Wimper.
Er suchte mich geschickt durch Kreuz- und Querfragen in Widersprьche zu
verwickeln, aber, so sehr mir auch vor Entsetzen das Herz im Halse schlug,
ich verriet mich nicht und kam immer wieder darauf zurьck, daЯ ich den Namen
Savioli nie gehцrt hдtte, mit Angelina von meinem Vater her befreundet sei,
und daЯ sie schon цfter Kameen bei mir bestellt habe.
Ich fьhlte trotzdem genau, daЯ der Polizeirat mir ansah, wie ich ihn
belog, und innerlich schдumte vor Wut, nichts aus mir herausbekommen zu
kцnnen.
Er dachte eine Weile nach, dann zog er mich am Rock dicht an sich,
deutete warnend mit dem Daumen auf den linken Schreibtisch und flьsterte mir
ins Ohr:
"Athanasius! Ihr seliger Vater war mein bester Freund. Ich will Sie
retten, Athanasius! Aber Sie mьssen mir alles sagen ьber die Grдfin. - Hцren
Sie: alles."
Ich begriff nicht, was das bedeuten sollte. "Was meinen Sie damit: Sie
wollen mich retten?", fragte ich laut.
Der KlumpfuЯ stampfte дrgerlich auf den Boden. Der Polizeirat wurde
aschgrau im Gesicht vor HaЯ. Zog die Lippe empor. Wartete. - Ich wuЯte, daЯ
er gleich wieder losspringen wьrde; (sein Verblьffungssystem erinnerte mich
an Wassertrum) und wartete ebenfalls, - sah, daЯ ein Bocksgesicht, der
Inhaber des KlumpfuЯes, lauernd hinter dem Schreibpulte auftauchte - - dann
schrie mich der Polizeirat plцtzlich gellend an:
"Mцrder".
Ich war sprachlos vor Verblьffung.
MiЯmutig zog sich das Bocksgesicht wieder hinter sein Pult zurьck.
Auch der Herr Polizeirat schien ziemlich betreten ьber meine Ruhe,
versteckte es aber geschickt, indem er einen Stuhl herbeizog und mich
aufforderte, Platz zu nehmen.
"Sie verweigern also, ьber die Grдfin die von mir gewьnschte Auskunft
zu geben, Herr Pernath?"
"Ich kann sie nicht geben, Herr Polizeirat, wenigstens nicht in dem
Sinne, wie Sie erwarten. Erstens kenne ich niemand namens Savioli, und dann
bin ich felsenfest ьberzeugt, daЯ es eine Verleumdung ist, wenn man der
Grдfin nachsagt, sie hintergehe ihren Gatten."
"Sind Sie bereit, das zu beeiden?"
Mir stockte der Atem. "Ja! Jederzeit."
"Gut. Hm."
Eine lдngere Pause entstand, wдhrend der Polizeirat angestrengt
nachzugrьbeln schien.
Als er mich wieder anblickte, lag ein komцdiantenhafter Zug von
Schmerzlichkeit in seiner Fratze. Unwillkьrlich muЯte ich an Charousek
denken, wie er dann mit trдnenerstickter Stimme anfing:
"Mir kцnnen Sie es doch sagen, Athanasius, - mir, dem alten Freund
Ihres Vaters - mir, der Sie auf den Armen getragen hat -" ich konnte das
Lachen kaum verbeiЯen: er war hцchstens zehn Jahre дlter als ich - "nicht
wahr, Athanasius, es war Notwehr?"
Das Bocksgesicht erschien abermals.
"Was war Notwehr?", fragte ich verstдndnislos.
"Das mit dem - - - Zottmann!" schrie mir der Polizeirat einen Namen ins
Gesicht.
Das Wort traf mich wie ein Dolchstich: Zottmann! Zottmann! Die Uhr! Der
Name Zottmann stand doch in der Uhr eingraviert.
Ich fьhlte, wie mir alles Blut zum Herzen strцmte: Der grauenhafte
Wassertrum hatte mir die Uhr gegeben, um den Verdacht des Mordes auf mich zu
lenken.
Sofort warf der Polizeirat die Maske ab, fletschte die Zдhne und kniff
die Augen zusammen:
"Sie gestehen also den Mord ein, Pernath?"
"Das ist alles ein Irrtum. Ein entsetzlicher Irrtum. Um Gottes willen
hцren Sie mich an. Ich kann es Ihnen erklдren, Herr Polizeirat - -!", schrie
ich.
"Werden Sie mir jetzt alles mitteilen in bezug auf die Frau Grдfin",
unterbrach er mich rasch: "ich mache Sie aufmerksam: Sie verbessern Ihre
Lage damit."
"Ich kann nicht mehr sagen, als bereits geschehen ist: die Grдfin ist
unschuldig."
Er biЯ die Zдhne zusammen und wandte sich an das Bocksgesicht:
"Schreiben Sie: - Also, Pernath gesteht den Mord an dem
Versicherungsbeamten Karl Zottmann ein."
Mich packte eine besinnungslose Wut.
"Sie Polizeikanaille!" brьllte ich los, "was unterstehen Sie sich?!"
Ich suchte nach einem schweren Gegenstand.
Im nдchsten Augenblick hatten mich zwei Schutzleute gepackt und mir
Handschellen angelegt.
Der Polizeirat blдhte sich jetzt wie der Hahn auf dem Mist:
"Und die Uhr da?", - er hielt plцtzlich die verbeulte Uhr in der Hand,
- "hat der unglьckliche Zottmann noch gelebt, als Sie ihn beraubten, oder
nicht?"
Ich war wieder ganz ruhig geworden und gab mit klarer Stimme zu
Protokoll: "Die Uhr hat mir heute vormittag der Trцdler Aaron Wassertrum -
geschenkt."
Ein wieherndes Gelдchter brach los, und ich sah, wie der KlumpfuЯ und
der Filzpantoffel mitsammen einen Freudentanz unter dem Schreibtisch
auffьhrten.

    Qual


Die Hдnde gefesselt, hinter mir ein Gendarm mit aufgepflanztem
Bajonett, muЯte ich durch die abendlich beleuchteten StraЯen gehen.
Gassenjungen zogen in Scharen johlend links und rechts mit, Weiber
rissen die Fenster auf, drohten mit Kochlцffeln herunter und schimpften
hinter mir drein.
Schon von weitem sah ich den massigen Steinwьrfel des Gerichtsgebдudes
mit der Inschrift auf dem Giebel herannahen:
"Die strafende Gerechtigkeit ist die Beschirmung aller Braven."
Dann nahm mich ein riesiges Tor auf und ein Flurzimmer, in dem es nach
Kьche stank.
Ein vollbдrtiger Mann mit Sдbel, Beamtenrock und -mьtze, barfuЯ und die
Beine in langen, um die Knцchel zusammengebundenen Unterhosen, stand auf,
stellte die Kaffeemьhle, die er zwischen den Knien hielt, weg und befahl
mir, mich auszuziehen.
Dann visitierte er meine Taschen, nahm alles heraus, was er darin fand,
und fragte mich, ob ich - Wanzen hдtte.
Als ich verneinte, zog er mir die Ringe von den Fingern und sagte, es
sei gut, ich kцnnte mich wieder ankleiden.
Man fьhrte mich mehrere Stockwerke hinauf und durch Gдnge, in denen
vereinzelt groЯe, graue, verschlieЯbare Kisten in den Fensternischen
standen.
Eiserne Tьren mit Riegelstangen und kleinen, vergitterten Ausschnitten,
ьber jedem eine Gasflamme, zogen sich in ununterbrochener Reihe die Wand
entlang.
Ein hьnenhafter, soldatisch aussehender Gefangenwдrter - das erste
ehrliche Gesicht seit Stunden - sperrte eine der Tьren auf, schob mich in
eine dunkle, schrankartige, pestilenzialisch stinkende Цffnung und schloЯ
hinter mir ab.
Ich stand in vollkommener Finsternis und tappte mich zurecht.
Mein Knie stieЯ an einen Blechkьbel.
Endlich erwischte ich - der Raum war so eng, daЯ ich mich kaum umdrehen
konnte - eine Klinke, und stand in - einer Zelle.
Je zwei und zwei Pritschen mit Strohsдcken an den Mauern.
Der Durchgang dazwischen nur einen Schritt breit.
Ein Quadratmeter Gitterfenster hoch oben in der Querwand lieЯ den
matten Schein des Nachthimmels herein.
Unertrдgliche Hitze, vom Geruch alter Kleider verpestete Luft erfьllte
den Raum.
Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewцhnt hatten, sah ich, daЯ auf
drei der Pritschen - die vierte war leer - Menschen in grauen
Strдflingskleidern saЯen; die Arme auf die Knie gestьtzt und die Gesichter
in den Hдnden vergraben.
Keiner sprach ein Wort.
Ich setzte mich auf das leere Bett und wartete. Wartete. Wartete.
Eine Stunde.
Zwei - drei Stunden!
Wenn ich drauЯen einen Schritt zu hцren glaubte, fuhr ich auf:
Jetzt, jetzt kam man mich holen, um mich dem Untersuchungsrichter
vorzufьhren.
Jedesmal war es eine Tдuschung gewesen. Immer wieder verloren sich die
Schritte auf dem Gang.
Ich riЯ mir den Kragen auf - glaubte, ersticken zu mьssen.
Ich hцrte, wie ein Gefangener nach dem andern sich дchzend ausstreckte.
"Kann man denn das Fenster da oben nicht aufmachen?", fragte ich voll
Verzweiflung laut in die Dunkelheit hinein. Ich erschrak fast vor meiner
eigenen Stimme.
"Es geht net", antwortete es mьrrisch von einem der Strohsдcke herьber.
Ich tastete trotzdem mit der Hand an der Schmalwand entlang: ein Brett
in Brusthцhe lief quer hin - - - zwei Wasserkrьge - - - Stьcke von
Brotrinden.
Mьhsam kletterte ich hinauf, hielt mich an den Gitterstдben und preЯte
das Gesicht an die Fensterritzen, um wenigstens etwas frische Luft zu atmen.
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So stand ich, bis mir die Knie zitterten. Eintцniger, schwarzgrauer
Nachtnebel vor meinen Augen.
Die kalten Eisenstдbe schwitzten.
Es muЯte bald Mitternacht sein.
Hinter mir hцrte ich schnarchen. Nur einer schien nicht schlafen zu
kцnnen: er warf sich hin und her auf dem Stroh und stцhnte manchmal halblaut
auf.
Wollte denn der Morgen nicht endlich kommen?! Da! Es schlug wieder.
Ich zдhlte mit bebenden Lippen:
Eins, zwei, drei! - Gott sei Dank, nur noch wenige Stunden, dann muЯte
die Dдmmerung kommen. Es schlug weiter:
Vier? fьnf? - Der SchweiЯ trat mir auf die Stirn. - Sechs!! - Sieben -
- - es war elf Uhr.
Erst eine Stunde war vergangen, seit ich das letzte Mal hatte schlagen
hцren.
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Allmдhlich legten sich meine Gedanken zurecht:
Wassertrum hat mir die Uhr des vermiЯten Zottmann zugespielt, um mich
in Verdacht zu bringen, einen Mord begangen zu haben. - Er muЯte also selbst
der Mцrder sein; wie hдtte er sonst in den Besitz der Uhr kommen kцnnen?
Wьrde er die Leiche irgendwo gefunden und dann erst beraubt haben, hдtte er
sich bestimmt die tausend Gulden Belohnung geholt, die fьr die Entdeckung
des VermiЯten цffentlich ausgesetzt waren. - Das konnte aber nicht sein: die
Plakate klebten noch immer an den StraЯenecken, wie ich deutlich auf meinem
Weg ins Gefдngnis gesehen hatte. - - -
DaЯ der Trцdler mich angezeigt haben muЯte, war klar.
Ebenso: daЯ er mit dem Polizeirat, wenigstens was Angelina betraf,
unter einer Decke steckte. Wozu sonst das Verhцr wegen Savioli?
Andererseits ging daraus hervor, daЯ Wassertrum Angelinas Briefe noch
nicht
in Hдnden hatte.
Ich grьbelte nach - - -
Mit einem Schlag stand alles mit entsetzlicher Deutlichkeit vor mir,
als wдre ich selbst dabei gewesen.
Ja; nur so konnte es sein: Wassertrum hatte meine eiserne Kassette, in
der er Beweise vermutete, heimlich an sich genommen, als er gerade mit
seinen Polizeikomplizen meine Wohnung durchstцberte, - konnte sie nicht
sogleich цffnen, da ich den Schlьssel bei mir trug, und war - - - vielleicht
gerade jetzt daran, sie in seiner Hцhle aufzubrechen.
In wahnsinniger Verzweiflung rьttelte ich an den Gitterstдben, sah
Wassertrum im Geiste vor mir, wie er in Angelinas Briefen wьhlte -
Wenn ich nur Charousek benachrichtigen kцnnte, daЯ er Savioli
wenigstens rechtzeitig warnen ging!
Einen Augenblick klammerte ich mich an die Hoffnung, meine Verhaftung
mьsse bereits wie ein Lauffeuer in der Judenstadt bekannt geworden sein, und
ich vertraute auf Charousek wie auf einen rettenden Engel. Gegen seine
infernalische Schlauheit kam der Trцdler nicht auf; "Ich werde ihn genau in
der Stunde an der Gurgel haben, in der er Dr. Savioli an den Hals will",
hatte Charousek schon einmal gesagt.
In der nдchsten Minute wieder verwarf ich alles, und eine wilde Angst
packte mich: Wie, wenn Charousek zu spдt kam?
Dann war Angelina verloren. - - -
Ich biЯ mir die Lippen blutig und zerkrallte mir die Brust aus Reue,
daЯ ich die Briefe damals nicht sofort verbrannt hatte; - - - ich schwor es
mir zu, Wassertrum noch in derselben Stunde aus der Welt zu schaffen, wo ich
wieder auf freiem FuЯ sein wьrde.
Ob ich von eigener Hand starb oder am Galgen - was lag mir daran!
DaЯ der Untersuchungsrichter meinen Worten glauben wьrde, wenn ich ihm
die Geschichte mit der Uhr plausibel machte, ihm von Wassertrums Drohungen
erzдhlte, - keinen Augenblick zweifelte ich daran.
Bestimmt morgen schon muЯte ich frei sein; zumindest wьrde das Gericht
auch Wassertrum wegen Mordverdachts verhaften lassen.
Ich zдhlte die Stunden und betete, daЯ sie rascher vergehen mцchten;
starrte hinaus in den schwдrzlichen Dunst.
Nach unsдglich langer Zeit fing es endlich an, heller zu werden, und
zuerst wie ein dunkler Fleck, dann immer deutlicher, tauchte ein kupfernes,
riesiges Gesicht aus dem Nebel: das Zifferblatt einer alten Turmuhr. Doch
die Zeiger fehlten; - neuerliche Qual.
Dann schlug es fьnf.
Ich hцrte, wie die Gefangenen erwachten und gдhnend eine Unterhaltung
in bцhmischer Sprache fьhrten.
Eine Stimme kam mir bekannt vor; ich drehte mich um, stieg von dem
Brett herunter und - sah den blatternarbigen Loisa auf der Pritsche,
gegenьber der meinigen, sitzen und mich verwundert anstarren.
Die beiden anderen waren Gesellen mit verwegenen Gesichtern und
musterten mich geringschдtzig.
"Defraudant? Was?", fragte der eine halblaut seinen Kameraden und stieЯ
ihn mit dem Ellenbogen an.
Der Gefragte brummte irgend etwas verдchtlich, kramte in seinem
Strohsack, holte ein schwarzes Papier hervor und legte es auf den Boden.
Dann schьttete er aus dem Krug ein wenig Wasser darauf, kniete nieder,
bespiegelte sich darin und kдmmte sich mit den Fingern das Haar in die
Stirn.
Hierauf trocknete er das Papier mit zдrtlicher Sorgfalt ab und
versteckte es wieder unter der Pritsche.
"Pan Pernath, Pan Pernath", murmelte Loisa dabei bestдndig mit
aufgerissenen Augen vor sich hin, wie jemand, der ein Gespenst sieht.
"Die Herrschaften kennen einand, wie ich bemerkц", sagte der
Ungekдmmte, dem dies auffiel, in dem geschraubten Dialekt eines
tschechischen Wieners und machte mir spцttisch eine halbe Verbeugung:
"Erlaubens mich vorzustellen: Vуssatka ist mein Name. Der schwarze Vуssatka.
- Brandstiftung", setzte er eine Oktave tiefer stolz hinzu.
Der Frisierte spuckte zwischen den Zдhnen durch, blickte mich eine
Weile verдchtlich an, deutete sich dann auf die Brust und sagte lakonisch:
"Einbruch."
Ich schwieg.
"No, und zweng wos fьr einen Verdachtц sin Sie hier, Herr Graf?" fragte
der Wiener nach einer Pause.
Ich ьberlegte einen Moment, dann sagte ich ruhig: "Wegen Raubmord".
Die beiden fuhren verblьfft auf, der spцttische Ausdruck auf ihren
Gesichtern machte einer Miene grenzenloser Hochachtung Platz, und sie riefen
fast wie aus einem Munde:
"Rдschpдkt, Rдschpдkt."
Als sie sahen, daЯ ich keine Notiz von ihnen nahm, zogen sie sich in
die Ecke zurьck und unterhielten sich flьsternd miteinander.
Nur einmal stand der Frisierte auf, kam zu mir, prьfte schweigend die
Muskeln meines Oberarms und ging dann kopfschьttelnd zu seinem Freund
zurьck.
"Sie sind doch auch unter dem Verdacht hier, den Zottmann ermordet zu
haben?" fragte ich Loisa unauffдllig.
Er nickte. "Ja, schon lang."
Wieder vergingen einige Stunden.
Ich schloЯ die Augen und stellte mich schlafend.
"Herr Pernath. Herr Pernath!" hцrte ich plцtzlich ganz leise Loisas
Stimme.
"Ja?" - - - Ich tat, als erwachte ich.
"Herr Pernath?, bitte entschuldigen Sie, - bitte - bitte, wissen Sie
nicht, was die Rosina macht? - Ist sie zu Hause?", stotterte der arme
Bursche. Er tat mir unendlich leid, wie er mit seinen entzьndeten Augen an
meinen Lippen hing und vor Aufregung die Hдnde verkrampfte.
"Es geht ihr gut. Sie - sie ist jetzt Kellnerin beim - - alten Ungelt",
log ich.
Ich sah, wie er erleichtert aufatmete.
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Zwei Strдflinge hatten auf einem Brett Blechtцpfe mit heiЯem Wurstabsud
stumm hereingebracht und drei davon in die Zelle gestellt, dann knallten
nach einigen Stunden abermals die Riegel und der Aufseher fьhrte mich zum
Untersuchungsrichter.
Mir schlotterten die Knie vor Erwartung, wie wir treppauf, treppab
schritten.
"Glauben Sie, ist es mцglich, daЯ ich heute noch freigelassen werde?",
fragte ich den Aufseher beklommen.
Ich sah, wie er mitleidig ein Lдcheln unterdrьckte. "Hm. Heute noch? Hm
- - Gott, - mцglich ist ja alles." -
Mir wurde eiskalt.
Wieder las ich eine Porzellantafel an einer Tьr und einen Namen:

    KARL FREIHERR VON LEISETRETER


    Untersuchungsrichter


Wieder ein schmuckloses Zimmer und zwei Schreibpulte mit meterhohen
Aufsдtzen.
Ein alter, groЯer Mann mit weiЯem, geteiltem Vollbart, schwarzem
Gehrock, roten, wulstigen Lippen, knarrenden Stiefeln.
"Sie sind Herr Pernath?"
"Jawohl."
"Gemmenschneider?"
"Jawohl."
"Zelle Nr. 70?"
"Jawohl."
"Des Mordes an Zottmann verdдchtig?"
"Ich bitte, Herr Untersuchungsrichter - -"
"Des Mordes an Zottmann verdдchtig?"
"Wahrscheinlich. Wenigstens vermute ich es. Aber - -"
"Gestдndig?"
"Was soll ich denn gestehen, Herr Untersuchungsrichter, ich bin doch
unschuldig!"
"Gestдndig?"
"Nein."
"Dann verhдnge ich Untersuchungshaft ьber Sie. - Fьhren Sie den Mann
hinaus, Gefangenwдrter."
"Bitte, so hцren Sie mich doch an, Herr Untersuchungsrichter, - ich muЯ
unbedingt heute noch zu Hause sein. Ich habe wichtige Dinge zu veranlassen -
-"
Hinter dem zweiten Schreibtisch meckerte jemand.
Der Herr Baron schmunzelte. -
"Fьhren Sie den Mann hinaus, Gefangenwдrter."
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Tag um Tag schlich dahin, Woche um Woche, und immer noch saЯ ich in der
Zelle.
Um zwцlf Uhr durften wir tдglich hinunter in den Gefдngnishof und mit
anderen Untersuchungsgefangenen und Strдflingen zu zweit 40 Minuten im Kreis
herumgehen auf der nassen Erde.
Miteinander zu reden, war verboten.
In der Mitte des Platzes stand ein kahler, sterbender Baum, in dessen
Rinde ein ovales Glasbild der Muttergottes eingewachsen war.
An den Mauern wuchsen kьmmerliche Ligusterstauden, die Blдtter fast
schwarz vom fallenden RuЯ.
Ringsum die Gitter der Zellen, aus denen zuweilen ein kittgraues
Gesicht mit blutleeren Lippen herunterschaute.
Dann ging's wieder hinauf in die gewohnten Grьfte zu Brot, Wasser und
Wurstabsud und sonntags zu faulenden Linsen.
Erst einmal war ich wieder vernommen worden:
Ob ich Zeugen hдtte, daЯ mir "Herr" Wassertrum angeblich die Uhr
geschenkt habe?
"Ja: Herrn Schemajah Hillel - - das heiЯt - nein" (ich erinnerte mich,
er war nicht dabei gewesen) - - "aber Herr Charousek" - (nein, auch er war
ja nicht dabei).
"Kurz: also niemand war dabei?"
"Nein, niemand war dabei, Herr Untersuchungsrichter."
Wieder das Gemecker hinter dem Schreibtisch und wieder das:
"Fьhren Sie den Mann hinaus, Gefangenwдrter!" - - -
Meine Besorgnis um Angelina war einer dumpfen Resignation gewichen: Der
Zeitpunkt, wo ich um sie zittern muЯte, war vorьber. Entweder Wassertrums
Racheplan war lдngst geglьckt, oder Charousek hatte eingegriffen, sagte ich
mir.
Aber die Sorge um Mirjam trieb mich jetzt fast zum Wahnsinn.
Ich stellte mir vor, wie sie Stunde um Stunde darauf wartete, daЯ sich
das Wunder erneuere, - wie sie frьh am Morgen, wenn der Bдcker kam,
hinauslief und mit bebenden Hдnden das Brot untersuchte, - wie sie
vielleicht um meinetwillen vor Angst verging.
Oft in der Nacht peitschte es mich aus dem Schlaf, und ich stieg auf
das Wandbrett und starrte empor zu dem kupfernen Gesicht der Turmuhr und
verzehrte mich in dem Wunsch, meine Gedanken mцchten zu Hillel dringen und
ihm ins Ohr schreien, er solle Mirjam helfen und sie erlцsen von der Qual
des Hoffens auf ein Wunder.
Dann wieder warf ich mich auf das Stroh und hielt den Atem an, bis mir
die Brust fast zersprang, - um das Bild meines Doppelgдngers vor mich zu
zwingen, damit ich ihn zu ihr schicken kцnnte als einen Trost.
Und einmal war er auch erschienen neben meinem Lager mit den
Buchstaben: Chabrat Zereh Aur Bocher in Spiegelschrift auf der Brust, und
ich wollte aufschreien vor Jubel, daЯ jetzt alles wieder gut wьrde, aber er
war in den Boden versunken, noch ehe ich ihm den Befehl geben konnte, Mirjam
zu erscheinen. - - -
DaЯ ich so gar keine Nachricht bekam von meinen Freunden!
Ob es denn verboten sei, einem Briefe zu schicken? fragte ich meine
Zellengenossen.
Sie wuЯten es nicht.
Sie hдtten noch nie welche bekommen - allerdings wдre auch niemand da,
der ihnen schreiben kцnnte, sagten sie.
Der Gefangenwдrter versprach mir, sich gelegentlich zu erkundigen.
Meine Nдgel waren rissig geworden vom AbbeiЯen und mein Haar
verwildert, denn Schere, Kamm und Bьrste gab es nicht.
Auch kein Wasser zum Waschen.
Fast ununterbrochen kдmpfte ich mit Brechreiz, denn der Wurstabsud war
mit Soda gewьrzt statt mit Salz. - - Eine Gefдngnisvorschrift, um dem
"Ьberhandnehmen des Geschlechtstriebs vorzubeugen."
Die Zeit verging in grauer, furchtbarer Eintцnigkeit.
Drehte sich wie im Kreis wie ein Rad der Qual.
Da gab es die gewissen Momente, die jeder von uns kannte, wo plцtzlich
einer oder der andere aufsprang und stundenlang auf und nieder lief wie ein
wildes Tier, um sich dann wieder gebrochen auf die Pritsche fallen zu lassen
und stumpfsinnig weiter zu warten - zu warten - zu warten.
Wenn der Abend kam, zogen die Wanzen in Scharen gleich Ameisen ьber die
Wдnde und ich fragte mich erstaunt, warum denn der Kerl in Sдbel und
Unterhosen mich so gewissenhaft ausgeforscht habe, ob ich kein Ungeziefer
hдtte.
Fьrchtete man vielleicht im Landesgericht, es kцnne eine Kreuzung
fremder Insektenrassen entstehen?
Mittwoch vormittags kam gewцhnlich ein Schweinskopf herein mit
Schlapphut und zuckenden Hosenbeinen: der Gefдngnisarzt Dr. Rosenblatt, und
ьberzeugte sich, daЯ alle vor Gesundheit strotzten.
Und wenn einer sich beschwerte, gleichgьltig worьber, so verschrieb er
- Zinksalbe zum Einreiben der Brust.
Einmal kam auch der Landgerichtsprдsident mit - ein hochgewachsener,
parfьmierter Halunke der "guten Gesellschaft", dem die gemeinsten Laster im
Gesicht geschrieben standen, und sah nach, ob - alles in Ordnung sei: "ob
sich noch immer kaner derhenkt hobe", wie sich der Frisierte ausdrьckte.
Ich war auf ihn zugetreten, um ihm eine Bitte vorzutragen, da hatte er
einen Satz hinter den Gefangenwдrter gemacht und mir einen Revolver
vorgehalten. - "Was ich denn wolle", schrie er mich an.
Ob Briefe fьr mich da seien, fragte ich hцflich. Statt der Antwort
bekam ich einen StoЯ vor die Brust vom Herrn Dr. Rosenblatt, der gleich
darauf das Weite suchte. Auch der Herr Prдsident zog sich zurьck und hцhnte
durch den Tьrausschnitt: - ich solle lieber den Mord gestehen. Eher bekдme
ich in diesem Leben keine Briefe.
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Ich hatte mich lдngst an die schlechte Luft und die Hitze gewцhnt und
frцstelte bestдndig. Selbst, wenn die Sonne schien.
Zwei der Gefangenen hatten schon einige Male gewechselt, aber ich
achtete nicht darauf. Diese Woche waren es ein Taschendieb und ein
Wegelagerer, das nдchste Mal ein Falschmьnzer oder ein Hehler, die
hereingefьhrt wurden.
Was ich gestern erlebte, war heute vergessen.
Gegen das Wьhlen der Sorge um Mirjam verblaЯten alle дuЯeren
Begebenheiten.
Nur ein Ereignis hatte sich mir tiefer eingeprдgt - es verfolgte mich
zuweilen als Zerrbild bis in den Traum:
Ich hatte auf dem Wandbrett gestanden, um hinauf in den Himmel zu
starren, da fьhlte ich plцtzlich, daЯ mich ein spitzer Gegenstand in die
Hьfte stach, und als ich nachsah, bemerkte ich, daЯ es die Feile gewesen
war, die sich mir durch die Tasche zwischen Rock und Futter gebohrt hatte.
Sie muЯte schon lange dort gesteckt haben, sonst hдtte sie der Mann in der
Flurstube gewiЯ bemerkt.
Ich zog sie heraus und warf sie achtlos auf meinen Strohsack.
Als ich dann herunterstieg, war sie verschwunden, und ich zweifelte
keinen Augenblick, daЯ nur Loisa sie genommen haben konnte.
Einige Tage spдter holte man ihn aus der Zelle, um ihn einen Stock
tiefer unterzubringen.
Es dьrfe nicht sein, daЯ zwei Untersuchungsgefangene, die desselben
Verbrechens beschuldigt wдren, wie er und ich, in der gleichen Zelle sдЯen,
hatte der Gefangenwдrter gesagt.
Aus ganzem Herzen wьnschte ich, es mцchte dem armen Burschen gelingen,
sich mit Hilfe der Feile zu befreien.

    Mai


Auf meine Frage, welches Datum denn wдre - die Sonne schien so warm wie
im Hochsommer und der mьde Baum im Hof trieb ein paar Knospen - hatte der
Gefangenwдrter zuerst geschwiegen, dann aber mir zugeflьstert, es sei der
15. Mai. Eigentlich dьrfe er es nicht sagen, denn es sei verboten, mit den
Gefangenen zu sprechen, - insbesondere solche, die noch nicht gestanden
hдtten, mьЯten hinsichtlich der Zeit im unklaren gehalten werden.
Drei volle Monate war ich also schon im Gefдngnis und noch immer keine
Nachricht aus der Welt da drauЯen!
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Wenn es Abend wurde, drangen leise Klдnge eines Klaviers durch das
Gitterfenster, das jetzt an warmen Tagen offen war.
Die Tochter des BeschlieЯers unten spiele, hatte mir ein Strдfling
gesagt.
Tag und Nacht trдumte ich von Mirjam.
Wie es ihr wohl ging?!
Zuzeiten hatte ich das trцstliche Gefьhl, als seien meine Gedanken zu
ihr gedrungen und stьnden an ihrem Bette, wдhrend sie schlief, und legten
ihr lindernd die Hand auf die Stirne.
Dann wieder, in Momenten der Hoffnungslosigkeit, wenn einer nach dem
andern meiner Zellengenossen zum Verhцr gefuhrt wurde, - nur ich nicht, -
drosselte mich eine dumpfe Furcht, sie sei vielleicht schon lange tot.
Da stellte ich dann Fragen an das Schicksal, ob sie noch lebe oder
nicht, krank sei oder gesund, und die Anzahl einer Handvoll Halme, die ich
aus dem Strohsack riЯ, sollte mir Antwort geben.
Und fast jedesmal "ging es schlecht aus", und ich wьhlte in meinem
Innern nach einem Blick in die Zukunft; - suchte meine Seele, die mir das
Geheimnis verbarg, zu ьberlisten durch die scheinbar abseits liegende Frage,
ob wohl fьr mich dereinst noch ein Tag kommen wьrde, wo ich heiter sein und
wieder lachen kцnnte.
Immer bejahte das Orakel in solchen Fдllen, und dann war ich eine
Stunde lang glьcklich und froh.
Wie eine Pflanze heimlich wдchst und sproЯt, war allmдhlich in mir eine
unbegreifliche, tiefe Liebe zu Mirjam erwacht, und ich faЯte es nicht, daЯ
ich so oft hatte bei ihr sitzen und mit ihr reden kцnnen, ohne mir damals
schon klar darьber geworden zu sein.
Der zitternde Wunsch, daЯ auch sie mit gleichen Gefьhlen an mich denken
mцchte, steigerte sich in solchen Augenblicken oft bis zur Ahnung der
GewiЯheit, und wenn ich dann auf dem Gange drauЯen einen Schritt hцrte,
fьrchtete ich mich beinahe davor, man kцnnte mich holen und freilassen und
mein Traum wьrde in der groben Wirklichkeit der AuЯenwelt in nichts
zerrinnen.
Mein Ohr war in der langen Zeit der Haft so scharf geworden, daЯ ich
auch das leiseste Gerдusch vernahm.
Jedesmal bei Anbruch der Nacht hцrte ich in der Ferne einen Wagen
fahren und zergrьbelte mir den Kopf, wer wohl dann sitzen mцchte.
Es lag etwas seltsam Fremdartiges in dem Gedanken, daЯ es Menschen gab
da drauЯen, die tun und lassen durften, was sie wollten, - die sich frei
bewegen konnten und da und dort hingehen, und es dennoch nicht als
unbeschreiblichen Jubel empfanden.
DaЯ auch ich jemals wieder so glьcklich werden wьrde, im Sonnenschein
durch die StraЯen wandern zu kцnnen; - - ich war nicht mehr imstande, es mir
vorzustellen.
Der Tag, an dem ich Angelina in den Armen gehalten, schien mir einem
lдngstverflossenen Dasein anzugehцren; - ich dachte daran zurьck mit jener
leisen Wehmut, wie sie einen beschleicht, wenn man ein Buch aufschlдgt und
findet dann welke Blumen, die einst die Geliebte der Jugendjahre getragen
hat.
Ob wohl der alte Zwakh noch immer Abend fьr Abend mit Vrieslander und
Prokop beim "Ungelt" saЯ und der vertrockneten Eulalia das Hirn konfus
machte?
Nein, es war doch Mai: - die Zeit, wo er mit seinem Marionettenkasten
durch die Provinznester zog und auf grьnen Wiesen vor den Toren den Ritter
Blaubart spielte.
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Ich saЯ allein in der Zelle. - Vуssatka, der Brandstifter, mein
einziger Gefдhrte seit einer Woche, war vor ein paar Stunden zum
Untersuchungsrichter geholt worden.
Merkwьrdig lange dauerte diesmal sein Verhцr.
Da. Die eiserne Vorlegestange klirrte an der Tьr. Und mit
freudestrahlender Miene stьrmte Vуssatka herein, warf ein Bьndel Kleider auf
die Pritsche und begann, sich mit Windeseile umzukleiden.
Den Strдflingsanzug warf er Stьck fьr Stьck mit einem Fluch auf den
Boden.
"Nix hamms mer beweisen kцnna, dц Hallodri. - Brandstiftung! - Ja doder
-" er zog mit dem Zeigefinger an seinem unteren Augenlid. "Auf den schwarzen
Vуssatka sans jung. - Der Wind war's, hab i g'sagt. Und bi fest blimm. Den
kennens iazt eispirrn, wanns'n derwischen - den Herrn von Wind. - No servus
heit abend! - Do werd aufdraht. Beim Loisitschek." - Er breitete die Arme
aus und tanzte einen "G'strampften". - "Nur einmahl im Lebцhn blie-het der
Mai." Er stьlpte sich mit einem Krach einen steifen Deckel mit einer kleinen
blaugesprenkelten NuЯhдherfeder darauf ьber den Schдdel. - "Ja, richtig, das
wird Ihna intrissirn, Herr Graf: wissens was Neies? Eana Freund, der Loisa,
is ausbrochen! - Grad hab i's erfahrehn oben bei die Hallodri. Schon vurigen
Monat - gegen Uldimoh hat er das Weide gesucht und ist lдngst ieber -
pbhuit" - er schlug sich mit den Fingern auf den Handrьcken - "ieber alle
Bergцh." -
"Aha, die Feile", dachte ich mir und lдchelte.
"Alsdann haltens Ihna jetzt auch bald dazu, Herr Graf," der
Brandstifter streckte mir kameradschaftlich die Hand hin, "daЯ Sie mцglichst
bei Zeitцhn freikommen. - Und wenn Sie mal kein Geld nicht habehn, fragen
Sie sich nur beim Loisitschek nach dem schwarzen Vуssatka. - Kennte mich
jedes Mдdel durten. So! - Alsdann Servus, Herr Graf. War mir ein
Vergniegen."
Er stand noch in der Tьre, da schob der Wдrter schon einen neuen
Untersuchungsgefangenen in die Zelle.
Auf den ersten Blick erkannte ich in ihm den Schlot mit der
Soldatenmьtze, der einmal neben mir bei Regenwetter in dem Torbogen der
HahnpaЯgasse gestanden hatte. Eine freudige Ьberraschung! Vielleicht wuЯte
er zufдllig etwas ьber Hillel und Zwakh und alle die andern?
Ich wollte sofort anfangen, ihn auszufragen, aber zu meinem grцЯten
Erstaunen legte er mit geheimnisvoller Miene den Finger an den Mund und
bedeutete mir, ich solle schweigen.
Erst als die Tьr von auЯen abgesperrt und der Schritt des
Gefangenwдrters auf dem Gange verhallt war, kam Leben in ihn.
Mir schlug das Herz vor Aufregung.
Was sollte das bedeuten?
Kannte er mich denn, und was wollte er?
Das erste, was der Schlot tat, war, daЯ er sich niedersetzte und seinen
linken Stiefel auszog.
Dann zerrte er mit den Zдhnen einen Stцpsel aus dem Absatz, entnahm dem
entstandenen Hohlraum ein kleines gebogenes Eisenblech, riЯ die anscheinend
nur locker befestigte Schuhsohle ab und reichte mir beides mit stolzer Miene
hin. -
Alles in Windeseile und ohne auf meine erregten Fragen auch nur im
geringsten zu achten.
"So! Einen schцnen GruЯ vom Herrn Charousek."
Ich war so verblьfft, daЯ ich kein Wort herausbringen konnte. -
"Brauchens' bloЯ Eisenblechl nдhmen und Sohlen ausanand brechen in der
Nacht. Oder wann sunst niemand siecht. - Ise nдmlich hohl inewдndig" -
erklдrte der Schlot mit ьberlegener Miene, "und finden Sie sich drinn eine
Brieffel von Herrn Charousek."
Im ЬbermaЯ meines Entzьckens fiel ich dem Schlot um den Hals, und die
Trдnen stьrzten mir aus den Augen.
Er wehrte mich voll Milde ab und sagte vorwurfsvoll:
"Missen sich mehr zusammennдhmen, Herr von Pernath! Mir habens me nicht
eine Minutten zum Zeitverlieren. Es kann sich soffort herauskommen, daЯ ich
in der falschen Zellen bin. Der Franzl und ich habens me unt beim Pordjцh
die Nummern mitsamm vertauscht." -
Ich muЯte wohl ein sehr dummes Gesicht gemacht haben, denn der Schlot
fuhr fort:
"Wann Sie das auch nicht verstдhn, macht nix. Kurz: ich bin hier,
Pasta!"
"Sagen Sie doch," fiel ich ihm ins Wort, "sagen Sie doch, Herr - - Herr
- - -"
"Wenzel," - half mir der Schlot aus, "ich heiЯe der schцne Wenzel."
"Sagen Sie mir doch, Wenzel, was macht der Archivar Hillel, und wie
geht es seiner Tochter?"
"Dazu ist jetz keine Zeit nicht", unterbrach mich der schцne Wenzel
ungeduldig. "Ich kann ich doch im nдxen Augenblick herausgeschmissen werden.
- Also: ich bin ich hier, weil ich einen Raubanfall extra eingestanden hab -
-"
"Was, Sie haben bloЯ meinetwegen, und um zu mir kommen zu kцnnen, einen
Raubanfall begangen, Wenzel?" fragte ich erschьttert.
Der Schlot schьttelte verдchtlich den Kopf: "Wenn ich wirklich einen
Raub anf all begangen hдtt, mecht ich ihm doch nicht eingestдhen. Was
glauben Sie von mir!?"
Ich verstand allmдhlich: - der brave Kerl hatte eine List gebraucht, um
mir den Brief Charouseks ins Gefдngnis zu schmuggeln.
"So; zuverderscht" - er machte ein дuЯerst wichtiges Gesicht - "muЯ ich
Ihnen Unterricht in der Ebilebsie gдben."
"Worin?"
"In der Ebilebsie! - Gдbm S' amal scharf Obacht und merkens Ihna alles
genau! - Alsdann schaugens hдr: Zuerscht macht me Speichel in der Goschen;"
- er blies die Backen auf und bewegte sie hin und her, wie jemand, der sich
den Mund ausspьlt - "dann kriegt me Schaum vorm Maul, sengen S' so": - er
machte auch dies. Mit widerwдrtiger Natьrlichkeit. "Nachhe drehte ma die
Daumen in die Faust. - Nachhe kugelt me die Augen raus" - er schielte
entsetzlich - "und dann - das ise sich bisl schwдr - stoЯt me so halbeten
Schrei aus. Segen S', so: Bц - bц - bц, und gleichzeitig fallt me sich um."
Er lieЯ sich der Lдnge nach zu Boden fallen, daЯ das Haus zitterte, und
sagte beim Aufstehen:
"Das ise sich die natierliche Ebilebsie, wie's uns der Dr. Hulbert
gottsдlig beim ›Bataljohn‹ gelernt hat."
"Ja, ja, es ist tдuschend дhnlich," gab ich zu, "aber wozu dient das
alles?"
"Weil Sie sich zuerscht aus der Zellen rausmissen!", erklдrte der
schцne Wenzel. "Der Dr. Rosenblatt is doch ein Mordsochs! Wenn einer schon
gar kan Kopf mehr hat, sagt der Rosenblatt immer noch: der Mann ise sich
pumperlgesund! - Nur vor die Ebilebsie hat e' an Viechsrдschpдkt. Wann aner
daas gut kann: gleich ise drieben in der Krankenzelle. - - Und da ise sich
das Ausbrechen dann ein Kinderspielzeug;" - er wurde tief geheimnisvoll -
"den Fenstergitter in der Krankenzelle ise nдmlich durchgesдgt und nur
schwach mit Dreck zusammengepappt. - Es ise sich das ein Geheimnis vom
Bataljohn! - Sie brauchen dann bloЯ ein paar Nдchte scharf aufpassen und,
wenn Sie eine Seilschlingen vom Dach herunter bis vors Fenster kommen segen,
heben Sie leise den Gitter aus, damit niemand nicht aufwacht, steckens die
Schultern in die Schlinge, und mir ziegen Ihnen hinauf aufs Dach und lassen
Ihnen auf der andern Seiten hinunter auf die StraЯen. - Pasta."
"Weshalb soll ich denn aus dem Gefдngnis ausbrechen?" wandte ich
schьchtern ein, "ich bin doch unschuldig."
"Das ise doch kein Grund, um nicht auszubrechen!", widerlegte mich der
schцne Wenzel und machte vor Erstaunen kreisrunde Augen.
Ich muЯte meine ganze Beredsamkeit aufbieten, um ihm den verwegenen
Plan, der, wie er sagte, das Resultat eines "Bataillons" beschlusses war,
auszureden.
DaЯ ich "die Gabe Gottes" von der Hand wies und lieber warten wollte,
bis ich von selbst freikommen wьrde, war ihm unbegreiflich.
"Jedenfalls danke ich Ihnen und Ihren braven Kameraden auf das
allerherzlichste," sagte ich gerьhrt und drьckte ihm die Hand. "Wenn die
schwere Zeit fьr mich vorьber ist, wird es mein erstes sein, mich Ihnen
allen erkenntlich zu zeigen."
"Ise gar nicht nдtig", lehnte Wenzel freundlich ab. "Wann Sie ein paar
Glas ›Pils‹ zahlen, nдhmen wir sich dankbar an, abe sunst nix. Pan
Charousek, was ise jetz Schatzmistr vom Bataljohn hat e' uns schon erzдhlt,
was Sie fьr ein heimlicher Wohltдter sin. Soll ich ihm was ausrichten, wenn
ich in paar Tдg wieder herauskomm?"
"Ja, bitte," fiel ich rasch ein, "sagen Sie ihm, er mцchte zu Hillel
gehen und ihm mitteilen, ich hдtte soviel Angst wegen der Gesundheit seiner
Tochter Mirjam. Herr Hillel solle sie nicht aus den Augen lassen. - Werden
Sie sich den Namen merken?: Hillel!"
"Hirrдl?"
"Nein: Hillel."
"Hillдr?"
"Nein: Hill-el."
Wenzel zerbrach sich fast die Zunge an dem fьr einen Tschechen
unmцglichen Namen, aber schlieЯlich bewдltigte er ihn doch unter wilden
Grimassen.
"Und dann noch eins: Herr Charousek mцge - ich lasse ihn herzlich drum
bitten - sich auch, soweit es in seiner Macht steht, der "vornehmen Dame" -
er weiЯ schon, wer darunter zu verstehen ist - annehmen."
"Sie meinen sich wahrscheinlich die adlige Flietschen, die was da
Gspusi ghabt hat mit dem Niemetz - dem Dr. Sapoli? - No, die hat sich doch
scheiden lassen und ise mit dem Kind und dem Sapoli fьrt."
"Wissen Sie das bestimmt?"
Ich fьhlte meine Stimme zittern. So sehr ich mich um Angelinas willen
freute, - es krampfte mir doch das Herz zusammen.
Wieviel Sorge hatte ich ihretwegen getragen und jetzt - - - war ich
vergessen.
Vielleicht glaubte sie, ich sei wirklich ein Raubmцrder.
Ein bitterer Geschmack stieg mir in die Kehle.
Der Schlot schien mit dem Feingefьhl, das verwahrlosten Menschen
seltsamerweise eigen ist bei allen Dingen, die sich um Liebe drehen, erraten
zu haben, wie mir zumute war, denn er blickte scheu weg und antwortete
nicht.
"Wissen Sie vielleicht auch, wie es Herrn Hillels Tochter, dem Frдulein
Mirjam geht? Kennen Sie sie?", fragte ich gepreЯt.
"Mirjam? Mirjam?" - Wenzel legte sein Gesicht in nachdenkliche Falten -
"Mirjam? - Gдht sich die цfters in der Nacht zum Loisitschek?"
Ich muЯte unwillkьrlich lдcheln. "Nein. Ganz bestimmt nicht."
"Dann kenn ich sie nicht", sagte Wenzel trocken.
Wir schwiegen eine Weile.
Vielleicht steht in dem Briefchen etwas ьber sie, hoffte ich.
"DaЯ den Wassertrum der Deiwel g'holt hat", fing Wenzel plцtzlich
wieder an, "wдrden Sie sich wohl schon gehдrt haben?"
Ich fuhr entsetzt auf.
"No ja." - Wenzel deutete auf seine Kehle. - "Murxi, murxi! Ich sag ich
Ihnдn; es war Ihnдn schaislich. Wie sie den Laden aufgebrochen haben, weil
er sich paar Tдg nicht hat segen lassen, war ich natierlich der erschte
drin; - wie denn nicht! - Und da hat e' durten g'sдssen, der Wassertrum, in
einem dreckigen Lдhnsessel, die Brust voller Blut und die Augen wie aus
Glas. - - - Wissen S', ich bin ich ein handfeste Kerl, aber mir hat sich
alles gedrдht, sag ich Ihnдn, und ich hab' gemeint, ich hau ich ohnmдchtig
hi-iin. Furt' a furt' hab' ich mir vorsagen missen: Wenzel, hab' ich mir
vorg'sagt, Wenzel, reg' dich nicht auf, es is doch bloЯ ein toter Jud. - Er
hat eine Feile in der Kehle stecken gehabt und im Laden war sich alles
umedum geschmissen. - Ein Raubmord natierlich."
"Die Feile! Die Feile!" Ich fьhlte, wie mir der Atem kalt wurde vor
Grausen. Die Feile! So hatte sie also doch ihren Weg gefunden!
"Ich weiЯ ich auch, wer's war", fuhr Wenzel nach einer Pause halblaut
fort. "Niemand anders, sag ich Ihnдn, als der blattersteppige Loiso. - Ich
hab' ich nдmlich sein Taschenmesser auf dem Boden im Laden entdeckt und
rasch eing'stдckt, damit sich die Polizei nicht draufkommt. - Er ise sich
durch einen unterirdischen Gang in den Laden - - -" er brach mit einem Ruck
seine Rede ab und horchte ein paar Sekunden lang angestrengt, dann warf er
sich auf die Pritsche und fing an, fьrchterlich zu schnarchen.
Gleich darauf klirrte das VorhдngeschloЯ und der Gefдngniswдrter kam
herein und musterte mich argwцhnisch.
Ich machte ein teilnahmsloses Gesicht und Wenzel war kaum zu erwecken.
Erst nach vielen Pьffen richtete er sich gдhnend auf und taumelte,
gefolgt von dem Wдrter, schlaftrunken hinaus.
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Fiebernd vor Spannung faltete ich Charouseks Brief auseinander und las:
Den 12. Mai.
"Mein lieber armer Freund und Wohltдter!"
Woche um Woche habe ich gewartet, daЯ Sie endlich freikommen wьrden, -
immer vergebens, - habe alle mцglichen Schritte versucht, um
Entlastungsmaterial fьr Sie zu sammeln, aber ich fand keins.
Ich bat den Untersuchungsrichter, das Verfahren zu beschleunigen, aber
jedesmal hieЯ es, er kцnne nichts tun - es sei Sache der Staatsanwaltschaft
und nicht die seinige.
Amtsschimmel!
Eben erst, vor einer Stunde, gelang mir jedoch etwas, von dem ich mir
den besten Erfolg erhoffe: ich habe erfahren, daЯ Jaromir dem Wassertrum
eine goldene Taschenuhr, die er nach der damaligen Verhaftung seines Bruders
Loisa in dessen Bett gefunden hatte, verkauft hat.
Beim ›Loisitschek‹, wo, wie Sie wissen, die Detektivs verkehren, geht
das Gerьcht, man hдtte die Uhr des angeblich ermordeten Zottmann - dessen
Leiche ьbrigens noch immer nicht entdeckt ist - als corpus delicti bei Ihnen
gefunden. Das ьbrige reimte ich mir zusammen: Wassertrum et cetera!
Ich habe mir Jaromir sofort vorgenommen, ihm 1000 fl gegeben - -" Ich
lieЯ den Brief sinken, und die Freudentrдnen traten mir in die Augen: nur
Angelina konnte Charousek die Summe gegeben haben. Weder Zwakh, noch Prokop,
noch Vrieslander besaЯen so viel Geld. Sie hatte mich also doch nicht
vergessen! - Ich las weiter:
"- 1000 fl gegeben und ihm weitere 2000 fl versprochen, wenn er mit mir
sofort zur Polizei ginge und eingestьnde, die Uhr seinem Bruder zu Hause
entwendet und verkauft zu haben.
Das alles kann aber erst geschehen, wenn dieser Brief durch Wenzel
bereits an Sie unterwegs ist. Die Zeit reicht nicht aus.
Aber seien Sie versichert: es wird geschehen. Heute noch. Ich bьrge
Ihnen dafьr.
Ich zweifle keinen Augenblick, daЯ Loisa den Mord begangen hat und die
Uhr die Zottmanns ist.
Sollte sie es wider Erwarten nicht sein, - nun, dann weiЯ Jaromir, was
er zu tun hat: - Jedenfalls wird er sie als die bei Ihnen gefundene
agnoszieren.

Also harren Sie aus und verzweifeln Sie nicht! Der Tag, wo Sie frei
sein werden, steht vielleicht bald bevor.
Ob trotzdem ein Tag kommen wird, wo wir uns wiedersehen?
Ich weiЯ es nicht.
Fast mцchte ich sagen: ich glaube es nicht, denn mit mir geht's rasch
zu Ende, und ich muЯ auf der Hut sein, daЯ mich die letzte Stunde nicht
ьberrascht
.
Aber eins halten Sie fest: wir werden uns wiedersehen.
Wenn auch nicht in diesem Leben und nicht wie die Toten in jenem Leben,
aber an dem Tag, wo die Zeit zerbricht, - wo, wie es in der Bibel steht, der
HERR die ausspeien wird aus seinem Munde, die lau waren und weder kalt noch
warm. - - -
Wundern Sie sich nicht, daЯ ich so rede! Ich habe nie mit Ihnen ьber
diese Dinge gesprochen und, als Sie einmal das Wort ›Kabbala‹ berьhrten, bin
ich Ihnen ausgewichen, aber - ich weiЯ, was ich weiЯ.
Vielleicht verstehen Sie, was ich meine, und wenn nicht, so streichen
Sie, ich bitte Sie darum, das, was ich gesagt habe, aus Ihrem Gedдchtnis. -
- Einmal, in meinen Delirien, glaubte ich - ein Zeichen auf Ihrer Brust zu
sehen. - Mag sein, daЯ ich wach getrдumt habe.
Nehmen Sie an, wenn Sie mich wirklich nicht verstehen sollten, daЯ ich
gewisse Erkenntnisse gehabt habe - innerlich! - fast schon von Kindheit an,
die mich einen seltsamen Weg gefьhrt haben; - Erkenntnisse, die sich nicht
decken mit dem, was die Medizin lehrt oder Gott sei Dank noch nicht weiЯ;
hoffentlich auch nie erfahren wird.
Aber ich habe mich nicht dumm machen lassen von der Wissenschaft, deren
hцchstes Ziel es ist, einen - ›Wartesaal‹ auszustaffieren, den man am besten
niederrisse.
Doch genug davon.