.) Eile! (Zu Ferdinand.) Geh ihm entgegen. (Alba bleibt
einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
(Egmont tritt auf.)
Egmont. Ich komme, die Befehle des Kц¶nigs zu vernehmen, zu hц¶ren,
welchen Dienst er von unserer Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
Alba. Er wцјnscht vor allen Dingen Euern Rat zu hц¶ren.
Egmont. цњber welchen Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn
hier.
Alba. Mir tut es leid, daцџ er uns eben in dieser wichtigen Stunde
fehlt. Euern Rat, Eure Meinung wцјnscht der Kц¶nig, wie diese Staaten wieder
zu befriedigen. Ja, er hofft, Ihr werdet krц¤ftig mitwirken, diese Unruhen
zu stillen und die Ordnung der Provinzen vц¶llig und dauerhaft zu grцјnden.
Egmont. Ihr kц¶nnt besser wissen als ich, daцџ schon alles genug
beruhigt ist, ja, noch mehr beruhigt war, eh die Erscheinung der neuen
Soldaten wieder mit Furcht und Sorge die Gemцјter bewegte.
Alba. Ihr scheint andeuten zu wollen, das Rц¤tlichste sei gewesen, wenn
der Kц¶nig mich gar nicht in den Fall gesetzt hц¤tte, Euch zu fragen.
Egmont. Verzeiht! Ob der Kц¶nig das Heer hц¤tte schicken sollen, ob
nicht vielmehr die Macht seiner majestц¤tischen Gegenwart allein stц¤rker
gewirkt hц¤tte, ist meine Sache nicht zu beurteilen. Das Heer ist da, er
nicht. Wir aber mцјцџten sehr undankbar, sehr vergessen sein, wenn wir uns
nicht erinnerten, was wir der Regentin schuldig sind. Bekennen wir! Sie
brachte durch ihr so kluges als tapferes Betragen die Aufrцјhrer mit Gewalt
und Ansehn, mit цњberredung und List zur Ruhe und fцјhrte zum Erstaunen der
Welt ein rebellisches Volk in wenigen Monaten zu seiner Pflicht zurцјck.
Alba. Ich leugne es nicht. Der Tumult ist gestillt, und jeder scheint
in die Grenzen des Gehorsams zurцјckgebannt. Aber hц¤ngt es nicht von eines
jeden Willkцјr ab, sie zu verlassen? Wer will das Volk hindern loszubrechen?
Wo ist die Macht, sie abzuhalten? Wer bцјrgt uns, daцџ sie sich ferner treu
und untertц¤nig zeigen werden? Ihr guter Wille ist alles Pfand, das wir
haben.
Egmont. Und ist der gute Wille eines Volks nicht das sicherste, das
edelste Pfand? Bei Gott! Wann darf sich ein Kц¶nig sicherer halten, als wenn
sie alle fцјr einen, einer fцјr alle stehn? Sicherer gegen innere und
ц¤uцџere Feinde?
Alba. Wir werden uns doch nicht цјberreden sollen, daцџ es jetzt hier
so steht?
Egmont. Der Kц¶nig schreibe einen Generalpardon aus, er beruhige die
Gemцјter; und bald wird man sehen, wie Treue und Liebe mit dem Zutrauen
wieder zurцјckkehrt.
Alba. Und jeder, der die Majestц¤t des Kц¶nigs, der das Heiligtum der
Religion geschц¤ndet, ginge frei und ledig hin und wider! lebte den andern
zum bereiten Beispiel, daцџ ungeheure Verbrechen straflos sind?
Egmont. Und ist ein Verbrechen des Unsinns, der Trunkenheit nicht eher
zu entschuldigen, als grausam zu bestrafen? Besonders wo so sichre Hoffnung,
wo Gewiцџheit ist, daцџ die цњbel nicht wiederkehren werden? Waren Kц¶nige
darum nicht sicherer? Werden sie nicht von Welt und Nachwelt gepriesen, die
eine Beleidigung ihrer Wцјrde vergeben, bedauern, verachten konnten? Werden
sie nicht eben deswegen Gott gleich gehalten, der viel zu groцџ ist, als
daцџ an ihn jede Lц¤sterung reichen sollte?
