hat sich selbst entleibt. Man hat ihn tot auf dem Grabhьgel des Aaron
Wassertrum, auf der Brust liegend, gefunden. - Er hat zwei tiefe Lцcher in
die Erde gegraben gehabt, sich die Pulsadern aufgeschnitten und dann die
Arme in die Lцcher gesteckt. So ist er verblutet. Er ist wahrscheinlich
wahnsinnig gewesen, der Herr Dr. Char - - -"
Der Schreiber schob gerдuschvoll seinen Stuhl zurьck und reichte mir
die Feder zum Unterschreiben.
Dann richtete er sich stolz auf und sagte genau im Tonfall seines
freiherrlichen Vorgesetzten:
"Gefangenwдrter, fьhren Sie den Mann hinaus."
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Wie vor langer, langer Zeit hatte wiederum der Mann mit Sдbel und
Unterhosen im Torzimmer seine Kaffeemьhle vom SchoЯ genommen; nur daЯ er
mich diesmal nicht untersuchte und mir meine Edelsteine, das Portemonnaie
mit den zehn Gulden darin, meinen Mantel und alles ьbrige zurьckgab. - - -
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Dann stand ich auf der StraЯe.
"Mirjam! Mirjam! Jetzt endlich naht das Widersehen!" - Ich unterdrьckte
einen Schrei wildesten Entzьckens.
Es muЯte Mitternacht sein. Der Vollmond schwebte glanzlos wie ein
fahler Messingteller hinter Dunstschleiern.
Das Pflaster war mit einer zдhen Schicht von Schmutz bedeckt.
Ich wankte auf eine Droschke zu, die im Nebel aussah wie ein
zusammengebrochenes vorsintflutliches Ungeheuer. Meine Beine versagten fast
den Dienst; ich hatte das Gehen verlernt und taumelte - auf empfindungslosen
Sohlen wie ein Rьckenmarkskranker. - -
"Kutscher, fahren Sie mich, so rasch Sie kцnnen, in die HahnpaЯgasse 7!
- Haben Sie mich verstanden?: - HahnpaЯgasse 7."

