Zu Hof geht vor den Helden in Burgondenland.
Ich selbst will höher gelten, als man je gekannt
Eine Königstochter, die hier die Krone trug.”
Unter den Frauen hob sich da großen Neides genug. (853)
 
 
Da sprach Brunhilde wieder: “Willst du nicht eigen sein,
So musst du dich scheiden mit den Frauen dein
Von meinem Ingesinde, wenn wir zum Münster gehn.”
Zur Antwort gab Kriemhilde: Das soll in Wahrheit geschehn.” (854)
 
 
“Nun kleidet euch, ihr Maide,” sprach Siegfriedens Weib,
“Ich will hier frei von Schande behalten meinen Leib.
Lasst es heute schauen, besitzt ihr reichen Staat:
Sie soll es noch verleugnen was sie mir vorgehalten hat.” (855)
 
 
Ihnen war das leicht zu raten; sie suchten reiches Kleid.
Bald sah man wohlgezieret viel Fraun und manche Maid.
Da ging mit dem Gesinde des edeln Königs Weib;
Da ward auch wohlgezieret der schönen Kriemhilde Leib, (856)
 
 
Mit dreiundvierzig Maiden, die sie zum Rhein gebracht;
Die trugen lichte Zeuge, in Arabia gemacht.
So kamen zu dem Münster die Mägdlein wohlgetan:
Ihrer harrten vor dem Hause die Degen in Siegfrieds Bann. (857)
 
 
Die Leute nahm es Wunder, warum das geschah,
Dass man die Königinnen so geschieden sah,
Und dass sie nicht zusammen gingen so wie eh.
Das geriet noch manchem Degen zu Sorgen und großem Weh. (858)
 
 
Da stand vor dem Münster König Gunthers Weib:
Da fanden manche Ritter holden Zeitvertreib
Bei den schönen Frauen, die sie da nahmen wahr.
Da kam die schöne Kriemhild mit mancher herrlichen Schar. (859)
 
 
Was Kleider sie getragen eines edeln Ritters Kind,
Gegen ihr Gesinde war alles nur ein Wind.
Sie war so reich an Güte, dass dreißig Königsfraun
Die Pracht nicht zeigen mochten, die an der einen war zu schaun. (860)
 
 
Was man sich wünschen möchte, niemand konnte sagen,
Dass er so reiche Kleider je gesehen tragen,
Als da zur Stunde trugen ihre Mägdlein wohlgetan.
Brunhilden wars zu Leide, sonst hätt es Kriemhild nicht getan. (861)
 
 
Nun kamen sie zusammen vor dem Münster weit.
Die Hausfrau des Königs in ihrem Zorn und Neid
Hieß da mit schnöden Worten Kriemhilden stille stehn:
“Es soll vor Königsweihe die Eigenholdin nicht gehn.” (862)
 
 
Da sprach die schöne Kriemhild, zornig war ihr Mut:
“Hättest du noch geschwiegen, das wär dir leichtlich gut.
Du hast geschändet selber deinen schönen Leib:
Wie mocht eines Mannes Kebse je werden Königesweib?” (863)
 
 
“Wen willst du hier verkebsen?”, sprach des Königs Weib.
“Das tu ich dich,” sprach Kriemhild: “Deinen schönen Leib
hat Siegfried erst geminnet, mein viel lieber Mann:
Wohl war es nicht mein Bruder, der dir dein Magdtum abgewann. (864)
 
 
“Wo blieben deine Sinne? Es war eine arge List,
Dass du ihn ließest minnen, wenn er dein Dienstmann ist.
Ich höre dich,” sprach Kriemhild, “ohn alle Ursach klagen.”
“In Wahrheit,” sprach Brunhilde, “was will ich doch Gunthern sagen.” (865)
 
 
“Wie mag mich das gefährden? Dich hat dein Stolz betrogen:
Du hast mich mit Reden in deinen Dienst gezogen.
Das wisse du in Treuen, es ist mir immer leid:
Ich bin zu trauter Freundschaft dir nimmer wieder bereit.” (866)
 
 
Da weinte Brunhilde; Kriemhild es nicht verhing,
Vor des Königs Weibe sie in das Münster ging
Mit ihrem Ingesinde. Da hob sich großer Hass;
Es wurden lichte Augen sehr getrübt davon und nass. (867)
 
 
Wie man da Gott auch diente, was man immer sang,
Es währte Brunhilden die Weile viel zu lang,
Denn ihr war allzutrübe der Sinn und auch der Mut:
Das musste bald entgelten mancher Degen kühn und gut. (868)
 
 
Brunhild mit ihren Frauen ging vor das Münster stehn.
Sie dacht: “Ich muss von Kriemhild noch mehr zu hören sehn,
Wes mich so laut geziehn hat das wortscharfe Weib:
Und hat er sichs gerühmet, es geht ihm warhlich an den Leib!” (869)
 
 
Da kam die edle Kriemhild mit manchem kühnen Mann.
Da sprach die edle Brunhild: “Nun haltet wieder an;
Ihr wolltet mich verkebsen: Lasst uns Beweise sehn.
Mir ist von euern Reden, das wisset, übel geschehn.” (870)
 
 
Da sprach Frau Kriemhilde: Was ließt ihr mich nicht gehn?
Ich bezeug es mitdem Golde, das an meiner Hand zu sehn.
Das brachte mir Siegfried, als er bei euch lag.”
Nie erlebte Brunhild wohl einen leidigern Tag. (871)
 
 
Sie sprach: “Dies Gold, das edle, wurde mir gestohlen
Und ist mir lange Jahre freventlich verhohlen:
Ich komme nun dahinter, wer es mir hat genommen.”
Die Frauen waren beide in großen Unmut gekommen. (872)
 
 
Da sprach wieder Kriemhild: “Ich will nicht sein der Dieb;
Du hättest schweigen sollen, wär dir Ehre lieb:
Ich bezeug es mit dem Gürtel, den ich umgetan,
Ich habe nicht gelogen: Wohl wurde Siegfried dein Mann.” (873)
 
 
Aus Seide von Ninnive sie eine Borte trug
Besetzt mit Edelsteinen, die war wohl schön genug.
Als Brunhild sie erblickte, zu weinen hub sie an.
Das musste Gunther wissen, und alle die ihm untertan. (874)
 