Alba. Und eben darum soll der Kц¶nig fцјr die Wцјrde Gottes und der
Religion, wir sollen fцјr das Ansehn des Kц¶nigs streiten. Was der obere
abzulehnen verschmц¤ht, ist unsere Pflicht zu rц¤chen. Ungestraft soll, wenn
ich rate, kein Schuldiger sich freuen.
Egmont. Glaubst du, daцџ du sie alle erreichen wirst? Hц¶rt man nicht
tц¤glich, daцџ die Furcht sie hie- und dahin, sie aus dem Lande treibt? Die
Reichsten werden ihre Gцјter, sich, ihre Kinder und Freunde flцјchten; der
Arme wird seine nцјtzlichen Hц¤nde dem Nachbar zubringen.
Alba. Sie werden, wenn man sie nicht verhindern kann. Darum verlangt
der Kц¶nig Rat und Tat von jedem Fцјrsten, Ernst von jedem Statthalter;
nicht nur Erzц¤hlung, wie es ist, was werden kц¶nnte, wenn man alles gehen
lieцџe, wie's geht. Einem groцџen цњbel zusehen, sich mit Hoffnung
schmeicheln, der Zeit vertrauen, etwa einmal dreinschlagen, wie im
Fastnachtsspiel, daцџ es klatscht und man doch etwas zu tun scheint, wenn
man nichts tun mц¶chte, heiцџt das nicht, sich verdц¤chtig machen, als sehe
man dem Aufruhr mit Vergnцјgen zu, den man nicht erregen, wohl aber hegen
mц¶chte!
Egmont (im Begriff aufzufahren, nimmt sich zusammen und spricht nach
einer kleinen Pause gesetzt). Nicht jede Absicht ist offenbar, und manches
Mannes Absicht ist zu miцџdeuten. Muцџ man doch auch von allen Seiten
hц¶ren: es sei des Kц¶nigs Absicht weniger, die Provinzen nach einfц¶rmigen
und klaren Gesetzen zu regieren, die Majestц¤t der Religion zu sichern und
einen allgemeinen Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr sie unbedingt
zu unterjochen, sie ihrer alten Rechte zu berauben, sich Meister von ihren
Besitztцјmern zu machen, die schц¶nen Rechte des Adels einzuschrц¤nken, um
derentwillen der Edle allein ihm dienen, ihm Leib und Leben widmen mag. Die
Religion, sagt man, sei nur ein prц¤chtiger Teppich, hinter dem man jeden
gefц¤hrlichen Anschlag nur desto leichter ausdenkt. Das Volk liegt auf den
Knien, betet die heiligen gewirkten Zeichen an, und hinten lauscht der
Vogelsteller, der sie berцјcken will.
Alba. Das muцџ ich von dir hц¶ren?
Egmont. Nicht meine Gesinnungen! Nur was bald hier bald da, von Groцџen
und von Kleinen, Klugen und Toren gesprochen, laut verbreitet wird. Die
Niederlц¤nder fцјrchten ein doppeltes Joch, und wer bцјrgt ihnen fцјr ihre
Freiheit?
Alba. Freiheit? Ein schц¶nes Wort, wer's recht verstц¤nde. Was wollen
sie fцјr Freiheit? Was ist des Freiesten Freiheit? - Recht zu tun! - und
daran wird sie der Kц¶nig nicht hindern. Nein! nein! sie glauben sich nicht
frei, wenn sie sich nicht selbst und andern schaden kц¶nnen. Wц¤re es nicht
besser, abzudanken, als ein solches Volk zu regieren? Wenn auswц¤rtige
Feinde drц¤ngen, an die kein Bцјrger denkt, der mit dem Nц¤chsten nur
beschц¤ftigt ist, und der Kц¶nig verlangt Beistand: dann werden sie uneins
unter sich, und verschwц¶ren sich gleichsam mit ihren Feinden. Weit besser
ist's, sie einzuengen, daцџ man sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem
Besten leiten kann. Glaube nur, ein Volk wird nicht alt, nicht klug; ein
Volk bleibt immer kindisch.