    Frei


Nach wenigen Metern Fahrt blieb die Droschke stehn.
"HahnpaЯgassд, gnд' Herr?"
"Ja, ja, nur rasch."
Wieder fuhr der Wagen ein Stьck weiter. Wieder blieb er stehen.
"Um Himmels willen, was gibt's denn?"
"HahnpaЯgassдь, gnд' Herr?"
"Ja, ja. Ja doch."
"In die HahnpaЯgassд kann me doch nicht fahrrдhn!"
"Warum denn nicht?"
"Ise sich doch ieberall Pflaste aufgrissen, Judenstadt wirde sich doch
assaniert."
"Also fahren Sie eben, soweit Sie kцnnen, aber jetzt rasch gefдlligst."
Die Droschke machte einen einzigen Galoppsprung und stolperte dann
gemдchlich weiter.
Ich lieЯ die klapprigen Fenster herunter und sog mit gierigen Lungen
die Nachtluft ein.
Alles war mir so fremd geworden, so unbegreiflich neu: die Hдuser, die
StraЯen, die geschlossenen Lдden. Ein weiЯer Hund trabte einsam und
miЯgelaunt auf dem nassen Trottoir vorьber. Ich sah ihm nach. - Wie
sonderbar!! Ein Hund! Ich hatte ganz vergessen, daЯ es solche Tiere gab. -
Vor Freude kindisch rief ich ihm nach: "Aber, aber! Wie kann man nur so
verdrossen sein." - - -
Was Hillel wohl sagen wьrde!? - Und Mirjam?
Nur noch wenige Minuten und ich war bei ihnen. Nicht eher wollte ich
aufhцren, an ihre Tьr zu klopfen, bis ich sie aus den Federn getrieben.
Jetzt war ja alles gut - all der Jammer dieses Jahres vorьber! -
Wьrde das ein Weihnachten werden!
Diesmal durfte ich es nicht verschlafen, wie das letztemal.
Einen Augenblick lahmte mich wieder das alte Entsetzen: die Worte des
Strдflings mit der Raubtierschnauze fielen mir ein. Das verbrannte Gesicht -
der Lustmord - aber nein, nein! - Ich schьttelte es gewaltsam ab: nein,
nein, es konnte, es konnte nicht sein. - Mirjam lebte! Ich hatte doch ihre
Stimme aus Laponders Mund gehцrt.
Nur noch eine Minute - eine halbe - - und dann -
Die Droschke hielt vor einem Trьmmerhaufen. Barrikaden aus
Pflastersteinen ьberall!
Rote Laternen brannten darauf.
Beim Schein von Fackeln grub und schaufelte ein Heer von Arbeitern.
Halden von Schutt und Mauerbrocken versperrten den Weg. Ich kletterte
umher, versank bis ans Knie.
Das hier, das muЯte doch die HahnpaЯgasse sein?!
Mьhsam orientierte ich mich. Nichts als Ruinen ringsum.
Stand denn da nicht das Haus, in dem ich gewohnt hatte?
Die Vorderseite war eingerissen.
Ich kletterte auf einen Erdhьgel; tief unter mir lief ein schwarzer,
gemauerter Gang die ehemalige Gasse entlang. Ich schaute empor: wie riesige
Bienenzellen hingen die bloЯgelegten Wohnrдume nebeneinander in der Luft,
halb vom Fackelschein, halb von dem trьben Mondlicht beschienen.
Das dort oben, das muЯte mein Zimmer sein - ich erkannte es an der
Bemalung der Wдnde.
Nur noch ein Streifen davon war ьbrig.
Und daranstoЯend das Atelier - Saviolis. Mir wurde plцtzlich ganz leer
im Herzen. Wie seltsam! Das Atelier! - Angelina! - - So weit, so unabsehbar
fern lag das alles hinter mir!
Ich drehte mich um: von dem Haus, in dem Wassertrum gewohnt, kein Stein
mehr auf dem andern. Alles dem Erdboden gleichgemacht: der Trцdlerladen, die
Kellerwohnung Charouseks - - - alles, alles.
"Der Mensch geht dahin wie ein Schatten" - fiel mir ein Satz ein, den
ich einmal irgendwo gelesen.
Ich fragte einen Arbeiter, ob er nicht wisse, wo die Leute jetzt
wohnten, die hier ausgezogen seien; ob er vielleicht den Archivar Schemajah
Hillel kenne.
"Nix daitsch", war die Antwort.
Ich schenkte dem Mann einen Gulden: er verstand zwar sofort deutsch,
konnte mir aber keine Auskunft geben.
Auch von seinen Kameraden niemand.
Vielleicht, daЯ beim "Loisitschek" etwas zu erfahren wдre?
Der "Loisitschek" sei gesperrt, hieЯ es, das Haus wьrde renoviert.
Also irgend jemand in der Nachbarschaft wecken! - Ging das nicht?
"Weit a breit wohnt sich keine Katz," sagte der Arbeiter; "weil ise
behдrdlich verbotten. Von wдgen Typhus."
"Der ›Ungelt‹? Der wird doch offen haben?"
"Ungelt ise sich geschlossen."
"Bestimmt?"
"Bestimmt!"
Aufs Geratewohl nannte ich ein paar Namen von Hцcklern und
Tabaktrafikantinnen, die in der Nдhe gewohnt hatten; dann die Namen Zwakh,
Vrieslander, Prokop - -
Bei allen schьttelte der Mann den Kopf.
"Vielleicht kennen Sie den Jaromir KwбЯnitschka?"
Der Arbeiter horchte auf.
"Jaromir? Ise sich taubstumm?"
Ich jubelte. Gott sei Dank. Wenigstens ein Bekannter.
"Ja, er ist taubstumm. Wo wohnt er?"
"Schneid 'e sich Bildeln aus? Aus schwarzem Pappjir?"
"Ja. Er ist es schon. Wo kann ich ihn wohl treffen?"
So umstдndlich wie mцglich bezeichnete mir der Mann ein Nachtcafйhaus
in der inneren Stadt und fing sofort wieder an zu schaufeln.
Ьber eine Stunde lang watete ich durch Schuttfelder, balancierte ьber
schwankende Bretter und kroch unter Querbalken durch, die die StraЯen
versperrten. Das ganze Judenviertel war eine einzige Steinwьste, als hдtte
ein Erdbeben die Stadt zerstцrt.
Atemlos vor Aufregung, schmutzbedeckt und mit zerrissenen Schuhen fand
ich mich endlich aus dem Labyrinth heraus.
Ein paar Hдuserreihen, und ich stand vor der gesuchten Spelunke.
"Cafe Chaos" stand darьber geschrieben.