 
Da sprach die Königstochter: “Nun sendet mir hierher
Den König vom Rheine: Erfahren soll es der,
Wie hier seine Schwester höhnte meinen Leib:
Sie sagt vor allen Leuten, ich sei Siegfriedens Weib.” (875)
 
 
Der König kam mit Recken: Als er weinen sah
Brunhilde seine Traute, gar gütlich sprach er da:
“Sagt mir, liebe Fraue, ist euch ein Leid geschehn?”
Sie sprach zu dem Könige: “Ich muss unfröhlich hier stehn. (876)
 
 
“Aller meiner Ehre will die Schwester dein
Gerne mich berauben; dir soll geklaget sein,
Sie sagt: Ich sei die Kebse von Siegfried ihrem Mann.”
Da sprach König Gunther: “So hat sie übel getan.” (877)
 
 
“Sie trägt hier meinen Gürtel, den ich längst verloren,
Und mein Gold das rote. Dass ich je ward geboren
Muss ich sehr beklagen. Entlädst du König hehr
Mich nicht der großen Schande, so minn ich dich nimmer mehr.” (878)
 
 
Da sprach König Gunther: “Lasst Siegfried zu uns gehn.
Hat er sichs gerühmet, so muss ers eingestehn,
Oder muss es leugnen, der Held aus Niederland.”
Da ward der kühne Siegfried bald hin zu ihnen gesandt. (879)
 
 
Als Siegfried der Degen die Unmutvollen sah,
Und von dem Grund nicht wusste, balde sprach er da:
“Was weinen diese Frauen? Das macht mir doch bekannt:
Oder wessentwillen habt ihr Herrn nach mir gesandt?” (880)
 
 
Da sprach König Gunther: “Groß Herzleid sind ich hier.
Eine Märe sagte meine Frau Brunhilde mir:
Du hast dich gerühmet, du wärst ihr erster Mann;
So spricht dein Weib Kriemhilde: Hast du Degen das getan?” (881)
 
 
“Niemals,” sprach da Siegfried; “und hat sie das gesagt,
Nicht eher will ich ruhen, bis sie es schwer beklagt;
Auch will ich es erhärten vor deinem ganzen Bann
Mit meinen hohen Eiden, dass ich die Rede nicht getan.” (882)
 
 
Da sprach der Fürst vom Rheine: “Wohlan, das zeige mir:
Der Eid, den du geboten, geschieht der gleich allhier,
Aller falschen Dinge lass ich dich ledig gehn.”
Man sah in einem Ringe die von Burgonden stehn. (883)
 
 
Da bot der kühne Siegfried zum Eide bin die Hand.
Da sprach der reiche König: “Jetzt hab ich wohl erkannt,
Dass ihr hieran unschuldig; ihr sollt des ledig gehn:
Des euch zieh Kriemhilde, es ist nicht von euch geschehen.” (884)
 
 
Da sprach wieder Siegfried: “Und kommt es ihr zu Gut,
Dass deinem schönen Weibe sie so betrübt den Mut,
Das wäre mir wahrlich aus der Maßen leid.”
Da blickten zueinander die Ritter kühn udn allbereit. (885)
 
 
“Man soll so Frauen ziehen,” sprach Siegfried der Degen,
“Dass sie üppge Reden lassen unterwegen;
Verbiet es deinem Weibe, ich will es meinem tun.
Solchen Übermutes in Wahrheit schäm ich mich nun.” (886)
 
 
Viel schöne Frauen wurden durch Reden schon entzweit.
Da zeigte Brunhilde solche Traurigkeit,
Dass es erbarmen musste die in Gunthers Bann:
Da kam von Tronje Hagen zu der Königin heran. (887)
 
 
Er fragte was ihr wäre, weil er sie weinend fand;
Sie sagt' ihm die Märe. Er gelobt' ihr gleich zur Hand,
Dass es büßen solle der Kriemhilde Mann,
Oder amn treff ihn nimmer unter Fröhlichen an. (888)
 
 
Über die Rede kamen Ortwein und Gernot,
Allda die Helden rieten zu Siegfriedens Tod.
Dazu kam auch Geiselher, der schöne Ute Kind.
Als er die Rede hörte, sprach der Getreue geschwind: (889)
 
 
“Weh, ihr guten Recken, warum tut ihr das?
Siegfried ja verdiente niemals solchen Hass,
Dass er darum verlieren Leben sollt und Leib:
Auch sind es viel Dinge, um die wohl zürnet ein Weib.” (890)
 
 
“Sollen wir Gäuche ziehen?”, sprach Hagen dagegen,
“Das brächte wenig Ehre solchen guten Degen.
Dass er sich rühmen durfte der lieben Frauen mein,
cih will des Todes sterben oder es muss gerochen sein.” (891)
 
 
Da sprach der König selber: “Er hat uns nichts getan
Außer Lieb und Ehre: So leb er denn fortan.
Was sollt ich denn dem Recken hegen solchen Hass?
Er zeigt uns immer Treue, gar williglich tat er das.” (892)
 
 
Da begann von Metze der Degen Ortwein:
“Wohl kann ihm hier nicht helfen die große Stärke sein.
Erlaubt es mir mein Herre, ich tu ihm alles Leid.”
Da waren ihm die Helden ohne Grund zu schaden bereit. (893)
 
 
Dem folgte dennoch niemand, außer dass Hagen
Alle Tage pflegte zu Gunthern zu sagen:
“Wenn Siegfried nicht mehr lebte, ihm würden untertan
Manches Königs Lande.” Da fing der Held zu trauern an. (894)
 
 
Da ließ man es bewenden und ging dem Kampfspiel nach.
Hei! Was man starker Schäfte vor dem Münster brach
Vor Siegfriedens Weibe bis an den Saal hinan!
Darüber kam in Unmut mancher Held in Gunthers Bann. (895)
 
 
Der König sprach: “Lasst fahren den mordlichen Zorn.
Er ist uns zu Ehren und zum Heil geborn:
Auch ist so stark und grimmig der wunderkühne Mann,
Wenn ers inne würde, so dürfte niemand ihm nahn.” (896)
 
 
“Nicht doch,” sprach Hagen, “da dürft ihr ruhig sein:
Wir leiten in der Stille alles sorglich ein.
Brunhildens Weinen soll ihm werden leid:
Immer sei ihm Hagen zu Hass und Schaden bereit.” (897)
 