Egmont. Wie selten kommt ein Kц¶nig zu Verstand! Und sollen sich viele
nicht lieber vielen vertrauen als einem? und nicht einmal dem einen, sondern
den wenigen des einen, dem Volke, das an den Blicken seines Herrn altert.
Das hat wohl allein das Recht, klug zu werden.
Alba. Vielleicht eben darum, weil es sich nicht selbst цјberlassen ist.
Egmont. Und darum niemand gern sich selbst цјberlassen mц¶chte. Man
tue, was man will; ich habe auf deine Frage geantwortet und wiederhole: Es
geht nicht! Es kann nicht gehen! Ich kenne meine Landsleute. Es sind
Mц¤nner, wert, Gottes Boden zu betreten; ein jeder rund fцјr sich, ein
kleiner Kц¶nig, fest, rцјhrig, fц¤hig, treu, an alten Sitten hangend. Schwer
ist's, ihr Zutrauen zu verdienen; leicht, zu erhalten. Starr und fest! Zu
drцјcken sind sie; nicht zu unterdrцјcken.
Alba (der sich indes einigemal umgesehen hat). Solltest du das alles in
des Kц¶nigs Gegenwart wiederholen?
Egmont. Desto schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto
besser fцјr ihn, fцјr sein Volk, wenn er mir Mut machte, wenn er mir
Zutrauen einflц¶цџte, noch weit mehr zu sagen.
Alba. Was nцјtzlich ist, kann ich hц¶ren wie er.
Egmont. Ich wцјrde ihm sagen: Leicht kann der Hirt eine ganze Herde
Schafe vor sich hintreiben, der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand;
aber dem edeln Pferde, das du reiten willst, muцџt du seine Gedanken
ablernen, du muцџt nichts Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen. Darum
wцјnscht der Bцјrger seine alte Verfassung zu behalten, von seinen
Landsleuten regiert zu sein, weil er weiцџ, wie er gefцјhrt wird, weil er
von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung an seinem Schicksal hoffen kann.
Alba. Und sollte der Regent nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu
verц¤ndern? und sollte nicht eben dies sein schц¶nstes Vorrecht sein? Was
ist bleibend auf dieser Welt? und sollte eine Staatseinrichtung bleiben
kц¶nnen? Muцџ nicht in einer Zeitfolge jedes Verhц¤ltnis sich verц¤ndern und
eben darum eine alte Verfassung die Ursache von tausend цњbeln werden, weil
sie den gegenwц¤rtigen Zustand des Volkes nicht umfaцџt? Ich fцјrchte, diese
alten Rechte sind darum so angenehm, weil sie Schlupfwinkel bilden, in
welchen der Kluge, der Mц¤chtige, zum Schaden des Volks, zum Schaden des
Ganzen, sich verbergen oder durchschleichen kann.
Egmont. Und diese willkцјrlichen Verц¤nderungen, diese unbeschrц¤nkten
Eingriffe der hц¶chsten Gewalt, sind sie nicht Vorboten, daцџ einer tun
will, was Tausende nicht tun sollen? Er will sich allein frei machen, um
jeden seiner Wцјnsche befriedigen, jeden seiner Gedanken ausfцјhren zu
kц¶nnen. Und wenn wir uns ihm, einem guten weisen Kц¶nige, ganz vertrauten,
sagt er uns fцјr seine Nachkommen gut? daцџ keiner ohne Rцјcksicht, ohne
Schonung regieren werde? Wer rettet uns alsdann von vц¶lliger Willkцјr, wenn
er uns seine Diener, seine Nц¤chsten sendet, die ohne Kenntnis des Landes
und seiner Bedцјrfnisse nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand
finden und sich von jeder Verantwortung frei wissen.
Alba (der sich indes wieder umgesehen hat). Es ist nichts natцјrlicher,
als daцџ ein Kц¶nig durch sich zu herrschen gedenkt und denen seine Befehle
am liebsten auftrц¤gt, die ihn am besten verstehen, verstehen wollen, die
seinen Willen unbedingt ausrichten.