Ein menschenleeres, winziges Lokal, das kaum genьgend Platz lieЯ fьr
die paar Tische, die an die Wдnde gerьckt waren.
In der Mitte auf einem dreibeinigen Billard schlief ein Kellner und
schnarchte.
Ein Marktweib, mit einem Gemьsekorb vor sich, saЯ in der Ecke und
nickte ьber einem Glase Caj.
Endlich geruhte der Kellner aufzustehen und mich zu fragen, was ich
wьnschte. Bei dem frechen Blick, mit dem er mich vom Kopf bis zu FuЯ
musterte, kam mir erst zum BewuЯtsem, wie abgerissen ich aussehen muЯte.
Ich warf einen Blick in den Spiegel und entsetzte mich: ein fremdes,
blutleeres Gesicht, faltig, grau wie Kitt, mit struppigem Bart und wirrem,
langem Haar starrte mir entgegen.
Ob der Silhouettenschneider Jaromir nicht dagewesen sei, fragte ich und
bestellte schwarzen Kaffee.
"WoaЯ net, wo er so lang bleibt", war die gegдhnte Antwort.
Dann legte sich der Kellner wieder auf das Billard und schlief weiter.
Ich nahm das "Prager Tagblatt" von der Wand und - wartete.
Die Buchstaben liefen wie Ameisen ьber die Seiten, und ich begriff
nicht ein einziges Wort von dem, was ich las.
Die Stunden vergingen, und hinter den Scheiben zeigte sich bereits das
verdдchtige tiefe Dunkelblau, das den Einbruch der Morgendдmmerung fьr ein
Lokal mit Gasbeleuchtung anzeigt.
Hie und da spдhten ein paar Schutzleute mit grьnlich schillernden
Federbьschen herein und gingen in langsamem, schwerem Schritt wieder weiter.
Drei ьbernдchtig aussehende Soldaten traten ein.
Ein StraЯenkehrer nahm einen Schnaps.
Endlich, endlich: Jaromir.
Er hatte sich so verдndert, daЯ ich ihn anfangs gar nicht
wiedererkannte: die Augen erloschen, die Vorderzдhne ausgefallen, das Haar
schьtter und tiefe Hцhlen hinter den Ohren.
Ich war so froh, nach so langer Zeit wieder ein bekanntes Gesicht zu
sehen, daЯ ich aufsprang, ihm entgegenging und seine Hand faЯte.
Er benahm sich auЯerordentlich scheu und blickte immerwдhrend nach der
Tьre. Durch alle mцglichen Gesten suchte ich ihm begreiflich zu machen, daЯ
ich mich freute, ihn getroffen zu haben. - Er schien es mir lange nicht zu
glauben.
Aber, was fьr Fragen ich auch stellte, stets die gleiche hilflose
Handbewegung des Nichtverstehens bei ihm.
Wie konnte ich mich nur verstдndlich machen?!
Halt! Eine Idee!
Ich lieЯ mir einen Bleistift geben und zeichnete nacheinander die
Gesichter von Zwakh, Vrieslander und Prokop auf.
"Was? Alle nicht mehr in Prag?"
Er fuchtelte lebhaft in der Luft herum, machte die Gebдrde des
Geldzдhlens, marschierte mit den Fingern ьber den Tisch, schlug sich auf den
Handrьcken. Ich erriet: alle drei hatten wahrscheinlich von Charousek Geld
bekommen und zogen jetzt als kaufmдnnische Kompagnie mit dem vergrцЯerten
Marionettentheater durch die Welt.
"Und Hillel? Wo wohnt er jetzt?" - Ich zeichnete sein Gesicht, ein Haus
dazu und ein Fragezeichen.
Das Fragezeichen verstand Jaromir nicht; - er konnte nicht lesen, aber
er begriff, was ich wollte, - nahm ein Streichholz, warf es scheinbar in die
Hцhe und lieЯ es nach Taschenspielerart geschickt verschwinden.
Was bedeutete das? Hillel sollte auch verreist sein?
Ich zeichnete das jьdische Rathaus auf.
Der Taubstumme schьttelte heftig den Kopf.
"Hillel ist also nicht mehr dort?"
"Nein!" (Kopfschьtteln.)
"Wo ist er denn?"
Wieder das Spiel mit dem Streichholz.
"Er meint halt, daЯ der Herr weg ist, und niem'd weiЯ nicht, wohin",
mischte sich der StraЯenkehrer, der uns die ganze Zeit ьber interessiert
zugesehen hatte, belehrend ein.
Vor Schreck krampfte sich mir das Herz zusammen: Hillel fort! - Jetzt
war ich ganz allein auf der Welt. - - Die Gegenstдnde im Zimmer fingen vor
meinen Augen an zu flimmern.
"Und Mirjam?"
Meine Hand zitterte so stark, daЯ ich ihr Gesicht lange nicht дhnlich
zeichnen konnte.
"Ist Mirjam auch verschwunden?"
"Ja. Auch verschwunden. Spurlos."
Ich stцhnte laut auf, lief im Zimmer hin und her, daЯ die drei Soldaten
einander fragend anblickten.
Jaromir suchte mich zu beruhigen und bemьhte sich, mir noch etwas
anderes mitzuteilen, was er erfahren zu haben schien: er legte den Kopf auf
den Arm, wie jemand, der schlдft.
Ich hielt mich an der Tischplatte: "Um Gottes Christi willen, Mirjam
ist gestorben?"
Kopfschьtteln. Jaromir wiederholte die Gebдrde des Schlafens.
"War Mirjam krank gewesen?" Ich zeichnete eine Medizinflasche.
Kopfschьtteln. Wieder legte Jaromir die Stirn auf den Arm. - - -
Das Zwielicht kam, eine Gasflamme nach der andern erlosch und noch
immer konnte ich nicht herausbringen, was die Geste bedeuten sollte.
Ich gab es auf. Dachte nach.
Das einzige, was mir zu tun blieb, war, in aller Frьhe auf das jьdische
Rathaus zu gehen, um dort Erkundigungen einzuziehen, wohin Hillel mit Mirjam
gereist sein kцnne.
Ich muЯte ihm nach. - - -
Wortlos saЯ ich neben Jaromir. Stumm und taub wie er.
Als ich nach einer langen Zeit aufblickte, sah ich, daЯ er mit einer
Schere an einer Silhouette herumschnitt.
Ich erkannte das Profil Rosinas. Er reichte mir das Blatt ьber den