 
Da sprach König Gunther: “Wie möchte das geschehn?”
Zur Antwort gab ihm Hagen: “Das sollt ihr bald verstehn:
Wir lassen Boten reiten her in dieses Land,
Uns offnen Krieg zu künden, die hier niemand sind bekannt. (898)
 
 
“Dann sagt ihr vor den Gästen, ihr wollt mit euerm Lehn
Euch zur Heerfahrt rüsten. Sieht er das geschehn,
So verspricht er euch zu helfen; dann gehts ihm an den Leib,
Erfahr ich nur die Märe von des kühnen Recken Weib.” (899)
 
 
Der König folgte leider seines Dienstmanns Rat
So huben an zu sinnen Auf Untreu und Verrat,
Eh es wer erkannte, die Ritter auserkoren:
Durch zweier Frauen Zürnen ging da mancher Held verloren. (900)
 

15. Abenteuer
Wie Siegfried verraten ward

 
Man sah am vierten Morgen zweiunddreißig Mann
Hin zu Hofe reiten da ward es kund getan
Gunther dem reichen, es gelt ihm Krieg und Streit.
Die Lüge schuf den Frauen großen Jammer und Leid. (901)
 
 
Sie gewannen Urlaub an den Hof zu gehn.
Da sagten sie, sie ständen in Lüdegers Lehn,
Den einst bezwungen hatte Siegfriedens Hand
Und ihn als Geisel brachte König Gunthern in das Land. (902)
 
 
Die Boten er begrüßte und hieß sie sitzen gehn.
Einer sprach darunter: “Herr König, lasst uns stehn,
Dass wir die Mären sagen, die euch entboten sind:
Wohl habt ihr zu Feinden, das wisset, mancher Mutter Kind. (903)
 
 
“Euch widersagt Lüdegast und auch Lüdeger:
Denen schuft ihr weiland grimmige Beschwer;
Nun wollen sie mit Heereskraft reiten in dies Land.”
Der Fürst begann zu zürnen, als ihm die Märe ward bekannt. (904)
 
 
Man ließ die falschen Boten zu den Herbergen gehn.
Wie mochte wohl Siegfried der Tücke sich versehn,
Er oder anders jemand, die man so heimlich spann?
Doch war es ihnen selber zu großem Leide getan. (905)
 
 
Der König mit den Freunden ging raunend ab und zu;
Herr Hagen von Tronje ließ ihm keine Ruh.
Noch wollt es mancher wenden in des Königs Lehn;
Doch nicht vermocht er Hagen von seinen Räten abzustehn. (906)
 
 
Eines Tages Siegfried die Degen raunend fand.
Da begann zu fragen der Held von Niederland:
“Wie traurig geht der König und die in seinem Bann?
Das helf ich immer rächen, hat ihnen jemand Leid getan.” (907)
 
 
Da sprach König Gunther: “Wohl hab ich Herzeleid:
Lüdegast und Lüdeger drohn mir Krieg und Streit.
Mit Heerfahrten wollen sie reiten in mein Land.”
Da sprach der kühne Degen: “Dem soll Siegfriedens Hand (908)
 
 
Nach allen euern Ehren mit Kräften widerstehn;
Von mir geschieht den Recken was ihnen einst geschehn:
Ihre Burgen leg ich wüste und dazu ihr Land
Eh ich ablasse: Des sei mein Haupt euer Pfand. (909)
 
 
Ihr mit euern Recken nehmt der Heimat wahr;
Lasst mich zu ihnen reiten mit meiner Leute Schar.
Dass ich euch gerne diene, lass ich euch wohl sehn;
Von mir soll euern Feinden, das wisset, übel geschehn.” (910)
 
 
“O wohl mir dieser Märe,” der König sprach da so,
Als wär er seiner Hilfe alles Ernstes froh;
Tief neigte sich in Falschheit der ungetreue Mann.
Da sprach der Herre Siegfried: “Lasst euch wenig Sorge nahn.” (911)
 
 
Sie schickten mit den Knechten zu der Fahrt sich an:
Siegfrieden und den seinen ward es zum Schein getan.
Da gebot er sich zu rüsten denen von Niederland:
Siegfriedens Recken suchten ihr Streitgewand. (912)
 
 
Da sprach der starke Siegfried: “Mein Vater Siegmund,
Bleibet hier im Lande: Wir kehren bald gesund,
Wenn Gott uns Glück verleihet, wieder an den Rhein:
Ihr sollt bei dem König unterdessen fröhlich sein.” (913)
 
 
Da wollten sie von dannen: Die Fahnen band man an.
Da waren wohl manche in König Gunthers Bann,
Die nicht die Märe wussten, warum es war geschehn.
Groß Heergesinde mochte man da bei Siegfrieden sehn. (914)
 
 
Die Panzer und die Helme man auf die Rosse lud;
Es wollten aus dem Lande viel starke Ritter gut.
Da ging von Tronje Hagen hin wo er Kriemhild fand;
Er bat sie um den Urlaub; sie wollten räumen das Land. (915)
 
 
“Wohl mir,” sprach Kriemhilde, “dass ich den Mann gewann,
Der meine lieben Freunde so wohl beschützen kann
Wie mein Herre Siegfried tut an den Brüdern mein:
Drum will ich hohen Mutes,” so sprach die Königin, “sein (916)
 
 
Lieber Freund Hagen, bedenk mir nun auch das,
Ich dien ihnen gerne, trug ihnen niemals Hass.
Das lass mich auch genießen an meinem lieben Mann;
Er soll es nicht entgelten was ich Brunhilden getan. (917)
 
 
Das hat mich schon gereuet,” so sprach das edle Weib,
“Auch hat er so zerbleuet zur Strafe meinen Leib,
Dass ich es je geredet, beschwerte seinen Mut:
Er hat es wohl gerochen, dieser Degen kühn und gut.” (918)
 
 
Da sprach er: “Ihr versöhnet euch wohl nach wenig Tagen,
Kriemhilde, liebe Fraue, nun sollt ihr mir sagen,
Wie ich euch dienen möge an Siegfried euerm Herrn;
Ich gönn es niemand besser, und tu es, Königin, gern.” (919)
 