Egmont. Und ebenso natцјrlich ist's, daцџ der Bцјrger von dem regiert
sein will, der mit ihm geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm
von Recht und Unrecht gefaцџt hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
Alba. Und doch hat der Adel mit diesen seinen Brцјdern sehr ungleich
geteilt.
Egmont. Das ist vor Jahrhunderten geschehen und wird jetzt ohne Neid
geduldet. Wцјrden aber neue Menschen ohne Not gesendet, die sich zum
zweitenmale auf Unkosten der Nation bereichern wollten, sц¤he man sich einer
strengen, kцјhnen, unbedingten Habsucht ausgesetzt; das wцјrde eine Gц¤rung
machen, die sich nicht leicht in sich selbst auflц¶ste.
Alba. Du sagst mir, was ich nicht hц¶ren sollte: auch ich bin fremd.
Egmont. Daцџ ich dir's sage, zeigt dir, daцџ ich dich nicht meine.
Alba. Und auch so wцјnscht' ich es nicht von dir zu hц¶ren. Der Kц¶nig
sandte mich mit Hoffnung, daцџ ich hier den Beistand des Adels finden
wцјrde. Der Kц¶nig will seinen Willen. Der Kц¶nig hat nach tiefer
цњberlegung gesehen, was dem Volke frommt; es kann nicht bleiben und gehen
wie bisher. Des Kц¶nigs Absicht ist, sie selbst zu ihrem eignen Besten
einzuschrц¤nken, ihr eigenes Heil, wenn's sein muцџ, ihnen aufzudringen, die
schц¤dlichen Bцјrger aufzuopfern, damit die цјbrigen Ruhe finden, des
Glцјcks einer weisen Regierung genieцџen kц¶nnen. Dies ist sein Entschluцџ;
diesen dem Adel kundzumachen habe ich Befehl; und Rat verlang ich in seinem
Namen, wie es zu tun sei, nicht was: denn das hat er beschlossen.
Egmont. Leider rechtfertigen deine Worte die Furcht des Volkes, die
allgemeine Furcht! So hat er denn beschlossen, was kein Fцјrst beschlieцџen
sollte. Die Kraft seines Volks, ihr Gemцјt, den Begriff, den sie von sich
selbst haben, will er schwц¤chen, niederdrцјcken, zerstц¶ren, um sie bequem
regieren zu kц¶nnen. Er will den innern Kern ihrer Eigenheit verderben;
gewiцџ in der Absicht, sie glцјcklicher zu machen. Er will sie vernichten,
damit sie etwas werden, ein ander Etwas. O wenn seine Absicht gut ist, so
wird sie miцџgeleitet! Nicht dem Kц¶nige widersetzt man sich; man stellt
sich nur dem Kц¶nige entgegen, der einen falschen Weg zu wandeln, die ersten
unglцјcklichen Schritte macht.
Alba. Wie du gesinnt bist, scheint es ein vergeblicher Versuch, uns
vereinigen zu wollen. Du denkst gering vom Kц¶nige und verц¤chtlich von
seinen Rц¤ten, wenn du zweifelst, das alles sei nicht schon gedacht,
geprцјft, gewogen worden. Ich habe keinen Auftrag, jedes Fцјr und Wider noch
einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich von dem Volke: - und von Euch, ihr
Ersten, Edelsten, Rat und Tat, als Bцјrgen dieser unbedingten Pflicht.
Egmont. Fordre unsre Hц¤upter, so ist es auf einmal getan. Ob sich der
Nacken diesem Joche biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer
edeln Seele gleich sein. Umsonst hab ich so viel gesprochen: die Luft hab
ich erschцјttert, weiter nichts gewonnen.
(Ferdinand kommt.)
Ferdinand. Verzeiht, daцџ ich Euer Gesprц¤ch unterbreche. Hier ist ein
Brief, dessen цњberbringer die Antwort dringend macht.
Alba. Erlaubt mir, daцџ ich sehe, was er enthц¤lt. (Tritt an die
Seite.)
Ferdinand (zu Egmont). Es ist ein schц¶nes Pferd, das Eure Leute
gebracht haben, Euch abzuholen.