Tisch herьber, legte die Hand auf die Augen und - weinte still vor sich hin.
- -
Dann sprang er plцtzlich auf und taumelte ohne GruЯ zur Tьr hinaus.
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Der Archivar Schemajah Hillel sei eines Tages ohne Grund ausgeblieben
und nicht mehr wiedergekommen; seine Tochter habe er jedenfalls mitgenommen,
denn auch sie sei von niemand mehr gesehen worden seit jener Zeit, hatte man
mir auf dem jьdischen Rathaus gesagt. Das war alles, was ich erfahren
konnte.
Keine Spur, wohin sie sich gewandt haben mochten.
Auf der Bank hieЯ es, mein Geld sei gerichtlich immer noch mit Beschlag
belegt, man erwarte aber tдglich den Bescheid, es mir auszahlen zu dьrfen.
Also auch die Erbschaft Charouseks muЯte noch den Amtsweg gehen, und
ich wartete doch mit brennender Ungeduld auf das Geld, um dann alles
aufzubieten, Hillels und Mirjams Spur zu suchen.
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Ich hatte meine Edelsteine verkauft, die ich noch in der Tasche gehabt,
und mir zwei kleine, mцblierte, aneinanderstoЯende Dachkammern in der
Altschulgasse - die einzige Gasse, die von der Assanierung der Judenstadt
verschont geblieben, - gemietet.
Sonderbarer Zufall: es war dasselbe wohlbekannte Haus, von dem die Sage
ging, der Golem sei einst darin verschwunden.
Ich hatte mich bei den Bewohnern - zumeist kleine Kaufleute oder
Handwerker - erkundigt, was denn Wahres an dem Gerьcht von dem "Zimmer ohne
Zugang" sei, und war ausgelacht worden. - Wie man einen derartigen Unsinn
denn glauben kцnne!
Meine eigenen Erlebnisse, die sich darauf bezogen, hatten im Gefдngnis
die Blдsse eines lдngst verwehten Traumbildes angenommen und ich sah in
ihnen nur noch Symbole ohne Blut und Leben, - strich sie aus dem Buch meiner
Erinnerungen.
Die Worte Laponders, die ich zuweilen so klar in mir hцrte, als sдЯe er
mir gegenьber wie damals in der Zelle und sprдche zu mir, bestдrkten mich
darin, daЯ ich rein innerlich geschaut haben mьsse, was mir ehedem greifbare
Wirklichkeit geschienen.
War denn nicht alles vergangen und verschwunden, was ich einst besessen
hatte? Das Buch Ibbur, das phantastische Tarockspiel, Angelina und sogar
meine alten Freunde Zwakh, Vrieslander und Prokop! - - -
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Es war Weihnachtsabend, und ich hatte mir einen kleinen Baum mit roten
Kerzen nach Hause gebracht. Ich wollte noch einmal jung sein und
Lichterglanz um mich haben und den Duft von Tannennadeln und brennendem
Wachs.
Ehe das Jahr noch zu Ende ging, war ich vielleicht schon unterwegs und
suchte in Stдdten und Dцrfern, oder wohin es mich innerlich ziehen wьrde,
nach Hillel und Mirjam.
Alle Ungeduld, alles Warten war allmдhlich von mir gewichen und alle
Furcht, Mirjam kцnne ermordet worden sein, und mit dem Herzen wuЯte ich, ich
wьrde sie beide finden.
Es war ein bestдndiges glьckliches Lдcheln in mir, und wenn ich meine
Hand auf etwas legte, kam mir's vor, als ginge ein Heilen von ihr aus. Die
Zufriedenheit eines Menschen, der nach langer Wanderung heimkehrt und die
Tьrme seiner Vaterstadt von weitem blinken sieht, erfьllte mich auf ganz
sonderbare Weise.
Einmal war ich noch in dem kleinen Kaffeehaus gewesen, um Jaromir zum
Weihnachtsabend zu mir zu holen. - Er habe sich nie mehr blicken lassen,
erfuhr ich, und schon wollte ich betrьbt wieder gehen, da kam ein alter
Tabulettkrдmer herein und bot kleine, wertlose Antiquitдten zum Kauf an.
Ich kramte in seinem Kasten unter all den Uhranhдngseln, kleinen
Kruzifixen, Kammnadeln und Broschen herum, da fiel mir ein Herz aus rotem
Stein an einem verschossenen Seidenbande in die Hand, und ich erkannte es
voll Erstaunen als das Andenken, das mir Angelina, als sie noch ein kleines
Mдdchen gewesen, einst beim Springbrunnen in ihrem SchloЯ geschenkt hatte.
Und mit einem Schlag stand meine Jugendzeit vor mir, als sдhe ich in
einen Guckkasten tief hinein in ein kindlich gemaltes Bild. -
Lange, lange stand ich erschьttert da und starrte auf das kleine, rote
Herz in meiner Hand. - - -
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Ich saЯ in der Dachkammer und lauschte dem Knistern der Tannennadeln,
wenn hie und da ein kleiner Zweig ьber den Wachskerzen zu glimmen begann.
"Vielleicht spielt gerade jetzt in dieser Stunde der alte Zwakh
irgendwo in der Welt seinen ›Marionettenweihnachtsabend‹", malte ich mir
aus, - "und deklamiert mit geheimnisvoller Stimme die Strophe seines
Lieblingsdichters Oskar Wiener":
Wo ist das Herz aus rotem Stein?
Es hдngt an einem Seidenbande.
O du, o gib das Herz nicht her;
Ich war ihm treu und hatt' es lieb,
Und diente sieben Jahre schwer
Um dieses Herz, und hatt' es lieb!"
Eigentьmlich feierlich wurde mir plцtzlich zumute.
Die Kerzen waren heruntergebrannt. Nur eine einzige flackerte noch.
Rauch ballte sich im Zimmer.
Als ob mich eine Hand zцge, wandte ich mich plцtzlich um und:
Da stand mein Ebenbild auf der Schwelle. Mein Doppelgдnger. In einem
weiЯen Mantel. Eine Krone auf dem Kopf.