 
“Ich wär ohn alle Sorge,” so sprach das edle Weib,
“Dass wer im Kampf ihm nähme das Leben und den Leib;
Wenn er nicht folgen wollte seinem Übermut,
So wär er immer sicher, dieser Degen kühn und gut.” (920)
 
 
“Wenn ihr besorget, Fraue,” Hagen da begann,
“Dass er verwundet werde, so vertrauet mir an,
Wie soll ich es beginnen, dem zu widerstehn?
Ihn zu schirmen will ich immer bei ihm reiten und gehn.” (921)
 
 
“Du bist mein Verwandter, so will ich deine sein:
Ich befehle dir auf Treue den lieben Gatten mein;
Dass du wohl behütest mir den lieben Mann.”
Was besser wär verschwiegen vertraute sie da ihm an. (922)
 
 
Die sprach: “Mein Mann ist tapfer, dazu auch stark genug.
Als er den Linddrachen an dem Berge schlug,
Da badete sich im Blute der Degen allbereit,
Daher ihn keine Waffe je versehren mocht im Streit. (923)
 
 
“Jedoch bin ich in Sorgen, wenn er im Sturme steht
Und von der Helden Händen mancher Speerwurf geht,
Dass ich dann verliere meinen lieben Mann.
Hei! Was ich großer Sorgen oft um Siegfried gewann! (924)
 
 
“Mein lieber Freund, ich meld es nun auf Gnade dir,
Auf dass du deine Treue bewähren magst an mir,
Wo man kann verwunden meinen lieben Mann.
Das sollst du nun vernehmen: Es ist auf Gnade getan. (925)
 
 
Als von des Drachen Wunden floss das heiße Blut,
Da badet' in dem Blute sich der Ritter gut:
Da fiel ihm auf die Achsel ein Lindenblatt gar breit:
Da kann man ihn verwunden, das schafft mir Sorgen und Leid.” (926)
 
 
Da sprach von Tronje Hagen: “So näht auf sein Gewand
Mir ein kleines Zeichen: Daran ist mir bekannt,
Wo ich sein hüten müsste, wenn wir in Stürmen stehn.”
Sie wollte sein Leben fristen: Auf seinen Tod wars abgesehn. (927)
 
 
Sie sprach: “Mit feiner Seide näh ich auf sein Gewand
Insgeheim ein Kreuzchen: Da soll, Held, deine Hand
Meinen Mann beschirmen, wenns ins Gedränge geht,
Und wenn er in den Stürmen dann vor seinen Feinden steht.” (928)
 
 
“Das tu ich,” sprach da Hagen, “viel liebe Fraue mein.”
Wohl wähnte da die Königin, sein Frommen sollt es sein:
Da war hiemit verraten der Kriemhilde Mann.
Urlaub nahm da Hagen: Da ging er fröhlich hindann. (929)
 
 
* Was er erfahrne hätte? Bat ihn sein Herr zu sagen.
“Ich will die Reise wenden, wir wollen reiten jagen;
Wohl weiß ich nun die Märe, wie ich ihn töten soll.
Wollt ihr die Jagd bestellen?” “Das tu ich,” sprach der König, “wohl.” (930)
 
 
Des Königs Ingesinde war froh und wohlgemut.
Gewiss, dass solche Bosheit kein Recke wieder tut
Bis zum jüngsten Tage, als da von ihm geschah,
Als sich seiner Treue die schöne Königin versah. (931)
 
 
Am folgenden Morgen mit tausend Mannen gut
Ritt der Degen Siegfried davon mit frohem Mut:
Er wähnt', er solle rächen seiner Freunde Leid.
So nahe ritt ihm Hagen, dass er beschaute sein Kleid. (932)
 
 
Als er ersah das Zeichen, da schickt' er ungesehn,
Andre Mär zu bringen, zwei aus seinem Lehn:
In Frieden solle bleiben König Gunthers Land;
Es habe sie Lüdeger zu dem Könige gesandt. (933)
 
 
Wie ungerne Siegfried abließ von dem Streit,
Eh er gerochen hatte seiner Freunde Leid!
Kaum hielten ihn zurücke die in Gunthers Bann.
Da ritt er zu dem König, der ihm zu danken begann. (934)
 
 
“Nun lohn euch, Freund Siegfried, den guten Willen Gott,
Dass ihr so gerne tatet was ich mir wähnte Not;
Das will ich euch vergelten, wie ich billig soll.
vor allen meinen Freunden vertrau ich euch immer wohl. (935)
 
 
“Da wir des Heerzugs uns so entledigt sehn,
So rat ich, dass wir Bären und Schweine jagen gehn
Nach dem Wasgauwalde, wie ich oft getan.”
Das hatte Hagen geraten, dieser ungetreue Mann. (936)
 
 
“Allen meinen Gästen soll man das nun sagen,
Ich denke früh zu reiten: Die mit mir wollen jagen,
Dass sie sich fertig halten; die aber hier bestehn,
Kurzweilen mit den Frauen: So sei mir Liebes geschehn.” (937)
 
 
Mit herrlichen Sitten sprach da Siegfried:
“Wenn ihr jagen reitet, da will ich gerne mit.
So sollt ihr mir leihen einen Jägersmann
Mit etlichen Bracken; so reit ich mit euch in den Tann.” (938)
 
 
“Wollt ihr nur einen?”, fragte der König gleich zur Hand:
“Ich leid euch, wollt ihr, viere, denen wohlbekannt
Der Wald ist und die Steige, wo viel Wildes ist,
Dass ihr nicht waldverwiesen zu den Herbergen reiten müsst.” (939)
 
 
Da ritt zu seinem Weibe der Degen unverzagt.
Derweilen hatte Hagen dem Könige gesagt,
Wie er verderben wolle den tapferlichen Degen:
So großer Untreue sollt ein Mann nimmer pflegen. (940)
 
 
*Als die Ungetreuen geschaffen seinen Tod,
Da wussten sie es alle. Geiselher und Gernot
Wollten nicht mitjagen. Weiß nicht aus welchem Groll
sie ihn nicht gewarnet; doch des entgalten sie voll. (941)
 

16. Abenteuer
Wie Siegfried erschlagen ward

 
Gunther und Hagen, die Recken wohlgetan,
Berieten mit Untreuen ein Brischen in den Tann.
Mit ihren scharfen Spießen wollten sie jagen gehn
Bären, Schwein und Büffel: Was konnte Kühnres geschehn? (942)
 