Egmont. Es ist nicht das schlimmste. Ich hab es schon eine Weile; ich
denk es wegzugeben. Wenn es Euch gefц¤llt, so werden wir vielleicht des
Handels einig.
Ferdinand. Gut, wir wollen sehn.
(Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurцјckzieht.)
Egmont. Lebt wohl! Entlaцџt mich: denn ich wцјцџte, bei Gott! nicht
mehr zu sagen.
Alba. Glцјcklich hat dich der Zufall verhindert, deinen Sinn noch
weiter zu verraten. Unvorsichtig entwickelst du die Falten deines Herzens
und klagst dich selbst weit strenger an, als ein Widersacher gehц¤ssig tun
kц¶nnte.
Egmont. Dieser Vorwurf rцјhrt mich nicht; ich kenne mich selbst genug
und weiцџ, wie ich dem Kц¶nig angehц¶re; weit mehr als viele, die in seinem
Dienst sich selber dienen. Ungern scheid ich aus diesem Streite, ohne ihn
beigelegt zu sehen, und wцјnsche nur, daцџ uns der Dienst des Herrn, das
Wohl des Landes bald vereinigen mц¶ge. Es wirkt vielleicht ein wiederholtes
Gesprц¤ch, die Gegenwart der цјbrigen Fцјrsten, die heute fehlen, in einem
glцјcklichern Augenblick, was heut unmц¶glich scheint. Mit dieser Hoffnung
entfern ich mich.
Alba (der zugleich seinem Sohn Ferdinand ein Zeichen gibt). Halt,
Egmont! - Deinen Degen! -
(Die Mitteltцјr ц¶ffnet sich: man sieht die Galerie mit Wache besetzt,
die unbeweglich bleibt.)
Egmont (der staunend eine Weile geschwiegen). Dies war die Absicht?
Dazu hast du mich berufen? (Nach dem Degen greifend, als wenn er sich
verteidigen wollte.) Bin ich denn wehrlos?
Alba. Der Kц¶nig befiehlt's, du bist mein Gefangener.
(Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.)
Egmont (nach einer Stille). Der Kц¶nig? - Oranien! Oranien! (Nach einer
Pause, seinen Degen hingebend.) So nimm ihn! Er hat weit ц¶fter des Kц¶nigs
Sache verteidigt, als diese Brust beschцјtzt.
(Er geht durch die Mitteltцјr ab: die Gewaffneten, die im Zimmer sind,
folgen ihm; ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen. Der Vorhang fц¤llt.)
Fцјnfter Aufzug
Straцџe
Dц¤mmerung
Klц¤rchen. Brackenburg. Bцјrger.
Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?
Klц¤rchen. Komm mit, Brackenburg! Du muцџt die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewiцџ. Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fцјhlt,
ich schwц¶r es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von
einem kostbaren Leben abzuwenden und dem Freiesten die Freiheit
wiederzugeben. Komm! Es fehlt nur an der Stimme, die sie zusammenruft. In
ihrer Seele lebt noch ganz frisch, was sie ihm schuldig sind! und daцџ sein
mц¤chtiger Arm allein von ihnen das Verderben abhц¤lt, wissen sie. Um
seinet- und ihretwillen mцјssen sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum
hц¶chsten unser Leben, das zu erhalten nicht der Mцјhe wert ist, wenn er
umkommt.
Brackenburg. Unglцјckliche! du siehst nicht die Gewalt, die uns mit
ehernen Banden gefesselt hat.
Klц¤rchen. Sie scheint mir nicht unцјberwindlich. Laцџ uns nicht lang
vergebliche Worte wechseln. Hier kommen von den alten, redlichen, wackern
Mц¤nnern! Hц¶rt, Freunde! Nachbarn, hц¶rt! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
Zimmermeister. Was will das Kind? Laцџ sie schweigen,
Klц¤rchen. Tretet nц¤her, daцџ wir sachte reden, bis wir einig sind und
stц¤rker. Wir dцјrfen nicht einen Augenblick versц¤umen! Die freche
Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln, zuckt schon den Dolch, ihn zu
ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dц¤mmerung werd ich ц¤ngstlicher.
