Dann stand ich am FluЯ ьber eisernes Gelдnder gebeugt und starrte hinab
in die tosenden Wellen.
Noch immer fьhlte ich Angelinas Arme um meinen Nacken, sah das
steinerne Becken des Springbrunnens, an dem wir schon einmal Abschied
voneinander genommen vor vielen Jahren, vor mir, mit den faulenden
Ulmenblдttern darin, und sie wanderte wieder mit mir, wie soeben erst vor
kurzem, den Kopf an meine Schulter gelehnt, stumm durch den frцsteldnen,
dдmmrigen Park ihres Schlosses.
Ich setzte mich auf eine Bank und zog den Hut tief ins Gesicht, um zu
trдumen.
Die Wasser brausten ьber das Wehr und ihr Rauschen verschlang die
letzten, aufmurrenden Gerдusche der schlafengehenden Stadt.
Wenn ich von Zeit zu Zeit meinen Mantel fester um mich zog und
aufblickte, lag der FluЯ in immer tieferen Schatten, bis er endlich, von der
schweren Nacht erdrьckt, schwarzgrau dahinstrцmte und der Gischt des
Staudamms als weiЯer, blendender Streifen schrдg hinьber zum andern Ufer
lief.
Mich schauderte bei dem Gedanken, wieder zurьck zu mьssen in mein
trauriges Haus.
Der Glanz eines kurzen Nachmittags hatte mich fьr immer zum Fremdling
in meiner Wohnstдtte gemacht.
Eine Spanne von wenigen Wochen, vielleicht nur von Tagen, dann muЯte
das Glьck vorьber sein - und nichts blieb davon als eine wehe, schцne
Erinnerung.
Und dann?
Dann war ich heimatlos hier und drьben, diesseits und jenseits des
Flusses.
Ich stand auf! Wollte noch durch das Parkgitter einen Blick auf das
SchloЯ werfen, hinter dessen Fenstern sie schlief, ehe ich in das finstere
Getto ging. - - - Ich schlug die Richtung ein, aus der ich gekommen war,
tappte mich durch den dichten Nebel an Hдuserreihen entlang und ьber
schlummernde Plдtze, sah schwarze Monumente drohend auftauchen und einsame
Schilderhдuser und die Schnцrkel von Barockfassaden. Der matte Schimmer
einer Laterne wuchs zu riesigen, phantastischen Ringen in verblichenen
Regenbogenfarben aus dem Dunst heraus, wurde zum fahlgelben, stechenden Auge
und zerging hinter mir in der Luft.
Mein FuЯ tastete breite, steinerne Stufenflдchen, mit Kies bestreut. Wo
war ich? Ein Hohlweg, der steil aufwдrts fьhrt?
Glatte Gartenmauern links und rechts? Die kahlen Дste eines Baumes
hдngen herьber. Sie kommen vom Himmel herunter: der Stamm verbirgt sich
hinter der Nebelwand. -
Ein paar morsche, dьnne Zweige brechen krachend ab, wie mein Hut sie
streift, und fallen an meinem Mantel hinab in den nebligen grauen Abgrund,
der mir meine FьЯe verbirgt.
Dann ein strahlender Punkt: ein einsames Licht in der Ferne - irgendwo
- rдtselhaft - zwischen Himmel und Erde. - - -
Ich muЯte fehlgegangen sein. Es konnte nur die "alte SchloЯstiege" sein
neben den Hдngen der Fьrstenbergschen Gдrten - - -
Dann lange Strecken lehmiger Erde. - Ein gepflasterter Weg.
Ein massiger Schatten ragt hoch auf, den Kopf in einer schwarzen,
steifen Zipfelmьtze: "die Daliborka" = der Hungerturm, in dem Menschen einst
verschmachteten, derweilen Kцnige unten im "Hirschgraben" das Wild hetzten.
Ein schmales, gewundenes GдЯchen mit SchieЯscharten, ein Schneckengang,
kaum breit genug, die Schultern durchzulassen - und ich stand vor einer
Reihe von Hдuschen, keines hцher als ich.
Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich auf die Dдcher greifen.
Ich war in die "Goldmachergasse" geraten, wo im Mittelalter die
alchimistischen Adepten den Stein der Weisen geglьht und die Mondstrahlen
vergiftet haben.
Es rьhrte kein anderer Weg hinaus als der, den ich gekommen war.
Aber ich fand die Mauerlьcke nicht mehr, die mich eingelassen, - stieЯ
an ein Holzgatter.
Es nьtzt nichts, ich muЯ jemand wecken, damit man mir den Weg zeigt,
sagte ich mir. Sonderbar, daЯ hier ein Haus die Gasse abschlieЯt - grцЯer
als die andern und anscheinend wohnlich? Ich kann mich nicht entsinnen, es
je bemerkt zu haben.
Es muЯ wohl weiЯ getьncht sein, daЯ es so hell aus dem Nebel leuchtet?
Ich gehe durch das Gatter ьber den schmalen Gartenstreif, drьcke das
Gesicht an die Scheiben: - alles finster. Ich klopfe ans Fenster. - Da geht
drinnen ein steinalter Mann, eine brennende Kerze in der Hand, durch eine
Tьr mit greisenhaft wankenden Schritten bis mitten in die Stube, bleibt
stehen, dreht langsam den Kopf nach den verstaubten alchimistischen Retorten
und Kolben an der Wand, starrt nachdenklich auf die riesigen Spinnweben in
den Ecken und richtet dann seinen Blick unverwandt auf mich.
Der Schatten seiner Backenknochen fдllt ihm auf die Augenhцhlen, daЯ es
aussieht, als seien sie leer wie die einer Mumie.
Er sieht mich offenbar nicht.
Ich klopfe ans Glas.
Er hцrt mich nicht. Geht lautlos wie ein Schlafwandler wieder aus dem
Zimmer.
Ich warte vergebens.
Klopfe ans Haustor: niemand цffnet. - - -
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Es blieb mir nichts ьbrig, als so lange zu suchen, bis ich den Ausgang
aus der Gasse endlich fand.
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Ob es nicht am besten wдre, ich ginge noch unter Menschen, ьberlegte
ich. - Zu meinen Freunden: Zwakh, Prokop und Vrieslander ins "alte Ungelt",
wo sie bestimmt sein wьrden -, um meine verzehrende Sehnsucht nach Angelinas
Kьssen wenigstens fьr ein paar Stunden zu ьbertдuben? Rasch mache ich mich
auf den Weg.
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Wie ein Trifolium von Toten hockten sie um den wurmstichigen, alten
Tisch herum, - alle drei: weiЯe dьnnstielige Tonpfeifen zwischen den Zдhnen,
und das Zimmer voll Rauch.
Man konnte kaum ihre Gesichtszьge unterscheiden, so schluckten die
dunkelbraunen Wдnde das spдrliche Licht der altmodischen Hдngelampe ein.
In der Ecke die spindeldьrre, wortkarge, verwitterte Kellnerin mit
ihrem ewigen Strickstrumpf, dem farblosen Blick und der gelben
Entenschnabelnase!
Mattrote Decken hingen vor den geschlossenen Tьren, so daЯ die Stimmen
der Gдste im Nebenzimmer nur wie das leise Summen eines Bienenschwarms
herьberdrangen.
Vrieslander, seinen kegelfцrmigen Hut mit der geraden Krempe auf dem
Kopf, mit seinem Knebelbart, der bleigrauen Gesichtsfarbe und der Narbe
unter dem Auge, sah aus wie ein ertrunkener Hollдnder aus einem vergessenen
Jahrhundert.
Josua Prokop hatte sich eine Gabel quer durch die Musikerlocken
gesteckt, klapperte unaufhцrlich mit seinen gespenstisch langen
Knochenfingern und sah bewundernd zu, wie sich Zwakh abmьhte, der bauchigen
Arakflasche das Purpurmдntelchen einer Marionette umzuhдngen.
"Das wird Babinski", erklдrte mir Vrieslander mit tiefem Ernst. "Sie
wissen nicht, wer Babinski war? Zwakh, erzдhlen Sie Pernath rasch, wer
Babinski war!"
"Babinski war", begann Zwakh sofort, ohne auch nur eine Sekunde von
seiner Arbeit aufzusehen, "einst ein berьhmter Raubmцrder in Prag. - Viele
Jahre betrieb er sein schдndliches Handwerk, ohne daЯ es jemand bemerkt
hдtte. Nach und nach jedoch fiel es in den besseren Familien auf, daЯ bald
dieses, bald jenes Mitglied der Sippe beim Essen fehlte und sich nie wieder
blicken lieЯ. Wenn man auch anfangs nichts sagte, da die Sache gewissermaЯen
ihre guten Seiten hatte, indem man weniger zu kochen brauchte, so durfte
wiederum nicht auЯer acht gelassen werden, daЯ das Ansehen in der
Gesellschaft leicht darunter leiden und man ins Gerede kommen konnte.
Besonders, wenn es sich um das spurlose Verschwinden mannbarer Tцchter
handelte.
Ьberdies verlangte die Hochachtung vor sich selbst, daЯ man auf ein
bьrgerliches Zusammenleben in der Familie nach auЯen hin das nцtige Gewicht
legte.
Die Zeitungsrubriken: "Kehre zurьck, alles ist verziehen" wuchsen immer
mehr und mehr, - ein Umstand, den Babinski, leichtsinnig wie die meisten
Berufsmцrder, in seine Berechnungen nicht einbezogen hatte, - und erregten
schlieЯlich die allgemeine Aufmerksamkeit.
In dem lieblichen Dцrfchen Krtsch bei Prag hatte sich Babinski, der
innerlich ein ausgesprochen idyllischer Charakter war, mit der Zeit durch
seine unverdrossene Tдtigkeit ein kleines, aber trautes Heim geschaffen. Ein
Hдuschen, blitzend vor Sauberkeit, und ein Gдrtchen davor mit blьhenden
Geranien.
Da es ihm seine Einkьnfte nicht gestatteten, sich zu vergrцЯern, sah er
sich genцtigt, um die Leichen seiner Opfer unauffдllig bestatten zu kцnnen,
statt eines Blumenbeetes - wie er es gern gesehen hдtte - einen
grasbewachsenen und schlichten, aber, den Umstдnden angemessen: zweckmдЯigen
Grabhьgel anzulegen, der sich mьhelos verlдngern lieЯ, wenn es der Betrieb
oder die Saison erforderte.
Auf dieser Weihestдtte pflegte Babinski allabendlich nach des Tages
Last und Mьhen in den Strahlen der untergehenden Sonne zu sitzen und auf
seiner Flцte allerlei schwermьtige Weisen zu blasen." - -
"Halt!" unterbrach Josua Prokop rauh, zog einen Hausschlьssel aus der
Tasche, hielt ihn wie eine Klarinette an den Mund und sang:
"Zimzerlim zambusla - deh."
"Waren Sie denn dabei, daЯ Sie die Melodie so genau kennen?", fragte
Vrieslander erstaunt.
Prokop warf ihm einen bitterbцsen Blick zu: "Nein. Dazu hat Babinski zu
frьh gelebt. Aber was er gespielt haben kann, muЯ ich als Komponist doch am
besten wissen. Ihnen steht darьber kein Urteil zu: Sie sind nicht
musikalisch. - - Zimzerlim - zambusla - busla - deh."
Zwakh hцrte ergriffen zu, bis Prokop seinen Hausschlьssel wieder
einsteckte, und fuhr dann fort:
"Das bestдndige Wachsen des Hьgels erweckte allmдhlich Verdacht bei den
Anrainern, und einem Polizeimann aus der Vorstadt Zizkov, der gelegentlich
von weitem zusah, wie Babinski gerade eine alte Dame der guten Gesellschaft
erwьrgte, gebьhrt das Verdienst, dem selbstsьchtigen Treiben des Unholdes
ein fьr allemal Schranken gesetzt zu haben:
Man verhaftete Babinski in seinem Tuskulum.
Der Gerichtshof verurteilte ihn unter Zubilligung des mildernden
Umstandes eines ansonsten trefflichen Leumundes zum Tode durch den Strang
und beauftragte zugleich die Firma Gebrьder Leipen - Seilwaren en gros und
en detail - die nцtigen Hinrichtungsutensilien, soweit diese in ihre Branche
fielen, unter Anrechnung ziviler Preise einem hohen Staatsдrar gegen
Quittung auszuhдndigen.
Nun fьgte es sich aber, daЯ der Strick riЯ und Babinski zu
lebenslдnglichem Gefдngnis begnadigt wurde.
Zwanzig Jahre verbьЯte der Raubmцrder hinter den Mauern von Sankt
Pankraz, ohne daЯ je ein Vorwurf ьber seine Lippen gekommen wдre; - noch
heute ist der Beamtenstab des Institutes voll Lob ьber seine vorbildliche
Auffьhrung, ja, man gestattete ihm sogar, an den Geburtstagen unseres
Allerhцchsten Landesherrn ab und zu die Flцte zu blasen; -"
Prokop suchte sofort wieder nach seinem Hausschlьssel, aber Zwakh
wehrte ihm.
"- infolge allgemeiner Amnestie wurde dem Babinski der Rest der Strafe
nachgesehen, und er bekam die Stelle eines Pfцrtners im Kloster der
›Barmherzigen Schwestern‹.
Die leichte Gartenarbeit, die er nebenbei mit zu versehen hatte, ging
ihm dank der groЯen, wдhrend seines frьheren Wirkungskreises erworbenen
Geschicklichkeit im Gebrauch des Spatens hurtig von der Hand, so daЯ ihm
hinlдnglich MuЯe blieb, Herz und Geist an guter, sorgfдltig ausgewдhlter
Lektьre zu lдutern.
Die daraus resultierenden Folgen waren hocherfreulich.
Sooft ihn die Oberin Samstagabends ins Wirtshaus schickte, damit er
sein Gemьt ein wenig erheitere, jedesmal kam er pьnktlich vor Anbruch der
Nacht nach Hause mit dem Hinweis, der Verfall der allgemeinen Moral stimme
ihn trьbe und soviel lichtscheues Gesindel schlimmster Sorte mache die
LandstraЯe unsicher, daЯ es fьr jeden Friedliebenden ein Gebot der Klugheit
sei, rechtzeitig die Schritte heimwдrts zu lenken.
Es war nun damaliger Zeit in Prag bei den Wachsziehern die Unsitte
eingerissen, kleine Figьrchen feilzuhalten, die ein rotes Manterle umhдngen
hatten und den Raubmцrder Babinski darstellten.
Wohl in keiner der leidtragenden Familien fehlte ein solches.
Gewцhnlich aber standen sie in den Lдden unter Glasstьrzen, und ьber
nichts konnte sich Babinski so empцren, als wenn er eines derartigen
Wachsbildes ansichtig wurde.
›Es ist im hцchsten Grade unwьrdig und zeugt von einer Gemьtsroheit
sondersgleichen, einem Menschen bestдndig die Verfehlungen seiner Jugendzeit
vor Augen zu fьhren,‹ pflegte Babinski in solchen Fдllen zu sagen ›und es
ist tief zu bedauern, daЯ von Seiten der Obrigkeit nichts geschieht, so
offenkundigem Unfug zu steuern.‹
Noch auf dem Totenbette дuЯerte er sich in дhnlichem Sinne.
Nicht vergebens, denn bald darauf verfьgte die Behцrde die Einstellung
des Handels mit den дrgerniserregenden Babinskischen Statuetten." - - -
- - - Zwakh tat einen mдchtigen Schluck aus seinem Grogglas und alle
drei grinsten wie die Teufel, dann wandte er vorsichtig den Kopf nach der
farblosen Kellnerin, und ich sah, wie sie eine Trдne im Auge zerdrьckte.
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- "Na, und Sie geben nichts zum besten, auЯer - natьrlich - daЯ Sie aus
Dankbarkeit fьr den ьberstandenen KunstgenuЯ die Zeche berappen,
wertgeschдtzter Kollege und Gemmenschneider?", fragte mich Vrieslander nach
einer langen Pause allgemeinen Tiefsinnes.
Ich erzдhlte ihnen meine Wanderung durch den Nebel.
Als ich in der Schilderung zu der Stelle kam, wo ich das weiЯe Haus
erblickt hatte, nahmen alle drei vor Spannung die Pfeifen aus den Zдhnen,
und als ich schloЯ, schlug Prokop mit der Faust auf den Tisch und rief:
"Das ist doch rein - -! Alle Sagen, die es gibt, erlebt dieser Pernath
am eigenen Kadaver. - A propos, der Golem von damals - Sie wissen: die Sache
hat sich aufgeklдrt."
"Wieso aufgeklдrt?" fragte ich baff.
"Sie kennen doch den verrьckten jьdischen Bettler ›Haschile‹? Nein? Nun
also: dieser Haschile war der Golem."
"Ein Bettler der Golem?"
"Jawohl, der Haschile war der Golem. Heute nachmittag ging das Gespenst
seelenvergnьgt bei hellichtem Sonnenschein in seinem berьchtigten
altmodischen Anzug aus dem XVII. Jahrhundert durch die Salnitergasse
spazieren, und da hat es der Schinder mit einer Hundeschlinge glьcklich
eingefangen."
"Was soll das heiЯen? Ich verstehe kein Wort!" fuhr ich auf.
"Ich sage Ihnen doch: der Haschile war es! Er hat die Kleider, hцre
ich, vor lдngerer Zeit hinter einem Haustor gefunden. - Ьbrigens, um auf das
weiЯe Haus auf der Kleinseite zurьckzukommen: die Sache ist furchtbar
interessant. Es geht nдmlich eine alte Sage, daЯ dort oben in der
Alchimistengasse ein Haus steht, das nur bei Nebel sichtbar wird, und auch
da bloЯ ›Sonntagskindern‹. Man nennt es ›die Mauer zur letzten Laterne‹. Wer
bei Tag hinaufgeht, sieht dort nur einen groЯen, grauen Stein, - dahinter
stьrzt es jдh ab in die Tiefe in den Hirschgraben, und Sie kцnnen von Glьck
sagen, Pernath, daЯ Sie keinen Schritt weiter gemacht haben: Sie wдren
unfehlbar hinuntergefallen und hдtten sдmtliche Knochen gebrochen.
Unter dem Stein, heiЯt es, ruht ein riesiger Schatz, und er soll von
dem Orden der ›Asiatischen Brьder‹, die angeblich Prag gegrьndet haben, als
Grundstein fьr ein Haus gelegt worden sein, das dereinst am Ende der Tage
ein Mensch bewohnen wird - besser gesagt ein Hermaphrodit - ein Geschцpf,
das sich aus Mann und Weib zusammensetzt. Und der wird das Bild eines Hasen
im Wappen tragen, - nebenbei: der Hase war das Symbol des Osiris, und daher
stammt wohl die Sitte mit dem Osterhasen.
Bis die Zeit gekommen ist, heiЯt es, hдlt Methusalem in eigener Person
Wache an dem Ort, damit Satan nicht den Stein beflattert und einen Sohn mit
ihm zeugt: den sogenannten Armilos. - Haben Sie noch nie von diesem Armilos
erzдhlen hцren? - Sogar wie er aussehen wьrde, weiЯ man - das heiЯt, die
alten Rabbiner wissen es; - wenn er auf die Welt kдme: Haare aus Gold wьrde
er haben, rьckwдrts zum Schopf gebunden, dann: zwei Scheitel, sichelfцrmige
Augen und Arme bis herunter zu den FьЯen."
"Dieses Ehrengigerl sollte man aufzeichnen", brummte Vrieslander und
suchte nach einem Bleistift.
"Also: Pernath, wenn Sie einmal das Glьck haben sollten, ein
Hermaphrodit zu werden und en passant den vergrabenen Schatz zu finden,"
schloЯ Prokop, "dann vergessen Sie nicht, daЯ ich stets Ihr bester Freund
gewesen bin!"
- Mir war nicht zum SpaЯmachen zumute, und ich fьhlte ein leises Weh im
Herzen.
Zwakh mochte es mir ansehen, wenn er auch den Grund nicht wuЯte, denn
er kam mir rasch zu Hilfe:
"Jedenfalls ist es hцchst merkwьrdig, fast unheimlich, daЯ Pernath
gerade eine Vision an jener Stelle hatte, die mit einer uralten Sage so eng
verknьpft ist. - Da sind Zusammenhдnge, aus deren Umklammerung sich ein
Mensch anscheinend nicht befreien kann, wenn seine Seele die Fдhigkeit hat,
Formen zu sehen, die dem Tastsinn vorenthalten sind. - Ich kann mir nicht
helfen: das Ьbersinnliche ist doch das Reizvollste! - Was meint ihr?"
Vrieslander und Prokop waren ernst geworden, und jeder von uns hielt
eine Antwort fьr ьberflьssig.
"Was meinen Sie, Eulalia?" wiederholte Zwakh, zurьckgewendet, seine
Frage.
Die alte Kellnerin kratzte sich mit der Stricknadel am Kopf, seufzte,
errцtete und sagte:
"Aber gдhn' Sie! Sie sind mir ein Schlimmer."
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"Eine verdammt gespannte Luft war heute den ganzen Tag ьber", fing
Vrieslander an, nachdem sich unser Heiterkeitsausbruch gelegt hatte, "nicht
einen Pinselstrich hab' ich fertiggebracht. Fortwдhrend hab' ich an die
Rosina denken mьssen, wie sie im Frack getanzt hat."
"Ist sie wieder aufgefunden worden?", fragte ich.
"›Aufgefunden‹ ist gut. Die Sittenpolizei hat sie doch fьr ein lдngeres
Engagement gewonnen! - Vielleicht hat sie dem Herrn Kommissдr - damals ›beim
Loisitschek‹, ins Auge gestochen? Jedenfalls ist sie jetzt - fieberhaft
tдtig und trдgt wesentlich zur Hebung des Fremdenverkehrs in der Judenstadt
bei. Ein verflucht dralles Mensch ist sie ьbrigens schon geworden in der
kurzen Zeit."
"Wenn man bedenkt, was ein Weib aus einem Mann machen kann bloЯ
dadurch, daЯ sie ihn verliebt sein lдЯt in sich: es ist zum Staunen", warf
Zwakh hin. "Um das Geld aufzubringen, zu ihr gehen zu kцnnen, ist der arme
Bursche, der Jaromir, ьber Nacht Kьnstler geworden. Er geht in den
Wirtshдusern herum und schneidet Silhouetten fьr Gдste aus, die sich auf
diese Art portrдtieren lassen."
Prokop, der den SchluЯ ьberhцrt hatte, schmatzte mit den Lippen:
"Wirklich? Ist sie so hьbsch geworden, die Rosina? - Haben Sie ihr
schon ein KьЯchen geraubt, Vrieslander?"
Die Kellnerin sprang sofort auf und verlieЯ indigniert das Zimmer.
"Das Suppenhuhn! Die hat's wahrhaftig nцtig, - Tugendanfдlle! Pah!",
brummte Prokop дrgerlich hinter ihr drein.
"Was wollen Sie, sie ist doch bei der unrichtigen Stelle abgegangen.
Und auЯerdem war der Strumpf gerade fertig", beschwichtigte ihn Zwakh.
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Der Wirt brachte neuen Grog und die Gesprдche fingen allmдhlich an,
eine schwьle Richtung zu nehmen. Zu schwьl, als daЯ sie mir nicht ins Blut
gegangen wдren bei meiner fiebrigen Stimmung.
Ich strдubte mich dagegen, aber je mehr ich mich innerlich abschloЯ und
an Angelina zurьckdachte, um so heiЯer brauste es mir in den Ohren.
Ziemlich unvermittelt verabschiedete ich mich.
Der Nebel war durchsichtiger geworden, sprьhte feine Eisnadeln auf
mich, war aber immer noch so dicht, daЯ ich die StraЯentafeln nicht lesen
konnte und von meinem Heimweg um ein geringes abkam.
Ich war in eine andere Gasse geraten und wollte eben umkehren, da hцrte
ich meinen Namen rufen:
"Herr Pernath! Herr Pernath!"
Ich blickte um mich, in die Hцhe:
Niemand!
Ein offenes Haustor, darьber diskret eine kleine, rote Laterne, gдhnte
neben mir auf, und eine helle Gestalt - schien mir - stand tief im Flur
darin.
Wieder: "Herr Pernath! Herr Pernath!" Im Flьsterton.
Ich trat erstaunt in den Gang, - da schlangen sich warme Frauenarme um
meinen Hals, und ich sah bei dem Lichtstrahl, der aus einem sich langsam
цffnenden Tьrspalt fiel, daЯ es Rosina war, die sich heiЯ an mich preЯte.

    List


Ein grauer, blinder Tag.
Bis tief in den Morgen hinein hatte ich geschlafen, traumlos,
bewuЯtlos, wie ein Scheintoter.
Meine alte Bedienerin war ausgeblieben oder hatte vergessen
einzuheizen.
Kalte Asche lag im Ofen.
Staub auf den Mцbeln.
Der FuЯboden nicht gekehrt.
Frцstelnd ging ich auf und ab.
Widerwдrtiger Geruch nach ausgeatmetem Fusel lag im Zimmer. Mein
Mantel, meine Kleider stanken nach altem Tabakrauch.
Ich riЯ das Fenster auf, schloЯ es wieder: - der kalte, schmutzige
Hauch von der StraЯe war unertrдglich.
Spatzen mit durchnдЯtem Gefieder hockten regungslos drauЯen auf den
Dachrinnen.
Wohin ich blickte, miЯfarbene Verdrossenheit. Alles in mir war
zerrissen, zerfetzt.
Das Sitzpolster auf dem Lehnstuhl - wie fadenscheinig es war! Die
RoЯhaare quollen hervor aus den Rдndern.
Man muЯte es zum Tapezierer schicken - - ach was, sollte es so bleiben
- noch ein цdes Menschenleben hindurch, bis alles zu Gerumpel zerfiel!
Und dort, welch geschmackloser, zweckwidriger Plunder, diese
Zwirnlappen an den Fenstern!
Warum drehte ich sie nicht zu einem Strick und erhenkte mich daran?!
Dann brauchte ich diese augenverletzenden Dinge wenigstens nie mehr zu
sehen, und der ganze graue, zermьrbende Jammer war vorьber - ein fьr
allemal.
Ja! Das war das gescheiteste! Ein Ende machen.
Heute noch.
Jetzt noch - vormittags. Gar nicht erst zum Essen gehen. - Ein
ekelhafter Gedanke, mit vollem Magen sich aus der Welt zu schaffen! In der
nassen Erde liegen und unverdaute, verfaulende Speisen in sich zu haben.
Wenn nur nie wieder die Sonne scheinen wollte und ihre freche Lьge von
der Freude des Daseins einem ins Herz funkeln.
Nein! ich lieЯ mich nicht mehr narren, wollte nicht lдnger der
Spielball sein eines tдppischen, zwecklosen Schicksals, das mich emporhob
und dann wieder in Pfьtzen stieЯ, bloЯ damit ich die Vergдnglichkeit alles
Irdischen einsehen sollte, etwas, was ich lдngst wuЯte, was jedes Kind weiЯ,
jeder Hund auf der StraЯe weiЯ.
Arme, arme Mirjam! Wenn ich ihr wenigstens helfen kцnnte.
Es hieЯ, einen EntschluЯ fassen, einen ernsten, unabдnderlichen
BeschluЯ, bevor der verfluchte Trieb zum Dasein wieder in mir erwachen
konnte und mir neue Trugbilder vorgaukeln.
Wozu hatten sie mir denn gedient: alle diese Botschaften aus dem Reich
des Unverweslichen?
Zu nichts, zu gar, gar nichts.
Nur dazu vielleicht, daЯ ich im Kreis herumgetaumelt war und jetzt die
Erde als unmцgliche Qual empfand.
Da gab es nur noch eins.
Ich rechnete im Kopf zusammen, wieviel Geld ich auf der Bank liegen
hatte.
Ja, nur so ging es. Das war noch das Einzige, Winzige, was von meinen
nichtigen Taten im Leben irgendeinen Wert haben konnte!
Alles, was ich besaЯ - die paar Edelsteine in der Schublade dazu, -
zusammenschnьren in ein Paket und es Mirjam schicken. Ein paar Jahre
wenigstens wьrde es die Sorge ums tдgliche Leben von ihr nehmen. Und einen
Brief an Hillel schreiben, in dem ich ihm sagte, wie es um sie stand mit dem
"Wunder".
Er allein konnte ihr helfen.
Ich fьhlte: ja, er wьrde Rat wissen fьr sie.
Ich suchte die Steine zusammen, steckte sie ein, sah auf die Uhr: wenn
ich jetzt auf die Bank ging - in einer Stunde konnte alles in Ordnung
gebracht sein.
Und dann noch einen StrauЯ roter Rosen kaufen fьr Angelina! - - - - es
schrie auf in mir vor Weh und wilder Sehnsucht. - Nur noch einen Tag, einen
einzigen Tag mцchte ich leben!
Um dann abermals dieselbe wьrgende Verzweiflung mitmachen zu mьssen?
Nein, nicht eine einzige Minute mehr warten! Es kam wie Befriedigung
ьber mich, daЯ ich mir nicht nachgegeben hatte.
Ich blickte umher. Blieb mir noch etwas zu tun?
Richtig: die Feile dort. Ich steckte sie in die Tasche, - wollte sie
fortwerfen irgendwo auf der Gasse, wie ich es mir neulich schon vorgenommen.
Ich haЯte die Feile! Wieviel hatte gefehlt, und ich wдre zum Mцrder
geworden durch sie.
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Wer kam mich denn da wieder stцren?
Es war der Trцdler.
"Nur en Augenblick, Herr von Pernath", bat er fassungslos, als ich ihm
bedeutete, daЯ ich keine Zeit hдtte. "Nur en ganz en kurzen Augenblick. Nur
д paar Worte."
Der SchweiЯ lief ihm ьbers Gesicht, und er zitterte vor Aufregung.
"Kann man hier auch ungestцrt mit Ihnen sprechen, Herr von Pernath? Ich
mцcht' nicht, daЯ der - der Hillel wieder hereinkommt. Sperren Sie doch
lieber die Tьr ab, oder geh'mer besser ins Nebenzimmer", - er zog mich in
seiner gewohnten, heftigen Art hinter sich drein.
Dann sah er sich ein paarmal scheu um und flьsterte heiser:
"Ich hab mir's ьberlegt, wissen Sie, - das von neilich. Es is besser
so. Es kommt nix hereaus dabei. Gut. Vorьber is vorьber."
Ich suchte in seinen Augen zu lesen.
Er hielt meinen Blick aus, krampfte aber die Hand in die Stuhllehne,
solche Anstrengung kostete es ihn.
"Das freut mich, Herr Wassertrum," sagte ich, so freundlich ich konnte,
"das Leben ist zu trьb, als daЯ man es sich gegenseitig noch mit HaЯ
verbittern sollte."
"Rein, als ob man ein gedrьcktes Buch reden hцrt," grunzte er
erleichtert, wьhlte in seinen Hosentaschen und zog wieder die goldene Uhr
mit den verbogenen Sprungdeckeln hervor, "und damit Sie sehen, ich mein's
ehrlich, mьssen Sie die Kleinigkeit da von mir annehmen. Als Geschenk."
"Was fдllt Ihnen denn ein," wehrte ich ab, "Sie werden doch wohl nicht
glauben -", da fiel mir ein, was Mirjam ьber ihn gesagt hatte, und ich
streckte ihm die Hand hin, um ihn nicht zu krдnken.
Er achtete nicht darauf, wurde plцtzlich weiЯ wie die Wand, lauschte
und rцchelte:
"Da! Da! Hab' ich's doch gewuЯt. Schon wieder der Hillel! Er klopft."
Ich horchte, ging ins andere Zimmer zurьck und zog zu seiner Beruhigung
die Verbindungstьr hinter mir halb zu.
Es war diesmal nicht Hillel. Charousek trat ein, legte, wie zum
Zeichen, daЯ er wisse, wer nebenan sei, den Finger an die Lippen und
ьberschьttete mich in der nдchsten Sekunde und ohne abzuwarten, was ich
sagen wьrde, mit einem Schwall von Worten:
"Oh, mein hochverehrter, liebwerter Meister Pernath, wie soll ich nur
die Worte finden, Ihnen meine Freude auszudrьcken, daЯ ich Sie allein und
wohlauf zu Hause antreffe." - - - Er sprach wie ein Schauspieler, und seine
schwьlstige, unnatьrliche Redeweise stand in so krassem Gegensatz zu seinem
verzerrten Gesicht, daЯ ich ein tiefes Grauen vor ihm empfand.
"Niemals hдtte ich, Meister, es gewagt, in dem zerlumpten Zustande zu
Ihnen zu kommen, in dem Sie mich gewiЯ schon des цfteren auf der StraЯe
erblickt haben, - doch, was sage ich: erblickt! haben Sie mir doch oft
huldreich die Hand gereicht.
DaЯ ich heute vor Sie hintreten kann mit weiЯem Kragen und in sauberem
Anzug, - wissen Sie, wem ich es verdanke? Einem der edelsten und leider -
ach - meist verkannten Menschen unserer Stadt. Rьhrung ьbermannt mich, wenn
ich seiner gedenke.
Selber in bescheidenen Verhдltnissen, hat er dennoch eine offene Hand
fьr Arme und Bedьrftige. Von jeher, wenn ich ihn traurig vor seinem Laden
stehen sah, trieb es mich aus tiefstem Herzen heraus, zu ihm zu treten und
ihm stumm die Hand zu drьcken.
Vor einigen Tagen rief er mich an, als ich vorьberging, schenkte mir
Geld und versetzte mich dadurch in die Lage, mir gegen Ratenzahlung einen
Anzug kaufen zu kцnnen.
Und wissen Sie, Meister Pernath, wer mein Wohltдter war? -
Mit Stolz sage ich es, denn ich war von jeher der einzige, der geahnt
hat, welch goldenes Herz in seinem Busen schlдgt: Es war - Herr Aaron
Wassertrum!" - -
- - Ich verstand natьrlich, daЯ Charousek seine Komцdie auf den
Trцdler, der nebenan lauschte, gemьnzt hatte, wenn mir auch unklar blieb,
was er damit bezweckte; keinesfalls schien mir die allzuplumpe Schmeichelei
geeignet, den miЯtrauischen Wassertrum hinters Licht zu fьhren. Charousek
erriet offenbar aus meiner bedenklichen Miene, was ich dachte, schьttelte
grinsend den Kopf, und auch seine nдchsten Worte sollten mir wahrscheinlich
sagen, daЯ er seinen Mann genau kenne und wisse, wie dick er auftragen
dьrfe.
"Jawohl! Herr - Aaron - Wassertrum! Es drьckt mir fast das Herz ab, daЯ
ich ihm nicht selbst sagen kann, wie unendlich dankbar ich ihm bin, und
beschwцre Sie, Meister, verraten Sie ihm niemals, daЯ ich hier war und Ihnen
alles erzдhlt habe. - Ich weiЯ, die Selbstsucht der Menschen hat ihn
verbittert und tiefes, unheilbares - ach, leider nur zu gerechtfertigtes
MiЯtrauen in seine Brust gepflanzt.
Ich bin Seelenarzt, aber auch mein Gefьhl sagt mir, es ist am besten:
Herr Wassertrum erfдhrt nie - auch aus meinem Munde nicht - wie hoch ich von
ihm denke. - Es hieЯe das: Zweifel in sein unglьckliches Herz sдen. Und das
sei ferne von mir. Lieber soll er mich fьr undankbar halten.
Meister Pernath! Ich bin selbst ein Unglьcklicher und weiЯ von
Kindesbeinen an, was es heiЯt, einsam und verlassen in der Welt zu stehen!
Ich kenne nicht einmal den Namen meines Vaters. Auch mein Mьtterlein habe
ich niemals von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sie muЯ frьhzeitig gestorben
sein -" Charouseks Stimme wurde seltsam geheimnisvoll und eindringlich, -
"und war, wie ich bestimmt glaube, eine jener tiefseelisch angelegten
Naturen, die nie sagen kцnnen, wie unendlich sie lieben, und zu denen auch
Herr Aaron Wassertrum gehцrt.
Ich besitze eine abgerissene Seite aus dem Tagebuch meiner Mutter - ich
trage das Blatt bestдndig auf der Brust - und darin steht, daЯ sie meinen
Vater, obschon er hдЯlich gewesen sein soll, geliebt hat, wie wohl noch nie
ein sterbliches Weib auf Erden einen Mann geliebt hat.
Dennoch scheint sie es nie gesagt zu haben. - Vielleicht aus дhnlichen
Grьnden, weshalb ich z. B. Herrn Wassertrum nicht sagen kцnnte - und wenn
mir das Herz darьber brдche - was ich fьr ihn an Dankbarkeit fьhle.
Aber noch eins geht aus dem Tagebuchblatt hervor, wenn ich es auch nur
erraten kann, denn die Sдtze sind fast unleserlich vor Trдnenspuren: mein
Vater - sein Andenken mцge vergehen im Himmel und auf Erden! - muЯ
scheuЯlich an meiner Mutter gehandelt haben."
- Charousek fiel plцtzlich auf die Knie, daЯ der Boden drцhnte, und
schrie in so markerschьtternden Tцnen, daЯ ich nicht wuЯte, spielte er noch
immer Komцdie oder war er wahnsinnig geworden:
"Du Allmдchtiger, dessen Namen der Mensch nicht aussprechen soll, hier
auf meinen Knien liege ich vor Dir: verflucht, verflucht, verflucht sei mein
Vater in alle Ewigkeit!"

Er biЯ das letzte Wort fцrmlich entzwei und horchte eine Sekunde lang
mit aufgerissenen Augen.
Dann feixte er wie der Satan. Auch mir schien es, als hдtte Wassertrum
nebenan leise gestцhnt.
"Verzeihen Sie, Meister," fuhr Charousek nach einer Pause mit mimenhaft
erstickter Stimme fort, "verzeihen Sie, daЯ es mich ьbermannt hat, aber es
ist mein Gebet frьh und spдt, der Allmдchtige wolle es fьgen, daЯ mein
Vater, wer immer er auch sein mцge, dereinst das grдЯlichste Ende nehme, das
sich ausdenken lдЯt."
Ich wollte unwillkьrlich etwas erwidern, allein Charousek unterbrach
mich rasch:
"Doch jetzt, Meister Pernath, komme ich zu der Bitte, die ich Ihnen
vorzutragen habe:
Herr Wassertrum besaЯ einen Schьtzling, den er ьber die MaЯen ins Herz
geschlossen hatte, - es dьrfte ein Neffe von ihm gewesen sein. Es heiЯt
sogar, es sei sein Sohn gewesen, aber ich will es nicht glauben, denn sonst
hдtte er doch denselben Namen getragen, in Wirklichkeit aber hieЯ er:
Wassory, Dr. Theodor Wassory.
Die Trдnen treten mir in die Augen, wenn ich ihn im Geiste vor mir
sehe. Ich war ihm aus ganzer Seele zugetan, als hдtte mich ein unmittelbares
Band der Liebe und Verwandtschaft mit ihm verknьpft."
Charousek schluchzte, als kцnne er vor Ergriffenheit kaum
weitersprechen.
"Ach, daЯ dieser Edeling von der Erde gehen muЯte! - Ach! Ach!
Was auch der Grund gewesen sein mag, - ich habe ihn nie erfahren, - er
hat sich selbst den Tod gegeben. Und ich war unter denen, die zu Hilfe
gerufen wurden - - ach, ach, zu spдt - zu spдt - zu spдt! Und als ich dann
allein am Totenlager stand und seine kalte, bleiche Hand mit Kьssen
bedeckte, da - warum soll ich es nicht eingestehen, Meister Pernath? - es
war ja doch kein Diebstahl - da nahm ich eine Rose von der Brust der Leiche
und eignete mir das Flдschchen an, mit dessen Inhalt der Unglьckliche seinem
blьhenden Leben ein schnelles Ende bereitet hatte."
Charousek zog eine Medizinflasche hervor und fuhr bebend fort:
"Beides lege ich hier auf Ihren Tisch, die verdorrte Rose und die
Phiole; sie waren mir ein Andenken an meinen dahingegangenen Freund.
Wie oft in Stunden innerer Verlassenheit, wenn ich mir den Tod
herbeiwьnschte in der Einsamkeit meines Herzens und der Sehnsucht nach
meiner toten Mutter, spielte ich mit diesem Flдschchen, und es gab mir einen
seligen Trost, zu wissen: ich brauchte nur die Flьssigkeit auf ein Tuch zu
gieЯen und einzuatmen
und schwebte schmerzlos hinьber in die Gefilde, wo
mein lieber, guter Theodor ausruht von den Mьhsalen unseres Jammertales.
Und nun bitte ich Sie, hochverehrter Meister, - und deswegen bin ich
hergekommen - nehmen Sie beides und bringen Sie es Herrn Wassertrum.
Sagen Sie, Sie hдtten es von jemandem bekommen, dem Dr. Wassory
nahestand, dessen Namen Sie jedoch gelobt hдtten, nie zu nennen, -
vielleicht von einer Dame.
Er wird es glauben, und es wird ihm ein Andenken sein, wie es ein
teures Andenken fьr mich war.
Das soll der heimliche Dank sein, den ich ihm gebe. Ich bin arm und es
ist alles, was ich habe, aber es macht mich froh, zu wissen: beides wird
jetzt ihm gehцren, und dennoch ahnt er nicht, daЯ ich der Geber bin.
Es liegt darin zugleich auch fьr mich etwas unendlich SьЯes.
Und jetzt leben Sie wohl, teurer Meister, und seien Sie im voraus
vieltausendmal bedankt."
Er hielt meine Hand fest, zwinkerte und flьsterte mir, als ich noch
immer nicht verstand, kaum hцrbar etwas zu.
"Warten Sie, Herr Charousek, ich werde Sie ein Stьckchen
hinunterbegleiten", sagte ich mechanisch die Worte nach, die ich von seinen
Lippen las, und ging mit ihm hinaus.
Auf dem finsteren Treppenabsatz im ersten Stock blieben wir stehen, und
ich wollte mich von Charousek verabschieden.
"Ich kann mir denken, was Sie mit der Komцdie bezweckt haben. - - Sie -
Sie wollen, daЯ sich Wassertrum mit dem Flдschchen vergiftet!" Ich sagte es
ihm ins Gesicht.
"Freilich", gab Charousek aufgerдumt zu.
"Und dazu, glauben Sie, werde ich meine Hand bieten?"
"Durchaus nicht nцtig."
"Aber ich sollte Wassertrum doch die Flasche bringen, sagten Sie
vorhin!"
Charousek schьttelte den Kopf:
"Wenn Sie jetzt zurьckgehen, werden Sie sehen, daЯ er sie bereits
eingesteckt hat."
"Wie kцnnen Sie das nur annehmen?", fragte ich erstaunt. "Ein Mensch
wie Wassertrum wird sich niemals umbringen, - ist viel zu feig dazu -
handelt nie nach plцtzlichen Impulsen."
"Da kennen Sie das schleichende Gift der Suggestion nicht", unterbrach
mich Charousek ernst. "Hдtte ich in alltдglichen Worten geredet, wьrden Sie
vielleicht recht behalten, aber auch den kleinsten Tonfall habe ich vorher
berechnet. Nur das widerlichste Pathos wirkt auf solche Hundsfцtter! Glauben
Sie mir! Sein Mienenspiel bei jedem meiner Sдtze hдtte ich Ihnen hinzeichnen
kцnnen. - Kein ›Kitsch‹ wie es die Maler nennen, ist niedertrдchtig genug,
als daЯ er nicht der bis ins Mark verlogenen Menge Trдnen entlockte - sie
ins Herz trifft! Glauben Sie denn, man hдtte nicht lдngst sдmtliche Theater
mit Feuer und Schwert ausgetilgt, wenn es anders wдre? An der
Sentimentalitдt erkennt man die Kanaille. Tausende armer Teufel kцnnen
verhungern, da wird nicht geweint, aber wenn ein Schminkkamel auf der Buhne,
als Bauerntrampel verkleidet, die Augen verdreht, dann heulen sie wie die
SchloЯhunde. - - Wenn Vдterchen Wassertrum vielleicht auch morgen vergessen
hat, was ihm soeben noch - Herzjauche kostete: jedes meiner Worte wird
wieder in ihm lebendig werden, wenn die Stunden reifen, wo er sich selbst
unendlich bedauernswert vorkommt. - In solchen Momenten des groЯen Misereres
bedarf es bloЯ eines leisen AnstoЯes, - und fьr den werde ich sorgen - und
selbst die feigste Pfote greift nach dem Gift. Es muЯ nur zur Hand sein!
Theodorchen hдtte wahrscheinlich auch nicht zugegrapst, wenn ich's ihm nicht
so bequem gemacht hдtte."
"Charousek, Sie sind ein furchtbarer Mensch", rief ich entsetzt.
"Empfinden Sie denn gar kein - - -"
Er hielt mir schnell den Mund zu und drдngte mich in eine Mauernische!
"Still! Da ist er!"
Mit taumelnden Schritten, sich an der Wand stьtzend, kam Wassertrum die
Stiege herunter und wankte an uns vorьber.
Charousek schьttelte mir fluchtig die Hand und schlich ihm nach. - -
Als ich in mein Zimmer zurьckgekehrt war, sah ich, daЯ die Rose und das
Flдschchen verschwunden waren und an ihrer Stelle die goldene, zerbeulte Uhr
des Trцdlers auf dem Tisch lag.
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"Acht Tage mьsse ich warten, ehe ich mein Geld bekommen kцnne; es sei
das die ьbliche Kьndigungsfrist", hatte man mir auf der Bank gesagt.
Man solle den Direktor holen, denn ich sei in grцЯter Eile und gedдchte
in einer Stunde abzureisen, hatte ich eine Ausrede gebraucht.
Er sei nicht zu sprechen und kцnne an den Gepflogenheiten der Bank auch
nichts дndern, hieЯ es, und ein Kerl mit einem Glasauge, der zugleich mit
mir an den Schalter getreten war, hatte darьber gelacht.
Acht graue, furchtbare Tage auf den Tod sollte ich also warten!
Wie ein Zeitraum ohne Ende kam es mir vor. - - -
Ich war so niedergeschlagen, daЯ ich mir gar nicht bewuЯt wurde, wie
lange ich schon vor der Tьre eines Kaffeehauses auf und nieder geschritten
sein mochte.
Endlich trat ich ein, bloЯ um den widerwдrtigen Kerl mit dem Glasauge
los zu werden, der mir von der Bank her nachgekommen war und sich immer in
meiner Nдhe hielt und, wenn ich ihn anblickte, sofort auf dem Boden
herumsuchte, als habe er etwas verloren.
Er hatte einen hellkarierten, viel zu engen Rock an und schwarze,
speckglдnzende Hosen, die ihm wie Sдcke um die Beine schlotterten. Auf
seinem linken Stiefel war ein eifцrmiger, gewцlbter Lederfleck aufgesteppt,
daЯ es aussah, als trьge er darunter einen Siegelring auf der Zehe.
Kaum hatte ich mich niedergesetzt, kam auch er herein und lieЯ sich an
einem Nebentisch nieder.
Ich glaubte, er wolle mich anbetteln, und suchte schon nach meinem
Portemonnai, da sah ich einen groЯen Brillanten an seinen wulstigen
Metzgerfingern aufblitzen.
Stunden und Stunden saЯ ich in dem Kaffeehaus und glaubte vor innerer
Nervositдt wahnsinnig werden zu mьssen, - aber wohin sollte ich gehen? Nach
Hause? Herumschlendern? Eines schien mir grдЯlicher als das andere.
Die veratmete Luft, das ewige, alberne Klappen der Billardkugeln, das
trockene, unaufhцrliche Gerausper eines halbblinden Zeitungstigers mir
gegenьber, ein storchbeiniger Infanteneleutnant, der abwechselnd in der Nase
bohrte oder sich mit gelben Zigarettenfingern vor einem Taschenspiegel den
Schnurrbart kдmmte, ein braunsammetenes Gebrodel ekelhafter, verschwitzter,
schnatternder Italiener um den Kartentisch in der Ecke, die bald unter
gellem Gekreisch ihre Trumpfe mit dem Faustknochel hinschlugen, bald unter
Brecherscheinungen ins Zimmer spuckten. Und das alles in den Wandspiegeln
doppelt und dreifach sehen zu mьssen! Es sog mir langsam das Blut aus den
Adern. -
Es wurde allmдhlich dunkel und ein plattfuЯiger, knieweicher Kellner
tastete mit einer Stange nach den Gaslьstern, um sich endlich kopfschьttelnd
zu ьberzeugen, daЯ sie nicht brennen wollten.
So oft ich das Gesicht wandte, immer begegnete ich dem schielenden
Wolfsblick des Glasдugigen, der sich dann jedesmal rasch hinter eine Zeitung
versteckte oder seinen schmutzigen Schnurrbart in die langst ausgetrunkene
Kaffeetasse tauchte.
Er hatte seinen steifen, runden Hut tief aufgestьlpt, daЯ ihm die Ohren
fast waagerecht abstanden, machte aber keine Miene, aufzubrechen.
Es war nicht mehr auszuhalten.
Ich zahlte und ging.
Als ich die Glastьr hinter mir zumachen wollte, nahm mir jemand die
Klinke aus der Hand - Ich drehte mich um:
Wieder der Kerl!
Дrgerlich wollte ich nach links biegen, in der Richtung der Judenstadt
zu, da drдngte er sich an meine Seite und hinderte mich daran.
"Da hцrt denn doch alles auf!" schrie ich ihn an.
"Nach rechts geht's," sagte er kurz.
"Was soll das heiЯen?"
Er fixierte mich frech:
"Sie sind der Pernath!"
"Sie wollen wahrscheinlich sagen: Herr Pernath?"
Er lachte nur hдmisch:
"Alsdann keine Faxen jetz! Sie gah'n Sie mit!"
"Ja, sind Sie toll? Wer sind Sie eigentlich?", fuhr ich auf.
Er gab keine Antwort, schlug seinen Rock zurьck und zeigte vorsichtig
auf einen abgeschabten Blechadler, der im Futter festgesteckt war.
Ich begriff: der Falott war Geheimpolizist und verhaftete mich.
"So sagen Sie doch, um Himmels willen, was ist denn los?"
"Sie werden sich's schonn erfahrrдhn. Auf dem Dдpartemдnt", erwiderte
er grob. "Alla marsch jetz!"
Ich schlug ihm vor, ich wollte einen Wagen nehmen.
"Nix da!"
Wir gingen zur Polizei.
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Ein Gendarm fьhrte mich vor eine Tьr.
ALOIS OTSCHIN
Polizeirat
las ich auf der Porzellantafel.
"Sie kдnnen sich eintrдtten", sagte der Gendarm.
Zwei schmierige Schreibtische mit meterhohen Aufsдtzen standen einander
gegenьber.
Ein paar verkraxte Stьhle dazwischen.
Das Bild des Kaisers an der Wand.
Ein Glas mit Goldfischen auf dem Fensterbrett.
Sonst nichts im Zimmer.
Ein KlumpfuЯ und daneben ein dicker Filzschuh unter zerfransten grauen
Hosen hinter dem linken Schreibpult.
Ich hцrte rascheln. Jemand murmelte ein paar Worte in bцhmischer
Sprache und gleich darauf tauchte der Herr Polizeirat aus dem rechten
Schreibtisch auf und trat vor mich hin.
Er war ein kleiner Mann mit grauem Spitzbart und hatte die sonderbare
Manier, bevor er anfing zu reden, die Zдhne zu fletschen wie jemand, der in
grelles Sonnenlicht schaut.
Dabei kniff er die Augen hinter den Brillenglasern zusammen, was ihm
den Ausdruck furchterregender Niedertracht verlieh.
"Sie heiЯen Athanasius Pernath und sind" - er blickte auf ein Blatt
Papier, auf dem nichts stand - "Gemmenschneider."
Sofort kam Leben in den KlumpfuЯ unter dem anderen Schreibtisch: er
wetzte sich an dem Stuhlbein, und ich hцrte das Rauschen einer Schreibfeder.
Ich bejahte:
"Pernath. Gemmenschneider."
"No, da sin wir ja gleich beisammen, Herr - - - Pernath, - jawohl
Pernath. Ja wohl ja." - Der Herr Polizeirat war mit einem Schlag von
erstaunlicher Liebenswьrdigkeit, als hдtte er die erfreulichste Nachricht
von der Welt bekommen, streckte mir beide Hдnde entgegen und bemьhte sich in
lдcherlicher Weise, die Miene eines Biedermannes aufzusetzen.
"Also, Herr Pernath, erzдhlen Sie mir einmal, was treiben Sie so den
ganzen Tag?"
"Ich glaube, daЯ Sie das nichts angeht, Herr Otschin", antwortete ich
kalt.
Er kniff die Augen zusammen, wartete einen Moment und fuhr blitzschnell
los:
"Seit wann hat die Grдfin ihr Verhдltnis mit dem Savioli?"
Ich war auf etwas Дhnliches gefaЯt gewesen und zuckte nicht mit der