 
Da ritt auch mit ihnen Siegfried mit stolzem Sinn.
Man bracht ihnen Speise mancherlei dahin.
An einem kalten Brunnen verlor er bald den Leib:
Brunhild hat es geraten, Gunter des Königs Weib. (943)
 
 
Da ging der kühne Degen, wo er Kriemhilden fand.
Schon war aufgesäumt das edle Birschgewand
Für ihn und die Gesellen: Sie wollten über Rhein.
Da konnte Kriemhilden nicht übler zu Mute sein. (944)
 
 
Seine liebe Tante küsst' er an den Mund:
“Gott lasse mich dich, Fraue, noch wieder sehn gesund,
Und mich auch deine Augen; mit holden Freunden dein
Verkürze dir die Stunden; ich kann nun nicht bei dir sein.” (945)
 
 
Da gedachte sie der Märe, sie durft es ihm nicht sagen,
Die sie Hagen sagte: Da begann zu klagen
Die edle Königstochter, dass sie je geboren ward:
Ohne Maßen weinte die wunderschöne Fraue zart. (946)
 
 
Sie sprach zu dem Recken: “Lasst euer Jagen sein:
Mir träumte heunt von Leide, wie euch zwei wilde Schwein
Auf der Haide jagten: Da wurden Blumen rot.
Dass ich so bitter weine, das tut mir sicherlich Not. (947)
 
 
Ich fürchte sehr und bange vor etlicher Verrat.
Hier sind gewisslich welche, die man erzürnet hat:
Die könnten uns verfolgen mit feindlichem Hass.
Bleibt hier, mein lieber Herre, mit Treue rat ich euch das.” (948)
 
 
“Meine liebe Traute, ich kehr in kurzer Zeit;
Ich weiß nicht, dass hier Jemand mit Hass trüg oder Neid.
Alle deine Freunde sind insgemein mir hold;
Auch verdient ich von den Degen wohl nimmer anderlei Sold.” (949)
 
 
“Nicht doch, lieber Siegfried, wohl fürcht ich deinen Fall.
Mir träumte heunt von Leide, wie über dir zu Tal
Fielen zwei Berge, dass ich dich nie wieder sah:
Und willst du von mir scheiden, das geht mir inniglich nah.” (950)
 
 
Er umfing mit Armen das tugendreiche Weib,
Mit holdem Kusse herzt' er ihren schönen Leib.
Da nahm er Urlaub und schied in kurzer Stund:
Sie ersah ihn leider darnach nicht wieder gesund. (951)
 
 
Da ritten sie von dannen in einem tiefen Tann.
Der Kurzweil willen folgte manch kühner Rittersmann
Gunthern dem Könige und Siegfrieden nach.
Geiselher der Ruhe daheim mit Gernoten pflag. (952)
 
 
Manch Saumross zog beladen vor ihnen überrhein,
Das den Jagdgesellen das Brot trug und den Wein,
Das Fleisch mit den Fischen und Speise mancher Art,
Wie sie ein reicher König wohl haben mag auf der Fahrt. (953)
 
 
Da ließ man herbergen bei dem Walde grün
Vor des Wildes Wechseln die stolzen Jäger kühn,
Als sie da jagen wollten, auf breitem Angergrund.
Da war auch Siegfried kommen: Das ward dem Könige kund. (954)
 
 
Von den Jagdgesellen ward umhergestellt
Die Wart an allen Enden: Da sprach der kühne Held,
Siegfried der starke: “Wer soll uns in den Tann
Nach dem Wilde weisen? Ihr Degen kühn und wohlgetan.” (955)
 
 
“Wollen wir uns scheiden,” hub da Hagen an,
“Ehe wir beginnen zu jagen hier im Tann?
So mögen wir erkennen, ich und die Herren mein,
Wer die besten Jäger bei dieser Waldreise sei'n. (956)
 
 
Die Leute und die Hunde, wir teilen uns darein:
Dann fährt, wohin ihn lüstet, jeglicher allein,
Und wer das Beste jagte, dem sagen alle Dank.”
Da weilten die Jäger beieinander nicht mehr lang. (957)
 
 
Da sprach der Herre Siegfried: “Der Hunde hab ich Rat,
Ich will nur einen Bracken, der so genossen hat,
Dass er des Wildes Fährte spüre durch den Tann:
Wir kommen wohl zum Jagen!”, so sprach der Kriemhilde Mann. (958)
 
 
Da nahm ein alter Jäger einen Spürhund
Und brachte den Herren in einer kurzen Stund,
Wo sie viel Wildes fanden: Was des vertrieben ward,
Da erjagten die Gesellen, wie heut noch guter Jäger Art. (959)
 
 
Was da der Bracke scheuchte, das schlug mit seiner Hand
Siegfried der kühne, der Held von Niederland.
Sein Ross lief so geschwinde, dass ihm nicht viel entrann:
Das Lob er bei dem Jagen vor ihnen allen gewann. (960)
 
 
Er war in allen Dingen mannhaft genug.
Das Erste von den Tieren, die er zu Tode schlug,
Das war ein starkes Halbschwein, mit eigener Hand;
Nicht lang darauf der Degen einen ungefügen Leuen fand. (961)
 
 
Als den Bracke scheuchte, schoss er ihn mit dem Bogen
Und dem scharfen Pfeile, den er darauf gezogen;
Der Leu lief nach dem Schusse kaum dreier Sprünge lang.
Seine Jagdgesellen, die sagten Siegfrieden Dank. (962)
 
 
Darnach schlug er wieder einen Büffel und einen Elk,
Vier starker Auer nieder und einen grimmen Schelk.
So schnell trug ihn die Mähre, dass ihm nichts entsprang:
Hinden und Hirsche wurden viele sein Fang. (963)
 
 
Einen großen Eber trieb der Spürhund auf,
Als der flüchtig wurde, da kam in schnellem Lauf
Derselbe Jagdmeister und nahm ihn wohl aufs Korn:
Anlief den kühnen Degen der Eber in großem Zorn. (964)
 
 
Da schlug ihn mit dem Schwerte der Kriemhilde Mann:
Das hätt ein andrer Jäger nicht so leicht getan.
Als er ihn gefället, fing man den Spürhund.
Da ward sein reiches Jagen den Burgonden alle kund. (965)
 
 
* Da sprachen seine Jäger: “Kann es füglich sein,
So lasst uns, Herr Siegfried, des Wildes ein Teil gedeihn:
Ihr wollt uns heute leeren den Berg und auch den Tann.”
Darob begann zu lächeln der Degen kühn und wohlgetan. (966)
 
 
Da vernahm man allenthalben Lärmen und Getos.
Von Leuten und von Hunden ward der Schall so groß,
Man hörte widerhallen den Berg und auch den Tann.
Vierundzwanzig Hunde hatten die Jäger losgetan, (967)
 
 
Da wurde viel des Wildes vom grimmen Tod ereilt.
Sie wähnten es zu fügen, dass ihnen zugeteilt
Der Preis des Jagens würde: Das konnte nicht geschehn,
Als bei der Feuerstätte der starke Siegfried ward gesehn. (968)
 
 
Die Jagd war zu Ende, und doch nicht ganz und gar.
Die zu der Herberg wollten brachten mit sich dar
Häute mancher Tiere, dazu des Wilds genug.
Hei! Was man zur Küche vor das Ingesinde trug! (969)
 
 
Da ließ der König künden den Jägern wohl geborn
Dass er zum Imbiss wolle; da wurde laut ins Horn
Einmal gestoßen: Also ward bekannt,
Dass man den edeln Fürsten bei den Herbergen fand. (970)
 
 
* Da sprach ein Jäger Siegfrieds: “Herr, ich hab vernommen
An eines Hornes Schalle, wir sollen nun kommen
Zu den Herbergen: Erwiedr ichs, das behagt.”
Da ward nach den Gesellen mit Blasen lange gefragt. (971)
 
 
Da sprach König Siegfried: “Nun räumen wir den Wald.”
Sein Ross trug ihn eben, die andern folgten bald.
Sie verscheuchten mit dem Schalle ein Waldtier fürchterlich.
Einen wilden Bären; da sprach der Degen hinter sich: (972)
 
 
“Ich schaff uns Jagdgesellen eine Kurzweil.
Da seh ich einen Bären: Den Bracken löst vom Seil.
Zu den Herbergen soll mit uns der Bär:
Er kann uns nicht entrinnen und flöh er auch noch so sehr.” (973)
 
 
Da lös'ten sie den Bracken, gleich sprang der Bär hindann.
Da wollt ihn erreiten der Kriemhilde Mann.
Er fiel in ein Geklüfte: Da konnt er ihm nicht bei:
Das starke Tier wähnte von den Jägern schon sich frei. (974)
 
 
Da sprang von seinem Rosse der stolze Ritter gut
Und begann ihm nachzulaufen. Das Tier war ohne Hut,
Es konnt ihm nicht entrinnen; er fing es allzuhand.
Ohn es zu verwunden der Degen eilig es band (975)
 
 
Kratzen oder beißen konnt es nicht den Mann.
Er band es auf den Sattel: aufsaß der Schnelle dann:
Er bracht es zu dem Herde in seinem hohen Mut
Zu einer Kurzweile, der Degen edel und gut. (976)
 
 
Er ritt zur Herberge in welcher Herrlichkeit!
Sein Spieß war ungefüge, stark dazu und breit;
Eine schmucke Waffe hing ihm herab bis auf den Sporn;
Von rotem Golde führte der Degen ein schönes Horn. (977)
 
 
Von besserm Birschgewande hört ich niemals sagen.
Einen Rock von schwarzem Zeuche sah man ihn tragen
Und einen Hut von Zobel, reich war der genug.
Hei! Was für Borten an seinem Köcher er trug! (978)
 
 
Von einem Panther war darüber gezogen
Ein Vließ des Ruches wegen. Auch trug er einen Bogen,
Den man mit einer Winde musste ziehen an,
Wenn man ihn spannen wollte, er hätte es selbst denn getan. (979)
 
 
Von der Haut des Luchses war alle sein Gewand,
Das man von Kopf zu Füßen bunt überstreuet fand.
Aus dem lichten Rauchwerk zu beiden Seiten hold
Schien an dem kühnen Jäger manche Borte von Gold. (980)
 
 
Auch führt' er Balmungen, das breite schmucke Schwert:
Das war scharf und schneidig, nichts bleib unversehrt;
Wenn man es schlug auf Helme; seine Seiten waren gut.
Der herrliche Jäger, der trug gar hoch seinen Mut. (981)
 
 
Weil ich euch der Märe ganz bescheiden soll,
So war sein edler Köcher guter Pfeile voll,
Mit goldenen Röhren, die Eisen händebreit.
Wen er damit getroffen, dem war das Ende nicht weit. (982)
 
 
Da ritt der edle Degen waidlich aus dem Tann,
Ihn sahen zu sich kommen die in Gunthers Bann.
Sie liefen ihm entgegen und hielten ihm das Ross:
Da führt er auf dem Sattel einen Bären stark und groß. (983)
 
 
Als er vom Ross gestiegen, lös't er ihm das Band
Vom Mund und von den Füßen: Die Hunde gleich zur Hand
Begannen laut zu heulen, als sie den Bären sahn.
Das Tier zum Walde wollte: Das erschreckte manchen Mann. (984)
 
 
Der Bär in die Küche von dem Lärm geriet;
Hei! Was er von dem Feuer der Küchenknechte schied!
Gerückt ward mancher Kessel, zerzerret mancher Brand;
Hei! Was man guter Speisen in der Asche liegen fand! (985)
 
 
Da sprangen von den Sitzen die Herren und ihr Bann.
Der Bär begann zu zürnen; der König wies sie an
Der Hunde Schar zu lösen, die an den Seilen lag;
Und wär es wohl geendet, sie hätten fröhlichen Tag. (986)
 
 
Mit Bogen und mit Spießen, man versäumte sich nicht mehr,
Liefen hin die Schnellen, wo da ging der Bär;
Doch wollte niemand schießen, von Hunden wars zu voll.
So laut ward das Getöse, dass rings der Bergwald erscholl. (987)
 
 
Der Bär begann zu fliehen vor der Hunde Zahl;
Ihm konnte niemand folgen als Kriemhilds Gemahl.
Er erlief ihn mit dem Schwerte, zu Tod er ihn da schlug,
wieder zu dem Feuer das Gesind den Bären trug. (988)
 
 
Da sprachen die es sahen, er wär ein starker Mann.
Die stolzen Jagdgesellen rief man zu Tisch heran:
Auf schönem Anger saßen ihrer da genug.
Hei! Was man Ritterspeise vor die stolzen Jäger trug! (989)
 
 
Die Schenken waren säumig, sie brachten nicht den Wein:
So gut bedient mochten sonst Helden nimmer sein.
Wären ihrer manche nicht so falsch dabei,
So wären wohl die Recken aller Schanden bar und frei. (990)
 
 
Da sprach König Siegfried: “Mich verwundert sehr,
Man bringt uns aus der Küche doch so viel daher,
Was bringen uns die Schenken nicht dazu den Wein?
Pflegt man so der Jäger, will ich nicht Jagdgeselle sein. (991)
 
 
“Ich hätt es wohl verdienet, bedächte man mich gut.”
Von seinem Tisch der König sprach mit falschem Mut:
“Man soll euch künftig büßen, was heut uns muss entgehn;
Die Schuld liegt an Hagen, der will uns verdursten sehn.” (992)
 
 
Da sprach von Tronje Hagen: “Lieber Herre mein,
Ich wähnte, das Birschen sollte heute sein
In dem Spechtsharte: Den Wein sandt ich dahin.
Heut gibt es nichts zu trinken; doch vermeid ichs künftighin.” (993)
 
 
Da sprach der Niederländer: “Ich sag euch wenig Dank:
Man sollte sieben Säumer mit Met und Lautertrank
Mir hergesendet haben; konnte das nicht sein,
So hätte man uns besser gesiedelt näher dem Rhein.” (994)
 
 
* Des wurde da nicht inne der verratne kühne Mann,
Dass man solche Tücke wider ihn hier spann.
Er war in hoher Tugend alles Falsches bar;
Seines Todes musst entgelten dem es nie ein Frommen war. (995)
 
 
Da sprach von Tronje Hagen: “Ihr edeln Ritter schnell,
Ich weiß hier in der Nähe einen kühlen Quell:
Dass ihr mir nicht zürnet, da rat ich hinzugehn.”
Der Rat war manchem Degen zu großer Sorge geschehn. (996)
 
 
Siegfried den Recken zwang des Durstes Not;
Den Tisch er wegzurücken so zeitiger gebot:
Er wollte vor die Berge zu dem Brunnen gehn.
Da war der Rat aus Arglist von den Recken geschehn. (997)
 
 
Man hieß das Wild aufsäumen und führen in das Land,
Das da verhauen hatte Siegfriedens Hand.
Wer es auch sehen mochte, sprach Ehr und Ruhm ihm nach:
Hagen seine Treue sehr an Siegfrieden brach. (998)
 
 
Als sie von dannen wollten zu der Linde breit,
Da sprach von Tronje Hagen: “Ich hörte jederzeit,
Es könne Niemand folgen Kriemhilds Gemahl,
Wenn er rennen wolle; hei! Schauten wir doch das einmal!” (999)
 
 
Da sprach von Niederlanden Siegfried der Degen kühn:
“Das mögt ihr wohl versuchen: Wollt ihr mit mir hin
Zur Wette nach dem Brunnen? Wenn der Lauf geschieht,
Soll der gewonnen haben, welchen man gewinnen sieht.” (1000)
 
 
“Wohl, lasst es uns versuchen,” sprach Hagen der Degen.
Da sprach der starke Siegfried: “So will ich mich legen
Hier zu euern Füßen nieder in das Gras.”
Als er das erhörte, wie lieb war König Gunthern das! (1001)
 
 
Da sprach der kühne Degen: “Noch mehr will ich euch sagen
All meine Geräte will ich mit mir tragen,
Den Speer samt dem Schilde, dazu mein Birschgewand.”
Das Schwert und den Köcher er um die Glieder schnell sich band. (1002)
 
 
Abzogen sie die Kleider von dem Leibe da;
In zwei weißen Hemden man beide stehen sah.
Wie zwei wilde Panther liefen sie durch den Klee;
Man sah bei dem Brunnen den kühnen Siegfried doch eh. (1003)
 
 
Den Preis in allen Dingen vor manchem man ihm gab.
Da lös't er schnell die Waffe, den Köcher legt' er ab,
Den starken Wurfspieß lehnt' er an den Lindenast:
Bei des Brunnens Fluße stand der herrliche Gast. (1004)
 
 
Siegfriedens Tugenden waren gut und groß.
Den Schild legt' er nieder, wo der Brunnen floss:
Wie sehr ihn auch dürstete, der Held nicht eher trank
Bis der Wirt getrunken: Dafür gewann er übeln Dank. (1005)
 
 
Der Brunnen war lauter, kühl und auch gut;
Da neigte sich Gunther hernieder zu der Flut.
Als er getrunken hatte, erhob er sich hindann
Also hätt auch gerne der kühne Siegfried getan. (1006)
 
 
Da entgalt er seiner Tugend; den Bogen und das Schwert
Trug Hagen beiseite von dem Degen wert.
Dann sprang er schnell zurücke, wo er den Wurfspieß fand
Und sah nach einem Zeichen an des Kühnen Gewand. (1007)
 
 
Als Siegfried der König aus dem Brunnen trank,
Schoss er ihm durch das Kreuze, dass aus der Wunde sprang
Das Blut seines Herzens hoch an Hagens Staat.
Kein Held begeht wieder also große Missetat. (1008)
 
 
Den Wurfspieß im Herzen ließ er ihn stecken tief:
Wie im Fliehen Hagen da so grimmig lief,
So lief er wohl auf Erden nie vor einem Mann!
Als sich der starke Siegfried der großen Wunde besann, (1009)
 
 
Der Held in wildem Toben von dem Brunnen sprang;
Ihm ragte von den Schultern eine Speerstange lang.
Nun wähnt' er da zu finden Bogen oder Schwert,
So hätt er Lohn Herrn Hagen wohl nach Verdienste gewährt. (1010)
 
 
Als der Todwunde das Schwert nicht wieder fand,
Da blieb ihm nichts weiter als der Schildesrand.
Den hob er von dem Brunnen und rannte Hagnen an;
Da konnt ihm nicht entrinnen König Gunthers Untertan. (1011)
 
 
Wie wund er war zum Tode, so kräftig doch er schlug,
Dass von dem Schilde nieder rieselte genug
Des edeln Gesteins; der Schild zerbrach auch fast!
So gern gerochen hätte sich der herrliche Gast. (1012)
 
 
Gestrauchelt war da Hagen von seiner Hand zu Tal;
Der Anger von den Schlägen erscholl im Wiederhall.
Hätt er sein Schwert in Händen, so wär es Hagens Tod.
Sehr zürnte der Verwundete, es zwang ihn wahrhafte Not. (1013)
 
 
Seine Farbe war erblichen, er konnte nicht mehr stehn.
Seines Leibes Stärke musste ganz zergehn,
Da er des Todes Zeichen in lichter Farbe trug.
Er ward hernach beweinet von schönen Frauen genug. (1014)
 
 
Da fiel in die Blumen der Kriemhilde Mann:
Das Blut von seiner Wunde stromweis nieder rann.
Da begann er die zu schelten, ihn zwang die große Not,
Die da geraten hatten mit Untreue seinen Tod. (1015)
 
 
Da sprach der Todwunde: “Weh, ihr bösen Zagen,
Was helfen meine Dienste, da ihr mich habt erschlagen?
Ich war euch stets gewogen und sterbe nun daran:
Ihr habt an euern Freunden leider übel getan. (1016)
 
 
Die sind dadurch bescholten, was ihrer auch geborn
Wird nach diesem Tage: Ihr habt euern Zorn
Allzu sehr gerochen an dem Leben mein.
Mit Schanden geschieden sollt ihr von guten Recken sein.” (1017)
 
 
Hinliefen all die Ritter, wo er erschlagen lag:
Es war ihrer vielen ein freudeloser Tag.
Wer irgend Treue kannte, von dem ward er beklagt:
Das hatt auch wohl um alle verdient der Degen unverzagt. (1018)
 
 
Der König von Burgonden beklagt' auch seinen Tod.
Da sprach der Todwunde: “Das tut nimmer Not,
Dass der um Schaden weinet, durch den man ihn gewann:
Er verdient groß Schelten, er hätt es besser nicht getan.” (1019)
 
 
Da sprach der grimme Hagen: “Ich weiß nicht, was euch reut:
Nun hat zumal ein Ende unser sorglich Leid.
Nun mags nicht manchen geben, der uns darf bestehn;
Wohl mir, dass seiner Herrschaft durch mich ein End ist geschehn.” (1020)
 
 
“Ihr mögt euch leichtlich rühmen,” sprach der von Niederland;
“Hätt ich die mörderische Weis an euch erkannt,
Vor euch hätt ich behalten Leben wohl und Leib.
Mich dauert nichts auf Erden als Frau Kriemhilde mein Weib. (1021)
 
 
“Auch mag es Gott erbarmen, dass ich gewann den Sohn,
Der nun auf alle Zeiten bescholten ist davon,
Dass seine Freunde jemand meuchlerisch erschlagen:
Hätt ich Zeit und Weile, das müsst ich billig beklagen. (1022)
 
 
* Niemand je auf Erden größern Mord begann,”
Sprach er zu dem Könige, “als ihr an mir getan:
Ich erhielt euch unbescholten in großer Angst und Not;
Ihr habt mir schlimm vergolten, dass ich so wohl es euch bot.” (1023)
 
 
Da sprach im Jammer weiter der todwunde Held:
“Wollt ihr, edler König, noch je auf dieser Welt
An jemand gutes üben, so lasst befohlen sein
Auf Treue und auf Gnaden euch die liebe Traute mein. (1024)
 
 
Lasst sie des genießen, dass sie eure Schwester sei:
Bei aller Fürsten Tugend, steht ihr mit Treue bei!
Mein mögen lange harren mein Vater und sein Bann:
Es ward am lieben Freunde nimmer übler getan.” (1025)
 
 
* Er krümmte sich in Schmerzen, wie ihm die Not gebot
Und sprach aus jammerndem Herzen: “Mein mordlicher Tod
Mag euch noch gereuen in der Zukunft Tagen:
Glaubt mir in rechter Treue, dass ihr euch selber habt erschlagen.” (1026)
 
 
Die Blumen allenthalben waren vom Blute nass.
Da rang er mit dem Tode, nicht lange tat er das,
Denn des Todes Waffe schnitt immer allzu sehr.
Auch musste bald ersterben dieser Degen kühn und hehr. (1027)
 
 
* Von demselben Brunnen, wo Siegfried ward erschlagen,
Sollt ihr die rechte Wahrheit von mir hören sagen.
Vor dem Odenwalde ein Dorf liegt Odenheim:
Da fließet noch der Brunnen, es kann da kein Zweifel sein. (1028)
 
 
Als die Herren sahen, der Degen sei tot,
Sie legten ihn auf einen Schild, der war von Golde rot:
Da gingen sie zu Rate, wie es sollt ergehn,
Dass es verhohlen bliebe, es sei von Hagen geschehn. (1029)
 
 
Da sprachen ihrer viele: “Ein Unfall ist geschehn;
Ihr sollt es alle hehlen und einer Rede stehn:
Als er allein ritt jagen, der Kriemhilde Mann,
Da schlugen ihn die Schächer, als er fuhr durch den Tann.” (1030)
 
 
Da sprach von Tronje Hagen: “Ich bring ihn in das Land:
Mich soll es nicht kümmern, wird es ihr auch bekannt,
Die so betrüben konnte Brunhildens hohen Mut;
Ich werde wenig fragen wie sie nun weinet und tut.” (1031)
 
 
Da harrten sie des Abends und fuhren überrhein:
Es mochte nie von Helden so schlimm gejaget sein.
Ihr Beutewild beweinte noch manches edle Weib,
Sein musste bald entgelten viel guter Weigande Leib. (1032)
 

17. Abenteuer
Wie Siegfried beklagt und begraben ward

 
Von großem Übermute mögt ihr nun hören sagen
Und grässlicher Rache. Bringen ließ Hagen
Den erschlagnen Siegfried von Nibelungenland
Vor eine Kemenate, worin sich Kriemhild befand. (1033)
 
 
Er ließ ihn ihr verstohlen legen vor die Tür,
Dass sie ihn finden müsste, wenn morgen sie herfür