Nur einen Augenblick.
Dann brachen Flammen durch das Holz der Tьr, und eine Wolke
erstickenden heiЯen Qualms schlug herein:
Feuersbrunst im Haus! Feuer! Feuer!
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Ich reiЯe das Fenster auf. Klettere auf das Dach hinaus.
Von weitem rast schon das gellende Klingeln der Feuerwehr heran.
Blitzende Helme und abgehackte Kommandorufe.
Dann das gespenstische, rhythmische, schlapfende Atmen der Pumpen, wie
die Dдmonen des Wassers sich ducken zum Sprung auf ihren Todfeind: das
Feuer.
Glas klirrt und rote Lohe schieЯt aus allen Fenstern.
Matratzen werden hinuntergeworfen, die ganze StraЯe liegt voll davon,
Menschen springen nach, werden verwundet weggetragen.
In mir aber jauchzt etwas auf in wilder jubelnder Ekstase; ich weiЯ
nicht warum. Das Haar strдubt sich mir.
Ich laufe auf den Schornstein zu, um nicht versengt zu werden, denn die
Flammen greifen nach mir.
Das Seil eines Rauchfangkehrers ist herumgewickelt.
Ich rolle es auf, schlinge es um Handgelenk und Bein, wie ich es als
Knabe beim Turnen gelernt habe, und lasse mich ruhig an der Fassade des
Hauses hinab. -
Komme an einem Fenster vorbei. Blicke hinein:
Drin ist alles blendend erleuchtet.
Und da sehe ich - - - da sehe ich - - - mein ganzer Kцrper wird ein
einziger hallender Freudenschrei:
"Hillel! Mirjam! Hillel!"
Ich will auf die Gitterstдbe losspringen.
Greife daneben. Verliere den Halt am Seil.
Einen Augenblick hдnge ich, Kopf abwдrts, die Beine gekreuzt, zwischen
Himmel und Erde.

Das Seil singt bei dem Ruck. Knirschend dehnen sich die Fasern.
Ich falle.
Mein BewuЯtsein erlischt.
Noch im Sturz greife ich nach dem Fenstersims, aber ich gleite ab. Kein
Halt:
der Stein ist glatt.
Glatt wie ein Stьck Fett.
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    SchluЯ


"- - - wie ein Stьck fett!"
Das ist der Stein, der aussieht wie ein Stьck Fett.
Die Worte gellen mir noch in den Ohren. Dann richte ich mich auf und
muЯ mich besinnen, wo ich bin.
Ich liege im Bett und wohne im Hotel.
Ich heiЯe doch gar nicht Pernath.
Habe ich das alles nur getrдumt?
Nein! So trдumt man nicht.
Ich schaue auf die Uhr: kaum eine Stunde habe ich geschlafen. Es ist
halb drei.
Und dort hдngt der fremde Hut, den ich heute im Dom auf dem Hradschin
verwechselt habe, als ich beim Hochamt auf der Betbank saЯ.
Steht ein Name darin?
Ich nehme ihn und lese in goldenen Buchstaben auf dem weiЯen
Seidenfutter den fremden und doch so bekannten Namen:

    ATHANASIUS PERNATH


Jetzt lдЯt es mir keine Ruhe mehr; ich ziehe mich hastig an und laufe
die Treppe hinunter.
"Portier! Aufmachen! Ich gehe noch eine Stunde spazieren."
"Wohin, bitt schдn?"
"In die Judenstadt. In die HahnpaЯgasse. Gibt's ьberhaupt eine StraЯe,
die so heiЯt?"
"Freilich, freilich" - der Portier lдchelt malitiцs - "aber in der
Judenstadt, ich mache aufmerksam: ist nicht mehr viel los. Alles neu gebaut,
bitte."
"Macht nichts. Wo liegt die HahnpaЯgasse?"
Der dicke Finger des Portiers deutet auf die Karte: "Hier, bitte."
"Und die Schenke ›Zum Loisitschek‹?"
"Hier, bitte."
"Geben Sie mir ein groЯes Stьck Papier."
"Hier, bitte."
Ich wickle Pernaths Hut hinein. Merkwьrdig: er ist fast neu, tadellos
sauber und doch so brьchig, als wдre er uralt. -
Unterwegs ьberlege ich:
Alles, was dieser Athanasius Pernath erlebt hat, habe ich im Traum
miterlebt, in einer Nacht mitgesehen, mitgehцrt, mitgefьhlt, als wдre ich er
gewesen. Warum weiЯ ich denn aber nicht, was er in dem Augenblick, als der
Strick riЯ und er "Hillel, Hillel!" rief, hinter dem Gitterfenster erblickt
hat?
Er hat sich in diesem Augenblick von mir getrennt, begreife ich.
Ich muЯ diesen Athanasius Pernath auffinden, und wenn ich drei Tage und
drei Nдchte herumlaufen sollte, nehme ich mir vor. - - -
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Also das ist die HahnpaЯgasse?
Nicht annдhernd so habe ich sie im Traum gesehen! -
Lauter neue Hдuser.
Eine Minute spдter sitze ich im Cafй Loisitschek. Ein stilloses,
ziemlich sauberes Lokal.
Im Hintergrund allerdings eine Estrade mit Holzgelдnder; eine gewisse
Дhnlichkeit mit dem alten getrдumten "Loisitschek" ist nicht zu leugnen.
"Befehlen, bitt' schцn?", fragt die Kellnerin, ein dralles Mдdel, in
einen rotsamtenen Frack buchstдblich hineingeknallt.
"Kognak, Frдulein. - So, danke."
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"- Hm. Frдulein!"
"Bitte?"
"Wem gehцrt das Kaffeehaus?"
"Dem Herrn Kommerzialrat Loisitschek. - Das ganze Haus gehцrt ihm. Ein
sehr feiner reicher Herr."
- Aha, der Kerl mit den Schweinszдhnen an der Uhrkette! erinnere ich
mich. -
Ich habe einen guten Einfall, der mich orientieren wird:
"Frдulein!"
"Bitte?"
"Wann ist die steinerne Brьcke eingestьrzt?"
"Vor dreiunddreiЯig Jahren."
"Hm. Vor dreiunddreiЯig Jahren!" - ich ьberlege: der Gemmenschneider
Pernath muЯ also jetzt fast neunzig sein.
"Frдulein!"
"Bitte?"
"Ist hier niemand unter den Gдsten, der sich noch erinnern kann, wie
die alte Judenstadt von damals ausgesehen hat? Ich bin Schriftsteller und
interessiere mich dafьr."
Die Kellnerin denkt nach: "Von den Gдsten? Nein. - Aber warten S': der
Billardmarqueur, der dort mit einem Studenten Carambol spielt, - sehen Sie
ihn? Der mit der Hakennase, der Alte, - der hat immer hier gelebt und wird
Ihnen alles sagen. Soll ich ihn rufen, wenn er fertig ist?"
Ich folgte dem Blick des Mдdchens:
Ein schlanker, weiЯhaariger, alter Mann lehnt drьben am Spiegel und
kreidet seine Queue. Ein verwьstetes, aber seltsam vornehmes Gesicht. Woran
erinnert er mich nur?
"Frдulein, wie heiЯt der Marqueur?"
Die Kellnerin stьtzt sich im Stehen mit dem Ellenbogen auf den Tisch,
leckt an einem Bleistift, schreibt in Windeseile ihren Vornamen unzдhlige
Male auf die Marmorplatte und lцscht ihn jedesmal mit nassem Finger rasch
wieder aus. Dazwischen wirft sie mir mehr oder minder sengende Glutblicke
zu; - je nachdem sie ihr gelingen. UnerlдЯlich ist natьrlich das
gleichzeitige Emporziehen der Augenbrauen, denn es erhцht das Mдrchenhafte
des Blickes.
"Frдulein, wie heiЯt der Marqueur?", wiederhole ich meine Frage. Ich
sehe ihr an, sie hдtte lieber gehцrt: Frдulein, warum tragen Sie nicht nur
einen Frack? oder etwas Дhnliches, aber ich frage es nicht; mir geht mein
Traum zu sehr im Kopf herum.
"No, wie wird er denn heiЯen," schmollt sie, "Ferri heiЯt er halt.
Ferri Athenstдdt."
"So so? Ferri Athenstдdt! - Hm, - also wieder ein alter Bekannter."
"Erzдhlen Sie mir doch recht, recht viel von ihm, Frдulein," girre ich,
muЯ mich aber sofort mit einem Kognak stдrken, "Sie plaudern gar so herzig!"
(Ich ekle mich vor mir selber.)
Sie neigt sich geheimnisvoll dicht zu mir, damit mich ihre Haare im
Gesicht kitzeln, und flьstert:
"Der Ferri, der war Ihnen frьher ein ganz ein Geriebener. - Er soll von
uraltem Adel gewesen sein - es ist natьrlich nur so ein Gerede, weil er
keinen Bart nicht trдgt - und furchtbar viel Geld g'habt habn. Eine
rothaarige Jьdin, die schon von Jugend auf eine ›Person‹ war" - sie schrieb
wieder rasch ein paarmal ihren Namen auf - "hat ihn dann ganz ausgezogen. -
Punkto Geld mein' ich natьrlich. No, und wie er dann kein Geld nicht mehr
gehabt hat, ist sie weg und hat sich von einem hohen Herrn heiraten lassen:
von dem ..." - sie flьsterte mir einen Namen ins Ohr, den ich nicht
verstehe. "Der hohe Herr hat dann natьrlich auf alle Ehre verzichten mьssen
und sich von da an nur mehr Ritter von Dдmmerich nennen dьrfen. No ja. Aber
daЯ sie frьher eine ›Person‹ g'wesen ist, hat er ihr halt doch nicht
wegwaschen kцnnen. Ich sag immer -."
"Fritzi! Zahlen!" ruft jemand von der Estrade herab. -
Ich lasse meine Blicke durch das Lokal wandern, da hцre ich plцtzlich
ein leises metallisches Zirpen, wie von einer Grille, hinter mir.
Ich drehe mich neugierig um. Traue meinen Augen nicht:
Das Gesicht zur Wand gekehrt, alt wie Methusalem, eine Spieldose, so
klein wie eine Zigarettenschachtel, in zitternden Skeletthдnden sitzt ganz
in sich zusammengesunken - der blinde, greise Nephtali Schaffranek in der
Ecke und leiert mit der winzigen Kurbel.
Ich trete zu ihm.
Im Flьsterton singt er konfus vor sich hin:
"Frau Pick,
Frau Hock.
Und rote, blaue Stern
die schmusen allerhand.
Von Messinung, an Rдucherl und Rohn."
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"Wissen Sie, wie der alte Mann heiЯt?" frage ich einen vorbeieilenden
Kellner.
"Nein, mein Herr, niemand kennt weder ihn noch seinen Namen. Er selbst
hat ihn vergessen. Er ist ganz allein auf der Welt. Bitte, er ist 110 Jahre
alt! Er kriegt bei uns jede Nacht einen sogenannten Gnadenkaffee."
Ich beugte mich ьber den Greis, - rufe ihm ein Wort ins Ohr:
"Schaffranek!"
Es durchfдhrt ihn wie ein Blitz. Er murmelt etwas, streicht sich
sinnend ьber die Stirn.
"Verstehen Sie mich, Herr Schaffranek?"
Er nickt.
"Passen Sie mal gut auf! Ich mцchte Sie etwas fragen, aus alter Zeit.
Wenn Sie mir alles gut beantworten, bekommen Sie den Gulden, den ich hier
auf den Tisch lege."
"Gulden", wiederholt der Greis und fдngt sofort an, wie ein Rasender
auf seiner zirpenden Spieldose zu kurbeln.
Ich halte seine Hand fest: "Denken Sie einmal nach! - Haben Sie nicht
vor etwa 33 Jahren einen Gemmenschneider namens Pernath gekannt?"