Ich fцјrchte diese Nacht! Kommt! wir wollen uns teilen; mit schnellem Lauf
von Quartier zu Quartier rufen wir die Bцјrger heraus. Ein jeder greife zu
seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und unser Strom
reiцџt einen jeden mit sich fort. Die Feinde sehen sich umringt und
цјberschwemmt, und sind erdrцјckt. Was kann uns eine Handvoll Knechte
widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrt zurцјck, sieht sich befreit und
kann uns einmal danken, uns, die wir ihm so tief verschuldet worden. Er
sieht vielleicht - gewiцџ er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.
Zimmermeister. Wie ist dir, Mц¤dchen?
Klц¤rchen. Kц¶nnt ihr mich miцџverstehn? Vom Grafen sprech ich! Ich
spreche von Egmont.
Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tц¶dlich.
Klц¤rchen. Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn
nicht bei jeder Gelegenheit? Wo steht er nicht geschrieben? In diesen
Sternen hab ich oft mit allen seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was
soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn, ihr trц¤umt; besinnt euch. Seht
mich nicht so starr und ц¤ngstlich an! Blickt nicht schцјchtern hie und da
beiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wцјnscht. Ist meine Stimme nicht
eures Herzens eigne Stimme? Wer wцјrfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er
sein unruhvolles Bette besteigt, nicht auf die Knie, ihn mit ernstlichem
Gebet vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst!
und wer spricht mir nicht nach: б»Egmonts Freiheit oder den Tod!б«
Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein Unglцјck.
Klц¤rchen. Bleibt! Bleibt, und drцјckt euch nicht vor seinem Namen weg,
dem ihr euch sonst so froh entgegendrц¤ngtet! - Wenn der Ruf ihn
ankцјndigte, wenn es hieцџ: б»Egmont kommt! Er kommt von Gent!б« da hielten
die Bewohner der Straцџen sich glцјcklich, durch die er reiten muцџte. Und
wenn ihr seine Pferde schallen hц¶rtet, warf jeder seine Arbeit hin, und
цјber die bekцјmmerten Gesichter, die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie
ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da
hobt ihr eure Kinder auf der Tцјrschwelle in die Hц¶he und deutetet ihnen:
б»Sieh, das ist Egmont, der Grц¶цџte da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr
bessere Zeiten, als eure armen Vц¤ter lebten, einst zu erwarten habt.б«
Laцџt eure Kinder nicht dereinst euch fragen: б»Wo ist er hin? Wo sind die
Zeiten hin, die ihr verspracht?б« - Und so wechseln wir Worte! sind mцјцџig,
verraten ihn.
Soest. Schц¤mt Euch, Brackenburg! Laцџt sie nicht gewц¤hren! Steuert
dem Unheil!
Brackenburg. Liebes Klц¤rchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter
sagen? Vielleicht -
Klц¤rchen. Meinst du, ich sei ein Kind oder wahnsinnig? Was kann
vielleicht? - Von dieser schrecklichen Gewiцџheit bringst du mich mit keiner
Hoffnung weg. - Ihr sollt mich hц¶ren und ihr werdet: denn ich seh's, ihr
seid bestцјrzt und kц¶nnt euch selbst in euerm Busen nicht wiederfinden.
Laцџt durch die gegenwц¤rtige Gefahr nur einen Blick in das Vergangene
dringen, das kurz Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. Kц¶nnt
ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde geht? Mit seinem Atem flieht
der letzte Hauch der Freiheit. Was war er euch? Fцјr wen цјbergab er sich
der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur fцјr euch. Die
groцџe Seele, die euch alle trug, beschrц¤nkt ein Kerker, und Schauer
tцјckischen Mordes schweben um sie her. Er denkt vielleicht an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfцјllen gewohnt war.
Zimmermeister. Gevatter, kommt.
Klц¤rchen. Und ich habe nicht Arme, nicht Mark wie ihr; doch hab ich,
was euch allen eben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Kц¶nnt' euch mein
Atem doch entzцјnden! kц¶nnt' ich an meinen Busen drцјckend euch erwц¤rmen
und beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos