* Da sprach der Degen Siegfried: “Es wird noch alles gut:
Uns beiden war wohl ungleich heute Nacht zu Mut.
Deine Schwester Kriemhild ist mir lieber als der Leib;
Es muss Frau Brunhilde noch heute werden dein Weib.” (670)
 
 
Er sprach: “Noch heunte komm ich zu euerm Kämmerlein
Also wohl verborgen in der Tarnkappe mein,
Dass sich meiner Künste niemand mag versehn,
Lasst die Kämmerlinge zu den Herbergen gehn; (671)
 
 
“So lösch ich den Kindern die Lichter an der Hand:
Dass ich herein getreten sei euch dabei bekannt.
Weil ich euch gerne diene, so zwing ich euch das Weib,
Dass ihr sie heunte minnet: ich verlör denn Leben und Leib.” (672)
 
 
“Wenn du ihr nicht kosest,” Der König sprach da so,
Meiner lieben Frauen, so bin ichs gerne froh;
Sonst tu ihr was du wollest und nähmst du ihr den Leib,
Das wollt ich wohl verschmerzen: Sie ist ein furchtbares Weib.” (673)
 
 
“Das versprech ich,” sprach da Siegfried, “bei der Treue mein,
Dass ich ihr nicht kose; die liebe Schwester dein
Geht mir über alle, die ich jemals sah.”
Wohl glaubte König Gunther der Rede Siegfriedens da. (674)
 
 
Da gabs von Ritterspielen Freude so wie Not:
Turnei und Tiostieren man allzumal verbot.
Als die Frauen sollten nach dem Saale gehn,
Geboten Kämmerlinge den Leuten, nicht im Weg zu stehn. (675)
 
 
Da ward der Hof von Leuten und Rossen wieder frei.
Zwei Bischöfe führten die Frauen alle zwei,
Als sie vor den Königen zu Tische sollten gehn.
Ihnen folgten zu den Stühlen viel der Degen ausersehn. (676)
 
 
* Der König wohl gemutet in froher Hoffnung saß.
Was Siegfried ihm gelobte, wohl behielt er das;
Der eine Tag ihn däuchte wohl dreißig Tage lang:
Nach seiner Frauen Minne all sein Denken ihm rang. (677)
 
 
Er konnt es kaum erwarten bis das Mahl vorbei.
Die schöne Brunhilde rief man da herbei
Und auch Kriemhilden: Sie sollten schlafen gehn:
Hei! Was man schneller Degen sah vor den Königinnen stehn! (678)
 
 
Siegfried der Herre minniglich noch saß
Bei seinem schönen Weibe mit Freuden ohne Hass:
Sie koste seine Hände mit ihrer weißen Hand,
Bis er ihr vor den Augen, sie wusste nicht wie, verschwand. (679)
 
 
Da sie mit ihm spielte, und sie ihn nicht mehr sah,
Zu seinem Ingesinde sprach die Königin da:
“Mich wundert sehr, wo ist doch der König hingekommen?
Wer hat seine Hände mir aus den meinen genommen?” (680)
 
 
Die Rede ließ sie bleiben. Da eilt' er hinzugehn,
Wo er die Kämmerlinge fand mit Lichtern stehn:
Die löscht' er unversehens den Kindern an der Hand:
Dass es Siegfried wäre, das war da Gunthern bekannt. (681)
 
 
Wohl wusst er, was er wolle: Er ließ von dannen gehn
Die Mägdelein und Frauen. Als das war geschehn,
Der edle König selber verschloss der Kammer Tür:
Starker Riegel zweie, die warf er balde dafür. (682)
 
 
Hinterm Bettvorhange barg er da das Licht.
Ein Spiel sogleich begonnte, vermeiden ließ sichs nicht,
Siegfried der starke mit der schönen Maid:
Das war dem König Gunther beides lieb und auch leid. (683)
 
 
Da legte sich Siegfried der Königin bei.
Sie sprach: “Nun lasst es, Gunther, wie lieb es euch auch sei,
Dass ihr nicht Not erleidet heute so wie eh:
Oder euch geschiehet von meinen Händen wieder weh.” (684)
 
 
Er hehlte seine Stimme, kein Wörtlien sprach er da:
Wohl hörte König Gunther, wiewohl er sie nicht sah,
Dass Heimliches von beiden wenig da geschah:
Nicht viel bequeme Ruhe hatten sie im Bette da. (685)
 
 
Er stellte sich, als wär er Gunther der König reich:
Er umschloss mit Armen das Mägdlein ohne Gleich.
Sie warf ihn aus dem Bette dabei auf eine Bank,
Dass laut a einem Schemel ihm das Haupt davon erklang. (686)
 
 
Wieder auf mit Kräften sprang der kühne Mann,
Es besser zu versuchen: Wie er das begann,
Dass er sie zwingen wollte, da widerfuhr ihm Weh.
Mich dünkt, dass solche Wehre von Fraun nicht wieder gescheh. (687)
 
 
Da ers nicht lassen wollte, das Mägdlein aufsprang:
“Euch ziemt nicht zu zerreißen mein Hemd also blank.
Ihr seid ein Ungestümer: Das soll euch werden leid,
Des sollt ihr inne werden,” sprach die herrliche Maid. (688)
 
 
Sie umschloss mit Armen den tapferlichen Degen,
Und wollt ihn auch in Bande wie den König legen,
Dass sie im Bette läge mit Gemächlichkeit.
Wie grimmig sie das rächte, dass er zerzerret ihr Kleid! (689)
 
 
Was half ihm da die Stärke und seine große Kraft?
Sie bewies dem Degen ihres Leibes Meisterschaft:
Sie trug ihn übermächtig, das musste schon so sein,
Und drückt' ihn ungefüge bei dem Bett an einen Schrein. (690)
 
 
“Weh,” dachte Siegfried, “soll ich Leben hier und Leib
Von einer Maid verlieren, so mag ein jedes Weib
In allen künftgen Zeiten tragen Frevelmut
Dem Manne gegenüber, die sonst wohl nimmer es tut.” (691)
 
 
Der König hörte alles, er bangte für den Mann.
Siegfried sich schämte, zu zürnen hub er an.
Mit ungefügen Kräften ihr entgegen setzt' er sich,
Dass er sich versuche an Frau Brunhilden ängstliglich. (692)
 
 
* Wie sie ihn niederdrückte, sein Zorn bewirkte das
Und seine starken Kräfte, dass er trotz ihrem Hass
Sich aufrichten konnte; seine Angst die war groß.
Sie gaben in der Kammer sich hin und her manchen Stoß. (693)
 
 
* Auch litt der König Gunther Sorgen und Beschwer:
Er musste manchmal flüchten vor ihnen hin und her.
Sie rangen so gewaltig dass es Wunder nahm,
Wenn eines vor dem andern mit dem Leben noch entkam. (694)
 
 
* Den König Gunther mühte beiderseits die Not:
Doch fürchtet' er am meisten Siegfriedens Tod.
Wohl hätte sie dem Degen das Leben schier benommen:
Durft er nur, er wäre ihm gern zu Hilfe gekommen. (695)
 
 
* Gar lange zwischen ihnen dauerte der Streit,
Doch bracht er an das Bette zuletzt zurück die Maid:
Wie sehr sie sich auch wehrte, die Wehr ward endlich schwach.
Der König in seinen Sorgen hing manchem Gedanken nach. (696)
 
 
Dem König währt' es lange bis er sie bezwang.
Sie drückte seien Hände, dass aus den Nägeln sprang
Das Blut von ihren Kräften; das war dem Helden leid:
Des starken Siegfried Kräfte, gewaltig schmerzten sie die. (697)
 
 
Da griff sie nach der Seite, wo sie die Borte fand,
Um ihn damit zu binden: da wehrt' es seine Hand,
Dass ihr die Glieder krachten, dazu der ganze Leib.
Da war der Streit entschieden: da wurde sie Gunthers Weib. (698)
 
 
Sie sprach: “Edler König, das Leben schenke mir.
Es wird wohl versühnet was ich getan an dir:
Ich wehre mich nicht wieder der edeln Minne dein:
Nun hab ichs wohl befunden, dass du magst Frauen Meister sein.” (699)
 
 
Siegfried ging von dannen (liegen bleib die Maid),
Als ob er abzuwerfen gedächte nur das Kleid.
Er wusst ihr von den Händen einen goldnen Reif zu ziehn,
Dass es nicht inne wurde diese edle Königin. (700)
 
 
Auch nahm er ihren Gürtel, eine Borte gut;
Ich weiß nicht, obs geschehen aus hohem Übermut.
Er gab sie seinem Weibe, das ward ihm später leid.
Da lagen beieinander der König und die schöne Maid. (701)
 
 
* Er pflag der Frauen minniglich, wie ihm das wohl zu kam:
Da musste sie verschmerzen ihren Zorn und ihre Scham.
Von seinen Heimlichkeiten ihre lichte Farbe erblich;
Hei! Wie von der Minne die große Kraft ihr entwich! (702)
 
 
Da war auch sie nicht stärker als ein ander Weib.
Minniglich liebkost' er ihren schönen Leib;
Wenn sie ihm widerstände, was könnt es sie versahn?
Das hatt ihr alles Gunther mit seinem Minnen getan. (703)
 
 
Wie minniglich der Degen da bei der Frauen lag,
In freundlicher Liebe bis an den lichten Tag!
Nun ging der Herre Siegfried wieder hindann:
Er wurde wohl empfangen von einer Frauen wohlgetan. (704)
 
 
Er widerstand der Frage, die sie da begann;
Auch hehlt' er ihr noch lange was er für sie gewann,
Bis sie in seinem Lande daheim die Krone trug;
Was sie nur haben wollte, er gab ihrs willig genug. (705)
 
 
Dem Wirt am andern Morgen viel höher stand der Mut
Als an dem ersten Tage: Da ward die Freude gut
In seinem ganzen Lande bei manchem edeln Mann;
Die er zu Hof geladen, denen ward viel Dienst getan. (706)
 
 
Das Hofgelage währte den vierzehnten Tag,
Dass sich unterdessen der Schall nicht unterbrach
Von aller Lust und Kurzweil, die jemand gerne sah.
Wahrlich hohe Kosten verwandte der König da. (707)
 
 
Des edeln Wirtes Freunde, wie es der Fürst gewollt,
Verschenkten ihm zu Ehren Gewand und rotes Gold,
Silber auch und Rosse an manchen kühnen Mann.
Die Herrn, die hingezogen, die schieden fröhlich hindann. (708)
 
 
Auch der kühne Siegfried aus dem Niederland
Mit seinen tausend Mannen, ihr sämtliches Gewand,
Das sie zum Rheine brachten, ward ganz dahin gegeben,
Schöne Ross und Sättel: Sie wussten herrlich zu leben. (709)
 
 
Bevor die reiche Gabe noch alle war verwandt,
Schon däucht es die zu lange, die wollten in ihr Land.
Nie sah man ein Gesinde mehr so wohl verpflegen:
So endete die Hochzeit; da schied von dannen mancher Degen. (710)
 

11. Abenteuer
Wie Siegfried mit seinem Weibe heimkehrte

 
Als die Gäste waren gefahren all davon,
Da sprach zu dem Gesinde König Siegmunds Sohn:
“Wir wollen auch uns rüsten zur Fahrt in unser Land.”
Lieb war es seinem Weibe, als das der Fraue ward bekannt. (711)
 
 
* Sie sprach zu ihrem Manne: “Wann sollen wir fahren?
So sehr dahin zu eilen will ich mich bewahren:
Erst sollen mit mir teilen meine Brüder dieses Land.”
Leid war es Siegfrieden, als ers an Kriemhilden fand. (712)
 
 
Die Fürsten zu ihm gingen und sprachen alle drei:
“Wisset, König Siegfried, dass euch immer sei
Unser Dienst mit Treue bereit bis in den Tod.”
Er neigte sich den Degen, da mans so gütlich ihm erbot. (713)
 
 
“Wir wolln auch mit euch teilen,” sprach Geiselher das Kind.
“Das Land und die Burgen, die unser eigen sind,
Und was der weiten Reiche uns ist untertan:
Ihr empfangt mit Kriemhild euer gutes Teil daran.” (714)
 
 
Der Sohn Siegmundens sprach zu den Fürsten da,
Als er der Herren Willen hörte und ersah:
“Gott lass euch euer Erde immer gesegnet sein;
Ich mag es wohl entraten mit der lieben Frauen mein. (715)
 
 
* “Sie bedarf nicht des Teiles, den ihr ihr wolltet geben:
Wo sie soll Krone tragen, werd ich es erleben,
Da muss sie reicher werden als wer auf Erden sei:
Was ihr sonst gebietet, ich steh euch immer dienstlich bei.” (716)
 
 
Da sprach Frau Kriemhilde: “Wenn ihr mein Land verschmäht
Um die Burgonden-Degen es so gering nicht steht:
Die mag ein König gerne führen in sein Land;
Wohl soll sie mit mir teilen meiner lieben Brüder Hand.” (717)
 
 
Da sprach Gernot der Degen: “Nimm die du willst mit dir:
Die gerne mit dir ritten, du findest viele hier.
Aus dreißig hundert Recken nimm dir tausend Mann
Zu deinem Hausgesinde.” Kriemhild zu senden begann (718)
 
 
Nach Hagen von Tronje und nach Ortewein,
Ob sie und ihre Freunde Kriemhildens wollen sein?
Darob gewann da Hagen ein zornigliches Leben:
Er sprach: “Uns kann Herr Gunther in der Welt an niemand vergeben.” (719)
 
 
“Ander Ingesinde nehmt zu eurer Fahrt:
Ihr werdet ja wohl kennen deren von Tronje Art.
Wir müssen bei den Königen am Hofe hier bestehn,
Und denen ferner dienen, deren Dienst mir stets versehn.” (720)
 
 
Sie ließen es bewenden und schickten sich hindann,
Ihr edel Ingesinde Kriemhild zu sich gewann,
Zweiunddreißig Mägdelein und fünfhundert Mann;
Eckewart der Markgraf zog mit Kriemhilden hindann. (721)
 
 
Da nahmen alle Urlaub, Ritter so wie Knecht,
Mägdelein und Frauen, so war es gut und recht.
Sie schieden unter Küssen voneinander unverwandt
Und jene räumten fröhlich dem König Gunther das Land. (722)
 
 
Die Freunde sie geleiteten fern auf ihren Wegen.
Man ließ allenthalben ihnen Nachtherberge legen
Wo sie die nehmen wollten in der Könge Land.
Da wurden bald auch Boten zu König Siegmund gesandt, (723)
 
 
Dass er wissen möge und auch Frau Siegelind,
Sein Sohn wolle kommen mit Frau Utens Kind,
Kriemhild der schönen, von Wormes über Rhein:
Diese Mären konnten ihnen nicht willkommner sein. (724)
 
 
“O wohl mir,” sprach da Siegmund, “dass ich den Tag soll sehn,
Dass die schöne Kriemhild hier soll gekrönet gehn!
Das steigert mir im Werte noch all das Erbe mein:
Mein Sohn Siegfried soll selber hier König sein.” (725)
 
 
Da gb ihnen Sieglind Kleider sametrot
Und schweres Gold und Silber, das war ihr Botenbrot.
Sie freute sich der Märe, die man ihr hergesandt;
Sie kleidet' ihr Gesinde mit allem Fleiß nach seinem Stand. (726)
 
 
Man sagte, wer da käme mit ihm in das Land.
Da ließ sie das Gestühle errichten gleich zur Hand,
Wo er vor seinen Freunden gekrönet sollte gehn.
Entgegen ritten ihnen die in König Siegmunde Lehn. (727)
 
 
Wer besser ward empfangen, mir ist es unbekannt,
Als die Helden wurden in Siegmundens Land.
Kriemhilden die schöne Sieglind entgegenritt;
Viel schöner Frauen und kühner Ritter zogen mit (728)
 
 
Wohl eine Tagesreise bis man die Gäste sah.
Die Heimischen und Fremden litten Beschwerde da,
Bis sie endlich kamen zu einer Veste weit,
Die war geheißen Santen, wo die Krone trugen nach der Zeit. (729)
 
 
Mit lachendem Munde Siegmund und Siegelind
Manche liebe Weile küssten sie Utens Kind
Und Siegfried den Degen; ihnen war ihr Leid benommen.
All ihr Ingesinde war ihnen höchlich willkommen. (730)
 
 
Man ließ die Gäste bringen vor König Siegmunds Saal.
Die schönen Jungfrauen hub man allzumal
Von den Mähren nieder: Da war mancher Mann,
Der den schönen Frauen mit Fleiß zu dienen begann. (731)
 
 
* So prächtig ihre Hochzeit am Rheine war bekannt,
Doch gab man hier den Helden besseres Gewand
Als sie jemals trugen in allen ihren Tagen.
Man mochte große Wunder von ihrem Reichtume sagen. (732)
 
 
In hoher Ehren Schimmer hatten sie genug,
Goldrote Kleider immer ihr Ingesinde trug:
Edel Gestein und Borten sah man gewirkt darin.
So verpflag sie fleißig Sieglind, die edle Königin. (733)
 
 
Da sprach von seinen Freunden der König Siegmund:
“Siegfried Verwandten tu ichs allen kund,
Er soll vor diesen Recken meine Krone tragen.”
Die Märe hörten gerne die von Niederlanden sagen. (734)
 
 
Er befahl ihm seine Krone mit Gericht und Land:
Da war er Herr und König. Wenn er den Rechtsspruch fand
Und wenn er richten sollte, das wurde so getan,
Dass man nicht wenig fürchtete der schönen Kriemhilde Mann. (735)
 
 
In diesen hohen Ehren lebt' er, das ist wahr,
Und richtet' unter Krone an das zehnte Jahr,
Bis die schöne Fraue ihm einen Sohn gebar,
Durch den des Königs Sippe gar höchlich erfreuet war. (736)
 
 
Man ließ ihn eilends taufen und einen Namen nehmen:
Gunther, nach seinem Oheim, des durft er sich nicht schämen.
Geriet er nach den Freunden, so musst ihm wohlergehn:
Er ward mit Fleiß erzogen; so sollt es billig geschehn. (737)
 
 
In denselben Zeiten starb Frau Siegelind:
Da nahm die volle Herrschaft der edeln Ute Kind,
Wie sie der reichen Frauen geziemte wohl im Land.
Es ward genug beweinet, dass der Tod sie hatt entwandt. (738)
 
 
Nun hatt auch dort am Rheine, wie wir hören sagen,
Dem reichen König Gunther einen Sohn getragen
Brunhild die schöne in Burgondenland.
Dem Helden zu Liebe ward er Siegfried genannt. (739)
 
 
* Mit welchen Sorgen immer man sein hüten hieß!
Gunther ihn, der edle, Hofmeistern ließ,
Die ihn wohl ziehen konnten zu einem biedern Mann.
Hei, was ihm bald das Unglück der Verwandten abgewann! (740)
 
 
Zu allen Zeiten Märe ward so viel gesagt,
Wie so lobenswürdig die Degen unverzagt
Zu allen Stunden lebten in Siegmundens Land:
So lebt' auch König Gunther mit seinen Freunden auserkannt. (741)
 
 
Das Land der Niebelungen war Siegfried untertan
(Keiner seiner Freunde je größer Gut gewann),
Desgleichen Schilbungs Recken und beider Land und Gut:
Drum stand dem kühnen Siegfried desto höher der Mut. (742)
 
 
Hort den allermeisten, den je ein Held gewann,
Nach den ersten Herren, besaß der kühne Mann,
Den vor einem Berge seine Hand erwarb im Streit:
Er schlug darum zu Tode manchen Ritter allbereit. (743)
 
 
Vollauf besaß er Ehre, und hätt ers halb entbehrt,
Doch müsste man gestehen dem edeln Recken wert,
Dass er der Beste wäre, der je auf Rossen saß.
Man fürchtete seine Stärke, mit allem Grund tat man das. (744)
 

12. Abenteuer
Wie Gunther Siegfrieden zu dem Hofgelage lud

 
Da dacht auch alle Tage König Gunthers Weib:
“Wie trägt so übermütig Frau Kriemhild den Leib!
Nun ist doch unser eigen Siegfried ihr Mann:
Der hat uns nun schon lange wenig Dienstes getan.” (745)
 
 
Das trug sie in dem Herzen in großer Heimlichkeit;
Dass sie ihre fremde blieben, das schuf ihr herbes Leid.
Dass man ihr so selten gedient von seinem Land,
Woher das kommen möge, das hätte sie gern erkannt. (746)
 
 
Sie versucht' es bei dem König, ob es möchte sein,
Dass sie Kriemhilden wieder säh am Rhein.
Sie vertraut' es ihm alleine, worauf ihr sann der Mut;
Den König aber däuchte ihre Rede gar nicht gut. (747)
 
 
Da sprach der reiche König: “Wie möchten wir sie her
Zu diesem Lande bringen? Das fügt sich nimmermehr.
Sie wohnen uns zu ferne: Ich darf sie nicht drum bitten.”
Die Fraue gab zur Antwort mit gar hochfährtgen Sitten: (748)
 
 
“Und wäre noch so vornehm eines Königs Mann,
Was ihm sein Herr gebietet, das muss doch sein getan.”
Lächeln musste Gunther ihrer Rede da:
Er nahm es nicht als Dienst an, wie oft er Siegfrieden sah. (749)
 
 
Sie sprach: “Lieber Herre, bei der Liebe mein,
Hilf mir, dass Siegfried und die Schwester dein
Zu diesem Land kommen, dass wir sie hier ersehn:
So könnte mir in Wahrheit nimmer lieber geschehn. (750)
 
 
“Deiner Schwester Tugend, ihr wohl gezogner Mut,
So oft ich dran gedenke, wie wohl mirs immer tut;
Wie mir beisammen saßen, als du mich nahmst zum Weib!
Sie mag mit Ehren minnen des kühnen Siegfriedes Leib.” (751)
 
 
Da hat sie ihn so lange bis der König sprach:
“Wisst, dass ich nimmer Gäste lieber sehen mag.
Ihr braucht nicht viel zu bitten: Ich will die Boten mein
Zu ihnen beiden senden, dass sie kommen an den Rhein.” (752)
 
 
Da sprach zu ihm die Königin: So sollt ihr mir sagen,
Wann ihr sie wollt besenden und zu welchen Tagen
Unsre lieben Freunde sollen kommen in dies Land;
Die ihr dahin wollt senden, die macht zuvor mir bekannt.” (753)
 
 
Der König sprach: “Das will ich: Dreißig in meinem Lehn.
Lass ich hinreiten.” Er hieß sie vor sich gehn:
Durch sie entbot er Märe in Siegfriedens Land.
Da beschenkte sie Brunhilde mit manchem reichen Gewand. (754)
 
 
Der König sprach: “Ihr Recken sollt von mir sagen,
Und nichts von dem verschweigen was ich euch aufgetragen,
Siegfried dem Starken und der Schwester mein.
Ihnen dürft auf Erden nimmer jemand holder sein. (755)
 
 
“Und bittet, dass sie beide, uns kommen an den Rhein:
Dafür will ich und Brunhild ihnen stets gewogen sein.
Vor dieser Sonnenwende soll er mit seinem Bann
Hier manchen bei mir schauen, der ihm Ehr erweisen kann. (756)
 
 
Entbietet auch dem König Siegmund die Dienste mein:
Dass ich und meine Freunde ihm stets gewogen sei'n.
Und erbittet meine Schwester, dass sie ihm folgen mag,
Wenn je ihr ziemen solle eines Königs Hofgelag.” (757)
 
 
Brunhild und Ute und was man Frauen fand,
Die entboten ihre Dienste in Siegfriedens Land
Den minniglichen Frauen und manchem kühnen Mann.
Auf Wunsch des Königs schickten zur Fahrt die Boten sich an. (758)
 
 
Sie standen reisefertig; ihr Ross und ihr Gewand
War ihnen angekommen: Da räumten sie das Land.
Sie eilten zu dem Ziele, dahin sie wollten fahren;
Der König durch Geleite hieß die Boten wohl bewahren. (759)
 
 
Sie kamen in drei Wochen geritten in das Land.
In Nibelungens Veste (wohin man sie gesandt)
In der Mark zu Norweg fanden sie den Degen:
Ross und Leute waren müde von den langen Wegen. (760)
 
 
Siegfried und Kriemhilden ward beiden hinterbracht,
Dass Ritter kommen wären, sie trügen solche Tracht
Wie man in Burgonden trug der Sitte nach.
Sie sprang von einem Bette, darauf die Ruhende lag. (761)
 
 
Zu einem Fenster ließ sie eins ihrer Mägdlein gehn;
Die sah den kühnen Gere auf dem Hofe stehn,
Ihn und die Gesellen, die man dahin gesandt
Ihr Herzeleid zu stillen, wie liebe Kunde sie fand! (762)
 
 
Sie sprach zu dem Könige: “Seht ihr sie da stehn,
Die mit dem starken Gere dort auf dem Hofe gehn,
Die uns mein Bruder Gunther nieder schickt den Rhein?”
Da sprach der starke Siegfried: “Die sollen uns willkommen sein.” (763)
 
 
All ihr Ingesinde lief hin, wo man sie sah.
Jeder an seinem Teile gütlich sprach er da
Das Beste was er konnte zu den Boten hehr.
Ihres Kommens freute der König Siegmund sich sehr. (764)
 
 
Da schuf man Herbergen Geren und seinem Bann
Und ließ der Rosse warten. Die Boten gingen dann
Dahin, wo Herr Siegfried bei Kriemhilden saß:
Ihnen war der Hof erlaubet; darum so taten sie das. (765)
 
 
Der Wirt mit seinem Weibe erhob sich gleich zur Hand.
Wohl ward empfangen Gere aus Burgondenland
Mit seinen Heergesellen in König Gunthers Bann.
Gere dem reichen bot man da den Sessel an. (766)
 
 
“Lasst uns die Botschaft sagen, eh wir sitzen gehn:
Uns wegemüde Gäste, lasst uns die Weile stehn.
Wir sagen euch die Märe, die euch zu wissen tut
Gunther mit Brunhilden: Es ergeht beiden gut; (767)
 
 
“Und was euch Frau Ute, eure Mutter, her entbot;
Geiselher der junge und auch Herr Gernot
Und eure nächsten Freunde haben uns hergesandt,
Und entbieten euch viel Dienste aus der Burgonden Land.” (768)
 
 
“Lohn ihnen Gott,” sprach Siegfried, “ich versah zu ihnen wohl
Mich aller Lieb und Treue, wie man zu Freunden soll;
So tut auch ihre Schwester: Ihr sollt uns ferner sagen,
Ob unsre Freunde hohen Mut daheim noch tragen? (769)
 
 
“Hat ihnen seit wir schieden jemand ein Leid getan,
Meiner Frauen Brüdern? Das sagt mir an:
Ich wollt es ihnen immer mit Treue helfen tragen
Bis ihre Widersacher meine Dienste müssten beklagen.” (770)
 
 
Zur Antwort gab der Markgraf Gere ein Ritter gut:
“Sie sind in allen Tugenden so recht voll hohem Mut.
Sie laden euch zum Rheine zu einer Lustbarkeit;
Sie sähen euch gar gerne, dass ihr des außer Zweifel seid. (771)
 
 
“Bittet meine Fraue, sie möge mit euch kommen:
Wenn der Winter wieder ein Ende hat genommen,
Vor dieser Sonnenwende, da möchten sie euch sehn.”
Da sprach der starke Siegfried: “Das kann nicht füglich geschehn.” (772)
 
 
Da sprach wieder Gere von Burgondenland:
“Eure Mutter Ute hat euch sehr gemahnt,
Und Geiselher und Gernot, ihr sollt es nicht versagen;
Dass ihr so ferne wohnet, das hör ich täglich beklagen. (773)
 
 
“Brunhild meine Herrin und ihre Mägdelein
Freuen sich der Märe, und könnt es jemals sein,
Dass sie euch wieder sähen, ihnen schuf es hohen Mut.”
Da däuchten diese Mären die schöne Kriemhilde gut. (774)
 
 
Gere war ihr Vetter: Der Wirt ihn sitzen hieß,
Den Gästen hieß er schenken; nicht länger man das ließ.
Da war auch Siegmund kommen: Als der die Boten sah,
Freundlich sprach der König zu den Burgonden da: (775)
 
 
“Willkommen seid ihr Recken in König Gunthers Bann.
Da sich Kriemhilden zum Weibe gewann
Mein Sohn Siegfried, man sollt euch öfter sehn
Hier in diesem Lande: Das hieß uns Freundschaft zugestehn.” (776)
 
 
Sie sprachen: Wenn er wolle, sie würden gerne kommen.
Ihnen ward mit Freuden die Müdigkeit benommen.
Man ließ die Boten sitzen; Speise man ihnen trug:
Deren schuf da Siegfried seinen Gästen genug. (777)
 
 
Sie mussten da verweilen volle neun Tage.
Darum erhoben endlich die schnellen Ritter Klage,
Dass sie nicht wieder reiten durften in ihr Land.
Da hatte König Siegfried zu seinen Freunden gesandt. (778)
 
 
Er fragte, was sie rieten? Er solle nach dem Rhein:
“Es hat mich entboten Gunther der Schwager mein,
Er und seine Brüder, zu einer Lustbarkeit:
Ich möcht ihm gerne kommen, nur liegt sein Land mir so weit. (779)
 
 
“Sie bitten Kriemhilden mit mir zu ziehn:
Nun ratet, lieben Freunde, wie kommen wir dahin?
Und sollt ich heerfahrten durch dreißig Herren Land,
Gern dienstbereit erwiese sich ihnen Siegfriedens Hand.” (780)
 
 
Da sprachen seine Recken: “Steht euch zur Fahrt der Mut
Nach dem Hofgelage, wir raten was ihr tut:
Ihr sollt mit tausend Recken reiten an den Rhein;
So mögt ihr wohl mit Ehren dort bei den Burgonden sein.” (781)
 
 
Da sprach von Niederlanden der König Siegmund:
“Wollt ihr zum Hofgelage, was tut ihr mirs nicht kund?
Wenn ihr es nicht verschmähet, so reit ich mich euch dar;
Zweihundert Degen führ ich: Damit mehr ich eure Schar.” (782)
 
 
“Wollt ihr mit uns reiten, lieber Vater mein,”
Sprach der kühne Siegfried: “Des will ich fröhlich sein.
Binnen zwölf Tagen räum ich dieses Land.”
Allen die's begehrten gab man da Ross und Gewand. (783)
 
 
Als dem edeln König zur Reise stand der Mut,
Da ließ man wieder reiten die schnellen Degen gut.
Seiner Frauen Brüdern entbot er an den Rhein;
Er wolle herzlich gerne bei ihrem Hofgelage sein. (784)
 
 
Siegfried und Kriemhild gaben, so hörten wir sagen,
So viel diesen Boten, dass es nicht mochten tragen
Die Pferde nach der Heimat: Er war ein reicher Mann.
Ihre starken Säumer trieb man zur Reise fröhlich an. (785)
 
 
Da schuf dem Volke Kleider Siegfried und Siegemund
Eckewart der Markgraf ließ da gleich zur Stund
Frauenkleider suchen, die besten die man fand,
Und irgend mocht erwerben in Siegfriedens ganzem Land. (786)
 
 
Die Sättel und die Schilde man da bereiten ließ.
Den Rittern und den Frauen, die er sich folgen hieß,
Gab man was sie wollten: Zu wünschen blieb nichts mehr.
Er brachte seinen Freunden manchem stolzen Gast daher. (787)
 
 
Nun wandten sich die Boten zurück und eilten sehr.
Da kam von Norwegen Gere, der Degen hehr
Und wurde wohl empfangen: Sie schwangen sich zu Tal
Von Rossen und von Mähren dort vor König Gunthers Saal. (788)
 
 
Die Jungen und die Alten kamen, wie man tut,
Und fragten nach der Märe. Da sprach der Ritter gut:
“Wenn ichs dem König sage, wird es auch euch bekannt.”
Er ging mit den Gesellen dahin, wo er Gunthern fand. (789)
 
 
Der König vor Freude von dem Sessel sprang:
Dass sie so blad gekommen, sagt' ihnen Dank
Brunhild die Schöne. Zu den Boten sprach er da:
“Wie gehabt sich Siegried, von dem mir Liebe viel geschah?” (790)
 
 
Da sprach der kühne Gere: “Er ward der Freude rot,
Er und eure Schwester. So holde Mär entbot
Seinen Freunden wahrlich nie zuvor ein Mann
Als euch König Siegfried und sein Vater hat getan.” (791)
 
 
Da sprach zum Markgrafen des reichen Königs Weib:
“Nun sagt mir, kommt euch Kriemhild? Hat noch ihr schöner Leib
Die hohe Zier behalten, deren sie mochte pflegen?”
Sie wird euch sicher kommen,” sprach da Gere der Degen. (792)
 
 
Ute ließ den Boten gar balde vor sich gehn.
Da war es ohn ihr Fragen wohl an ihr zu verstehn
Was sie zu wissen wünsche: “War Kriemhild noch wohlauf?”
Das sagt' er, und sie komme nach kurzer Stunden Verlauf. (793)
 
 
Auch wurde nicht verhohlen am Hof der Botenfold,
Den ihnen Siegfried schenkte, die Kleider und das Gold:
Die ließ man alle schauen in der drei Fürsten Bann.
Um seine große Milde pries man höchlich den Mann. (794)
 
 
“Er mag wohl,” sprach da Hagen, “mit vollen Händen geben;
Er könnt es nicht verschwenden und sollt er ewig leben.
Den Hort der Nibelungen beschließt des Königs Hand;
Hei! Dass er jemals käme in der Burgonden Land!” (795)
 
 
Das ganze Hofgesinde freute sich dazu,
Dass sie kommen sollten: Da waren spät und früh
Die Herren sehr befließen in der drei Könge Bann:
Gar viel der hohen Sitze man zu errichten begann. (796)
 
 
Haunolt der kühne und Sindold der Degen
Hatten wenig Muße: Sie mussten stündlich pflegen
Des Schenk– und Truchsess-Amtes, und richten manche Bank;
Auch Ortwein war behilflich: Des sagt' ihnen Gunther Dank. (797)
 
 
Rumolt der Küchenmeister, wie herrscht' er in der Zeit
Ob seinen Untertanen! Gar manchen Kessel weit,
Häfen und Pfannen, hei, was man deren fand!
Denen ward da Kost bereitet, die da kamen in das Land. (798)
 
 
* Der Frauen Arbeiten waren auch nicht klein:
Sie zierten ihre Kleider, worauf manch edler Stein.
Des Strahlen ferne glänzten, gewirkt war in das Gold;
Wenn sie die anlegten, ward ihnen männiglich hold. (799)
 

13. Abenteuer
Wie sie zum Hofgelage fuhren

 
All ihr Bemühen lassen wir nun sein
Und sagen wie Frau Kriemhild und ihre Mägdelein
Hin zum Rheine fuhren von Nibelungenland.
Nie trugen Rosse wieder so manches reiche Gewand. (800)
 
 
Viel Saumschreine wurden versendet auf den Wegen;
Da ritt mit seinen Freunden Siegfried der Degen
Und die Königstochter in hoher Freuden Wahn:
Da war es ihnen allen zu großem Leide getan. (801)
 
 
Sie ließen in der Heimat Siegfrieds Kindelein,
Den Sohn der Kriemhilde; das musste wohl so sein.
Aus ihrer Hofreise erwuchs ihm viel Beschwer:
Seinen Vater, seine Mutter er sah das Kindlein nimmermehr. (802)
 
 
Auch ritt mit ihnen dannen Siegmund der König hehr;
Hätt er ahnen können, wie es ihm nachher
Beim Hofgelag erginge, er hätt es nicht gesehn:
Ihm konnt an lieben Freunden größer Leid nicht geschehn. (803)
 
 
Vorausgesandte Boten verhießen sie bei Zeit:
Entgegen ritten ihnen in herrlichem Geleit
Von Utens Freunden viele und König Gunthers Bann:
Der Wirt für seine Gäste sich zu befleißen begann. (804)
 
 
Er ging zu Brunhilden, wo er sie sitzen fand:
“Wie empfing euch meine Schwester, da ihr kamet in dies Land?
So will ich, dass ihr Siegfrieds Gemahl empfangen sollt!”
“Das tu ich,” sprach sie, “gerne: ich bin ihr billiglich hold.” (805)
 
 
Da sprach der reiche König: Sie kommen morgen früh:
Wollt ihr sie empfangen, so greifet balde zu,
Dass sie uns in der Veste nicht überraschen hie:
Mir kamen liebre Gäste wohl noch niemals als sie.” (806)
 
 
Ihre Mägdelein und Frauen ließ sie da zur Hand
Gute Kleider suchen, die besten, die man fand,
Die sollt ihr Ingesinde vor den Gästen tragen:
Das taten sie doch gerne, das mag man für Wahrheit sagen. (807)
 
 
Da eilten auch zu dienen die in Gunthers Lehn;
Alle seine Recken hieß er mit sich gehn.
Da ritt die Königsfraue herrlich hindann;
Da ward den lieben Gästen ein schönes Grüßes getan. (808)
 
 
In wie hohen Freuden da empfing man sie!
Sie däuchte, dass Kriemhilde Frau Brunhilden nie
So wohl empfangen habe in Burgondenland.
Allen die es sahen ward hohe Wonne bekannt. (809)
 
 
Nun war auch Siegfried kommen mit seiner Leute Heer.
Da sah man die Helden sich wenden hin und her
Im Feld allenthalben mit ungezählten Scharen.
Da konnte sich vor Drängen und Stäuben niemand bewahren. (810)
 
 
Als der Wirt des Landes Siegfrieden sah
Und Siegmund den König, wie freundlich sprach er da:
“Nun seid mir hochwillkommen und all den Freunden mein;
Wir wollen hohes Mutes ob eurer Hofreise sein.” (811)
 
 
“Nun lohn euch Gott,” sprach Siegmund, der ehrbegierge Mann,
“Seit sich euch zum Freunde Siegfried gewann,
War es all mein Sinnen, wie ich euch möchte sehn.”
Da sprach der König Gunther: “Nun freut mich, dass es geschehn.” (812)
 
 
Siegfried ward empfangen wie man das wohl gesollt,
Mit viel großen Ehren; ein jeder war ihm hold.
Des half mit Rittersitten Gernot und Geiselher;
Man bot es leiben Gästen so gütlich wohl nimmermehr. (813)
 
 
Nun konnten in der Nähe sich die Königinnen schaun.
Da sah man Sättel ledig: da wurden schöne Fraun
Von der Helden Händen gehoben auf das Gras:
Wer gerne Frauen diente, wie selten der da müßig saß! (814)
 
 
Da gingen zueinander die Frauen minniglich.
Sehr darüber freuten viel der Ritter sich,
Dass der Beiden Grüßen so minniglich erging.
Da sah man manchen Recken der Frauendienste beging. (815)
 
 
Das herrliche Gesinde nahm sich bei der Hand;
Züchtiglich sich neigen man da nicht selten fand
Und minniglich sich küssen viel Frauen wohlgetan.
Das freuten sich zu schauen die in der Könige Bann. (816)
 
 
Sie versäumten sich nicht länger, sie ritten nach der Stadt.
Der Wirt seinen Gästen zu beweisen bat,
Dass man sie gerne sähe in der Burgonden Land.
Manches schöne Kampfspiel man vor den Jungfrauen fand. (817)
 
 
Da ließ von Tronje Hagen und auch Ortewein,
Wie sie gewaltig waren, wohl offenkundig sein;
Was sie gebieten mochten, das wurde gleich getan.
Man sah die lieben Gäste viel Dienst von ihnen empfahn. (818)
 
 
Mancher Schild erhallte vor der Veste Thor
Von Stichen und von Stößen. Lange hielt davor
Der Wirt mit seinen Gästen bevor sie zogen ein:
In Kurzweile mochten die Stunden rasch zerronnen sein. (819)
 
 
Vor den weiten Pallas sie nun in Freuden ritten.
Viel kunstreiche Decken, gut und wohl geschnitten,
Sah man von den Sätteln den Frauen wohlgetan
Allenthalben hangen: Da kamen Diener heran. (820)
 
 
Zu ihrer Ruhe brachte man die Gäste da.
Hin und wieder blicken man Brunhilden sah
Nach Kriemhild der Frauen; schön war sie genug:
Den Glanz noch vor dem Golde ihre hehre Farbe trug. (821)
 
 
Da vernahm man allenthalben zu Wormes in der Stadt
Den Jubel des Gesindes, König Gunther bat
Dankwarten seinen Marschall, er mög es wohl verpflegen:
Da ließ er das Gesinde in gute Herbergen legen. (822)
 
 
Draußen und darinnen beköstigte man sie:
So wohl gewartet wurde fremder Gäste nie.
Was einer wünschen mochte, das war ihm gern gewährt:
So reich war der König, es wurde keinem was verwehrt. (823)
 
 
Man dient' ihnen freundlich und ohn allen Hass.
Der König zu Tische mit seinen Gästen saß;
Siegfrieden ließ man sitzen wie er sonst getan.
Mit ihm ging zu den Stühlen mancher waidliche Mann. (824)
 
 
Zwölfhundert Recken sich an die Tafel hin
Mit ihm zu Tische setzten: Brunhild die Königin
Gedachte, wie ein Dienstmann nicht reicher möge sein.
Noch war sie ihm so günstig, sie ließ ihn gerne gedeihn. (825)
 
 
An jenem Abende, da so der König saß,
Viel reiche Kleider wurden da vom Weine nass;
Wenn die Schenken sollten zu den Tischen gehn,
Da sah man volle Dienste mit großem Fleiße geschehn. (826)
 
 
Wie bei den Gelagen immer Sitte mochte sein,
Ließ man zur Ruhe gehen Fraun und Mägdelein.
Von wannen wer gekommen, der Wirt ihm Sorge trug:
In gütlichen Ehren gab man da jedem genug. (827)
 
 
Als die Nacht zu Ende, sich hob des Tages Schein,
Da sah man aus den Kisten manchen Edelstein
Auf gutem Kleid erglänzen; das schuf der Frauen Hand.
Da ward hervorgesuchet manches schöne Gewand. (828)
 
 
Bevor es völlig tagte, da kamen vor den Saal
Ritter viel und Knechte: da hob sich wieder Schall
Vor einer Frühmesse, die man dem König sang.
So ritten junge Helden, der König sagt' ihnen Dank. (829)
 
 
Da klangen die Posaunen von manchem kräftgen Stoß;
Der Flöten und Trommeten Schallen ward so groß,
Worms die weite Veste gab lauten Widerhall.
Da kamen auf den Rossen die kühnen Helden überall. (830)
 
 
Da hob sich in dem Lande ein hohes Ritterspiel
Von manchem guten Recken: Da sah man ihrer viel,
Deren junge Herzen füllte froher Mut.
Man sah da unter Schilden viel Ritter zierlich und gut. (831)
 
 
Da saß in den Fenstern manch herrliches Weib
Und viel der schönen Maide: Gezieret war ihr Leib.
Da sahen sie turnieren manchen kühnen Mann:
Der Wirt mit seinen Freunden zu reiten selber begann. (832)
 
 
So vertrieben sie die Weile, die däuchte sie nicht lang.
Da lud sie zum Dome mancher Glockenklang:
Den Frauen kamen Rosse, da ritten sie hindann;
Den edeln Königinnen folgte mancher kühne Mann (833)
 
 
Sie stiegen vor dem Münster nieder auf das Gras.
Noch hegte zu den Gästen Brunhilden keinen Hass.
Sie gingen unter Krone in das Münster weit:
Bald schied sich diese Liebe: Das wirkte heftiger Neid. (834)
 
 
Da sie gehört die Messe, sah man sie weiter ziehn
Unter hohen Ehren. Sie gingen heiter hin
Zu des Königs Tischen. Ihre Freude nicht erlag
Bei diesen Lustbarkeiten bis gegen den elften Tag. (835)
 
 
* Die Königin gedachte: “Ich wills nicht länger tragen.
Wie ich es fügen möge, Kriemhilde muss mir sagen
Warum uns doch so lange den Zins versaß ihr Mann:
Der ist doch unser Eigen: Der Frag ich nicht entraten kann.” (836)
 
 
* So harrte sie der Stunde, bis es der Teufel riet,
Dass sie das Hofgelage und die Lust mit Leide schied.
Was ihr lag am Herzen, zu früh nur musst es kommen:
Drum ward in manchen Landen durch sie viel Jammer vernommen. (837)
 

14. Abenteuer
Wie die Königinnen sich schalten

 
Es war vor einer Vesper als man den Schall vernahm,
Der von manchem Recken auf dem Hofe kam:
Sie stellten Ritterspiele Kurzweil halber an.
Da eilten es zu schauen der Frauen viel und mancher Mann. (838)
 
 
Da saßen beisammen die Königinnen reich
Und gedachten zweier Recken, die waren ohne Gleich.
Da sprach die schöne Kriemhild: “Ich hab einen Mann:
Alle diese Reiche wären ihm billig untertan.” (839)
 
 
Da sprach Frau Brunhilde: “Wie könnte das wohl sein?
Wenn anders niemand lebte, als du und er allein,
So möchten ihm die Reiche wohl zu Gebote stehn:
So lange Gunther lebet, so kann es nimmer geschehn.” (840)
 
 
Da sprach Kriemhilde wieder: “Siehst du, wie er steht,
Wie er da so herrlich vor allen Recken geht,
Wie der lichte Vollmond vor den Sternen tut!
Darob mag ich wohl immer tragen fröhlichen Mut.” (841)
 
 
Da sprach Frau Brunhilde: “Dein Mann sei noch so schön,
So waidlich und bieder, so muss doch drüber gehn
Gunther der Recke, der edle Bruder dein:
Der muss vor allen Königen, das wisse du wahrlich, sein.” (842)
 
 
Da sprach Kriemhilde wieder: “So teuer ist mein Mann,
Dass er nicht unverdienet dies Lob von mir gewann.
An gar manchen Dingen ist seine Ehre groß:
Das glaube mir, Brunhilde, er ist wohl Gunthers Genoss!” (843)
 
 
“Das sollst du mir, Kriemhilde, im Argen nicht verstehn,
Es ist auch meine Rede nicht ohne Grund geschehn:
Ich höre es beide sagen, als ich zuerst sie sah,
Und als des Königs Willen in meinen Spielen geschah, (844)
 
 
Und da er meine Minne so ritterlich gewann,
Da sagt' es Siegfried selber, er sei des Königs Mann:
Drum halt ich ihn für eigen, ich hört es ihn gestehn.”
Da sprach die schöne Kriemhild: “So wär mir übel geschehn. (845)
 
 
Wie hätten so geworben die edeln Brüder mein,
Dass ich des Eigenmannes Gemahl sollte sein?
Drum will ich, Brunhilde, gar freundlich dich bitten,
Lass mir zu Lieb die Rede hinfort mit gütlichen Sitten.” (846)
 
 
“Ich kann sie nicht lassen,” die Königin begann;
“Wozu sollt ich entsagen so manchem Rittersmann,
Der uns mit dem Degen zu Dienst ist untertan?”
Die schöne Kriemhilde da sehr zu zürnen begann. (847)
 
 
“Dem musst du wohl entsagen, dass er in der Welt
Dir irgend Dienste leiste. Werter ist der Held
Als mein Bruder Gunther, der Degen unverzagt;
Erlasse mich der Dinge, die du mir jetzo gesagt. (848)
 
 
Auch muss mich immer wundern, wenn er dein Dienstmann ist
Und du ob uns beiden so gewaltig bist,
Warum er dir so lange den Zins verseßen hat?
Deines Übermutes bin ich in Wahrheit nun satt.” (849)
 
 
“Du willst dich überheben,” sprach die Königin,
“Wohlan, ich will doch schauen, ob man dich künftighin
So hoch in Ehren halte als man mich selber tut.”
Da waren beide Frauen in sehr zornigem Mut. (850)
 
 
Da sprach Frau Kriemhilde: “Das wird dir wohl bekannt:
Da du meinen Siegfried dein eigen hast genannt,
So sollen heut die Degen der beiden Könge sehn,
Ob vor des Königs Weibe ich zur Kirche möge gehn. (851)
 
 
“Du musst noch heute schauen, dass ich bin edelfrei,
Und dass mein Mann viel werter als der deine sei;
Auch denk ich, wird mich deshalb niemand Hochmuts zeihn.
Du sollst noch heute schauen, wie die Eigenholdin dein (852)