"Hadrbolletz! Hosenschneider!" - lallt er asthmatisch auf und lacht
ьbers ganze Gesicht, in der Meinung, ich hдtte ihm einen famosen Witz
erzдhlt.
"Nein, nicht Hadrbolletz: - - Pernath!"
"Pereles?!" - er jubelt fцrmlich.
"Nein, auch nicht Pereies. - Per-nath!"
"Pascheies?!" - er krдht vor Freude. - -
Ich gebe enttдuscht meinen Versuch auf.
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"Sie wollten mich sprechen, mein Herr?", - der Marqueur Ferri
Athenstдdt steht vor mir und verbeugt sich kьhl.
"Ja. Ganz richtig. - Wir kцnnen dabei eine Partie Billard spielen."
"Spielen Sie um Geld, mein Herr? Ich gebe Ihnen 90 auf 100 vor."
"Also gut: um einen Gulden. Fangen Sie vielleicht an, Marqueur."
Seine Durchlaucht nimmt das Queue, zielt, gickst, macht ein дrgerliches
Gesicht. Ich kenne das: er lдЯt mich bis 9 kommen, und dann macht er in
einer Serie "aus".
Mir wird immer kurioser zumute. Ich gehe direkt auf mein Ziel los:
"Entsinnen Sie sich, Herr Marqueur: vor langer Zeit, etwa in den
Jahren, als die steinerne Brьcke einstьrzte, in der damaligen Judenstadt
einen gewissen - Athanasius Pernath gekannt zu haben?"
Ein Mann in einer rotweiЯgestreiften Leinwandjacke, mit Schielaugen und
kleinen goldenen Ohrringen, der auf einer Bank an der Wand sitzt und eine
Zeitung liest, fдhrt auf, stiert mich an und bekreuzigt sich.
"Pernath? Pernath?" wiederholt der Marqueur und denkt angestrengt nach
- "Pernath? - War er nicht groЯ, schlank? Braunes Haar, melierten
kurzgeschnittenen Spitzbart?"
"Ja. Ganz richtig."
"Etwa vierzig Jahre alt damals? Er sah aus wie --", Seine Durchlaucht
starrt mich plцtzlich ьberrascht an. - "Sie sind ein Verwandter von ihm,
mein Herr?!"
Der Schielдugige bekreuzigt sich.
"Ich? Ein Verwandter? Komische Idee. - Nein. Ich interessiere mich nur
fьr ihn. Wissen Sie noch mehr?", sage ich gelassen, fьhle aber, daЯ mir
eiskalt im Herzen wird.
Ferri Athenstдdt denkt wieder nach.
"Wenn ich nicht irre, galt er seinerzeit fьr verrьckt. - Einmal
behauptete er, er hieЯe - warten Sie mal, - ja: Laponder! Und dann wieder
gab er sich fьr einen gewissen - Charousek aus."
"Kein Wort wahr!" fдhrt der Schielдugige dazwischen. "Den Charousek
hat's wirklich gegeben. Mein Vater hat doch mehrere 1000 fl von ihm geerbt."
"Wer ist dieser Mann?", fragte ich den Marqueur halblaut.
"Er ist Fдhrmann und heiЯt Tschamrda. - Was den Pernath betrifft, so
erinnere ich mich nur, oder glaube es wenigstens - daЯ er in spдteren Jahren
eine sehr schцne, dunkelhдutige Jьdin geheiratet hat."
"Mirjam!" sage ich mir und werde so aufgeregt, daЯ mir die Hдnde
zittern und ich nicht mehr weiterspielen kann.
Der Fдhrmann bekreuzigt sich.
"Ja, was ist denn heute mit Ihnen los, Herr Tschamrda?", fragt der
Marqueur erstaunt.
"Der Pernath hat niemals nicht gelebt", schreit der Schielдugige los.
"Ich glaub's nicht."
Ich schenke dem Mann sofort einen Kognak ein, damit er gesprдchiger
wird.
"Es gibt ja wohl Leut', die sagen, der Pernath lebt noch immer", rьckt
der Fдhrmann endlich heraus, "er is, hцr ich. Kammschneider und wohnt auf
dem Hradschin."
"Wo auf dem Hradschin?"
Der Fдhrmann bekreuzigt sich:
"Das ist es ja eben! Er wohnt, wo kein lebender Mensch wohnen kann: an
der Mauer zur letzten Latern.
"
"Kennen Sie sein Haus, Herr - Herr - Tschamrda?"
"Nicht um die Welt mцcht ich dort hinaufgehen!", protestiert der
Schielдugige. "Wofьr halten Sie mich? Jesus, Maria und Josef!"
"Aber den Weg hinauf kцnnten Sie mir doch von weitem zeigen, Herr
Tschamrda?"
"Das schon", brummte der Fдhrmann. "Wenn Sie warten wollen bis 6 Uhr
frьh; dann geh ich zur Moldau hinunter. Aber ich rat Ihnen ab! Sie stьrzen
in den Hirschgraben und brechen Hals und Knochen! Heilige Muttergottes!"
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Wir gehen zusammen durch den Morgen; frischer Wind weht vom Flusse her.
Ich fьhle vor Erwartung kaum den Boden unter mir.
Plцtzlich taucht das Haus in der Altschulgasse vor mir auf.
Jedes Fenster erkenne ich wieder: die geschweifte Dachrinne, das
Gitter, die fettig glдnzenden Steinsimse - alles, alles!
"Wann ist dieses Haus abgebrannt?", frage ich den Schielдugigen. Es
braust mir in den Ohren vor Spannung.
"Abgebrannt? Niemals nicht!"
"Doch! Ich weiЯ es bestimmt."
"Nein."
"Aber ich weiЯ es doch! Wollen Sie wetten?"
"Wieviel?"
"Einen Gulden."
"Gemacht!" - Und Tschamrda holt den Hausmeister heraus. "Ist dieses
Haus jemals abgebrannt?"
"I woher denn!" Der Mann lacht. -
Ich kann und kann es nicht glauben.
"Schon siebzig Jahr' wohn ich drin," beteuert der Hausmeister, "ich
mьЯt's doch wahrhaftig wissen."
- - - Sonderbar, sonderbar! - - -
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Der Fдhrmann rudert mich in seinem Kahn, der aus acht ungehobelten
Brettern besteht, mit komischen schiefen Zuckbewegungen ьber die Moldau. Die
gelben Wasser schдumen gegen das Holz. Die Dдcher des Hradschins glitzern
rot in der Morgensonne. Ein unbeschreiblich feierliches Gefьhl ergreift
Besitz von mir. Ein leise dдmmerndes Gefьhl wie aus einem frьheren Dasein,
als sei die Welt um mich her verzaubert - eine traumhafte Erkenntnis, als
lebte ich zuweilen an mehreren Orten zugleich.
Ich steige aus.
"Wieviel bin ich schuldig, Herr Tschamrda?"
"Einen Kreuzer. Wenn Sie mitg'holfen hдtten rudern, - hдtt's zwei
Kreuzer 'kost."
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Denselben Weg, den ich heute nacht im Schlaf schon einmal gegangen,
wandere ich wieder empor: die kleine, einsame SchloЯstiege. Mir klopft das
Herz und ich weiЯ voraus: jetzt kommt der kahle Baum, dessen Дste ьber die
Mauer herьbergreifen.
Nein: er ist mit weiЯen Blьten besдt.
Die Luft ist voll von sьЯem Fliederhauch.
Zu meinen FьЯen liegt die Stadt im ersten Licht wie eine Vision der
VerheiЯung.
Kein Laut. Nur Duft und Glanz.
Mit geschlossenen Augen kцnnte ich mich hinauffinden in die kleine,
kuriose Alchimistengasse, so vertraut ist mir plцtzlich jeder Schritt.
Aber, wo heute nacht das Holzgitter vor dem weiЯschimmemden Haus
gestanden hat, schlieЯt jetzt ein prachtvolles, gebauchtes, vergoldetes
Gitter die Gasse ab.
Zwei Eibenbдume ragen aus blьhendem, niederem Gestrдuch und flankieren
das Eingangstor der Mauer, die hinter dem Gitter entlang lдuft.
Ich strecke mich, um ьber das Strauchwerk hinьberzusehen, und bin
geblendet von neuer Pracht:
Die Gartenmauer ist ganz mit Mosaik bedeckt. Tьrkisblau mit goldenen,
eigenartig gemuschelten Fresken, die den Kult des дgyptischen Gottes Osiris
darstellen.
Das Flьgeltor ist der Gott selbst: ein Hermaphrodit aus zwei Hдlften,
die die Tьre bilden, - die rechte weiblich, die linke mдnnlich. - Er sitzt
auf einem kostbaren, flachen Thron aus Perlmutter - im Halbrelief - und sein
goldener Kopf ist der eines Hasen. Die Ohren sind in die Hцhe gestellt und
dicht aneinander, daЯ sie aussehen wie die beiden Seiten eines
aufgeschlagenen Buches. -
Es riecht nach Tau, und Hyazinthenduft weht ьber die Mauer herьber. - -
-
Lange stehe ich wie versteinert da und staune. Mir wird, als trдte eine
fremde Welt vor mich, und ein alter Gдrtner oder Diener mit silbernen
Schnallenschuhen, Jabot und sonderbar zugeschnittenem Rock kommt von links
hinter dem Gitter auf mich zu und fragt mich durch die Stдbe, was ich
wьnsche.
Ich reiche ihm stumm den eingewickelten Hut Athanasius Pernaths hinein.
Er nimmt ihn und geht durch das Flьgeltor.
Als es sich цffnet, sehe ich dahinter ein tempelartiges, marmornes Haus
und auf seinen Stufen:

    ATHANASIUS PERNATH


und an ihn gelehnt:

    MIRJAM,


und beide schauen hinab in die Stadt.
Einen Augenblick wendet sich Mirjam um, erblickt mich, lдchelt und
flьstert Athanasius Pernath etwas zu.
Ich bin gebannt von ihrer Schцnheit.
Sie ist so jung, wie ich sie heut nacht im Traum gesehen.
Athanasius Pernath dreht sich langsam zu mir, und mein Herz bleibt
stehen:
Mir ist, als sдhe ich mich im Spiegel, so дhnlich ist sein Gesicht dem
meinigen.

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Dann fallen die Flьgel des Tores zu, und ich erkenne nur noch den
schimmernden Hermaphroditen.
Der alte Diener gibt mir meinen Hut und sagt - ich hцre seine Stimme
wie aus den Tiefen der Erde -:
"Herr Athanasius Pernath lдЯt verbindlichst danken und bittet, ihn
nicht fьr ungastfreundlich zu halten, daЯ er Sie nicht einlдdt, in den
Garten zu kommen, aber es ist strenges Hausgesetz so von alters her.

Ihren Hut, soll ich ausrichten, habe er nicht aufgesetzt, da ihm die
Verwechslung sofort aufgefallen sei.

Er wolle nur hoffen, daЯ der seinige Ihnen keine Kopfschmerzen
verursacht habe."